IV.

[700] Als Vater Silbermann am andern Morgen aufstand und in die Stube trat, blieb er erstaunt stehen. Heinrich saß am Fenster und blickte hellen Auges hinüber nach dem Schulhause, wo die Kantorstochter sehr eifrig an den Fenstern zu schaffen hatte.

»Wa – wa – was ist mir denn das? Warum bist' net drauß'n auf dem Fichtler? Waast' net, daß aan Zeisig bestellt ist und zwaa Meis'n dazu?«

»Laß gut sein, Vater, ich hab heut andre Sach'n vor!«

»Andre Sach'n? Möcht doch bald wiss'n, was das für wicht'ge Dinge sind!

Es ist gestern ausgemacht, daß Du heut Morg'n gehst, weil ich gestern in der Früh gwes'n bin, und nun ich aus der Kammer komm', sitzt der Bursch' am Fenster, guckt den Himmel an und läßt Fink' Fink' und Meis' Meise sein. Hätt ich gewußt, daß Dir der Tanz so in den Gliedern liegt, so hätt' ich mich selber aufgekrappelt und wär hinaufgestieg'n, denn haben muß ich die Vög'l, das geht nun 'mal net anders.«

»Es muß schon anders gehen, und waast' warum, Vater?«

»Warum? Darum, weil nun der Morgen beinah vorüber ist und – aber was ist mir denn das? Die gut'n Hos'n hat er an, die Sonntagswest' dazu, und die Uhr mit der goldnen Kett' baumelt auch schon aus der Tasch'! Was sind das für Allotria am Montag früh? Und dabei ist der Of'n noch kalt, kaan Feuer brennt und kaan Kaffeewasser ist angesetzt. Hätt'st doch wenigstens das gethan! Ja, seit die Mutter todt ist, Gott hab sie selig, geht Alles drunter und drüber, und wenn ich mich net selber um die Sach' bekümmere, so hört's am End' ganz und gar noch auf. Nein, was mich der Fink und die Meis'n dauern! Bekommen hätt'n wir sie sicher, denn gerade heuer ist das Zeug ganz närrisch, sich fangen zu lass'n; nun aber sind die zwanzig Grosch'n, die mir gebot'n wurden, rein zum Kukuk!«

»Das hat ja All's noch Zeit bis morg'n, Vater, da geh ich gewiß hinaus; heut jedoch kann ich net, denn da hab ich aan'n ganz andern Fang vor.«

»Aan'n andern? Was denn und wo denn, wenn man frag'n darf?«

»Mach Feuer; ich will derweil' die Vögel füttern, und dann beim Kaffee sollst den Handel hör'n!«

Schweigend verfolgte jetzt Jeder sein Geschäft, aber sobald die Tassen gefüllt waren, frug der Vater:

»Nun? Was willst' fangen heut'?«

»Für Dich 'was Lieb's und Gut's.«

»Heraus nur damit!«

»Aane Schwiegertochter.«

»Aane Schwie – schwie – schw – – Kerl, bist verrückt oder gar hinübergeschnappt?« Er nahm ganz erschrocken die Tasse vom Munde und schüttete sich dabei vor Ueberraschung die Hälfte ihres Inhaltes auf die Beine. »Was soll denn die Schwiegertochter hier im Haus? Wozu brauchst' denn schon die Frau, Du zwanzigjähr'ger Grünschnabel Du? Bist ja selbst noch gar net flügge!«

»Hast net selber vorhin erst gesagt, daß All's drunter und drüber geht, seit die Mutter todt ist? Was giebts denn da für bess're Hülf, als daß ich heirath'?«

»Ja, sag nur vorerst, was willst' mit der Frau? Sie soll wohl gar koch'n, wasch'n, scheuern, auskehr'n, die Wäsch verbessern und so weiter, he?«

»Natürlich!«

»Natürlich? Na, schau 'mal an! Das ist ja Alles meine Sach' und meine Arbeit, die von Rechts weg'n nur ganz allein mir zukommt! Was thu denn ich nachher, wenn die Frau da ist?«

»Du hast' dann immer noch genug zu schaff'n. Ich geb mein Sparniß her und Du Deine; wir bauen das Häusle aus und vergrößern das Geschäft; nachher geht nix mehr drunter und drüber und wir hab'n unsre Ordnung in Allem, wo es noth und bequemlich ist.«

»Hm, das klingt ganz gut und wär' recht schön; aber die Harmonie, der Vertrag mit dem Weibsvolk, ob der auch da sein würd'! Ich pfeif so, sie trillert anders und Du schlägst auch zuwider hinein, das könnt' mir net behag'n.«

»Das hast net zu befürcht'n, Vater, denn die ich mein', mit der bist immer gut verkommen.«

»So kenn' ich sie? Wer ist's?«

»Die Alwin' drüb'n in der Schul'.«

»Die Al – al – wi – win'? – Himmeltausenddoria, Mensch, wie kommst' auf die?«

»Das fragst' mich, Vater? Auf welch' Andre soll ich denn etwa kommen?«

»Auf welch' Andre? Auf alle Andern, nur net auf die. Der steht die Nas' gar hoch und dem Alt'n noch neunmal mehr; die mag Dich net.«

»Sie mag mich, Vater.«

»So? I, schau doch an! Wer hat Dir das denn weiß gemacht?«

»Sie selber hat mir's gesagt.«

»Sie selber? Hör', Heiner, Spaß bei Seit', da hat sie Dich zum Narr'n gehabt.«

»Mich? Bin ich etwa Der, der sich von Jemand foppen läßt?«

»Bisher noch net; diesmal aber bist über's Ohr gehauen.«

»Wie so?«

»Daß Du der Alwin' gut bist, ist gar net zu verwundern, denn sie ist die Schönst' im Dorf, das einz'ge Kind, und Ihr seid mit 'nander aufgewachs'n von Tag zu Tag, von Stund' zu Stund'. Daß sie Dich leid'n mag, ist auch ganz in der Ordnung, denn Du bist aan hübscher Bursch', wie das ja so im Blut liegt, ordentlich, fleißig, verträglich und hast so Manches gelernt, wovon aan Andrer net 'mal den Namen kennt. So weit also wär' All's in guter Ordnung. Aber weil Du zu jung bist und die Welt und Menschheit noch net kennst, siehst Du das Weitere net.«

Er nahm einen tüchtigen Schluck, stand auf, griff zur Pfeife und steckte den im Kopfe niedergestoßenen Tabak bedächtig in Brand.

»Da ist zunächst das Madel; die scheint Dir wie lauter Gold und Karfunkel; meine Aug'n aber sind älter als die Dein'gen, und darum kenn' ich die Kantormamsell besser als Du. Sie ist ganz versess'n auf ihr zart Gesicht und also eitel und voll Gefallgernigkeit. Was thut das Gesicht und die schöne Stimm', und wenn man noch so stolz d'rauf ist? Sie beid' können weg sein wie der Wind. Und was das Schlimmst' noch ist, sie hat kaan Herz, kaan Gemüth und ist deshalb voll Laune und Unverträglichkeit. Oder hast' net schon als Kind beim Spiel immer nachgeben müss'n und giebst heut noch nach bei jedem Ding und jeder Angelegenheit? Und merk Dir das: aan junges Ding, das kaane Mutter kennt und sich net am Geschwister bild'n kann, bleibt Eigensinn und Goldkind all sein Lebtag'.«

Heiner schwieg; es lag in den Worten des Vaters eine Wahrheit und Lebenserfahrung, der er augenblicklich nichts zu entgegnen vermochte.

»Unter all den Bursch'n, die sie kennt, hat sie Dich am gernst'n; aber laß ihr erst 'was Fremd's schaun, so 'was mit Flitterkram und Tändelwerk, dann fällt sie ab und Du bist nachher trotz aller Lieb und Treu, trotz aller Klugheit und Vorsicht der Betrog'ne und der Narr'.«

»Da laß mich nur sorg'n, Vater! Die Lieb ist stark und kann All's.«

»Ja, die Lieb' ist stark und kann All's, sogar betrüg'n, fortlauf'n und abspenstig werd'n, und dageg'n vermagst Du net zu sorg'n und gar niemand net. Der Lug und Trug kommt über Nacht, ganz eh' wir's uns versehn, und dann ist's geschehn, noch eh' wir daran denk'n und es verhüt'n können. Wieg' nur aan einzig Mal ihre Red', wenn sie mit Dir spricht, und Du wirst sehn, sie ist zu leicht. Das Madel ist ja von leichtem Sinn und ohne inn're Stütz'; sie fällt und bricht um, sobald der widre Wind geflog'n kommt.«

Heiner mußte an ihre gestrige Aeußerung: »Mir ist der Hof net halb so lieb wie mein Gesicht« denken, ebenso an das zerknitterte Band. Sie hatte zum Balzer gesagt, daß ihr der Silberheiner lieber sei als er, weil dieser hübscher sei. Und warum hatte sie nicht einmal den Anfang jenes Gedichtes gemerkt, welches er auf ihre eigne Aufforderung hin hatte fertigen müssen. Eine Andre hätte es auswendig gelernt und es sich tausendmal im Stillen hergesagt. Und nun fiel es ihm auch jetzt erst auf, daß sie sich in den ungerechten[700] Befehl des Vaters so leicht gefunden und den Verlust so schnell durch Andre ersetzt hatte, während ihm nicht einmal der Gedanke gekommen war, den Tanz mit Andern fortzusetzen. Er schwieg auch jetzt, obgleich er eifrig nach Gründen suchte, die zur Widerlegung geeignet sein könnten.

»Ich könnt' noch viel sag'n, aber es ist mehr als g'nug,« fuhr der Vater fort; »jetzt kommt nun auch der Kantor. Es ist wahr, wir sind gut' Freund' gewes'n so lang als ich ihn kenn', und er hat gar groß'n Dank mit Dir erworb'n. Doch was er that, ist auch net stets umsonst geschehn. Du bist ihm beigesprungen zu aller Zeit; gar mancher Dienst ist ihm von uns geschehn, und in seiner Vogelstub' und in seinem Taubenschlag steckt viel, was ich ihm geschenkt oder um den halben Preis abgetret'n hab. Er ist trotz seiner Freundlichkeit zu Dir der rechte Eigennutz und thut nur Gut's, um seine Ausbeut' d'ran zu hab'n. Freundschaft ohne Nutzsinn hab nur ich gehalt'n, und wenn ich mit ihm rechnen wollt', so könnt'st Du sehn, daß ich die Quittung hab. Sobald er merkt, wie's mit Euch steht, ist's aus mit der Nachbarschaft, d'rauf kannst' Dich nur verlass'n. Dem steht die Nas' weiter, als bis nur zu uns herüber; sein Sinn geht nur nach Ruhm in der Musik und dann nach Geld und Gut. Hätt'st' von diesem genug, so könnt'st anfrag'n, so aber net. Wenn aan reicher Bauerssohn, der mit der Chais' oder dem Amorikeng im Land herumkutschirt, den Freier schickt, der ist willkommen, den armen Vogelhändler aber schickt et fort. Ich glaub beinah', daß sogar so aan Büdrian, wie der Teichhofbalzer, den Vorzug bekäm' nur deshalb, weil er Vermög'n hat. Wenigstens hab ich am Freitag den Kantor nach dem Teichhof gehen sehn, was gewiß net ohne Grund geschehen ist.«

»Der Balzer soll die Alwin' heirath'n und der Kantor will ihnen die Bücher führ'n,« stieß Heinrich erbittert hervor.

»Siehst', daß ich Recht behalt'? Teichhofbäu'rin also soll sie werd'n, und der Alte will die Bücher schreib'n, damit sie dem Balzer die Stange halt'n! Laß sie fahr'n; Du verlierst nix dabei, wirst sehen, net das Mindest', net so viel als man vom Nagel herunterschabt!«

»Aber sie will den Balzer net.«

»Mag sein. Doch gieb sie ihm nur immer hin, dann hast' jetzt weder Zank noch Aerger und später weder Gram noch Täuschung!«

»Ich kann net, Vater; ich hab' sie zu innig lieb und sie mich auch. Ich lauf lieber in die weite Welt und komm nimmer wieder, als daß ich hier zuseh, daß aan Andrer sie bekommt.«

»So lauf, Du Tausendsapperlot, wenn Dir der alte Vater nix mehr gilt! Bekommen wirst' sie doch auf keinen Fall, so viel ist sicher und gewiß.«

»Das mit dem Lauf'n war nur so die Red', Vater, aber eh' ich 'was verloren geb', muß ich doch erst auch wiss'n, daß es wirklich verloren ist!«

»Ich sag Dir's ja deutlich genug!«

»Du sagst mir Deine Meinung, doch zwischen Meinung und Scherheit ist aan gewalt'ger Unterschied. Wenn er sie mir net giebt und sie mich net mag, dann tret' ich zurück, denn dann erst ist's erwies'n, daß Du Recht hast.«

»So versuch's und schick den Freiersmann hinüber!«

»Willst gehn, Vater?«

»Ich? Bist wohl net recht bei Trost! Mich bringst' net mit zehn Pferd'n hinüber.«

»Wirst aber dennoch gehn!« lächelte Heiner, der den Vater kannte.

»Warum, so frag' ich Dich?«

»Weil Du der Vater bist, und wenn aan Andrer kommt, so lacht Dich der Kantor aus und sagt, Du hast Angst vor ihm.«

»Angst – ich – vor ihm? Fällt mir gar net ein! Wenn er das denkt, so geh' ich gleich jetzt auf der Stell' hinüber und nehm's mit ihm auf. Ich bin aan ehrlicher Mann, hab niemand nix gethan und brauch mich also auch vor niemand net zu fürcht'n, und wenn's der Papst oder gar der gestreng' Herr Amtmann wär.«

»Also gehst'?«

»Ja; ich will ihm zeig'n, daß ich das Herz gerade da hab', wo's hingewachs'n ist. Es ist aan verlor'ner Gang, dies waaß ich sicher und gewiß, aber ich werd' ihn thun um Deinetwill'n. Gift und Operment wird's geb'n, so wie die Sach' einmal gestellt ist, und je eher man's schluckt, desto eher ist's verdruckt. Dann wirst' auch wieder den Verstand bekommen.«[701]

»Und wenn willst' gehn? Der Balzer schickt den Freiersmann auf den Nachmittag.«

»So geh ich gleich nach Tisch', damit ich eher komm'. Gleich jetzt werd' ich mir den Sonntagsstaat ausputzen und – und – aber wie steht's mit dem Strauß und dem Geschenk? Brauch ist Brauch; der muß gehalten werd'n.«

»Für den Strauß werd' ich schon sorg'n, und das Geschenk? – Der Kantor hat sich schon längst aan Paar Schmalkaldener gewünscht, mit schwarzem Schwanz und schwarzer Brust, den Leib aber und die Halskraus' weiß. Was sagst dazu?«

»Hm, der alte Taub'nfried braucht sich auch net gleich das Best' und Theuerste zu wünsch'n! Mich selber kost't das Paar neun blanke Thaler. Ich werd' ihm lieber aan Paar Rothflügel geb'n; die sind vollplattig, mit rothem Fuß und Sporn und fast so selt'n wie die andern auch.«

»Sie kost'n auch acht Thaler, Vater, und wenn er sich die Schmalkaldener gewünscht hat, so wird's wohl auf den Thaler net ankommen.«

»Meinetweg'n denn! Aber putz sie schön und gieb ihnen frisches Wasser, damit sie zuvor bad'n können.«

Somit war der schwere Entschluß gefaßt, und nach dem Mittagsessen schritt Silbermann, sonntäglich gekleidet, einen gewaltigen Strauß im Knopfloch und die Tauben in der Hand, über die Straße hinüber und trat in das Schulhaus.

Droben vor der Thür kam ihm Alwine tief erglühend entgegen. Sie hatte ihn kommen sehen und das Zimmer verlassen, um nicht Zeugin der gefürchteten Unterredung zu sein. Die liebliche Erscheinung des Mädchens verfehlte nicht, ihren mildernden Eindruck auf den alten Vogelhändler zu machen. Er nahm den Strauß von der Brust und gab ihr ihn.

»Hier hast das Bouquet, Alwin'; der Heiner hat's gepflückt! Er schickt mich herbei, weshalb, das wirst' wohl wiss'n. Gott geb' sein Glück dazu!«

Dann trat er nach vorherigem Klopfen ein. Der Kantor empfing ihn mit verwundertem Gesicht.

»Was ist denn los bei Euch, Silbermann, daß Ihr des Mittags schon im Staate steckt?«

»Das sollt Ihr gleich erfahr'n, Herr Kantor, nur nehmt mir erst die Taub'n ab. Der Heiner sagt', Ihr hättet Euch die Schmalkaldener gewünscht.«

»Zeigt her!« Er war ein passionirter Taubenliebhaber und griff mit sichtlicher Begierde zu. »Wahrhaftig, ein Paar Schmalkaldener! Verkauft Ihr sie? Wie ist der Preis?«

»Nehmt sie geschenkt, wenn's Euch recht ist!«

»Geschenkt – wie käme ich dazu? Ein Paar billige, wie es schon oft geschehen ist, ja; aber so eine theure Waare verschenkt man nicht, ohne daß man eine Absicht hat. Soll ich Euch vielleicht einen Gefallen thun, Nachbar?«

»Gefallen – hm, wie mann's nimmt! Ich komm' nämlich von weg'n Eurer Alwin' und dem Heiner – –«

»Ach so – so – so – –!« fiel schnell der Kantor ein. »Da nehmt einmal die Tauben wieder in die Hand. Wir wollen nachher sehen, ob ein solches Geschenk nicht über Eure Kräfte geht. Ich habe Gott sei Dank so viel, daß ich mir ein Paar kaufen kann, und Euch könnte das Geld ja später fehlen, Nachbar. In dieser Beziehung sind wir leider sehr ungleich gestellt.«

»Ja, das ist wahr, Herr Kantor; aber das Geld zählt net allein. Es giebt aan Vermög'n, das net nach dem Thaler gemessen werd'n kann, und daran sind wir Beid', der Heiner und ich, net arm. Der Aane hat's auf diese Weis', und der Andre auf jene, und wenn sie nachher gut zusammengreif'n, so fehlt's auch nimmermehr am rechten Seg'n. Der Heiner zum Beispiel und die Alwin', die sind immer beisammen gewes'n und – – –«

»Und werden nicht immer beisammen bleiben,« fiel ihm der Kantor in die Rede. »Ich errathe jetzt, weshalb Ihr kommt, Silbermann; aber macht Euch keine vergebliche Mühe. Meine Tochter ist schon so gut wie versprochen, und ich erwarte noch heut den Freiersmann.«

»Ich hab's gehört; der Balzer wird ihn schick'n. Aber die Alwin' mag nix von ihm wiss'n, und, nehmt mir's net übel, Herr Kantor, ich mein, der Balzer ist kaan Mann für Eure Tochter.«

»Ob das Mädchen will oder nicht, das zählt wenig oder nichts in dieser Angelegenheit; ich bin Vater und werde für das Glück meines Kindes in der Weise sorgen, wie es mir mein Gewissen vorschreibt, auch dann, wenn sie sich dagegen sträubt. Und den Mann für sie werde ich wählen, ohne Euch oder Andere um ihre Meinung zu befragen, wie das sich ja von selbst versteht.«

»Ich bin auch gar net gekommen, Herr Kantor, um Euch gut'n Rath zu ertheil'n; aber die Gewalt des Vaters hat auch ihr End', wo sie aufhört, und was könnt Ihr thun, wenn das Madel durchaus net will und sich Euch widersetzt?«

»Das wird sie nicht. Und wenn sie es thät, aus ihr und dem Heiner wird nie ein Paar; er mag nach Seinesgleichen greifen. Ich hab es gewußt, daß Undank der Welt Lohn ist. Meine Barmherzigkeit hat ihn hochmüthig gemacht; aber ich werde dafür zu sorgen wissen, daß er mir nicht in meinen häuslichen Frieden bricht.«

»Undank? Der Heiner? Herr Kantor, wenn mein Junge undankbar ist, so giebts weder Lieb' noch Dankbarkeit mehr in der Welt. Thut was Ihr wollt' aber den Heiner greift mir net an! Er ist mir grad so viel und auch noch mehr werth als Euch die Alwin', die Euch net sehr ans Herz gewachs'n sein kann, da Ihr sie zum Balzer zwingen wollt; und wenn er Euch 'was schuldet, so bitt' ich um die Rechnung; wir werd'n zahlen, damit kaan Vorwurf weiter folgen kann!«

»Oho, Ihr sprecht ja heut in einem recht vornehmen Tone! Habt Ihr ihn etwa von Euren Gimpeln gelernt? Aber ich habe wirklich keine Lust, mich um Eures Burschen willen zu zanken. Nehmt Eure Tauben wieder mit und sagt ihm, er wär mir für die Alwine zu gering; sie ist zu gut für einen Vogelsteller; das konntet Ihr Euch denken!«[702]

»Nein, das konnt' ich mir net denk'n, vielmehr hab' ich grad das Gegentheil gedacht, nämlich, daß der Heiner zu gut für Euer Madel ist; darum hab' ich ihm gute Wort' gegeben und ihm abgeredet, und grad weil er mir werther ist, als Euch die Alwin', bin ich dennoch auf seine Bitt' herbei gekommen, um ihm seinen Will'n zu thun, obgleich mir jede Andre lieber ist und ich auch gewußt hab', daß Euch die Sach' zuwider ist; denn der Hochmuth ist net dem Heiner sein Fehler, sondern der Eure. Aber er kommt zum Fall, und dann wird der ›Vogelsteller‹ net mehr niedriger sein als Ihr, zumal Ihr selber auch schon jetzt die ganze Stub' voll Käfig' hangen habt!«

Die Beleidigung seines Sohnes hatte den guten Silbermann so in Harnisch gebracht, daß ihm die Strafrede mit ungewöhnlicher Geläufigkeit von den Lippen floß. Der Kantor hörte ihn, staunend ob solcher Kühnheit des sonst so nachgiebigen Mannes, bis zu Ende. Dann aber brach er los:

»Fort, sage ich, fort, hinaus aus dem Zimmer! Und kommt mir ja nicht wieder in das Haus, sonst seid Ihr wieder draußen ehe Ihr es Euch verseht. Und wenn ich Euren Buben noch einmal bei meiner Tochter sehe, so lasse ich ihn sofort arretiren. Euch Gimpelpack muß man zeigen, wohin es gehört!«

»Gut, Herr Kantor, ich geh; aber in das Haus muß ich doch wiederkommen, und das werdet Ihr Euch fein hübsch gefallen lass'n. Ich bin beim Ortsvorstand' und waaß recht gut, wem dies Haus gehört, Euch oder der Gemeind! Und wenn wir Sitzung hab'n, so bin ich auch mit hier in der Sammelstub, ohne daß Ihr drein zu red'n habt. Eure Tochter aber, wenn ich die 'mal bei dem Heiner seh, die laß ich net arretiren, denn dazu hab' ich net das mindest' Recht, sondern ich werd' denk'n, daß sie bei ihm besser aufgehob'n ist als beim Vater, der sie verschachern will. Das ›Gimpelpack‹ nehm ich mit Dank von Euch an, obgleich es net nach Bildung klingt; aber niemand kann 'was geb'n, was er net hat. Lebt wohl, Herr Kantor!«

Er ging. Der Schulmann machte eine Bewegung, als wolle er sich ihm nachstürzen, doch beherrschte er sich noch und suchte sich durch einen Gang durch das Zimmer abzukühlen. Dies aber schien ihm nicht zu gelingen, den nach einiger Zeit erscholl mit hörbar aufgeregter Stimme der Ruf:

»Alwine.«

Das Mädchen trat herein. Sie war zum Ausgehen angekleidet.

»Wohin willst Du?«

Sie nannte eine Freundin, zu der sie geladen sei.

»Du bleibst zu Hause und sorgst für gute Bewirthung. Wir bekommen Besuch.«

»Wer ist's, Vater?«

»Wen er schicken wird, das weiß ich noch nicht, aber es ist ein Bote des Teichhofbauers.«

»Und für den soll ich zurichten?«

»Ja, er kommt Deinetwegen.«

»Dann mag er immer bleiben. Ich weiß, was er will.«

»Wer hat es Dir gesagt?«

»Der Balzer selbst, der mich gestern Abend noch im Garten angefallen hat.«[717]

»Nun, so brauch ich es nicht zu sagen. Ich werde ihm mein Jawort geben.«

»Thu das nicht, Vater!«

»Warum nicht?«

»Ich kann den Balzer nicht leiden.«

»Dem Heiner wegen, nicht wahr? Dem habe ich sagen lassen, daß er arretirt wird, wenn er sich noch einmal mit Dir sehen läßt; richte Dich darnach! Was den Balzer betrifft, so hat er seine Fehler, aber er wird sie ablegen, wenn die Frau es klug anfängt. Du nimmst ihn, und die Liebe kommt dann schon von selbst.«

»Vater, ich mag ihn nicht.«

»Schweig! Ich bin nicht in der Stimmung, große Reden und Erklärungen zu halten. Geh in die Küche und bring dann eine Flasche Wein mit herein!«

»Laß Dich bitten, Vater! Es ist ganz unmöglich, daß – – –«

»Gehst Du oder nicht!«

Er trat mit einer so drohenden Miene auf sie zu, daß sie sofort den Ausgang suchte.

Als nach einiger Zeit der Freiersmann kam, fand er den Kantor äußerlich ruhig und heiter. Es war ein Pathe des Teichhofbauers; er hatte sich festlich herausstaffirt und schien sich in einiger Verlegenheit zu befinden, dem Kantor gegenüber eine Rede halten zu müssen. Dieser empfing ihn in der leutseligsten Weise, nöthigte ihn zum Sitz und flößte ihm im Laufe der begonnenen Unterhaltung den nöthigen Muth ein. Endlich begann die erwartete Ansprache, die dann auch mit sichtlicher Anstrengung zu Ende gebracht wurde. Mehr des Herkommens wegen zögerte der Kantor mit der beabsichtigten Zusage.

»Ich muß doch wohl erst das Mädchen selber fragen, Nachbar. Sie wird gleich kommen!«

Er öffnete die Thür und rief ihren Namen. Es erfolgte keine Antwort. Nach einem zweiten und dritten ebenso vergeblichen Rufen ging er selbst zur Küche; er fand sie leer. Schon wollte er dem mühsam niedergerungenen und nun sich doppelt stark aufbäumenden Zorne in heftigen Worten Ausdruck geben, da vernahm er noch zur rechten Zeit Schritte, welche die Treppe heraufkamen. Es war der Pfarrer, welcher auf das ihm entgegengebrachte Willkommen mit ernstem Gruße nach dem Zimmer schritt. Als er den Gast bemerkte, nahm er das Wort:

»Dieser Mann ist im Auftrage des Teichbauern hier, Herr Kantor?«

»Ja.«

»Lassen Sie ihn für jetzt nach Hause gehen! Ich habe in einer Angelegenheit mit Ihnen zu sprechen, welche keinen Aufschub duldet.«

Der Bauer erhob sich bei diesen Worten und verabschiedete sich, gar nicht zufrieden damit, daß sein Auftrag die erwartete Erledigung nicht finden sollte. Da der Teichhof eine Strecke außerhalb des Dorfes lag, so schlug er einen Weg ein, welcher unweit des Schulhauses in das Freie führte. Er mußte hier an einem Feldstücke vorüber, welches Silbermann gehörte. Mitten auf demselben stand Heiner, auf die Hacke gestützt, und an seiner Seite Alwine. Der junge Mann lächelte, als er den Nahenden erblickte, und das Mädchen sah ihm mit trotziger Miene entgegen.

»Grüß Gott, Silberheiner! Was hast' zur Kirmeß auf dem Acker zu schaffen?«

»Grüß Gott! Net viel von Bedeutung; aber es giebt so Dieses oder Jenes, was selbst dem Stillsten 'mal in die Glieder fährt, und das wollt' ich mir herausarbeit'n.«

»Das machst' recht! Es entsteht sonst allerlei schwerfällig' Zeug daraus, welches nachher kaan Doktor und kaan Chirurgius wieder fortbringt. Grüß auch Dich, Alwin'! Hab' Dich gesucht.«

»Aber net gefund'n!«

»Nein. Drum kannst' mir gleich die Antwort geb'n auf Das, was ich dem Vater zu sagen hatt'.«

»Hat er net selber die Antwort ertheilt?«

»Nein, der Pfarrer kam dazwisch'n.«

»So sollt Ihr sie hör'n!«

»Waaßt' denn, um was sich's handelt?«

»Doch um mich und den Balzer!«

»Allzeit um nix andres.«

»So sagt ihm, daß ich ihn net mag, und weil der Vater mich zwingen will, so bin ich zum Herrn Pfarrer gegangen und hab ihn gebet'n, sich meiner anzunehmen. Das hat er mir zugesagt, und darum ist er zum Vater gegangen.«

»Was ich da hör'! Also Du magst ihn wirklich net?«

»Nein, jetzt net und niemals net. Wer's mit der Kart' und mit der Flint' hält und dabei noch so ungeleckt und zudringlich ist, mit dem hab' ich nix zu thun.«

»Soll ich ihm das wirklich sag'n?«

»Wort für Wort, eher mehr noch als weniger!«

»Das wird die schönste Supp', die ich aufess'n muß. Ich glaub, er fährt mir mit den Fäust'n ins Gesicht!«

Der alte Mann sah rathlos zu Heiner hinüber, als wolle er diesen um Hülfe bitten.

»Ihr braucht Euch net zu fürcht'n,« lachte der junge Mann, »denn mit diesen Fäust'n ist's net weit her. Sagt ihm auch noch von mir, daß ich gern wiss'n möcht', wie ihm der Zaunschwung heut' Nacht bekommen ist.«

»Das versteh' wer will, aber ich net!«

»Und daß Ihr uns Beid' hier getroff'n habt, das braucht Ihr ihm net grad zu verschweig'n. Er wird sich drüber freun.«

»Hör 'mal, Heiner, jetzt fang' ich beinah' an, zu wiss'n, wo ich bin. Na, Glück zu meinetweg'n, und ausricht'n werd' ich jede Silb', die Ihr mir aufgetrag'n habt. Adjes!«[718]

Er nahm seinen Weg wieder auf. Er traf den Balzer im Garten des Teichhofes, wo er bei der brennenden Pfeife an das sicherlich günstige Resultat der heutigen Werbung dachte. Als er den Boten erblickte, sprang er auf; fast wäre ihm dabei die Pfeife entfallen.

»Schon wieder da? Ihr seid ja kaum erst fort! Was hat das zu bedeut'n?«

»Das hat zu bedeut'n, daß nix aus der Sach' werden wird.«

Er stattete getreuen Bericht ab und verschwieg kein Wort von den Aufträgen Heiners und Alwinens. Die Stirnadern Balzers schwollen von Satz zu Satz immer stärker an, und als der Berichterstatter geendet hatte, warf er die Pfeife mit einem wilden Fluche zu Boden.

»Also ohne Antwort kommt Ihr nach Haus', und Schimpferei bringt Ihr mit dazu? Aber so ist's, wenn man den Nixnutz schickt; hätt ich den Ochs oder das Kalb gesandt, so hätt ich Antwort erhalt'n, so aber ist – – –«

»Gut, Balzer, schick den Ochs und das Kalb, mich aber bekommst' niemals net wieder!« unterbrach ihn der Freiersmann, drehte sich um und verließ mit möglichst eiligen Schritten den Garten.

Der Wüthende aber rannte in demselben umher wie ein losgerissener Stier und bemerkte dabei, über den Zaun blickend, den Silberheiner mit dem Mädchen, welche noch immer auf dem Felde standen. Beide Fäuste ballend, knirschte er:

»Dort stehn sie mit'nander und lach'n mich aus! Also er ist's gewes'n, dem ich den Wurf zu verdank'n hab; er hat auf sie geharrt und Alles gehört. Aber ich werd's ihm vergelt'n, bald, so bald wie möglich. Wie hat sie gesagt? Er ist ihr lieber als ich, weil er hübscher ist. Nimm Dein Gesicht in Acht, Vogelheiner, sonst[731] kommt's so weit, daß sie davor erschrickt. Der Balzer waaß sich zu helf'n, und mit ihm hast's nun zu thun! – – –«

Quelle:
Der Giftheiner. Eine Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl Hohenthal. In: All-Deutschland! 3. Jg. 1879. Heft 20–25. Stuttgart (1879). Nr. 46, S. 731-732.
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