[187] Der Mond schien heute so hell wie gestern. Der Förster hatte sich ermüdet in die duftende Haide gestreckt und unterwarf in Gedanken die Bewohner der vor ihm liegenden Häuserreihe des Dorfes einer sorgfältigen Musterung. Der ›Samiel‹ konnte unmöglich in einem fremden Orte zu Hause sein. Und doch wollte alles Sinnen und Grübeln zu keinem Resultate führen; es gab eben unter den Nachbarn keinen einzigen, auf den ein begründeter Verdacht geleitet werden konnte.
»Es bleibt dabei,« meinte er endlich, sich erhebend, »ich kann forschen und vergleichen so viel ich will: der Hermann ist's! Er hat weder Vater noch Mutter mehr oder sonst ein Anverwandtes, braucht nur für sich zu schaffen und kann also thun und lassen was er will. Bei ihm ist es gleich, ob er irgendwo dient oder sich im Forst herumtreibt, und den kennt er ja fast besser noch als ich. Er und die Lisbeth sind Tag für Tag und oft bis in die tiefe Nacht hinein darin herumgestrichen, als sie noch Kinder waren, und später ist es wohl auch nicht viel anders gewesen. Schießen kann er auch wie Einer, und wenn ich die Rache für meine Abweisung hinzufüge, so bin ich mit mir einig. Aber ich werde ihn ganz sicher noch bekommen, vielleicht gar noch heute! Gestern ist er diesseit vom Dorfe gewesen, heute wird er also wohl nach jenseit hinüber gehen, und ich kann ganz gut vermuthen, bei welchem Wechsel er dort sich niederlegt. Am besten ist's, ich komme eher als er, darum muß ich fort von hier!«
Er schritt auf das Dorf zu, um es quer zu durchschneiden. Sein Weg führte ihn hart an dem Wirthshause vorüber, vor welchem innerhalb der Umzäunung an einigen zusammengerückten Tischen die gewohnten abendlichen Stammgäste Platz genommen hatten. Auch er saß zuweilen ein Stündchen in ihrer Reihe und würde sich wohl auch jetzt für eine kurze Zeit zu ihnen gesellt haben, wenn ihn nicht sein heutiger Vorsatz daran verhindert hätte. Schon stand er im Begriffe, unbemerkt vorüber zu gehen, als er ein Wort vernahm, welches ihn zum Stehenbleiben veranlaßte.
»Und nun kommt das Funkelnagelneueste, was heute in der Nacht passirt ist. Habt ihr es schon vernommen?«
Es war die Wiesenbäuerin, welche sprach. Sie saß häufig dort mitten unter den Männern und trank ihr Glas Bier. So hatte sie es gehalten, seitdem sie Bäuerin war, und es fiel auch nicht besonders auf, da man dergleichen Ungewöhnlichkeiten bei ihr längst gewohnt war.
»Der ›Samiel‹ hat wieder einen Zwölfer geschossen,« fuhr sie fort, »und dabei den Förster an den Baum gebunden. Ich vernahm es von dem Beihüter, der das Thier hat holen müssen.«
Die Neuigkeit wurde unter allgemeiner Theilnahme für den Förster aufgenommen. Man bedauerte ihn auf das Lebhafteste und wünschte ihm Glück bei dem Bestreben, den räthselhaften Wilderer endlich festzunehmen.
»Ja, ein guter Kerl mag er sein,« meinte die Erzählerin, »das will ich euch gar nicht bestreiten, aber an der Klugheit mangelt es ihm gewaltig. Er hat den ›Samiel‹ bei der Treffschau überrascht, ihn mit dem Kolben niedergeschlagen und ihm sodann die Arme verschnürt. Der aber ist bald wieder bei Besinnung gewesen, und während nun der Förster ausweidet, zerreißt er die Schnur und macht sich über ihn her, so daß er ihn wirklich an den Baum festbringt. Ist das nicht eine Schande für euern Blößenjäger?«
»Nein,« antwortete eine Stimme, bei deren Klange der Förster überrascht aufhorchte, »eine Schande für ihn ist es nicht, wohl aber eine Lüge von Dir, Wiesenbäuerin! Er hat den Schuß von fern gehört und ist herbeigeeilt; während er nun vorsichtig durch die Büsche schaut und Niemanden bei dem Zwölfer erblickt, erhält er von hinten den heimtückischen Schlag, der ihn betäubt, und als er später aufwacht, ist er angebunden. So ist es gewesen, und so unehrlich und hinterlistig wie der Schlag war, ist auch Deine Lüge!«
»Menge Dich nicht ein, Lakai, sonst muß man denken, Du bist der ›Samiel‹, weil Du Alles so sehr genau zu erzählen vermagst! Es ist so wie ich sagte, und wer es nicht glauben will, der kann es ja bleiben lassen. Dein Schwiegervater ist nun einmal nicht der Mann, der dem ›Samiel‹ gewachsen wäre. Ich kenne den Förster besser als ihr alle mit einander, er war ja der Heger bei meinem Vater, und als er den um das Brod brachte und selber Förster wurde, besaß er nicht einmal ein gescheidtes Gewehr, weshalb ich ihm aus Gnade und Barmherzigkeit meine Büchse zurückgelassen habe, damit er könnt' das Schießen lernen. Er kann es heute noch nicht!«
»Kannst Du es vielleicht besser, Wiesenliese?« klang es da über den Zaun herüber.
»Besser als Du doch immer! Ich ging noch in die Schule, da schoß ich die Eichel vom Baume herab, Du aber hast kaum den Stamm getroffen. Komm herein und bring Deine Hollunderflinte mit, wenn Du Dich mit mir messen willst!«
»Da bin ich schon!« gab er, herzutretend, zur Antwort. Es trieb ihn theils der Zorn, theils auch die unerwartete Anwesenheit Hermanns herbei; er wurde durch den Umstand, daß dieser den nächtlichen Vorgang so genau zu erzählen wußte, in seiner bereits ausgesprochenen Vermuthung bestärkt und dachte, hier vielleicht irgend einen Anhaltspunkt zu finden. »Doch mit dem Messen ist es heute nichts. Die Büchse ist zwar geladen, aber die Kugel, welche darinnen steckt, bekommt nur der ›Samiel‹!«
»Das ist nur eine Ausrede; Du kannst ja wieder laden!«
»Nein, ich habe es geschworen und sie bleibt also drinn für ihn. Ich stehe Dir schon noch ein andermal zu Diensten, und da wird es sich ja finden, wer den Stamm und wer die Eichel trifft, Du oder der, von dem Du erst gelernt hast, das Gewehr richtig anzufassen. – Und Du,« wandte er sich an Hermann, »woher weißt Du denn so perfekt, wie es heute Nacht zwischen mir und dem ›Samiel‹ gegangen ist?«
»Ich habe es gehört.«
»Von wem?«
»Das werde ich Euch vielleicht später einmal sagen.«
»So ist kein gutes Gewissen dabei. Hast Du gerechte Sache, so sage es gleich!«
»Wenn Ihr in dieser Weise kommt, so muß ich schon reden! Die Pauline hat es mir erzählt.«
»Die Pauline? So hast Du mit ihr gesprochen! Wo bist Du bei ihr gewesen?«
»Am Forsthause heute gegen Abend.«
»Das laß mir fernerhin nur bleiben! Du kennst[187] einmal meinen Willen – das Mädchen ist nicht für Dich, und wenn Du zehnmal den Leuten weiß machst, daß Du ein herrschaftlicher Leibdiener bist, Du bekommst sie nicht!«
»Und doch bekomme ich sie!« entgegnete Hermann, zornig darüber, daß der Sprecher diese Angelegenheit so öffentlich und vor den Ohren der Wiesenbäuerin zur Verhandlung brachte.
»Nicht um die Welt, sage ich!«
»Das mag sein, denn die Welt vermag ja Keiner zu bieten, und ich erst recht nicht.«
»Auch sonst um keinen Preis!«
»Um keinen?«
»Um keinen; er kann so hoch sein wie er will!«
»Oho! Auch um den ›Samiel‹ nicht?«
Der Förster trat erstaunt zurück. Wollte der junge Mann ihn etwa verhöhnen, oder war die so sorgsam gehegte Vermuthung doch vielleicht ein falsche?
»Um den ›Samiel‹?! Wie kommst Du auf diesen?« fragte der Förster.
»Weil er der einzige Preis ist, den Ihr gelten laßt. Oder nicht?«
»Ja, den ›Samiel‹, den laß ich als Preis gelten, um den kannst Du sie bekommen!«
»Gut!« rief Hermann triumphirend, »so werde ich Euer Schwiegersohn, denn ich weiß, Ihr werdet Wort halten, und hier sind ja auch der Zeugen mehr als genug. Wann wollt Ihr ihn haben?«
Die Verwunderung des Forstbeamten steigerte sich bis zum höchsten Grade und auch die Anderen saßen mit geöffnetem Munde dabei und konnten sich das selbstbewußte Auftreten Hermanns unmöglich erklären. Seine Frage klang ganz so, als handle es sich nur um die Lieferung irgend eines alltäglichen und ganz gewöhnlichen Gegenstandes.
»Ich habe heute gelobt, weder zu essen noch zu trinken bis er in meiner Hand ist. Und die Kugel hier in der Büchse soll entweder ihn treffen oder mich. Mach also schnell!«
»So sollt Ihr ihn heute noch bekommen!«
»Heute noch?« frug der Förster, und »heute noch?« klang es auch außer einem einzigen Munde von Aller Lippen.
»Ja, heute noch! Ich kenne ihn ganz genau, ihn und seinen Schlupfwinkel; ich weiß sogar, wo er sich grad jetzt in diesem Augenblick befindet.«
»Wo denn? Sage es schnell!« wurde er stürmisch aufgefordert.
»Da bist Du es wohl selber, wie ich schon vorhin gesagt habe?« frug die Wiesenbäuerin höhnisch, aber sie war bei seinem Worte zusammengezuckt und bleich geworden.
»Soll ich Dir ihn zeigen?«
»Ich sehne mich nicht nach Deiner Komödie. Das Zeigen hilft Dir nichts, ich glaube ja doch nicht daran. Ein Wildschütz muß mit der Waffe in der Hand und auf der That ergriffen werden!«
»Auch das kannst Du haben! Kommt mit mir, Förster, ich gebe Euch mein Wort, schon in der nächsten Stunde steht er vor Eurer ›Hollunderflinte‹, und dann könnt Ihr ihm zeigen, was Ihr gelernt habt. Er muß hinaus, es geht nicht anders!«
»So gehe ich mit! Aber ich glaube Dir erst dann, wenn ich ihn gebunden und gefesselt in meiner Stube liegen sehe. Hast Du ein Gewehr?«
»Ich brauche keins. Der Lakai faßt den ›Samiel‹ blos mit der Hand! Und wenn Ihr ihn lieber in Eurer Stube als draußen im Walde schnüren wollt, so werde ich auch dieses möglich machen. Ich stimme Euch gern bei; es ist bequemer!«
Er leerte sein Glas und schritt davon; der Förster folgte ihm. Die Uebrigen sahen sich mit zweifelhaften Mienen an und schüttelten die Köpfe. Der Wirth nahm zuerst das Wort:
»Es wäre doch wirklich ganz absonderlich,« meinte er, »wenn der Hermann die Wahrheit gesagt hätte und sein Versprechen hielte! Ein Lügner und Windbeutel ist er nicht, das wissen wir Alle, und ein muthiger Streich ist ihm auch wohl eher zuzutrauen, als gar manchem Anderen. Ich denke, Ihr bleibt hier, bis die Frist vorbei ist, die er sich selbst gesetzt hat – vielleicht erfahren wir dann, was es draußen gegeben hat!«
Der Vorschlag wurde, eine einzige Stimme abgerechnet, von Allen angenommen.
»So ist es recht; so machte ich es auch, wenn ich der Wirth hier wäre!« lachte die Wiesenbäuerin. »Ich ließ die Gäste gar nimmer fort; das bringt Zechgeld und auch Vergnügen, denn wenn wir wegen dem Märchen, welches euch der Lakai aufgebunden hat, bis zum Morgen sitzen bleiben, so gibt es in der Frühe ein Gelächter im Dorfe, von dem der Kirchthurm wackelt. Ich bin nicht so dumm wie ihr, und werde schlafen geh'n. Gute Nacht!«
»Gute Nacht, Wiesenbäuerin,« antwortete der Wirth; »Ihr wollt dem Hermann nicht zutrauen, daß er sein Versprechen einlöst, wir aber denken besser von ihm, und es muß sich ja bald zeigen, wer Recht behält!«
Sie lachte nur höhnisch und schritt hierauf rasch von dannen. –
Vielleicht eine halbe Stunde darauf, während die Gäste noch immer im Wirthshause saßen, sich die Zeit durch allerhand Erzählungen kürzend, kam ein Mann von einem nahegelegenen großen Gehöfte, horchte vorsichtig in die Nacht hinaus und eilte dann mit hastigen Schritten querfeldein der Höhe zu, von welcher der Rand des Forstes dunkel herniederblickte. Den hellen Mondschein vermeidend, suchte er so viel wie möglich den Schatten der zerstreut umherstehenden Büsche zu benutzen; mußte er aber nothgedrungen einmal eine der lichteren Flächen durchlaufen, so war Gestalt und Kleidung deutlich zu erkennen. Von mittlerer, untersetzter Statur, zeigte er einen vollen, kräftigen Gliederbau; ein dichter, schwarzer Bart verdeckte die untere Hälfte des Gesichtes, doch ließ die Gewandtheit, mit welcher er das schwierige Terrain überwand, auf ein noch jugendliches Alter schließen. Er trug eine kurze, bequeme Joppe, hatte die Hosen in die niedrigen Stiefelschäfte gesteckt und den Hut so tief über die Stirn hereingezogen, daß die breite, heruntergeschlagene Krempe noch zu einem andern Schutze als dem gegen die unschädlichen Strahlen des Mondes bestimmt zu sein schien.
Als die steile Strecke überwunden war, blieb er athemholend stehen.
»Er hat Recht,« murmelte er vor sich hin, »ich muß hinaus; ich habe ja meine Gewänder draußen im Loche und die Gewehre und noch vieles Andere, was mich verrathen muß. Heut ist der schlimmste Tag in meinem Leben; aber mir gilt nun auch Alles gleich: ich schieß' sie Beide nieder! Oder denkt der Hermann etwa, ich habe kein Gewehr außer dem in meinem Verstecke? Wart', gleich werde ich eins holen und dann wehe ihnen!«
Ohne auf die dichten Zweige zu achten, drang er in das Dunkel des Waldes ein und hielt nach kurzem Laufe vor einem Baume, dessen Stamm von dichtem Unterholz umgeben war.
»Der ist hohl, dies weiß nur ich, und drin steckt dem Förster seine Doppelbüchse, die ich ihm gestern abgenommen habe. Sie ist geladen; das gibt für Jeden einen Schuß. Nun aber wieder fort!«
Die sichere Schnelligkeit, mit welcher er sich fortbewegte, war bewundernswerth; er schien trotz des Dunkels jeden Baum, jeden einzelnen Strauch zu kennen. Es dauerte eine lange Zeit, ehe seine Schritte langsamer und vorsichtiger wurden. Er bewegte sich jetzt in dem Bette eines ausgetrockneten Baches, dessen Quell wohl schon seit langer Zeit versiegt war; je weiter er kam, desto größer wurde seine Vorsicht, und fast zitternd erhob er die Hand, um endlich einen Steinhaufen, welcher den Weg versperrte, zu betasten.
»Der Faden ist noch da, den ich darübergespannt habe; sie sind noch nicht dagewesen!« jubelte er innerlich. »Rasch hinein und schnell Alles verbrannt, was mir gefährlich ist!«
Mit der bisher beachteten Vorsicht war es vorbei. Rechts und links flogen die Steine zur Seite und es wurde eine Oeffnung frei, in welche er hineinkroch. Bald leuchtete ein greller Lichtschein auf und die angezündete Talgkerze erhellte einen Raum, dessen hintere Wand eine zweite Oeffnung zeigte. Der Mann ließ entsetzt das Licht fallen.
»Es ist leer. Sie sind von der anderen Seite hereingekommen und haben Alles mitgenommen! Das konnte ich mir gleich zuvor denken; der Hermann hat ja selbst das Loch gebaut unter der alten eingestürzten Brücke und weiß grad so gut Bescheid wie ich. Nun bin ich verloren, denn nun haben sie die Beweise! Doch nein, noch ist es Zeit, noch ist Rettung möglich! Sie sind ganz sicher mit den Sachen nach dem Forsthause. Ich springe nach; ich muß Alles wieder haben, was hier gewesen ist. Ich entreiße es Ihnen, und sollte ich dabei etwas thun vor dem sich Andere grauen!«
Er verließ das Versteck, nahm das zurückgelassene Gewehr wieder auf und eilte nun den Weg zurück, den er gekommen war. In kurzer Zeit lag jetzt das Dorf vor ihm; er ließ es seitwärts liegen und bog nach dem Blößenhause ein. Bei der Stelle angekommen, wo heute Hermann auf die Wiesenbäuerin gestoßen war, verweilte er einen kurzen Augenblick und stieß drohend das Gewehr auf den Boden.
»Ja, mir gilt es gleich, ob ich schießen muß oder nicht; es ist nicht schade um ihn. Ich thue es, wenn's nöthig ist!«[188]
Am Rande der Blöße legte er sich nieder und kroch vollständig geräuschlos bis an die hintere Seite des Hauses, welche im Schatten lag. Hier blieb er einige Augenblicke ruhig und bewegungslos.
»Nun gilt es, zehnfach Achtung geben! Der Hermann will mich in der Stube fangen und kann mir darum wohl gar hier eine Falle bereitet haben. Wir wollen sehen, wer der Schlaueste von uns Beiden ist!«
Niemand hatte ihn bemerkt. Er erhob sich an einem der Fenster und legte das Auge an eine Ladenspalte, durch welche ein schmaler Lichtstreifen schimmerte. Hiebei bemerkte er, daß der Laden nicht geschlossen, sondern nur angelehnt war.
»Das sind mir die Rechten; nehmen es mit dem ›Samiel‹ auf und vergessen, die Fenster zu schließen! Ja, da sitzen sie, der Hermann und der Förster, und meine Sachen liegen daneben auf der Erde. Die Unvorsichtigen haben gar ihren Rücken gegen das Fenster gekehrt, so daß sie mich überhaupt nicht bemerken können. Jetzt gilt es! – – Soll ich schießen – –? Ja, ich schieße – ich muß ja, wenn ich nicht in das Zuchthaus will!«
Er nahm langsam und noch zögernd das Gewehr empor.
»Jetzt stehe ich zwischen Tod und Leben, zwischen Himmel und Hölle! Ist mir's wirklich gleich, was ich thue? Erst wollte ich nur den Förster von der Stelle treiben, des Vaters halber und auch von wegen dem Hermann und der Pauline. Kann ich dafür, daß es weiter geht? Was sagte er denn heut? Ich hätte den Teufel in der Seele, der mich zum Bösen treibt? Nein, Lakai, nicht den Teufel, sondern Dich habe ich in der Seele, Du bist an Allem Schuld, Du allein treibst mich immer tiefer in das Böse hinein und hast es auch jetzt nicht anders gewollt! Fahre hin, Du und der Alte dort – – ich schieß!«
Er zog den Laden so weit als nöthig herüber und, ohne in seiner Aufregung die im Zimmer Sitzenden nochmals genauer anzusehen, legte er schnell an. Im selben Augenblicke krachte auch ein Schuß durch die lautlose Nacht, noch einer – – – ein schallendes Gelächter ertönte hinter ihm.
»Seit wann schießt der gewaltige ›Samiel‹ denn auf Puppen statt auf Zwölfer? Diese Art von Wild treffe ich mit meiner Hollunderflinte wohl auch!«
Der Schütze stand da, das Gewehr noch im Anschlage, und starrte mit weit aufgerissenem Auge den Förster an. Ein Zweiter trat hinzu und zog ihm den tief hereingedrückten Hut vom Kopfe. Hermann war es.
»Der ›Samiel‹ trägt ja Locken grad wie die Wiesenbäuerin! Nimm den Bart weg, Lisbeth!«
Ein Schrei, so furchtbar und entsetzlich, als stoße ihn ein wildes Thier in der größten Todesnoth aus, entrang sich der Brust des entlarvten Weibes; dann ließ sie die Büchse fallen und brach lautlos zusammen.
»Die hat genug!« meinte der Förster. »Greif zu, Hermann, damit wir sie in die Stube bringen!«
Beide trugen die Unselige hinein, dann rief der Förster die beiden Frauen herbei, welche eingeweiht gewesen waren und in einem der oberen Räume mit ängstlicher Spannung auf das Ergebniß der Kriegslist gewartet hatten.
»Kommt her, wir haben sie! Der Hermann hat sein Wort gehalten und den Preis gezahlt. Geh hin zu ihm, Pauline, und danke ihm, daß er uns befreit hat von dem Feinde, der unser Unglück wollte!«
Trotz des ernsten Augenblickes strahlte ein wonniges Lächeln auf dem Angesichte des Mädchens, als es zum Geliebten trat und ihm nun vor den Augen der Eltern die Hand bot.
»Der Dank bleibt mir gewiß,« meinte Hermann. »Nimm Dich jetzt mit der Mutter der Bäuerin an, damit ihr das Bewußtsein wiederkommt!«
Noch waren die beiden Frauen mit der Ohnmächtigen beschäftigt, die schon Zeichen des zurückkehrenden Lebens von sich gab, als draußen an die Thür klopfte und auf die Frage des Försters sich die Stimme des Wirthes vernehmen ließ.
»Wie ist es gegangen, Blößenförster? Wir haben die Schüsse gehört und uns gleich aufgemacht, um nachzuschauen, wie es steht.«
»Kommt herein, wenn Ihr es sehen wollt!«
Er ging hinaus, um zu öffnen. Es fehlte keiner der Gäste, und unbeschreiblich war ihre Verwunderung, als sie vernahmen und sahen, wer der gefürchtete Wilddieb gewesen war. Alles drängte sich herbei, um die Bäuerin in Augenschein zu nehmen, und bei der außerordentlichen Bewegung, welche rings im Kreise herrschte, bemerkte Keiner, daß die Gefangene zuweilen einen verstohlenen Blick unter den gesenkten Wimpern hervorwarf, um ihre Umgebung zu durchmustern.
Die Besinnung war ihr vollständig zurückgekehrt, sie erkannte, daß Rettung unmöglich sei und keine Macht der Erde ihr mehr helfen könne. Dort an der Wand hing die »Hollunderflinte«, die sie einst dem Förster zurückgelassen hatte. Sie war geladen; die Kugel sollte ihn oder den ›Samiel‹ treffen, wie er geschworen hatte. Noch lange lag sie unter finstern Gedanken regungslos und ließ die Schmähungen der Umstehenden über sich ergehen. Plötzlich aber tönte ein allgemeiner Schrei durch das Zimmer. Sie war emporgesprungen, hatte die im Wege Stehenden, die einen solchen Angriff nicht erwarteten, bei Seite gestoßen, das Gewehr herabgerissen und war durch die noch offen stehenden Thüren davongesprungen.
»Ihr nach, ihr nach!« rief der Förster, indem er zugleich das Beispiel gab und ohne Verzug in die mondeshelle Nacht eilte.
Die Andern folgten. Sie kamen eben noch rechtzeitig, um die Fliehende am Rande der Blöße verschwinden zu sehen. Sie hatte den Weg nach dem Dorfe eingeschlagen. Wollte sie nach Hause? Die Antwort sollte den Verfolgenden bald werden. Ein Schuß krachte, Hermann hatte den Förster überholt; als er an die Stelle kam, wo er in der Abenddämmerung mit ihr gerungen hatte, stieß sein eilender Fuß an einen im Wege liegenden Körper. Er hielt den Schritt zurück und bückte sich ahnungsvoll zur Erde. Sie war es!
Bald standen die Uebrigen bei ihm. Der Förster untersuchte die Todte; die Kugel war ihr grad in das Herz gedrungen.
»Der ›Samiel‹ hat ausgespielt,« meinte er, nicht weniger ergriffen als die Andern. »Gott sei der armen Seele gnädig! Laßt uns ein Vaterunser beten!«
Die Männer entblößten ihre Häupter und falteten die Hände. Auch Hermann folgte der Aufforderung des alten rauhen Mannes. Er fühlte sich im tiefsten Herzen gepackt von dem Schicksale, welches die einst von ihm Geliebte ereilt hatte. »Fahr hin und geh' zu Grunde!« hatte sie ihm vorhin in besinnungslosem Grimme zugerufen – das Schicksal hatte es anders gewendet und dieser Fluch war der Abschluß ihres eigenen Lebens geworden.[190]
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