Fünfundzwanzigster Auftritt


[190] Die Vorigen.

Eine ungeheure Spannung hat die Anwesenden ergriffen. Alle Blicke und alle Bewegungen drängen nach dem Hintergrunde. Da kommen sie, vier Schmiede, möglichst herkulische Gestalten, mit Schurzfellen; in den Fäusten schwere Eisenhämmer; auf den Köpfen kurdische Zackenmützen, wie ich sie in meinen Büchern oft beschrieben habe. Auch sie grüßen die Phantasie und den Scheik der Todeskarawane sehr ehrerbietig; dann bleiben sie in einer Weise stehen, daß man ihnen deutlich ansieht, sie wollen Jemand holen. Der Scheik ist bei der Nennung seines Namens erschrocken. Nun macht der Anblick dieser Gestalten einen solchen Eindruck auf ihn, daß er sich, als ob er eine Vision vor sich habe, langsam aufrichtet und, innerlich getrieben, den Bericht von der Geisterschmiede zu rezitieren beginnt. Hierbei haben die Hämmer leise zu erklingen, wie aus großer Höhe oder großer Tiefe, und nicht eher aufzuhören, als bis die Harfen einfallen.


SCHEIK.

Zu Märdistān, im Walde von Kulūb,

Liegt einsam, tief versteckt, die Geisterschmiede – – –

BABEL im bestimmten Tone, als Behauptung.

Da schmieden Geister!

DIE VIER SCHMIEDE unisono, indem sie bei den beiden Wörtern »nein« und »sie« ihre Hämmer schwer auf den Boden stoßen.

Nein, wir schmieden sie!

SCHEIK fortfahrend.

Der Sturm bringt sie geschleppt, um Mitternacht,

Wenn Wetter leuchten, Tränenfluten stürzen.[190]

Der Haß wirft sich in grimmer Lust auf sie.

Der Neid schlägt tief ins Fleisch die Krallen ein – – –

PHANTASIE einfallend.

Doch dieses Mal ist es wohl anders – – – anders.


Indem sie weiterspricht, tritt sie aus dem Zelte. Hierbei wird der Ueberwurf, der ihre Gestalt verhüllt, von der Hand der Bibel festgehalten und hinter ihr herabgezogen. Nun sieht man sie als Mārah Dūrimēh, im »Strahlenpanzer von Kristall«, und ihre langen, weißen Zöpfe fallen nach vorn. Die in den letzten Auftritten erschienenen Krieger, natürlich auch die Schmiede, verneigen sich tief, und unwillkürlich senken auch die Ān'allāh und die übrigen Anwesenden ihre Häupter und heben die Hände, um ihr Ehrfurcht zu zollen. Es ist ein

heiliger, ein tief bedeutsamer Augenblick. Sie spricht weiter, ohne darauf zu achten, daß die bisherige Hülle nicht mehr vorhanden ist.


Da steigt die Menschheitsseele selbst hernieder

Und holt sich den, der reif zum Schmerze ist.


Auf ihren Wink treten die Schmiede zu dem Scheik und stellen sich, je zwei, zu beiden Seiten des Thrones auf. Indem sie hierbei ihre Hämmer dröhnend aufstoßen, halten die bisherigen Hammerklänge mit einem schwer betonten Schlage auf, und die Harfen fallen ein.


SCHEIK DER TODESKARAWANE freudig auf sie zueilend.

Ich ahnte es. Ich wußte es sogar!

Ich grüße dich, du aller Menschen Seele!


Sinkt vor ihr nieder.


SCHEIK knickt vor Entsetzen auf seinem Thron zusammen.

So gehts mit mir zu Ende – – – allerdings!

PHANTASIE legt dem Scheikk der Todeskarawane die Hände auf das Haupt.

Und ich, ich segne dich, den Sohn des Leides,

Der aber mir nur Glück, nur Freude bringt.

Gib dieses Glück auch Andern – – –


Rundum zeigend.


allen Andern,

Und frage nicht, ob sie es würdig sind!


Hebt ihn zu sich empor; die Harfen schweigen.[191]


SCHEIK noch immer entsetzt, zu Babel, auf die Phantasie deutend.

Sie ist die Menschheitsseele, wirklich, wirklich!

O Babel, Babel, wie belogst du mich!

Ein Narr war ich, an deinen »Geist« zu glauben,

Der alles Andre war, doch nur nicht Geist!

BABEL schwer und gebeugt.

Ich sage nicht, verzeihe mir, o Scheik,

Ich selbst, ich selbst kann mir ja nicht verzeihen.


Zu den Andern, indem er die beiden Bücher nimmt und nach dem Feuer geht, um sie hineinzuwerfen.


Ihr wißt, was ich versprach – – –

BIBEL laut und gebieterisch.

Laß mich es tun,

Die ich noch mehr als du zu opfern habe!


Sie wirft den Schleier, der ihr Gesicht und ihre ganze Gestalt umhüllt, von sich und kommt aus dem Zelte auf ihn zugeschritten, um ihm die Bücher aus der Hand zu nehmen. Man sieht sie nun, genau so

gekleidet und geschmückt wie in den »heilgen Stunden« vergangener Zeit. Dieser Anblick wirkt wie ein Blitz auf Vater und Sohn, aber sehr verschieden. Während der Erstere laut aufschreit, besitzt der Andere mehr als Geist genug, sich einzufügen, obwohl er seine Erregung unmöglich ganz beherrschen kann, als die teuerste Gestalt seiner Jugenderinnerungen so plötzlich verkörpert vor ihm steht. Aber, obgleich er still ist, sieht man ihm doch deutlich an, wie glücklich er sich in diesem Augenblicke fühlt.


SCHEIK vor Bestürzung fast brüllend.

Allāh – – –! Sie lebt – – –! Sie lebt noch – – –! Bēnt'ullāh – – –!

IMĀM erschrocken.

Sie lebt noch, Bēnt'ullāh!

KĀDI ebenso.

Sie lebt noch, Bēnt'ullāh!

ALLE ĀN'ALLĀH durcheinander.

Sie lebt noch, Bēnt'ullāh!


Während der Imām und der Kādi sich am liebsten verstecken möchten, eilen die andern Ān'allāh, die sie noch kennen, auch die Aeltesten, herbei, um ihr Gewand zu berühren und den Saum, die Falten desselben zu küssen.[192]


BIBEL wehrt sie freundlich ab.

Ihr kennt mich noch? Ihr seid mir noch ergeben?

Wie rührt mich das! Doch wartet, wartet noch!


Sie hat von Babel die beiden Bücher vom »Menschengeiste« und von der »Menschenseele« bekommen und geht mit ihnen nach dem Feuer.

Da lassen sich die Harfen wieder hören. Je näher die Bibel dem Herde kommt, desto höher flackern die Flammen und desto lauter tönen die Harfen. Es ist, als ob das Feuer wisse, daß es diese beiden Arbeiten Babels zu verschlingen habe. Als sie dort angekommen ist, spricht sie.


Hinweg ins Feuer mit dem irren »Geiste«!


Wirft das Buch hinein.


Hinweg, hinweg auch mit der falschen »Seele«!


Wirft auch dieses hinein. Als es geschehen ist, jubeln die Harfen auf und sind dann wieder still.


BABEL klagend.

So bin ich nun vernichtet!

PHANTASIE.

O nein, o nein!

Du mußt die Erde aus der Höhe schauen,

Denn nur nach dort hinauf zeigt sie sich wahr.

Du gehst mit mir!

SCHĒFAKĀ sofort begeistert zu ihrem Vater tretend.

Auch ich?

PHANTASIE.

Auch du.


Zur Bibel.


Doch weiter!

BIBEL zu Babel.

Du hast, o Babel, nicht allein geirrt;

Die Glut muß auch noch Anderes verzehren.


Während der folgenden Verse, die sie nicht nur zu Babel, sondern für Alle spricht, wirft sie die Gegenstände, welche sie nennt, in das Feuer und mit ihnen Alles, was sie über ihren ursprünglichen, weißen, bescheidenen Anzug unten in dem Drachensaale angezogen hat. Hierbei erklingen die Harfen wieder.[193]


Ins Feuer mit dem Gold aus Babylon!


Wirft.


Und mit den Steinen der Schamūramāt!


Wirft.


Ins Feuer mit den Āltupīrti-Ketten!


Wirft.


Und mit den Perlen aus der Sündenflut!


Wirft.


Wenn ich als Fākirā durchs Leben schreite,

Soll keine Spange mir am Fuß erklingen!


Wirft.


Und bin ich müd, so such ich meine Ruhe


Die Hände zum Himmel hebend.


Allein bei dir, o Herr, allein bei dir!


Die Anwesenden sind hiervon so tief ergriffen, daß auch sie die Hände heben und, wie betend, das Schlußwort wiederholen.


PHANTASIE.

Allein bei dir, o Herr!

HĀKAWĀTI.

Allein bei dir, o Herr!

SCHĒFAKĀ.

Allein bei dir!

ALLE unisono.

Allein bei dir!


Während hierauf tiefe, heilge Stille herrscht, klingen die Harfen noch einige Takte weiter, und die Bibel

geht vom Feuer bis hin zum Scheik, um sich zu seinen Füßen niederzusetzen. Noch ehe sie dies tun kann, kommen der Imām und der Kādi herbei zu ihr. Sie beugen sich vor ihr und drücken ihr Gewand an ihre Lippen.


BIBEL.

Ich zürne nicht, denn wer von dem Erlöser,

So denkt und spricht, wie


Zum Imām.[194]


du gesprochen hast,

Der kann doch nicht mein Feind, mein Gegner sein!


Hiermit schweigen die Harfen. Der Imām und der Kādi kehren entlastet an ihre Plätze zurück, und die Bibel läßt sich vor dem Scheike nieder. Dieser kann das nicht fassen. Er traut seinen Augen kaum und fragt in entsprechendem Tone.


SCHEIK zur Bibel.

Du kommst zu mir – – – zu mir – – –?!

BIBEL zu ihm aufschauend.

Dir beizustehn

In deines Lebens allerschwerster Stunde.

SCHEIK überwältigt.

Allāh, Allāh! Und die verstieß ich einst,

Um eitlen Ruhmes, eitler Ehre willen!

Welch eine Härte! Welche Niedertracht!

Wer kann mir das verzeihen?!

BIBEL.

Gott und ich!

SCHEIK wagt es, sich zu ihr niederzubeugen und ihr Haar zu küssen.

Ist das ein Märchen! Oder ist's ein Traum?

HĀKAWĀTI freudig.

Das Märchen siegt!

BABEL resigniert.

Der Traum wird uns zerstört!

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Der schwere Traum vom »Geist des Abendlandes«,

Der euch mit Hilfe dieser


Auf die Phantasie deutend.


»alten Hexe«


Lächelnd.[195]


Den alten Babelturm entreißen will!


Zur Erklärung.


Der »Geist des Morgenlandes« ging nach West,

Das Menschentum der Liebe zu verbreiten.

Er schwang sich auf zum »Geist des Abendlandes«,

Und nun er in die Heimat wiederkehrt,

Erscheint er fremd in seinem eignen Stamme

Und wird von euch verachtet und gehaßt.

Und doch und doch will ich nur euer Glück;

Denn, kam ich auch mit Tausenden zu euch,

Um dieses Glück euch Toren aufzuzwingen,

So sag ich doch: Behaltet euern Turm,

Behaltet euer Land, behaltet Alles;

Wir wollen nichts und nichts, als nur das Eine,

Was uns gehört – – –

SCHEIK schnell einfallend.

Was euch gehört? Das wäre?

PHANTASIE.

Der »wahre Geist der Bibel«, den Kitāl,

Des Kampfes Drache, mir noch vorenthält.

SCHEIK.

So holt ihn euch! Ich habe nichts dagegen.

Der Held, der ihn befreit,


Zum Scheik der Todeskarawane.


Der bist ja du.

Versuch es doch! Und wenn es dir gelingt,

So hast du mich, den Drachen, totgeschlagen!

PHANTASIE zu den Ān'allāh, befehlend.

So sputet euch! Hinweg mit diesem Zelte!

Macht frei die Tür, und öffnet hoch das Tor!

Laßt in der Tiefe heilge Flammen leuchten,

Und sucht den wahren Schatz, den Geist – – – die Seele!

[196] BIBEL.

Und sucht den wahren Schatz

HĀKAWĀTI.

Und sucht den wahren Schatz!

ALLE durcheinander.

Und sucht den wahren Schatz!

BABEL im schwersten Tone.

Den Geist – – – die Seele!

IMĀM.

Den Geist – – – die Seele!

KĀDI.

Den Geist – – – die Seele!

ALLE durcheinander.

Den Geist – – – die Seele!


Während dieser Wiederholungen beeilen sich die Ān'allāh, das Zelt hinwegzunehmen. Schēfakā nimmt eine der brennenden Fackeln und steigt in den Turm, um ihn zu erleuchten. Sobald das Zelt beseitigt und der Eingang frei ist strömt eine Fülle des Lichtes durch ihn auf die Szene heraus. Da ruft der Scheik, von dem Anblicke, den er nun vor sich hat, selbst überrascht.


SCHEIK.

Wie hell wird es da unten – – – zauberhell!

Und auch in meinem Innern will es tagen.


Über sich selbst überrascht.


Es ist kein Hohn, es ist kein Spott von mir,

Wann ich jetzt endlich, endlich eingestehe,

Daß ich Kitāl, Kitāl, der Drache, bin,

Der, wie das Märchen sagt,


Nach dem Turme deutend.


in diesem Turme[197]

Den Geist der Bibel an die Kette legte.

Ihr Körper wohnt im alten Testamente,

Das hier bei Babel auf dem Tische liegt;


Deutet zu Babel hin, der das Buch in die Höhe hält, um es zu zeigen.


Ihr Geist, ihr wahrer Geist, der wohnt im neuen,

Und dieses habe ich damals versteckt,

Weil Bēnt'ullāh es über Alles liebte,

Obgleich es im Kurān verboten war.

Nur Einer außer mir hat es gesehen,

Daß ich es nahm und wo ich es verbarg,

Und dieser Eine – – –

SCHEIK DER TODESKARAWANE hat mit gespanntester Aufmerksamkeit bis hierher zugehört; nun fällt er schnell ein.

Ist das Kind, dein Sohn,

Der unten in dem Saal des Drachen spielte

Und grad an ihm emporgeklettert war,

Als du das Buch – – – den Band – – –


Hält inne, sinnt.


Den muß ich sehen!


Geht zu Babel und betrachtet den Band des alten Testamentes.


BABEL.

Der Band, nach dem ihr sucht, war diesem gleich.

SCHEIK DER TODESKARAWANE sich erinnernd.

Ich – – – weiß es jetzt – – – ich weiß! Ich hole ihn!


Eilt nach dem jetzt weit offenen Tore des Turmes, kehrt aber, von seinen Gefühlen überwältigt, um und kniet vor der Bibel nieder.


Ich hole ihn – – – ich hole ihn – – – für dich – – –

Du meine Mutter – – – meine – – – meine Mutter!


Sie halten sich für einige Augenblicke umfangen; dann verschwindet er schnellen Schrittes in dem Turme. Die Aufregung der Anwesenden ist durch diese neue Entdeckung auf das höchste gestiegen. Im Scheike gärt es bis zur Erschütterung. Er stottert

fast, als er jetzt die Bibel fragt.[198]


SCHEIK.

Sag, Bēnt'ullāh – – – er ist – – – er ist – – –?

BIBEL.

Dein Sohn!

HĀKAWĀTI jubelnd.

Ich dachte es! Er fragte nach der Schlange!

Das Kind! Der junge Herr! Der Stammeserbe!


Die Andern jubeln mit, denn nun ist der glückliche Ausgang sicher, und sogar die persönliche Niederlage des Scheikes bringt keine Schande, da er nur dem eigenen Sohne unterlag.


BABEL.

Das Kind, der junge Herr!

ERSTER AELTESTER.

Das Kind, der junge Herr!

ALLE durcheinander.

Das Kind, der junge Herr!

IMĀM.

Der Stammeserbe!

KĀDI.

Der Stammeserbe!

ZWEITER AELTESTER.

Der Stammeserbe!

ALLE durcheinander.

Der Stammeserbe!

Es erschallen die bekannten, begeisterten Interjektionen.


SCHEIK in die Kniee brechend, nach Atem ringend.

»Der keinen Vater, keine Mutter hat – – –!

Er wurde, schmutzig wie ein Ungeziefer,[199]

Im Dorngestrüpp der Wüste aufgefunden – – –!

Ein Wechselbalg – – – ein Bankert – – – ein Bastard!«


Jetzt erklingen die Hämmer wieder.


Ihr hört, ihr hört – – – so hämmert es


Aufspringend und sich an die Brust schlagend.


auch hier.

Ich muß nach Märdistān, muß nach Kulūb,

Um abzubüßen, meine Schuld zu sühnen!

PHANTASIE.

Und wenn ich dir verzeih?!

SCHEIK.

Das darfst du nicht.

Du steigst mit uns, denn du bist unsre Seele,

Und wenn wir sinken, sinkst auch du mit uns.

Wer sinken will, der wimmere dich an!

Doch aber ich, ich bin Abū Kitāl.

Ich kämpfte mich bisher nur in die Tiefe;

Von heute an führt mich der Kampf empor – – –

Der Kampf mit mir – – – das Hämmern in der Schmiede – – –

PHANTASIE.

Und euer Weltenreich? Mit dir als Herrscher?

SCHEIK hebt die Hände empor und rezitiert seine eigenen Worte aus dem ersten Akte.

»Doch, bietet mir ein Reich wie Babylon

Und hier dagegen diese eure Größe,

So schwör ich euch, ich gehe und verzichte!«


Da hören die Hämmer mit einem letzten, kräftigen Nachdrucke auf, und die Harfen fallen ein. Sie ertönen bis zum Schlusse immer fort. Zugleich erklingen aus der Tiefe des Turmes kraftvolle Schläge, und Schēfakā erscheint, mit der Fackel in der Hand. Sie deutet in die Tiefe und spricht.


SCHĒFAKĀ.

Er kletterte am Drachen hoch empor – – –[200]

SCHEIK einfallend.

In dessen Rachen ich die Bibel steckte!

SCHĒFAKĀ fortfahrend.

Und schlägt nun mit der Klinge des Kismēt

Den Kopf herab – – –

SCHEIK impulsiert.

Da muß ich helfen! Helfen!


Er eilt in den Turm.


PHANTASIE.

Er selbst will helfen!

HĀKAWĀTI.

Welch ein Gotteswunder!

BABEL.

Er selbst will helfen!

IMĀM.

Er selbst will helfen!

KĀDI.

Er selbst will helfen!

ALLE durcheinander.

Er selbst will helfen!

ERSTER AELTESTER.

Ein Gotteswunder!

ZWEITER AELTESTER.

Ein Gotteswunder!

DRITTER AELTESTER.

Ein Gotteswunder!

ALLE durcheinander.

Ein Gotteswunder!


[201] Man drängt nach dem Turme, doch so, daß Niemand dem Blicke des Zuschauers im Wege steht und daß sich ein der Situation entsprechendes, möglichst edles und imposantes Gruppenbild entwickelt dessen Komposition dem Künstler der Regie überlassen bleibt. – Aus der Tiefe erschallen die Schläge und die Stimmen des Scheikes und

seines Sohnes, bei immerwährendem Harfenklang, dessen Stärke nach den äußeren Umständen zu wechseln hat. Dann ein Krach. Es fiel ein schwerer Gegenstand.


SCHĒFAKĀ hinunterblickend.

Das war der Kopf!

HĀKAWĀTI.

Das war der Kopf!

ALLE durcheinander.

Das war der Kopf!


Noch eine kleine Weile, dann scheinen die Harfen sich in Bewegung zu setzen; sie kommen näher, kommen herauf.


SCHĒFAKĀ.

Ich sehe sie! Sie bringen ihn getragen!

IMĀM.

Sie bringen ihn getragen!

KĀDI.

Sie bringen ihn getragen!

ALLE durcheinander.

Sie bringen ihn getragen!

SCHĒFAKĀ.

Sie kommen!

STIMME DES SCHEIKES.

Ja, wir haben ihn!

STIMME DES SCHEIKES DER TODESKARA WANE.

Wir kommen


[202] Schēfakā schreitet mit der Fackel aus dem Tore heraus, in dessen Inneren Vater und Sohn erscheinen, den Kopf des Drachen tragend.


SCHEIK.

Es war Betrug, nur Ton, kein echter Stein.

Schaut her!


Sie schmettern den Kopf zur Erde, daß er in Stücke berstet.


Da liegt Kitāl, das Ungeheuer,

Und sie ist frei, die er im Rachen hatte!

SCHEIK DER TODESKARAWANE nimmt das Buch aus den Trümmern des Kopfes und zeigt es hoch.

Die »Biblia des neuen Testamentes«!

DIE AELTESTEN DER ĀN'ALLĀH unisono.

Die Biblia!

ALLE unisono.

Des neuen Testamentes!

SCHEIK.

In deren Geist ich meine Schuld nun büße,

Die Schuld des Menschen der Gewaltsamkeit.

Ich will hinauf, hinauf nach Märdistān.


Greift nach der Hand des Scheikes der Todeskarawane.


Der Vater muß sich seinen Sohn verdienen.

Hinauf, hinauf, zum Walde von Kulūb!

DIE VIER SCHMIEDE ihre Hämmer aufschlagend, unisono.

Da schmieden wir!

PHANTASIE mit erhobener Stimme.

Und Gott gibt Geist und Segen!


Die Harfen jubeln, der Vorhang fällt.


Quelle:
Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten von Karl May. Freiburg i.Br. 1906, S. 190-203.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Babel und Bibel
Babel und Bibel: Arabische Fantasia in zwei Akten

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.

226 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon