Liebe und Glaube

[242] »Nun aber sind Glaube, Liebe und Hoffnung, diese drei, aber die Liebe ist die größeste unter ihnen,« sagt der Apostel. Ja, die Liebe ist nicht nur die größeste unter ihnen, sondern sie enthält die beiden anderen in sich selbst.

Die Ueberzeugung von Gott und einer in Gott gegründeten Weltordnung, zu welcher auch der Mensch gehört, hat auf sein Denken und Handeln den entschiedensten Einfluß. Jeder wird unwillkürlich zu dieser Ueberzeugung geführt durch das sich ihm frühzeitig aufdringende Gefühl seiner Schwäche und der Schranken, welche ihm gezogen sind. Indem er bald erfährt, wie weit ihm die Kräfte der Natur überlegen sind, fühlt er sich von Furcht und Angst ergriffen. Indem er höhere Wesen ahnt und nach seiner unvollkommenen Naturkenntniß annimmt, daß die Kräfte der Natur durch Wesen dieser Art in Bewegung gesetzt werden, geht sein Staunen über fürchterliche Gewitter, gewaltige Stürme, zerstörende Erderschütterungen etc. in Anbetung ihm unbekannter Wesen über, und die aufgeregte Phantasie erkennt in jenen Naturerscheinungen diese Wesen selbst oder verwechselt und vermischt beide mit einander.

Da das sittliche Bewußtsein in einem jeden Men schen bald rege wird und er daher sein moralisches Verhalten frühzeitig mit seinen Schicksalen in Verbindung zu bringen lernt, so bildet sich die Idee nicht blos von der Nothwendigkeit, jene Wesen sich durch Verehrung geneigt zu erhalten, sondern auch wegen begangener Uebertretungen zu versöhnen.

Auch die Vernunft des gebildeten Mannes erkennt das Wahre dieser Idee an, und indem sie sich zu dem Begriffe eines einigen göttlichen Wesens erhebt, welches sie als den höchsten Geist betrachtet, erkennt sie in[242] demselben, zugleich alle Vollkommenheiten seines eigenen geistigen Wesens in höchstem Grade auf ihn übertragend, den höchsten Gesetzgeber und Richter der sittlichen Wesen an, dem dieselben Anbetung und Ehrfurcht schuldig sind.

So entsteht der Glaube an das Ewige, an Gottheit oder Götter, in welchem der Mensch seine Gesinnungen und Handlungen in Ehrfurcht und Anbetung auf Gott bezieht, wie selbst die heilige Schrift darauf hindeutet. Dadurch wird die Religion einem jeden Menschen ein unabweisbares Bedürfniß und geht aus dem Innersten seiner höheren Natur hervor, welche ihn, der er zu einer höheren Bestimmung erschaffen ist, zur Erkenntniß und Verehrung seines Schöpfers, Gesetzgebers und Richters hinführt.

Die Religion bezieht sich sowohl auf die ursprünglichen oder reinen Vorstellungen der menschlichen Vernunft vom Absoluten, Göttlichen, Ewigen, welche unmittelbar aus dem Geiste entspringen und als in jedem Menschen vorhanden anzunehmen sind, als auch auf die besonderen empirischen Vorstellungen, welche der Religionslehre ihre eigenthümlichen Auffassungsweisen verleihen.

Eine vollständige und wahrheitsgetreue Darstellung der Entstehung des Wachsthums und der Fortbildung der Religion unter den verschiedenen Völkern und in ihren verschiedenen Formen ist ebenso nothwendig wie schwierig, theils weil die Entstehung der Religion sich tief in das Dunkel der Vorzeit verliert, theils weil sie einen so großen Apparat historischer und philosophischer Kenntnisse voraussetzt, daß die Aneignung derselben die Kraft eines einzelnen Menschen weit übersteigt, selbst wenn er der Begabteste seines Geschlechtes wäre.

Die Religionsphilosophie enthält die wissenschaftliche Darstellung und Nachweisung der ewigen Ideen, worauf jede Religion oder die Religion im Allgemeinen ruht, also die letzten Vernunftgründe aller Religion, sowie die Entwickelung derselben zu einer philosophischen Religionslehre.

Die Philosophie hat die Lehren der Religion nicht nur zu begründen, sondern auch zur höchsten Klarheit und Deutlichkeit vor dem Bewußtsein zu entwickeln und die Pflichten der Religion in ihrem ganzen Umfange darzustellen.

Sie begann von dem Urgrunde allen Seins, und es ist aus diesem[243] Grunde nicht zu verwundern, daß sie sich leicht in leere Träumereien und unstatthafte Speculationen verlor, weil sie sich zur Erkenntniß des Absoluten nicht zu erheben vermag, ohne zunächst am Endlichen einen Punkt gefunden zu haben, von dem sie zu dem Unendlichen emporsteigen kann, und so muß sie es vorziehen, lieber erst am Ziele ihrer Untersuchungen bei Gott anzulangen, als bei ihm zu beginnen.

Der Geist muß sich erst an irdischen Dingen geübt und entwickelt haben, ehe er seine Untersuchungen auf das Erhabene und Höchste zu erstrecken wagen darf, um so mehr, da er, ehe er zu Speculationen über die religiösen Ideen übergeht, durchaus der Kräfte, der Gesetze und Schranken seiner Vernunft sich erst klar bewußt werden muß, wenn er nicht in einem endlosen Raume umhertappen will.

Da die Metaphysik blos eine speculative Gotteslehre zu geben vermochte, welche die Speculation selbst durch eine Menge Zweifel erschütterte, so war es nicht gerathen, die Religion in die Methaphysik zu verweisen. Besser gedieh sie unter der praktischen Philosophie.

Obgleich die Moral ohne Religion Nichts wäre und sich daher auf diese beziehen muß, so ist sie es doch auch vornehmlich, die, vorzüglich durch ihre Darstellung und Erkenntniß der sittlichen Natur des Menschen als der Grundbasis des Glaubens an das Ewige und an eine heilige Gottheit, in uns selbst feste Principien nachweist. Die Religion giebt sich schon in ihrem Ursprunge und Wesen als etwas Sittliches zu erkennen, und gerade dadurch, daß der Mensch ein vernünftig sittliches Wesen ist, ist er der Religion nicht nur bedürftig, sondern auch fähig.

Wenn sie sich eine Wissenschaft nennt, so kann dies nur in formeller Hinsicht Geltung haben, d.h. sofern sie den Inbegriff der natürlichen Religion logisch begründet und systematisch darstellt. In materieller Hinsicht aber kann von einem Wissen um so weniger die Rede sein, als die Religion lediglich Sache des Glaubens ist.

Obgleich sich auf dem Gebiete der Religion Nichts mit mathematischer Anschaulichkeit demonstriren oder beweisen läßt, so kommt doch den religiösen Ideen nicht weniger Wahrheit zu, als den mathematischen Sätzen, denn das moralische Gewissen ist nicht kleiner und enger als das mathematische Gewissen. Die Vernunftideen tragen an sich selbst dieselbe Wahrheit, als die Denkgesetze des Verstandes. Dieses näher nachzuweisen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Religionsphilosophie, indem hierauf die Ueberzeugung[244] beruht, welche sie durch ihre Darstellung und Entwickelung der religiösen Ideen bewirken will – also die Erfüllung eines ihrer hervorragendsten Zwecke.

Zu der positiven Religion verhält sich die Religionsphilosophie zunächst wie das Allgemeine zu dem Besonderen. Blos das Allgemeine kann die Philosophie geben. Obgleich auch hier auf die subjective Ansicht viel ankommt, so sind die Lehren der natürlichen Religion doch zu wenig und zu einfach, als daß eine wissenschaftliche Darlegung derselben in so verschiedene Religionsformen übergehen könnte, als die Religionsstifter, welche, gewöhnlich ohne alle Wissenschaftlichkeit, ihren Lehren ihre religiösen Ansichten um so mehr einprägten, als die geschriebenen Urkunden später der Gegenstand der Erklärung wurden, welche oft weiter von den religiösen Ideen ab- als zu ihnen hinführte und sie häufig immer tiefer in das Gewand unverständlicher Allegorien wickelte.

Ferner verhält sich die Religionsphilosophie zu der positiven Religion wie Vernunftglaube zum Autoritätsglauben. Dort glaubt man, weil man sich durch Gründe überzeugt hat, hier, weil man den Religionsstiftern höhere Eingebung und Untrüglichkeit zutraut.

Die Religionsphilosophie handelt von Gott, als dem Urquell alles Seins, als dem Gesetzgeber und Regierer der Welt. Ob ein solches Wesen überhaupt existirt, ob ein Gott der mehrere Götter anzunehmen sind, diese Fragen bilden nothwendig einen Haupttheil der hier einzuleitenden Untersuchungen.

Sie handelt ferner von der Tugend und der sittlichen Würde und Bestimmung des Menschen; es muß diese nachgewiesen und gezeigt werden, wie der Mensch durch seine moralische Natur zur Religion hingeführt werde.

Sie handelt weiter von der Unsterblichkeit, welche sie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu beweisen sucht.

Und endlich handelt sie von der wahren Gottesverehrung, wie solches aus der klar und würdig aufgefaßten Idee der Religion ganz von selbst hervorgeht.

Der Religionsphilosoph steht über allen Religionen; er nimmt auf die vorhandenen Religionsformen keine Rücksicht, sondern läßt die Religion erst im Innersten des Menschen entstehen und aus demselben hervorgehen.[245]

Eine Ueberspannung des Gefühles in Sachen der Religion ist Religionsschwärmerei zu nennen und geht aus einer zu großen Lebhaftigkeit der Phantasie hervor, die ihre Einbildungen und Träume für Wirklichkeit hält und deshalb häufig zu dem größten Unsinn nicht nur, sondern selbst zu Meinungen und Handlungen verleitet, welche mit dem wahren Wesen der Religion im grellsten Widerspruche stehen. Die Geschichte aller Religionen zeugt davon, und auch in unseren Tagen fehlt es nicht daran.

Der Glaube im Allgemeinen ist die auf zureichende Gründe gestützte Ueberzeugung von der Wahrheit dessen, was uns in der Erfahrung nicht gegeben ist oder nicht gegeben sein kann. Gegensätze davon sind Wissen und Zweifel.

Die Ueberzeugung dessen, was wir wegen unsrer Trennung durch Raum und Zeit nicht selbst erfahren konnten, durch die Mittheilung Andrer, die wir für giltige Zeugen halten, ist historischer Glaube.

Die Ueberzeugung von der Wahrheit dessen, was überhaupt nicht Object menschlicher Anschauung ist, weil es nicht unter die Sinne fällt, sondern über die Sinnenwelt erhaben ist, ist religiöser Glaube.

Die Quellen des religiösen Glaubens sind in dem Menschen die Vernunft, sofern der Mensch durch Nachdenken und durch Gründe der Vernunft zu dieser Ueberzeugung gelangt (Vernunftglaube), oder das Gefühl, sofern seine Ueberzeugung mehr aus dem das Nachdenken begleitenden Gefühle hervorgeht (Gefühlsglaube); außer ihm die Natur, sofern der Mensch zur Ueberzeugung von dem Uebersinnlichen durch das Anschauen der Werke der Natur kommt oder sofern sich diese Ueberzeugung in seinem Bewußtsein auf natürliche Weise entwickelt (Naturglaube oder natürlicher Glaube); oder eine besondere Offenbarung, wo der Mensch auf ganz besondere Weise durch göttliche Veranstaltung von dem Uebersinnlichen belehrt wird (Offenbarungsglaube).

Ein solcher Offenbarungsglaube ist der Glaube aller monotheistischen Religionen.

Jenachdem der Inhalt des Glaubens erhalten und unter seinen Bekennern fortgepflanzt wird, ist er entweder ein traditioneller Glaube, wenn er entweder gar nicht oder erst später aufgezeichnet wird, oder ein geschriebener, von den ursprünglichen Urhebern oder deren nächsten Nachfolgern aufgeschrieben, wie z.B. der evangelisch-christliche, dessen Glaubensquelle die Bibel ist (daher Bibelglaube).[246]

Als Inbegriff der Glaubenssätze einer als Kirche öffentlich anerkannten Religionsgesellschaft ist er Kirchenglaube im Gegensatze zu den abweichenden Ansichten einzelner Menschen oder größerer Parteien und Secten.

Soll der Glaube nicht in Aberglauben ausarten, so muß er jedenfalls ein vernünftiger Glaube sein, d.h. er darf nach Inhalt und Form dem vernünftigen Denken nicht widersprechen.

Am wenigsten sicher vor dieser Glaubensverirrung ist der nach Gründen gar nicht fragende Autoritätsglaube, den man auch nach einem gewissen, ihm meist ergebenen Stande den Köhlerglauben, oder weil er nicht mit eigenen geistigen Augen sehen will, den blinden Glauben nennt. Hierzu gehört auch der Wunderglaube, d.i. die Ueberzeugung von der göttlichen Sendung irgend eines Menschen, die sich darauf gründet, daß derselbe Wunder thun kann. Dieser Glaube steht und fällt eigentlich mit der geringen und erweiterten Cultur eines Volkes, wenigstens läßt sich allein darauf hin, daß Jemand Wunder thun kann, keine sichere Ueberzeugung davon begründen, daß er auch tiefe und tiefste Einsichten in das Uebersinnliche hat, denn Wunder werden nur bewirkt im Reiche der sinnlichen Natur, vorausgesetzt, daß man überhaupt die Möglichkeit von Wundern anzunehmen gesonnen ist.

Die Beantwortung der Frage, ob Aberglaube oder Unglaube, d.i. wo Jemand gar Nichts, insbesondere die Sätze der Kirchenlehre nicht glaubt, gefährlicher sei, ist fast durchgängig gegen den ersteren und für den letzteren ausgefallen, da der Unglaube gewöhnlich tolerant ist und der Aberglaube dagegen von der Unduldsamkeit bis zum Fanatismus gesteigert werden kann und sich zu den sittlich verwerflichsten Thaten mißbrauchen läßt.

Daß der Glaube selig macht, läßt sich gar nicht bestreiten, sofern er nur eine wirkliche feste und unerschütterliche Ueberzeugung ist. Die Behauptung einer oder der anderen Glaubenspartei, daß sie in dem Besitze des einzigen und absolut wahren und seligmachenden Glaubens sei, wird ihr um so weniger zugestanden werden können, je weiter von den Quellen des Glaubens sie sich entfernt hat und neben die Gründe der Forschung oder des reinen Gefühles Autoritäten setzt, von deren Aussprüchen sie ihre Meinung abhängig macht.

Auf diesem Standpunkte steht der wahre Philosoph, welcher ohne alle Voreingenommenheit und mit größter Unparteilichkeit von einer Stufe[247] der Forschung zur andern vordringt, seine Erkenntniß von einem Kreise zum andern zu erweitern sucht und nur den einen, großen und heiligen Zweck seines Strebens kennt: Wahrheit zu finden. Wie er bei dem Naturvolke die ersten, primitiven Formen des Gottesbegriffes achtet, so läßt er sich auch nicht imponiren durch die geistige Schärfe einer vorgeschrittenen Dialectik; er eignet sich das Errungene an und wirft den Schein, den Irrthum von sich, welcher so viele denkfaule Menschen scheinbar beglückt.

Wenn einer unserer bedeutendsten Theologen die Liebe folgendermaßen definirt:

»Die Liebe Gottes ist die Eigenschaft Gottes, daß er den lebendigen Geschöpfen soviel an leiblichen und geistigen Gütern gewährt, als sie zu ihrem Leben, Endzweck und ihren Handlungen gebrauchen. Sie ist unermeßlich, frei (von den Menschen unverdient), mit seiner Weisheit und Gerechtigkeit im Einklange. Sie zeigt sich als Gnade, weil Gott die Menschen ohne ihr Verdienst liebt, als Barmherzigkeit, sofern er seine Liebe den Unglücklichen erweiset und den Sündern vergiebt, als Geduld, sofern er den Sünder schonet, als Langmuth, sofern er die Strafen aufschiebt, und als Güte, insofern er die Strafen, wenn sie erfolgen müssen, mildert« – so begeht er den Fehler des Philosophen, welcher die Liebe überhaupt als den in der Menschennatur tief begründeten eigenen Trieb definirt, welcher den Geist von sich selbst ab auf Aeußeres, auf sich selbst Verwandtes lenkt. Der Verfasser dieser Erklärung setzt hinzu: »Er ist der reine Gegensatz des anderen Grundtriebes, des Egoismus, und hat die Bestimmung, diesen so zu mäßigen und in Schranken zu halten, daß der Mensch der Uebermächtigkeit desselben entzogen und dadurch erst einer höheren Vollendung fähig wird.

Durch die Liebe steht der Mensch mit dem ganzen Weltall in Verbindung. Doch bekommt die Neigung, die den Geist zu etwas nach Außen lenkt, erst dann den eigentlichen Character von Liebe, wenn nichts in dem Eindrucke, den die Vorstellung davon in dem Geiste macht, störend auf ihn wirkt. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn alle Richtungen des Geistes (Erkenntniß, Gefühl und Wille) darin Befriedigung erhalten, wenn der Gegenstand nicht nur dem Wahrheitssinn (Verstand) entspricht, sondern auch als gut und schön das Gemüth für sich gewinnt, indem er, so wie er sich darstellt, auch den Wünschen des Menschen zusagt. Die Liebe ist also (da eben in der Hinlenkung aller Richtungen[248] des Geistes auf das, was an sich wahr, gut und schön ist, das Vernunftvermögen besteht) ein vernünftiger Trieb, aber um deswillen nicht erst aus Vernunft hervorgehend, sondern unter und durch Liebe entwickelt sich erst die Vernunft.

Daher zeigt sich der Liebestrieb auch schon beim zartesten Kinde, sobald es anfängt, äußere Gegenstände von sich zu unterscheiden; ja, er findet sich auch bei Thieren, hier rein als Instinct, indem er das Thier überall da leitet, wo Naturzwecke erreicht werden sollen, die nur im Zusammenleben mehrerer sich gegenseitig unterstützender Geschöpfe gleicher Art erreicht werden können.

Auch im Menschenleben ist Liebe, sofern sie nicht rein von der Vernunft beherrscht wird, in der sinnlichen Natur begründet, die der Mensch mit den Thieren gemein hat, nur mit dem Unterschiede, daß die Vernunft, wenn sie erwacht, den Zug, wohin die Liebe den Geist lenkt, billigt, inwiefern er nicht früheren Anforderungen der Vernunft widerstreitet, die jedoch ihrer Grundlage nach immer auch auf Liebe beruhen.

Da aber unter der natürlichen Entwickelung des Menschenlebens und seiner nur stufenweise möglichen Erhebung von einem Egoismus zur Freiheit des Vernunftlebens, in dem der Egoismus der Vernunft völlig unterthan ist, wenigstens sein soll, so wird Liebe häufig in die niedere Region des Egoismus herabgezogen und unterliegt dessen eigener Gebundenheit. Zwar ist der Egoismus dadurch immer gebrochen, der Kreis, in den Liebe den Menschen einweiht, ein weitgezogener, aber dies nur zur Verstärkung des Egoismus selbst, um höheren Liebestrieben, zu denen die Vernunft leitet, dann um so mächtiger und nicht selten unwiderstehlich entgegen zu treten.

Daher ist Liebe auch in so vielen engen und weiten Kreisen ein mächtiger Hebel, am mächtigsten aber als leidenschaftliche Liebe, wenn in dem kräftigen Liebestriebe das egoistische Princip selbst seine volle Befriedigung erstrebt, in der begehrenden, genußsüchtigen Liebe. Liebe kann sich ebenso auf belebte Gegenstände als auch auf leblose Dinge und besondere Lebensbeschäftigungen richten, wo indessen das Wort doch nur dann volle Anwendung findet, wenn der Gegenstand edler Art ist, wie z.B. bei der Liebe zur Natur oder der Liebe zu den Wissenschaften und Künsten, wogegen eine Hinneigung zu Dingen, die nicht das Gemüth zu[249] befriedigen geeignet sind und deren Interesse ein nur vorübergehendes ist, richtiger als Liebhaberei bezeichnet wird.

Aber auch unedle Neigungen, denen man gleichfalls den Namen Liebe beilegt, können den Menschen beherrschen, aber dann nur als eine Außenseite des Egoismus, in welcher dieser sich selbst zur Schau legt, wie in der Liebe zum Spiele, zum Trunke, oder indem er in der Selbstliebe sich selbst concentrirt, wofern diese nicht durch entgegengesetzte Richtungen zu einer gemäßigten, von der Vernunft gebilligt und gefördert wird.

Der nächste Gegenstand der wahren Liebe (da nur Geistesverwandtschaft den Zug der Liebe bestimmt) ist jedoch nur immer der Mensch selbst, aber nicht gerade der Mensch, der die meiste Uebereinstimmung mit dem hat, in welchem ein Liebesbedürfniß rege wird, sondern gegenseitig der Mensch, welcher Vorzüge besitzt, die dem durch die Liebe zu ihm hingezogenen abgehen und auf die er auch keine Ansprüche macht.

Dies ist im höchsten Grade nur in der Geschlechtsliebe der Fall, daher auch diese die stärkste im Menschenleben ist. Der zum Höhepunkte seines Lebens gelangende Mann hat sich vorwaltend in Kraft, das zum Weibe heranreifende Mädchen vorwaltend in Schönheit entwickelt. Es ist Naturordnung, daß sich Kraft und Schönheit gegenseitig anziehen. Dieser gegenseitige Zug wird zur Geschlechtsliebe, die in der Befriedigung des Geschlechtstriebes zum Höchsten wird, was der Mensch momentan zur Genügeleistung aller Lebensforderungen erreichen kann, eben weil hier eine völlige Ausgleichung der egoistischen und der in Liebe begründeten Lebensbestrebungen eintritt.

Die Natur hat dafür gesorgt, daß bei eintretendem Bedürfnisse der Geschlechtsliebe zweier Wesen verschiedenen Geschlechtes (beim Verlieben) die Phantasie dem geliebten Wesen Vollkommenheiten leiht, die ihr abgehen, und die Vorzüge, die er besitzt, im blendendsten Lichte erblicken läßt, während sie eine Binde über Mängel und Gebrechen hält, deren Wahrnehmung die Illusion des Verliebten stören würde. In diesem Sinne wird die Liebe blind genannt.

Dadurch aber, daß in der Geschlechtsliebe der Egoismus selbst nur eine Erweiterung seines Kreises erhalten hat, wird diese so störend im Leben. Ihr egoistischer Antheil legt sich besonders dadurch dar, daß sie nicht nur als Leidenschaft auftritt, sondern auch fähig ist, sich zur mächtigsten aller Leidenschaften zu steigern, wenn ihr Widerstand entgegensteht[250] oder sie sich in ihren Hoffnungen betrogen findet, die, als Eifersucht, selbst in Haß umschlägt und zu wildem Rachetriebe wird, oder auch in anhaltender Sehnsucht an dem Marke des Lebens zehrt und zu dem Untergange des letzteren führt.«

Haben wir auch schon früher einen Theil dieser Anschauungen anerkannt und zu unseren eigenen Ansichten gemacht, so müssen wir doch uns zu anderen Punkten in Reserve halten. Die gewöhnliche, landläufige Auffassungsweise mag von einer Liebe Gottes, der Eltern, der Kinder, der Gatten, der Freunde u.s.w. sprechen, und es giebt auch wirklich Gründe, sich dieser Ausdrucksweise anzubequemen; aber eigentlich und im Grunde genommen ist die Liebe etwas Ganzes und Untheilbares; sie ist nicht nur eine Kraft, welche allerdings nach der Verschiedenheit ihrer Aeußerungsrichtungen auch mit verschiedenen Bezeichnungen belegt werden kann, sondern sie ist die einzige geistige Macht, welche es überhaupt giebt, und diese Macht ist – Gott.

Daher können wir im strengen Sinne gar nicht von einer Liebe Gottes sprechen, und die Auffassung der Liebe als göttliche Eigenschaft ist eine durchaus falsche. Ebenso wenig darf man die Liebe im Allgemeinen als einen in der Menschennatur begründeten eigenen Trieb auffassen, welcher den Geist von sich selbst ab auf Aeußeres und sich selbst Verwandtes lenkt, und alle aus dieser Auffassung hervorgehenden Folgerungen werden dadurch also aufgehoben. Gott ist die Liebe – Gott ist Geist – Geist ist Liebe. Das Meer läßt sich nicht in Abtheilungen, in Tropfen zergliedern; der Tropfen ist nur die augenblickliche Gestaltungsweise eines winzigen Meerestheiles und giebt diese Gestalt auf im Augenblicke des Zurücksinkens in den Ocean. Die Religion hat es mit dem Verhältnisse des Menschen zu Gott zu thun, aber sie darf den Ocean nicht in Tropfen scheiden, und wenn sie sich der gewöhnlichen Ausdrucksweise bedient, so wird sie von rein äußeren Gründen dazu veranlaßt.

Man kann von dem Verhältnisse der Liebe zum Glauben, zur Religion nicht sprechen, ohne derjenigen Beziehung zu gedenken, welche die Geschlechtsliebe zu gewissen religiösen Gebräuchen eingenommen hat.

Bei den geordneten Gottesdiensten, welche die Priester dem leichtgläubigen Volke veranstalteten, wurde dasselbe veranlaßt, sein Bestes den erzürnten Gottheiten zu opfern, um ihren Zorn abzuwenden von dem Menschengeschlechte. Und so brachte denn ein Jeder das Beste, was er[251] hatte, die Erträgnisse seines Ackers, die Beute der Jagd und des Fischfanges, die besten Stücke seines Viehstandes, nur um die Götter milde zu stimmen, um Segen und Gedeihen für seine Unternehmungen damit zu erkaufen.

Leicht war es den Priestern, welche eine unumschränkte Herrschaft über die Völker ausübten, die Frauen und namentlich die Jungfrauen zu bestimmen, sich den Göttern selbst preiszugeben, und denselben ihr Höchstes, ihre Keuschheit zu opfern. Selbstverständlich vertraten die Priester die Stelle der Götter und nahmen die Gaben der Staubgeborenen im Namen jener entgegen.

So entstand die religiöse oder geheiligte Prostitution.

Von Zeit zu Zeit veranstalteten dieselben großartige Feste zu Ehren des Licht- und Sonnengottes Balus, als dessen Gemahlin die Liebesgöttin Mylitta, d.i. Mondgöttin, betrachtet wurde. Im Tempel des Sonnengottes war ein Bett aufgestellt, welches mit aller nur erdenklichen Pracht ausgeschmückt, angeblich dem Balus als Ruhelager diente.

Bei den veranstalteten Festen wurde dem Volke mitgetheilt, daß der Sonnengott herabsteigen werde vom Olymp, um die irdischen Freuden zu genießen. Es wurde alsdann eine der schönsten babylonischen Frauen geschmückt und köstlich gesalbet auf jenes Ruhebett gelegt, in welchem sie die Umarmungen des Gottes erwartete. Natürlich spielten die Priester stets mit Glück die Rolle des Gottes und die Frauen schwiegen nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern suchten den Vorgang gewöhnlich selbst zu einem heiligen Wunderwerke zu erheben.

Der Ursprung dieser Gebräuche im Tempel der Mylitta ist in den Religionsbegriffen der heidnischen Völker zu suchen, welche der Göttin der Liebe die Eigenschaft-beilegten, daß diese das schöne Geschlecht zur Unzucht reize, nach einmal dargebrachtem Opfer aber die Keuschheit desselben beschütze. Einige Schriftsteller damaliger Zeit wollen sogar behaupten, daß der moralische Lebenswandel der Mädchen durch das dargebrachte Opfer für alle Zeiten gesichert gewesen sei. Diese Annahme ist jedoch eine unwahrscheinliche. Es war vielmehr unvermeidlich, und die Folge hat es auch bewiesen, daß gerade das Gegentheil daraus erwachsen mußte; denn niemals hat es wieder ein Volk gegeben, welches so tief in den Schlamm des Lasters und der zügellosen Wollust versunken war, wie die Babylonier.

Von den Babyloniern pflanzte sich der Cultus der Mylitta über[252] Asien und Afrika fort, bis tief hinein nach Persien, in jedem Lande jedoch andere Formen annehmend und sich den Sitten und Gewohnheiten der einzelnen Völkerschaften anschmiegend.

Ueberall behielt dieser Cultus im Anfange den Charakter der geheiligten Prostitution, bis durch die unausbleibliche Demoralisation der Völker die Entartung der Geschlechtsliebe daraus entstand und das, was zuerst durch Sitte und Religion geheiligt war, zu einem Gewerbe umschuf, dem sich sowohl Männer als Weiber ergaben.

So hatten sich die Armenier einen prachtvollen Tempel nach dem Muster des Heiligthums der Mylitta erbaut, um welchen herum sich eine Bevölkerung niederließ, welche sich einzig dem Venusdienste widmete.

Die Einwohnerschaft dieses geheiligten Ortes bestand größtentheils aus den vornehmsten Familien des Landes, deren Töchter sich auf Wunsch längere oder kürzere Zeit dem Dienste der Liebesgöttin weihen durften.

Natürlich machten hierbei wieder die Priester das beste Geschäft, denn die Gaben in diesem Venustempel flossen reichlich, da nur fremde Männer Einlaß in denselben erhielten, welche die Freuden der Liebe, die ihnen in überreichem Maße geboten wurden, sehr gut bezahlten. Da nun aber nur ärmere Mädchen die Geschenke für sich behielten, welche sie durch das Preisgeben ihrer Körper erworben hatten, diejenigen von guter Herkunft aber die erworbenen Reichthümer auf den Altar der Göttin niederlegten, so flossen ihren Dienern die Gaben in reichlichem Maaße zu.

Die armenischen Schönen brauchten übrigens über ihr schimpfliches Gewerbe nicht zu erröthen, denn die heirathslustigen Söhne des Landes kamen in Menge herbei, um aus den Priesterinnen der Liebe sich ihre Weiber zu wählen, und gewöhnlich war nach denen die stärkste Nachfrage, welche der Liebe am meisten geopfert hatten, da man bei ihnen mit Sicherheit annehmen durfte, daß sie auch im Ehebett mit ihren Liebkosungen nicht kargen würden.

Die Phönizier verehrten die Göttin der Liebe unter dem Namen Astarte und hatten ihr prächtige Tempel gebaut, welche sowohl wegen ihrer Pracht berühmt, als durch die darin gefeierten Liebesfeste berüchtigt waren. Dieselben wurden zu nächtlicher Weile in den Tempeln abgehalten und es war Sitte, daß die Männer in Frauenkleidern, und die Frauen in Männertracht erschienen.

Von den Priestern geleitet und angewiesen, wurden hier bei dem[253] Schalle musikalischer Instrumente Ausschweifungen verübt, welche näher zu bezeichnen das Sittlichkeitsgefühl sich sträubt.

Zwanzig Tempel waren auf der Insel Cypern dem Venusdienste erbaut und geweiht, in denen die Prostitution ihre höchste Ausbildung erreichte. Die berühmtesten dieser Tempel haben in den Städten Paphos und Amathus gestanden. Und doch müssen die Jungfrauen von Cypern vorher keusch gelebt haben, denn als die Venus von dem Schaume der Meereswogen an das Ufer gespült wurde, verachteten die Weiber und Mädchen der Insel die nackte Göttin. Hierüber erzürnt, befahl ihnen diese zur Sühne des schlechten Empfanges, den sie erfahren, jedem ankommenden fremden Manne sich anzubieten; allein sie gehorchten dem Gebote der Göttin nicht und wurden zur Strafe dafür von derselben in Steine verwandelt. So lautete eine alte Sage und die späteren Töchter der Insel machten sich dieselbe zu Nutze und opferten in der von der Göttin verlangten Weise ihre Keuschheit, um dem Schicksale zu entgehen, das ihre Schwestern betroffen. Abends lustwandelten sie am Meeresufer und gingen den auf der Insel ankommenden Fremden entgegen. Ohne Unterschied des Standes ergaben die schönen Cyperinnen sich diesem Gewerbe und sammelten aus dem Ertrage desselben sich eine Mitgift für ihre künftigen Männer, welche diese ohne Erröthen annahmen.

Es ist natürlich, daß diese Gewohnheit der jungen Schönen, sowie die üppigen Feste, welche in den Venustempeln gefeiert wurden, Verehrer und Anbeter nach der Insel zogen, welche als ein großes Freudenhaus zu betrachten war. In dem berühmten Heiligthum der Liebesgöttin zu Paphos soll die Geliebte des Königs Cinyras sich einen so ausgezeichneten Ruf und so großes Ansehen in der Kunst der Liebe erworben haben, daß ihr auf Wunsch der Liebesgöttin der Namen Cypres beigelegt und sie selbst als Göttin der Liebe verehrt wurde.

In den dunklen, geheiligten Hainen, welche den Tempel in weitem Umkreise umgaben, wurden die geheimsten Mysterien vorgenommen, deren Beschreibung die Wohlanständigkeit verbietet.

Von dieser Insel aus verbreitete sich der Venusdienst nach allen Gegenden, mit welchen die Phönizier ihren ausgedehnten Handel trieben, und jedes Volk, welches den Venusdienst in seinen Cultus aufnahm, fügte aus seinen Sitten und Gewohnheiten das hinzu, was sich uns als Eigenthümlichkeit in den Venustempeln der einzelnen Völker repräsentirt.[254]

So hatte man auf karthagischem Gebiete, auf den Höhen im Angesichte des Meeres, eine große Menge Venustempel erbaut, welche weithin sichtbar waren, und den ermüdeten Seemännern, welche mit ihrem Schiffe sich dem Strande näherten, Vergnügen und Erholung für ihre mühevollen Arbeiten versprachen. In großer Anzahl begaben sich die Karthagenserinnen in diese Venustempel und kehrten erst dann nach Karthago zurück, wenn sie sich zu verheirathen gedachten.

Diese Prostitution, welche im Anfange nur zu Nutzen der Seefahrer längs der Küste sich gebildet, war ursprünglich zur gastlichen zu rechnen, und erst habsüchtige Priester bemächtigten sich der Sache, indem sie das Laster heiligten und den Schleier der Religion darüber deckten, und so den Nutzen, den früher die Mädchen selbst von ihrem Gewerbe hatten, in ihre Taschen leiteten; sie schufen so die gastliche zur geheiligten Prostitution um.

Die egyptische Religion verehrte die befruchtende und zeugende Kraft der Erde in den beiden Gottheiten Isis und Osiris. Isis war mit der Venus, Osiris mit dem Adonis identisch.

Die geheiligte Prostitution erlangte in der Verehrung dieser Gottheiten die höchste Ausbildung, und die Priester, in deren Hände die Götter alle Gewalt gelegt hatten, machten sich dieselbe hinreichend zu Nutze, um die Neulinge beiderlei Geschlechtes in die Geheimnisse der scheußlichsten Laster einzuweihen.

Herodot erzählt uns im zweiten Buche, Kapitel 60 die Vorbereitungen zu dem Feste der Isis, welches in Bobastes gefeiert wurde, ungefähr folgendermaßen: »Männer und Frauen in bunter Vermischung und großer Anzahl, begaben sich zu Wasser in einem Fahrzeuge dahin. Während der Fahrt spielten einige Frauen mit Kastagnetten und einige Männer auf der Flöte, die übrigen, sowohl Männer als Frauen sangen und klatschten mit den Händen. So oft man bei der Wasserfahrt bei einer Stadt vorüberkam, wurde gelandet; einige Frauen spielten weiter mit den Kastagnetten, andere schrieen aus vollen Kräften und stießen Beleidigungen aus gegen die Städterinnen. Diese begannen zu tanzen, während jene standen und in der unschicklichsten Weise ihre Kleider aufschürzten.«

Dies waren indeß erst die Anfänge zu den Vorgängen, welche später im Tempel stattfinden sollten. Tausende von Menschen wahlfahrteten dorthin, um sich den schimpflichsten Excessen zu ergeben; die Ausschweifungen,[255] welche bei den Isisfesten stattfanden, wurden in ihren Einzelheiten indeß nie bekannt, da dieselben in der Dunkelheit unterirdischer Räume versteckt blieben, wohin die Eingeweihten erst nach langer Prüfung und Reinigung gelangen konnten.

Der Schriftsteller Herodot, den die egyptischen Priester in die Mysterien ihres Isisdienstes einweihten, vermeidet es absichtlich, die Geheimnisse desselben zu verrathen; allein einige Bemerkungen, die er gelegentlich darüber macht, geben uns ein Bild von der entsetzlichen Versunkenheit, in der dieses Volk gelebt haben muß. Als Beleg dafür sei hier nur angeführt, daß man die Leichname schöner junger Frauen den Einbalsamirern erst drei bis vier Tage nach dem Tode überlieferte, weil es häufig vorgekommen war, daß solche Leichname in noch frischem Zustande zu geschlechtlichen Excessen benutzt worden waren.

Die Religionsgebräuche der Griechen hingen genau mit ihrer Organisation und ihrem Klima zusammen.

So hatten sie eine zweifache Venus; die eine, Urania, von himmlischer Abkunft, war die Vorsteherin keuscher und reiner Liebe, und Homer schildert uns den Gürtel dieser Venus mit den reizendsten Farben. Die andere, die irdische Venus, Vulgivaga, war die Göttin der Wollust. Die Erstere wurde durch Sittsamkeit und strenge Enthaltsamkeit, die Letztere durch Ueppigkeit und raffinirten Genuß verehrt. Die Mädchen, welche sich der himmlichen Venus Urania weihten, mußten das Gelübde der ewigen Keuschheit ablegen, wogegen diejenigen, welche in den Dienst der irdischen Venus Vulgivaga traten, nichts weiter waren, als Werkzeuge der Wollust, welche Jedermann zu Diensten standen.

In dem reichen, üppigen Korinth widmete man zuerst der Venus öffentliche Dirnen, und der dort erbaute prächtige Venustempel zählte Tausende solcher Priesterinnen zu seinen Bewohnern.

Auch nach Italien hin verpflanzte sich die geheiligte Prostitution und nistete sich in diesem Lande bald ein. Es sind uns zwar schriftliche Nachrichten aus der Zeit vor Errichtung des mächtigen römischen Reiches nicht bekannt, allein aus Abbildungen, welche uns aus jener Zeit aufbewahrt wurden, läßt sich mit Sicherheit schließen, daß die Jungfrauen der Liebesgöttin in ähnlicher Art wie die Babylonier und Armenier ihre Keuschheitsopfer gebracht haben.

So lange die römische Republik in ihrer natürlichen Einfachheit[256] bestand, erhielten sich die Römer auch die Reinheit ihrer Sitten; mit dem Eintreten der asiatischen Kriege indeß wurden alle Elemente der geschlechtlichen Ausschweifungen in Rom entfesselt, und die empörenden Sitten der besiegten Völker hielten gleichzeitig mit den zurückkehrenden Eroberern ihren Einzug in das Land.

Die religiöse Prostitution wurde gepflegt und gehegt und wie bei den Griechen der unkeuschen Venus vulgaris gehuldigt. Ohne Scheu ergab man sich allen geschlechtlichen Excessen, und selbst die achtbarsten Frauen scheuten sich nicht, bei den veranstalteten üppigen Festen zu erscheinen, bei denen die öffentlichen Mädchen ihre Aufzüge hielten.

So stammen jene berüchtigten Feste, die man Floralien nannte, aus dem Vermächtniß einer reichgewordenen Buhlerin, Namens Flora iher. Dieselbe hatte in ihrem Testamente bedeutende Summen angewiesen zur Abhaltung alljährlich sich wiederholender Spiele, welche in ihrer Hauptsache aus unzüchtigen Tänzen bestanden und, mit Maskeraden und allerlei Mummenschanz, verbunden, Gelegenheit gaben, sich den unmäßigsten Ausschweifungen zu überlassen.

Auf den zu diesem Zwecke errichteten Bühnen erschienen die öffentlichen Dirnen vor dem Publikum, verletzten die Schamhaftigkeit durch unzüchtige Geberden und wollüstige Tänze, worauf sie sich unter das Volk mischten und in Gegenwart der achtbaren Frauen und Senatoren ihr Gewerbe trieben.

Nach dem Gesagten darf es nicht mehr Wunder nehmen, daß solche schnell ihrem Untergange entgegeneilten.

Mit dem Schwinden der Macht der Griechen und Römer brach ein neues Zeitalter für die Welt an, eine Zeit des Lichtes und der Aufklärung, herbeigeführt und angebahnt durch jenen erhabenen Mann, welcher die Religion stiftete, die heute fast den ganzen Erdball beherrscht.

Christus, von seinem Volke zuerst als Messias betrachtet, dann aber gekreuzigt, war es, welcher mit der Macht des Wortes und des Gedankens jenen Lichtstrahl über die Erde warf, der im Anfange einen kleinen Theil derselben beleuchtete, nach und nach aber immer heller strahlte und mit seinem Lichte den Aberglauben und die damit eng in Zusammenhang stehende Unsittlichkeit vor sich hertrieb.

Es ist bekannt, mit welcher Entrüstung der Stifter der christlichen Religion den Tempel räumte, wie er mit der Geißel in der Hand die[257] Schändlichen daraus vertrieb, welche in demselben ihre unlauteren Gewerbe trieben, die ihn zu den Worten hinrissen: »Mein Haus soll ein Bethaus sein, Ihr aber habt es zu einer Mördergrube gemacht.«

Schwer hatten die Vertreter der christlichen Religion gegen die Prostitution anzukämpfen, welche bei allen Völkern der damaligen Zeit in höchster Blüthe stand.

Das Beispiel des Erlösers indeß, welcher einer büßenden Magdalena verzieh, wirkte wohlthätig auch auf das Volk, und groß war die Zahl derjenigen öffentlichen Dirnen, welche reumüthig ihr unkeusches Gewerbe verließen und einen Lebenswandel begannen, der sie wieder in die Gemeinschaft Derer führte, welche Anspruch machten auf die Achtung ihrer Zeitgenossen.

Schwer zu kämpfen hatten auch die ersten Christen gegen die Gewaltmaßregeln, welche die Heiden über sie verhingen. Besonders aber waren es die Frauen und Jungfrauen, welche darunter litten, denn sie wurden von ihren Peinigern zur Bordellstrafe verurtheilt.

Nichtsdestoweniger wurde die gastliche sowohl, wie die religiöse Prostitution der Heiden durch das Christenthum nach und nach ausgerottet.

Vorzüglich geeignet war dazu die Institution der christlichen Ehe, welche der Prostitution ihr Urtheil sprach.

Besonders hart war der Kampf, den die christliche Kirche mit der Prostitution zu bestehen hatte, in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr., da selbst die Gesetzgebung der ersten christlichen Kaiser die Prostitution noch beschützte und sie als ein Mittel betrachtete, den Ehebruch und die Verführung von Jungfrauen zu vermeiden.

Die christliche Kirche sah sich daher gezwungen, in der härtesten Art gegen alle außereheliche fleischliche Vermischung zu eifern und verhängte gegen die Verächter ihrer Gesetze die härtesten Strafen.

Diesem Vorgehen, verbunden mit den moralischen Grundlagen, auf welchen die Institution der christlichen Ehe gebaut ist, gelang es denn auch nach und nach, die Sitten zu mildern und die unreinen Elemente aus dem öffentlichen Leben zu scheiden, welche mit demselben verwachsen waren.[258]

Quelle:
Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung.] Dritte Abtheilung. In: Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung] S. 11–144; Dritte Abtheilung S. 1–208. – Dresden (1876), S. 242-259.
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