[209] Die Thüre des alten Hauses fiel schwerfällig hinter der jungen Dame zu, und sie blieb einen Moment regungslos am Fuße der Treppe stehen. – Diese Stufen war sie an jenem entsetzlichen Tage heruntergekommen, um nach Dambach zu laufen und die grause Gewißheit zu erlangen, daß sie eine Waise sei... Wenn er wüßte, wie der Unmündige jetzt hauste! Wie er ohne Gnade und Erbarmen alles ausschied, was nicht ganz mit seinen Rechenexempeln stimmte! ... An dem kleinen Max hatte der Verstorbene sein Wohlgefallen gehabt – mußte sie doch oft dabei an Saul und David denken – der finstere, melancholische Mann hatte sich auch dem Zauber nicht entziehen können, den der schöne, hellschauende Knabe auf alle ausübte. Sie erinnerte sich, mit wie weicher Stimme er zu dem Kinde gesprochen, wie er seinem Schwiegervater versichert hatte, daß er den Knaben später in sein Kontor aufnehmen werde. Und hatte er nicht auch damals, inmitten des verwüstenden Sturmes am Fenster gesagt, daß der Knabe wohl nicht dazu bestimmt sei, andere zu amüsieren? ... Und nun sang das Kind in schneidender Winterkälte vor den Thüren! –
Sie stieg die Treppe hinauf. Das Bretterwerk unter ihren Füßen war schneeweiß, und ein feiner Wacholderduft wehte sie an – der echte Thüringer Sonntagsduft!
Auf ihr leises Anklopfen erfolgte kein Herein, und auch ihr Eintreten wurde nicht sofort bemerkt, obgleich die wachsame Philine sofort in der Küche anschlug. In der einen tiefen Fensternische saß Frau Lenz und strickte an einer bunten Wolljacke, und in der anderen stand der Arbeitstisch ihres Mannes; er saß tiefgebückt über seiner Arbeit. Erst bei dem lauten, freundlichen Gruß der jungen Dame sahen die beiden alten Leute auf und erhoben sich.[209]
Den erstaunten, gespannten Mienen des Ehepaares gegenüber geriet Margarete plötzlich in Verlegenheit. Ihr warm aufquellendes Gefühl hatte sie hierher getrieben, aber sie kam aus dem Hause, wo den alten Leuten ein unerbittlicher Feind lebte, der ihnen das Brot vom Munde nahm und sie hinausstieß in Sorge und Elend. Mußten sie nicht Bitterkeit und Mißtrauen gegen alles empfinden, was von dorther kam?
Der alte Maler kam ihr zu Hilfe. Er bot ihr herzlich die Hand und führte sie nach dem Sofa... Da saß sie nun in derselben Ecke, wo man vor zehn Jahren das abgehetzte, fiebergeschüttelte Kind zärtlich gehegt und gepflegt hatte. Jener Abend trat ihr in allen Einzelheiten vor die Seele, und sie begriff nicht, wie der Papa nach solchen Beweisen von Hilfsbereitschaft und Güte für sein Kind in seinem Hochmut gegenüber den Bewohnern des Packhauses bis an sein Ende hatte verharren mögen. Und wie schlimm stand es jetzt erst um die alten Leute!
Noch war der Mangel nicht sichtbar. Die Stube war wohlig durchwärmt. Ein großer warmer Teppich bedeckte den Fußboden; weder Möbel noch Gardinen sahen verkommen und abgenutzt aus – man sah, es war all die Jahre her Geld und Sorgfalt aufgewendet worden, das Behäbige des Heims zu erhalten. Inmitten des Zimmers stand der hergerichtete Mittagstisch. Das frisch aufgelegte Tischtuch glänzte wie Atlas, die Servietten steckten in feinen Ringen, und neben den gemalten Porzellantellern lagen Silberlöffel.
»Ich habe Sie in Ihrer Arbeit gestört,« sagte Margarete entschuldigend, während sie den nächsten Stuhl einnahm und Herr und Frau Lenz sich auf das Sofa setzten.
»Es war keine Arbeit, nur ein Zeitvertreib,« erwiderte der alte Maler. »Ein festes Arbeitspensum habe ich nicht mehr, und da male ich an einer Landschaft, die ich vor Jahren angefangen habe. Freilich geht es langsam. Ich bin auf dem einen Auge völlig erblindet, und das andere ist auch ziemlich schwach; so bin ich immer nur auf die wenigen hellen Mittagsstunden angewiesen.«
»Man hat Ihnen Ihr festes Arbeitspensum genommen?« fragte Margarete, unumwunden auf ihr Ziel losgehend.
»Ja, mein Mann ist entlassen,« bestätigte Frau Lenz bitter. »Entlassen wie ein Tagelöhner, weil er als gewissenhafter Künstler die Arbeit nicht so massenhaft lieferte, wie die jungen gedankenlosen Schmierer.«[210]
»Hannchen!« unterbrach er sie mahnend.
»Ja, lieber Ernst, wenn ich nicht spreche, wer soll es sonst?« erwiderte sie herb, und doch auch mit einem wehmütigen Lächeln in den vergrämten Zügen. »Soll ich in meinen alten Tagen aufhören, das zu sein, was ich zeitlebens gewesen bin, der Anwalt meines allzu bescheidenen, guten Mannes?«
Er schüttelte den grauen Kopf. »Ungerecht dürfen wir aber auch nicht sein, liebe Frau,« sagte er mild. »Für mein festes Einkommen habe ich allerdings in den letzten zwei Jahren nicht mehr die entsprechende Arbeit geliefert, meiner Augen wegen. Ich habe das auch gesagt und um Bezahlung per Stück gebeten, aber der junge Herr will davon nichts hören. Nun, ihm steht ja das Verfügungsrecht zu, wenn er auch noch nicht mündig erklärt ist, und die Testamentseröffnung noch bevorsteht... Auf dieses Testament hoffen noch manche von den alten Arbeitern draußen in Dambach, denen es ähnlich ergeht wie mir.«
Margarete wußte von Tante Sophie, daß ein Testament ihres Vaters vorhanden war, welches in den nächsten Tagen eröffnet werden sollte; aber es war nur eine flüchtige Erwähnung gewesen, die Tante mochte nichts Näheres wissen. Das sagte die junge Dame auf den eigentümlich gespannten Blick des alten Mannes hin. Sie hatte auf diese Thatsache wenig Gewicht gelegt, noch weniger aber war ihr der Gedanke gekommen, daß die letztwillige Verfügung des Verstorbenen möglicherweise Reinholds Eigenmächtigkeiten rückgängig machen könne.
»Mein Gott,« rief sie lebhaft, »wenn Sie meinen, daß das Testament vieles ändern kann –«
»Es wird und muß vieles ändern,« fiel Frau Lenz mit sonderbar harter Betonung und Bestimmtheit ein.
Margarete verstummte für einen Moment, betroffen in den noch immer schönen, blauen Augen der alten Frau forschend – eine Art von wilder Genugthuung funkelte in ihnen auf. »Nun ja,« setzte sie dann nachdrücklich, mit schwerem Vorwurf hinzu, »wozu dann die Grausamkeit, das Kind ums Brot auf der Straße singen zu lassen?«
Frau Lenz fuhr empor und trat auf ihre Füße. Sie war lahm und konnte sich nur schwer fortbewegen; aber in diesem Moment schien sie von Schmerz und Schwäche nichts zu fühlen. »Grausam? Wir? Gegen unser Kind, unseren Abgott, unser alles?« rief sie wie außer sich.[211]
Der alte Maler ergriff begütigend ihre Hand. »Ruhig Blut, liebes Herz!« mahnte er mild lächelnd. »Grausam sind wir zwei alten Menschen nie gewesen, gelt, Hannchen? Nicht gegen die kleinste Kreatur der Schöpfung, geschweige denn gegen unseren Jungen... Sie haben ihn singen hören?« wandte er sich zu Margarete.
»Ja, vor unserem Hause, und das Herz hat mir wehe gethan. Es ist so bitterkalt – ich meinte, der Atem müsse ihm vor dem Munde gefrieren. Er wird sich erkälten.«
Herr Lenz schüttelte den Kopf. »Der kleine Bursche hat sich selbst hart gewöhnt. Die Stube da ist ihm zu eng für seine Stimme, und da steht er oft, ehe wir uns dessen versehen, droben am Bodenfenster oder auf dem offenen Gange und singt in Sturm und Schneegestöber hinein.«
Er war bei den letzten Worten aufgestanden, hatte zärtlich den Arm um seine Frau geschlungen und sie sanft in die Sofaecke zurückgedrückt. »So – das Stehen macht dir Schmerz, lieber Schatz. Und du mußt auch deinen Alten nicht so ängstigen mit der Erregtheit, die dir allemal schadet! ... Ja, wissen Sie, Fräulein, solch ein Frauenherz ist ein Wunder an Liebeskraft und Liebesfähigkeit,« sagte er, seinen Platz wieder einnehmend, zu der jungen Dame. »Man meint, mit der Hingebung und Aufopferung für die Kinder müsse es erschöpft sein, und da kommen die Enkel, und das Großmutterle ist wieder dieselbe Löwin, die sie in der Jugendkraft gewesen.«
Margarete dachte mit Bitterkeit an die alte Dame im oberen Stock des Vorderhauses, für welche Kinder und Kindeskinder nur Stufen waren, auf denen sie emporsteigen wollte.
»Sehen Sie, da an den warmen Ofenkacheln lehnen die Hausschuhe, und in der Ofenröhre steht heißes Warmbier für unseren kleinen Kurrendeschüler,« fuhr er fort. »Und wenn er heimkommt, da strahlt er allemal vor Freude; denn seiner Meinung nach hat er jetzt einen mächtigen Wirkungskreis – er sorgt für seine Großeltern.« – Der alte Mann lächelte, und dabei wischte er sich unter der Brille eine Thräne der Rührung fort.
»Ja, es kamen ein paar fatale, ein paar schlimme Tage für uns, nachdem der junge Herr mir aufgesagt hatte,« hob er wieder an. »Wir hatten die Schneider- und Schuhrechnung für Max gezahlt, und unseren Kohlenvorrat angeschafft, und eine Summe, auf die wir stets pünktlich rechnen konnten, war plötzlich weggefallen; und da kam ein Abend, an welchem wir vor der leeren Kasse[212] standen und nicht wußten, wovon wir am andern Tag auch nur eine Suppe kochen sollten... Ich wollte gehen und ein paar von unseren Silberlöffeln verkaufen; aber das Frauchen da« – er zeigte mit zärtlichem Blick auf seine Frau – »kam mir zuvor. Sie nahm Stickereien und Strickereien, die sie mit ihren geschickten Händen in Mußestunden gearbeitet hatte, aus der Kommode und ging – so sauer ihr auch das Gehen wird – mit Max in die Kaufläden, und da brachte sie nicht nur Geld, sondern auch viel Bestellungen mit heim... Nun lasse ich alter Kerl mich von der Hand ernähren, an die ich einst den Verlobungsring gesteckt hatte, in der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß mein Mädchen das Leben einer Prinzessin an meiner Seite haben solle. – Ja, sehen Sie, das ist nun Künstlerleben und Künstlerhoffen!«
»Ernst!« unterbrach ihn Frau Lenz und drohte mit dem Finger. »Willst du wirklich Fräulein Lamprecht weismachen, ich sei so eine gewesen, die sich ein Schlaraffenleben bei dir erträumt hätte? ... Nein, Fräulein, er fabelt, der alte Künstlerkopf! Zum Faulenzen habe ich nie Talent gehabt, dazu bin ich immer zu rasch gewesen. Schaffen und Helfen, das war stets mein Lebenselement, und die Ader hat auch Max von mir. ›Großmama,‹ sagte er auf dem Nachhauseweg, ›morgen gehe ich unter die Kurrendeschüler. Der Herr Kantor hat zu mir gesagt, solch einen kleinen Jungen mit meiner Stimme könnte er brauchen für seinen Chor, und die Jungens bekommen ganze Taschen voll Geld‹ –«
»Wir suchten ihm die Idee auszureden,« fiel Herr Lenz ein; »aber er ließ nicht nach; er bat und weinte und schmeichelte, und da gab meine Frau endlich den Ausschlag und erlaubte es –«
»Aber nicht um des Erwerbes willen!« unterbrach sie ihn fast[213] heftig protestierend. »Denken Sie das um Gotteswillen nicht! Die paar Groschen liegen unberührt im Kasten; sie sollen als ein Denkzeichen an die Zeit aufbewahrt werden, wo das bittere ›Muß‹ dem Kinde den Gedanken eingegeben hat, ums liebe Brot vor dem Hause zu singen, das –«
»Hannchen!« mahnte der alte Mann mit großem Ernst und Nachdruck.
Sie preßte die Lippen aufeinander und sah mit seltsam loderndem, beredtem Blick durch das gegenüberliegende Fenster in die froststarrende Luft hinein. Es lag etwas Rachedürstendes in ihrem ganzen Wesen. »Das Kind ist schlecht genug behandelt worden in dem großen, stolzen Hause, seit es die deutsche Heimat betreten hat,« sagte sie mit noch weggewandtem Blick grollend, wie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Der Kies im Hofe war zu vornehm für seine Sohlen, und der Gartentisch unter den Linden wurde entweiht durch seine Bücher, seine schreibenden Händchen. Und von dem Sarge droben im großen Saal sollte er weggescheucht werden wie –« Sie brach ab und legte die Hand über die Augen.
»Mein Bruder ist krank und deshalb keines Men schen Freund; mit ihm dürfen Sie nicht so streng ins Gericht gehen, auch andere müssen unter seiner Schroffheit leiden,« tröstete Margarete sanft. »Dagegen weiß ich, daß mein Vater den kleinen Max sehr gern gehabt hat, wie alle in unserem Hause. Ich weiß, daß er für seine Zukunft hat Sorge tragen wollen, und aus dem Grunde bin ich gekommen... Es würde auch ihm gewiß, wie mir, ans Herz gegangen sein, das prächtige Kind draußen vor der Thüre stehen zu sehen, und deshalb möchte ich Sie bitten, dem kleinen Kurrendeschüler die gegebene Erlaubnis von heute ab zu verweigern und mir die Freude zu gönnen –« Sie schob heißerrötend die Hand in die Tasche.
»Nein, kein Almosen!« rief Frau Lenz fast wild und legte die Hand auf den Arm der jungen Dame. »Kein Almosen!« wiederholte sie beruhigter, als Margarete die leere Hand aus der Tasche zog. »Ich fühle, Sie meinen es gut. Sie haben von klein auf ein edles, braves Herz gehabt. Niemand weiß das besser als ich – Sie trifft kein Vorwurf! ... Aber lassen Sie uns auch das bißchen Stolz darauf, den über uns verhängten Schlag aus eigener Kraft pariert zu haben... Sehen Sie,« – sie zeigte nach einer großen Korbwanne im Fensterbogen, die bis an den[214] Rand mit bunter Stickerei gefüllt war – »das ist lauter fertige Arbeit! Wir brauchen vorläufig nicht zu darben, und später wird Gott helfen! ... Max soll nicht wieder auf der Straße singen, ich verspreche es Ihnen heilig und teuer! Er wird zwar jammern, aber er muß sich hineinfinden.«
Margarete nahm die Rechte der alten Frau in ihre Hände und drückte sie warm. »Ich kann Sie verstehen und werde gewiß nicht wieder so plump ›mit der Thüre ins Haus fallen‹,« sagte sie mit einem flüchtigen Lächeln. »Sie werden mir dagegen gewiß erlauben, das Kind nach wie vor lieb zu haben und seinen Lebensgang im Auge zu behalten.«
»Wer weiß, Fräulein – die Verhältnisse wandeln oft ganz plötzlich die scheinbar festesten Ansichten – wer weiß, wie Sie nach vier Wochen darüber denken!« erwiderte Frau Lenz mit schwerer Betonung.
»Nicht anders als heute auch, dafür möchte ich meinen alten Kopf verwetten!« rief ihr Mann ganz enthusiastisch. »Ich habe das kleine Gretchen in seinem Thun und Wesen beobachtet, als es noch im Hofe spielte. Es gehört eine starke Geschwisterliebe und Aufopferungsfähigkeit dazu, immer wieder das geduldige Pferdchen eines verzogenen, kränklichen Bruders zu sein und sich widerstandslos schlagen und peinigen zu lassen. Ich habe ferner gesehen, wie das liebe, kleine Ding nach der Küche rannte und von der brummenden Bärbe für die Bettelkinder in der Hausflur Butter auf die Brotstücken ertrotzte... Wollte ich alle die erlauschten Züge eines guten, wackeren Herzens aufzählen, ich würde nicht fertig. Und ich weiß, das Weltleben draußen hat von dem reichen Fonds nichts genommen – das hat der alte Lenz gleich in den ersten Tagen nach der Rückkehr an sich selbst erfahren.«
Margarete hatte sich währenddem erhoben – sie war ganz rot und verlegen. »Nun, dann haben doch wenigstens ein paar Augen die wilde Hummel nachsichtig beurteilt,« sagte sie lächelnd. »Aber Sie sollten nur die Zensuren von damals sehen, sollten wissen, wie oft mir der Kopf gewaschen werden mußte meiner Frevelthaten wegen! Das ist freilich Geheimnis des Vorderhauses geblieben und konnte Ihre gütige Meinung nicht alterieren... Nur in dem einen Punkte gebe ich Ihnen recht – ich habe einen harten Kopf, den die Macht der Verhältnisse doch nicht so leicht binnen vier Wochen wandeln dürfte.«
Sie reichte den beiden alten Leuten Abschied nehmend die[215] Hand und verließ, von ihnen bis zur Treppe geleitet, das Packhaus. Sie ging weit gedankenvoller, als sie gekommen war... War das ein köstliches Zusammenleben in dem alten Hause da hinter ihr! Je heftiger das Schicksal auf die Herzen einstürmte, desto enger schlossen sie sich aneinander an.
Ihr Blick flog unwillkürlich über die vornehme obere Etage des Vorderhauses – da herrschte freilich ein anderer Geist, »Anstand, gute Sitte, Konvenienz« nannte ihn die Großmama, und »verknöcherte Selbstsucht, gepaart mit verachtungswürdigem Unterwerfungstrieb gegen Hochgestellte« der alte Mann, der lieber einsam draußen auf dem Lande lebte, als daß er die Eisesluft atmete, in welcher sich die distinguierte Frau Gemahlin gefiel. War es da ein Wunder, wenn Herbert – aber nein, selbst im Geiste durfte sie ihn nicht mehr durch das Vorurteil kränken, daß er herzlos sei! ... Er war gut zu ihr. Er hatte ihr sogar zweimal nach Berlin geschrieben, fürsorglich, als sei er ihr Vormund, und sie hatte ihm geantwortet. Daraufhin war er ihr bei ihrer Rückkehr auf die letzte größere Station entgegengekommen, in dem zartsinnigen Wunsche, ihr das Wiederbetreten des vereinsamten Vaterhauses in etwas zu erleichtern... Das hatte die Großmama freilich nicht erfahren; sie hätte diese Zuvorkommenheit und Herablassung des Herrn Landrats gegen das junge Ding, die Grete, sicher nicht gebilligt, schon aus dem Grunde nicht, weil sie ihr das Leid angethan hatte, durchaus nicht Baronin von Billingen werden zu wollen. Die alte Dame hatte bitterböse darüber an ihre Schwester und Margarete geschrieben... Wie Herbert über das Scheitern dieser Wünsche dachte, das war dem jungen Mädchen bis zur Stunde dunkel geblieben. Er hatte die delikate Angelegenheit in keinem seiner Briefe erwähnt, und sie war auf ihrer Hut gewesen, auch nur mit einem Worte daran zu rühren...
Mit diesen abschweifenden Betrachtungen war sie längst in die Hofstube zurückgekehrt und hatte die Geldrolle wieder in den Kasten des Schreibtisches gleiten lassen – unter einem abermaligen Erröten. So konnte und durfte sie ihre Teilnahme für den kleinen Max nicht wieder bethätigen wollen – der Weg war ihr verschlossen. Sie fühlte sich machtlos; die Verhältnisse übersehen und wissen, wie da zu wirken sei, das konnte nur ein Mann. Sie nahm sich vor, mit Herbert darüber zu sprechen...[216]
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