VII.

[766] Die Wochenfrist war vergangen, und Balzer kam zum Vorsteher, um seine Meldung zu machen. Es fiel ihm schwer, dem Befehle Gehorsam zu leisten, aber er sah ein, daß er sich fügen müsse, und einen Trost hatte er dabei, nämlich den, dem Gemeindehause zu entgehen.

»Nun, was bringst' für Botschaft?«

»Daß ich den Dienst hab.«

»Wo?«

»Beim Wirth.«

»Beim Wirth? Wozu hat dieser Dich denn nöthig? Er ist ja hinreichend mit Dienstleut'n versehn.«

»Ich geh' für ihn spazier'n. Adjes, Vorsteher!«

Schnell war er zur Thür hinaus, wie vor acht Tagen der Vorsteher auch, und ging nach dem Wirthshause.

»Nun, was hat er gesagt?« frug ihn sein neuer Dienstherr.

»Nix hat er gesagt der Hoffahrtspinsel. Ich hab ihm die Meldung gemacht und ihn dann sitzen lass'n.«

»Recht so! Nun bist' bei mir, Balzer, hast den Unterschlupf hier und ich denk', daß wir mit 'nander zufrieden sein werd'n. Du kannst gehn und kommen wie Dir's paßt, aber Alles, was Du schießest, das ist mein, und die Preis' hab ich Dir gesagt.«

»Schon gut; 's ist All's in Ordnung, Wirth!«

Er stieg empor in die Kammer, die ihm eingeräumt worden war und sah sich in derselben um. Es sah ärmlich genug darin aus. Er warf sich auf einen Stuhl und knirschte mit den Zähnen.

»So also ist's gekommen, ganz anders, als ich's gemeint hab! Der Wirth ist aan Fuchs, der ganz wohl waaß, weshalb er mich zu sich genommen hat. Er giebt mir dies Loch, und dafür schieß ich ihm das Wild für aan Lumpengeld. Und wer ist Schuld daran? Wer anders als der Giftheiner, dem ich All's zu danken hab', die Armuth, das Elend, Hunger und Kält' und die Verachtung allorts, hier im Dorf und auch anderswo.«

Er stand wieder auf und ging, um sich zu erwärmen, in dem kahlen Raume auf und ab.

»Was hatt' er auf dem Teichhof zu such'n, daß er da stand und mich niederschlug grad in dem Augenblick, wo meine Sach' am Best'n stand? Geht er etwa der Alma nach, grad wie er's mit der Alwin' gemacht hat? Das mag er nur fein bleiben lass'n, denn« – – er öffnete einen alten Koffer und nahm zwischen zerfetztem Lumpenkram einen Gegenstand hervor, den er emporhielt – –»denn hier ist noch die Flasch' von damals, und die Hälft', die große Hälft' ist noch drin. Ich hab mir's aufgehob'n, und nun mag ich sein Gesicht net länger mehr sehn. Er soll noch heut den Zahlaus hab'n. Er muß auf den Abend in den Gesangverein, und wenn er nach Haus' geht, so schlag' ich ihm die Flasch' grad auf den Kopf. Ja, so wird's gemacht, und – – –«

Er hielt inne. Ein neuer Gedanke war ihm gekommen.

»Aber dann bin ich doch immer der Lump, der nix hat! Geld muß ich bekommen, und weil er mich im Teichhof gestört hat, so soll er dafür das Seinig' hergeb'n. Er hat genug; er hat gespart und zusammengescharrt, der Geizhammel, und es liegt in der Truh, die in der Niederstub' steht, und dem Alt'n seines mit, das wiss'n die Leut' all und ich auch. Ich geh von hint'n in das Haus, nehm' das Geld, und wart' bis er kommt; dann geb' ich ihm die Flasch' und spring von dannen. Hier aber geh' ich bei Zeit'n schlaf'n, damit ich net in Verdacht gerath.«

Der Plan war seines Meisters werth. Dieser legte sich die Werkzeuge zurecht, deren er vielleicht bedurfte, und begab sich dann in die Gaststube zurück, wo er einige verwandte Seelen fand, mit denen er sich zur Karte setzte. Als die Zeit gekommen war, schützte er große Müdigkeit vor, erhob sich und ging nach oben; heimlich aber schlich er sich dann fort.

Zunächst überzeugte er sich, daß Heiner wirklich bei den Sängern sei; dann begab er sich nach dessen Wohnung. Er wußte, daß der alte Silbermann gewohnt sei, zeitig schlafen zu gehen und ihm also nicht im Wege stehen werde. Dieser aber war so munter wie noch nie. Er hatte ganz ungewöhnlichen Besuch bekommen, einen Besuch, der ihn schon nach wenigen Minuten so vollständig für sich eingenommen hatte, daß er mit Fragen und Erzählen kaum fertig werden konnte.

Noch hatte nämlich Heiner sich nicht längst entfernt, so ging die Hausthür draußen und es klopfte. Auf das »Herein!« des Vogelhändlers trat eine so wunderliebliche Mädchengestalt ein, daß er sie, als sie sich aus dem Pelze geschält hatte, mit großen, verwunderten Augen anblickte, als sei eine Fee in sein kleines Heim herabgestiegen.

»Gut'n Abend, Papa Silbermann!«

»Gut'n Abend! Hm, wer ist denn das?«

»Ich bin die Alma vom Teichhof.«

»Die Alma? Ja, ja; ich hab' Dich noch gar net so recht gesehn, und darum kannt' ich Dich auch net. Willkommen! Sag, was bringst?«

»Der Mutter ihr Geburtstag ist gar bald, und da sie so Freundin ist vom Vogelgesang, so wollt' ich gern um gut'n Rath frag'n, ob ich ihr net aan Vögle kauf'n könnt'.«

»Warum denn net? Was willst' denn für aan's? Ich werd' Dich gut bewahr'n!«

»Ja, grad was ich für aan's will, dies waaß ich eben net; drum wollt' ich frag'n.«

»So setz Dich doch 'mal nieder! Waaßt wohl auch net, was die Mutter gern hat?«

»Nein.«

»So nimm aan'n Kanaris!«

»Der schnattert zu sehr, und Mutter ist net wohl.«

»Oder aan Rothkehlchen?«

»Das dauert mich. Es ist den Wald gewohnt, und da mag ich's net in die Stub' sperr'n.«

»Ja, du Schalk, da darfst ja gar kaan Vögele kauf'n!«

»Dies hab ich auch gedacht; aber ich wollt doch 'mal sehn, was Ihr für welche habt.«

»O, Alles kannst' bei mir bekommen, Alles; aber bei Tag' mußt' da sein, weil sie des Abends schlaf'n und da darf man sie net stör'n.«

»So will ich jetzt gehn und 'mal wiederkommen!«

»Warum gleich gehn? Kannst immer bleib'n, so lang es Dir gefällt. Oder fürchtest' Dich vor mir?«

»Vor dem Silberpapa? O nein, der thut mir nix, der ist grad so lieb und gut wie der Heiner!«

»Ach so, da ist der Heiner lieb und gut? Davon hab ich noch nix gemerkt. Woher hast's denn erfahr'n?«

»Ich hab's gehört und auch gesehn, drob'n auf dem Fichtler und nachher, als wir in die Stadt gefahr'n sind.«

»Was! Auf dem Fichtler bist mit ihm gewes'n?«

»Freilich!«

»Und in der Stadt?«

»Ja. Er hat den Schlitt'n gefahr'n und dann sind wir den ganz'n Tag drin herumgelauf'n.«

»Was ich da All's hör! Und davon hat er mir kaan Sterbenswort gesagt. Na wart' nur, Bursch'; bin ich der Unnütz zu Haus', der von nix zu wiss'n braucht, so sollst nun auch net erfahr'n, wer heut Abend bei mir ist!«

»Gut, vortrefflich! Wir woll'n jetzt die Verschwörung mach'n geg'n ihn, daß er nix erfährt, wenn ich 'mal hier bin. Schlagt ein, Papa Silbermann!«

»Auf der Stell! Hier ist die Hand, und das Komplott ist fertig. Aber willst denn wirklich wiederkommen?«[766]

»Wenn ich darf!«

»Ob Du darfst? Komm nur immer, Du liebs Vögle Du! Freilich, gefall'n wird Dir's net sehr bei mir in der Männerwirthschaft. Aber das ist nun 'mal net anders; denn wo kaane Frau im Haus' ist, da giebts nur eitel Unordnung und Aergerniß. Erst hab ich net gewollt, daß er mir die Schwiegertochter bringt, und nun will er net.«

»Warum denn net?«

»Nun warum denn anders, als weil ihm die Alwin' noch im Kopf herumgeht!«

»Ist sie denn so gar aan absonderlich Madel gewes'n?«

»Das will ich meinen! Aan Madel wie aane Bachstelz, tipp tipp, zipp zipp, so wippt und schwippt sie auf und nieder, so glatt und schlank, aan Federle wie's andre, aan Schwänzle wie aane Schmerl, und aan Füßchen, aan Schnäbele, so fein und sauber, daß man nur das Netz gleich hinleg'n möcht, um das Ding zu fangen. Aber, aber – ich will weiter gar nix sag'n! Wie das von auß'n so zierlich, so adrett wippt und schnippt, so ists dann auch von innen, und der einfachst' Hänfling ist mir lieber als so aan unstät Geschöpf, wenn er auch zuweil'n 'mal auf den ›Zapp‹ verfällt.«

Der gute Alte war auf sein Lieblingsthema gekommen, und verbreitete sich so ausführlich darüber, daß Alma nur selten ein Wort oder eine Frage einflechten konnte. Endlich aber fand sie doch Gelegenheit, sich zu erheben und Abschied zu nehmen. Er begleitete sie vor die Thür.

»So komm ja recht bald wieder und fall' mir net! Es ist glatt' auf der Straß'!«

»Will mich schon vorsehn! Also bei dem Komplott, da bleibts?«

»Versteht sich, versteht sich!«

Sie ging. Er trat nicht eher in das Haus zurück, als bis ihre Schritte vollständig verhallt waren.

»Sapperlot, ist das aan Madel! Dageg'n ist selber die Alwin' nur kalt Wasser. Fürchtet sich net vor der Nacht und kommt so weit herauf, um der Mutter aane Freud' zu mach'n, und ist doch so zärtlich und fein, daß man's einwickeln möcht' wie Marzipan. Ja, wer so 'mal diese Art bekommen könnt! Aber daran darf Aaner vom Dorf gar net denk'n!«

Er verschloß die Hausthür und ging schlafen.

Kaum war sein Kammerfenster erleuchtet, so erhob sich Balzer. Er hatte im Garten gesteckt und nur auf diesen Augenblick gewartet. Er kannte die Bauart des Häuschens nicht genau und hatte sich deshalb einen Lichtstumpf mitgebracht. Diesen brannte er an, sobald er in dem unverschließbaren Schuppen angekommen war. Der letztere war bis unter das Schindeldach mit Stroh und Reisig angefüllt; von ihm aus ging die Hinterthür in den Hausflur. Balzer untersuchte die Thür. Sie hatte kein Schloß und war von innen durch eine einfache Holzklinke zu öffnen, die in einen Haspen fiel. Er zog einen Drahthaken hervor, öffnete und trat in den Flur. Er merkte nicht, daß es hinter ihm leise zu knistern begann. Er hatte das Zündholz unachtsam von sich geworfen, so daß es in das dürre Reisig fiel.

Die Stubenthür war mit einem jener alten Drehschlösser versehen, welche keinen Schlüssel, sondern einen Drücker haben, dessen Innentheil aus einer Schraubenmutter besteht, welche, um zu öffnen, an den Schraubentheil des Schlosses geleiert wird. Die Einfachheit dieser Schlösser hat zur Folge, daß sie alle mit jedem beliebigen Drücker geöffnet werden können. Balzer war auch hierauf vorbereitet. Er zog einen Drücker aus der Tasche und öffnete.

Nachdem er die Thür leise wieder hinter sich zugezogen hatte, sah er sich in der Stube um. Die Truhe, welche er suchte, stand in dem hinteren Winkel. Er fand sie verschlossen und nahm nun Meisel und Zange zur Hand. Da diese Arbeit so leise wie möglich geschehen mußte, so nahm sie ziemlich lange Zeit in Anspruch. Es wurde ihm heiß dabei; daß diese Hitze noch eine andere Ursache habe, vermuthete er nicht im Geringsten.

Endlich sprang der Deckel auf und sein gieriger Blick verschlang das Innere. Hier hatte er jedenfalls eine sicherere Ernte zu halten, als im Teichhofe, denn er erblickte mehrere Schachteln, jede mit einer bestimmten Geldsorte gefüllt. Daneben lagen zwei Sparkassenbücher, ein Hypothekenschein und eine Anzahl alter Pretiosen nebst einer Uhr, jedenfalls das Eigenthum des älteren Silbermann.

Noch musterte er seine Beute, da schrak er plötzlich zusammen. »Feuer, Feuer!« ertönte es draußen auf der Straße, und zu gleicher Zeit fielen krachende Schläge gegen die Hausthür. Schnell ergriff er ein Tuch, raffte Alles hinein, warf den Deckel zu, blies das Licht aus und eilte aus der Stube. Er wollte durch die Hinterthür entfliehen, blieb aber geblendet stehen, denn der Schuppen stand in Flammen, so daß das Feuer ihm den Ausgang verwehrte. Es blieb ihm kein anderer Weg, als vorn durch die Thür oder eines der Fenster; er war gefährlich genug, aber der einzige, den es gab.

Er trat also in die Stube zurück und zog den Vorstecker aus dem einen Ladeneisen. Draußen hatte sich bereits eine Menge Menschen versammelt, welche einzudringen versuchte. Da dies durch die Thür nicht gelang, so versuchte man es durch die Fenster. In demselben Augenblicke, als Balzer den Vorstecker entfernte, wurde von Außen an dem Laden gezogen. Dieser fuhr auf, eine kräftige Faust schlug an das Fensterkreuz, daß die Scheiben zersprangen; das Fenster wurde eingestoßen und es stieg Jemand in die Stube, um die Hausthür zu öffnen. Er bemerkte Balzer nicht und stürzte an ihm vorüber. Dieser erfaßte den Augenblick, und während die Draußenstehenden ihr Augenmerk auf den Eingang richteten, sprang er zum Fenster hinaus und über die Straße hinüber.[772]

Heiner befand sich noch im Gesangvereinslokal als der Feuerruf erschallte. Die Sänger flogen sofort auseinander und auf die Straße.

»Wo brennt's?«

»Bei Silbermanns!« ertönte die Antwort.

Da sprang er, wie von der Feder geschnellt, allen Uebrigen voran die Straße hinab. Eben als er den Platz erreichte, sah er Balzer aus dem Fenster springen.

»Der Brandstifter! Haltet ihn!« rief er und schoß hinter ihm her.

Balzer wußte, daß Heiner im Laufen ihm überlegen sei. Alles Andre war verloren, aber das Geld und die Freiheit mußte gerettet werden. Er schoß an dem Zaune des Kantors hin, bog um die[773] Ecke und schwang sich, seinen Vorsprung benutzend, in den Garten, wo er sich lautlos niederduckte, um den Verfolger an sich vorüberspringen zu lassen. Heiner aber war nicht der Mann, der sich täuschen ließ. Im nächsten Augenblicke sprang auch er herüber und hatte den sich wieder aufraffenden Flüchtling gerade an der verhängnißvollen Laube erreicht. Die helle Lohe beleuchtete die beiden Feinde, so daß Jeder deutlich den Haß aus dem Auge des Andern sprühen sah.

»Steh fest, Feuermann; jetzt entkommst mir net, wie dort im Teichhof!«

»Denkst? Hab' Acht, Giftheiner, jetzt gilts!«

In die Tasche langend, riß er die Flasche heraus, schwang sie hoch empor – – –

»Her mit der Waff'!« rief Heiner, bäumte sich auf, riß ihm die Flasche aus der Faust und schlug sie ihm selbst auf den Schädel nieder. Wie im Teichhofe, brach der Getroffene lautlos zusammen.

Dies Alles war das Werk eines Augenblickes gewesen, so daß Diejenigen, welche seinen Ruf gehört hatten und gefolgt waren, erst jetzt an seiner Seite anlangten.

»Hier liegt er; es ist der Balzer. Nehmt ihn fest und verwahrt die Sach', die er gestohl'n hat!« gebot er und eilte über den Zaun wieder hinüber in das bereits brennende Haus. Dort hörte er den Ruf seines Vaters.

»Laßt All's verbrennen, All's, nur schafft mir die Vög'l hinaus, daß die armen Dinger net elend umkommen! Wo ist der Heiner? Ist er noch net da?«

»Hier bin ich, Vater! Hast' das Geld?«

»Nein; es ist fort; die Truh' ist erbroch'n.«

»So ist's net verloren. Ich hab' den Brandstifter festgenommen und er hat's noch bei sich.«

Der angestrengten Thätigkeit der Rettenden gelang es, den größten Theil des Silbermann'schen Eigenthums zu bergen, das Häuschen selbst aber brannte vollständig nieder. Einer der Nachbarn trat zu Heiner.

»Hast' für den Augenblick Zeit?«

»Wozu?«

»Sollst hinauf zum Kantor kommen.«

»Zu dem? Was will der mit mir?«

»Wirst's schon sehen. Geh' nur, er läßt Dich ganz freundlich bitt'n.«

Heiner drängte sich durch die Menge und betrat das Schulhaus seit langen, langen Jahren zum ersten Male wieder. Schon auf der Treppe vernahm er ein wüstes Geschrei, untermischt mit ganz entsetzlichen Klagelauten. Gerade auf demselben Sopha, wo damals der verletzte Kantor gelegen hatte, wand sich jetzt Balzer unter den fürchterlichsten Schmerzen und bot ganz denselben Anblick, wie ihn der Kantor gehabt hatte. Dieser trat mit seinen blöden Augen auf den Angekommenen zu.

»Bist's, Heiner?«

»Ja.«

»Ich hab' Dich zu mir geboten, um Abbitte zu thun.«

»Wofür?«

»Für alles Leid und Unrecht, welches ich Dir verursacht und angethan habe. Schau, dort liegt der Balzer, vor Schmerzen fast wahnsinnig, und seine Qualen haben ihm das Geständniß ausgetrieben. Die Säure hat damals Dir gegolten, aber mich getroffen; er hat es aus Eifersucht gethan. Auf dem Teichhof ist er eingebrochen, wo Du ihn vertrieben hast, und heut wollte er Dich erst bestehlen und Dir dann mit der Säure das Gesicht nehmen. Er hat sie sich zu diesem Zwecke so lange aufgehoben; Du aber hast die Waffe umgedreht, und nun liegt er da, ein Zeugniß des gerechten Strafgerichtes des Höchsten, der jede Schuld gerade in derselben Weise bestraft, in welcher sie begangen wurde. Kannst Du mir vergeben?«

Heiner schlug tieferschüttert in die dargebotene Hand ein.

»Ich kann und will, Herr Kantor! Ich bin zwar bös und zornig auf Euch gewes'n, aber gehaßt hab' ich Euch doch niemals net; dazu hab ich Euch zu viel zu verdank'n«

»So mag die alte gute Nachbarschaft von Neuem zwischen uns bestehn! Eure Wohnung ist verloren. Kommt herüber zu mir bis sich eine bessere Aushülfe gefunden hat.«

»Ich nehme es an und werde auch den Vater herüberschicken!«

Die Kunde von dem Schicksale Balzers ging von Mund zu Mund, doch seine Höhe hatte es noch nicht erreicht. Der Gensdarm stellte sich ein, hörte die Aussage der betreffenden Zeugen, vernahm auch seine eigene Anklage, die er laut brüllend unter Flüchen und Verwünschungen ausstieß, und befahl, ihn zum Vorsteher zu transportiren. Alles wich dem Verruchten aus, als er durch die Menge halb getragen, halb geschleppt wurde, und mit Schaudern vernahm man noch von Weitem seine gellende Stimme, mit welcher er bald Heiner, bald sich und bald Gott selbst die Schuld an seinen Qualen beimaß.

Der Erstere stand in der Nähe des niedergebrannten Hauses und starrte düster in den noch immer glühenden und qualmenden Schutt. Da legte sich eine kleine Hand auf seinen Arm.

»Heiner!«

Er drehte sich um.

»Alma!«

»Ja, ich bin's. Ich hab' mich von dem Knecht herführ'n lass'n, um Dir die Botschaft zu bringen von der Mutter.«

»Welche?«

»Du sollst zu uns kommen mit dem Vater und bei uns wohnen, so lang als es Euch gefällt.«

»Alma, ist's wahr?«

»Ja. Die Mutter sagt, ich soll Dich zu niemand Anders lass'n.«

»Ich kann's net annehmen. Ich mach' Euch Last und Unruh'.«

»Nein. Der Hof ist groß und hat mehr Raum als nur für Euch. Und wenn Du meinst, daß Du uns überflüssig bist, so kannst' ja Hofmeister oder Verwalter sein, bis Du wieder aufgebaut hast oder 'was Bessers findst!«

»Bleib stehn, Alma; ich muß den Vater frag'n!«

Er suchte diesen auf und traf ihn, als er eben aus dem Schulhause trat.

»Bist' einig geword'n mit ihm, Vater?«

»Net gern. Aber was will ich mach'n? Du hast A gesagt, so muß ich wohl B sag'n. Er giebt uns die zwei Seitenstub'n, und so lass'n wir die Sach'n gleich heraufschaff'n.«

»Oder auch net.«

»Warum?«

»Es ist uns noch 'was Anders angebot'n word'n.«

»Von wem?«

»Von der Alma auf dem Teichhof.«

»Von der Alma? Die kenn' ich doch gar net! Wer ist's?«

»Die Tochter. Die Herrin läßt uns sag'n, wir soll'n bei ihr bleib'n, so lang es uns gefällt. Und wenn ich will, so kann ich Hofmeister oder Verwalter sein.«

»Du? greif zu, Heiner! So 'was kommt net alle Tag', und beim Kantor hätt' ich mich in alle Ewigkeit net wohl gefühlt. Der Vogelsteller paßt net zu ihm. Geh' hinauf und sag's ihm ab!«

Heiner that dies und kehrte dann zu der seiner harrenden Alma zurück.

»Nun, hast gefragt?«

»Ja. Wir kommen auf den Hof.«

»Das ist gut, Heiner! Ich geh gleich wieder nach Haus' und schick die Leut' herbei, um Deine Sach'n zu hol'n. Das ist bald gemacht; Hülf' ist ja auch noch andre da, und so wird der Einzug schnell fertig werd'n.«

Sie ging mit dem Knechte zurück und bald langten vom Teichhofe drei Wagen an der Brandstätte an, auf welchen die geretteten Sachen recht gut Platz hatten. Als aufgeladen war, ging es das Dorf hinab – einer neuen, schönern Zukunft entgegen, wie es Heiner dünkte. Am Hause des Vorstehers hielt ein Schlitten, in welchen soeben der Gensdarm seinen Gefangenen laden ließ. Die Augen waren ihm zerstört, so daß er nichts mehr sehen konnte, und ein leises Wimmern gab Zeugniß, daß die Schmerzen noch nicht aufgehört hatten. Heiner mußte unwillkürlich an jene Worte denken, welche Balzer ihm auf dem Fichtelberg zugeworfen hatte: »Ich streich' die Rechnung net eher, als bis ich Dich net mehr zu sehn vermag!« Es war ihm nun ganz wörtlich sein Recht geschehen.

Im Teichhofe kam ihnen Alma entgegen und entschuldigte die Mutter, daß sie nicht zugegen sein könne, da sie sich leidend fühle. Dann wies sie ihnen die Zimmer an und war ganz besonders für die Unterbringung der Vögel besorgt, was die erworbene Zuneigung des alten Mannes um das Doppelte erhöhte.

Nun kamen Tage des Schaffens und der Sorge. Das Häuschen war versichert gewesen und der Schaden, den das Feuer verursacht hatte, also nicht bedeutend; aber es mußte doch gar viel überlegt, geordnet oder verändert werden, und wo es dabei einer weiblichen Hülfe bedurfte, war Alma stets bei der Hand.

»Heiner, ist sie wirklich Komtess' gewes'n, eh' sie auf den Teichhof kam?«

»Ja, Vater. Sie ist's net nur gewes'n, sie ist's auch noch.«

»So giebt's auf der ganz'n Welt kaane schön're, liebere und bess're Komtess' als sie. Aber ich wollt' doch, sie wär' aan Bauermadel!«

»Warum?«

»Hm, darum! Ich werd' mich hüt'n und werd's sag'n, es[774] nützt doch nix. Aber nun siehst' ja selber, was die Frau in der Wirthschaft zu bedeut'n hat, besonders wenn dem Mann das Haus abbrennt. Ohne sie kann er sich aus dem Wirrwarr gar net herausfind'n, und das ist sehr leicht zu erklär'n, denn wo kaane Frau im Haus' ist, da giebt's nur eitel Unordnung und Aergerniß!«

»So heirath' doch; ich hab' Dirs ja schon oft gesagt!«

»Hör', Bursch', komm' mir net so, denn – – aber was ist denn das? Ich glaub gar, da kommt der Kantor! Da mach' ich mich aus dem Staub!«

Wirklich trat der Genannte ein. Die Angelegenheit, welche ihn herbeiführte, mußte ihm am Herzen liegen, sonst hätte er mit seinen schwachen Augen nicht den ungewohnten Weg nach dem Teichhofe gesucht. Er hatte nach der Wohnung Heiners gefragt, und eine der Mägde brachte ihn herbeigeführt.

»Grüß Gott, Heiner! Darf ich Dich einmal besuchen?«

»Gern, Herr Kantor. Ich bin zu sehr in Geschäft'n gewes'n, sonst wär' ich schon längst 'mal zu Euch gekommen.«

»Das konnte ich mir denken. Aber nun bist Du wohl einigermaßen in Ordnung?«

»Leidlich, ja.«

»Dann möchte ich eine Bitte aussprechen.«

»Welche?«

»Du weißt, wie hoch mir Deine Kantate gilt. Sie ist meine beste Komposition. Alter und Schicksal haben es nicht gut mit mir gemeint, und ehe ich sterbe, möchte ich sie gern noch einmal hören. Mache mir die Freude und übernimm wie früher den Solotenor!«

»Wenn es Euch wirklich Freud' macht, so will ich es von Herz'n gern thun!«

»Hab Dank, Heiner!« Er ergriff die Hand des jungen Mannes. »Und nun will ich Dir Eines sagen: wenn heut Alwine lebte und Du begehrtest sie zum Weibe, ich gäbe sie niemanden lieber als Dir!«

Er wankte hinaus. Heiner führte ihn bis vor den Hof. Alma bemerkte es und kam herbei.

»Was hat der Kantor bei Dir gewollt, Heiner?«

»Ich soll die Kantat' mitsingen.«

»Und hast' zugesagt?«

»Ja.«

»So mußt' aber auch all' Tag' mit mir zu ihm in die Uebung gehn! Willst?«

»Nimmst mich denn gern mit?«

»Ungern net, aber gern!« lachte sie und schlüpfte fort.

So kam es auch. Wenn die Dämmerung hereinbrach, wanderten sie nun täglich zum Kantor und nach der Uebung wieder zurück. Dabei legte sie vor dem Dorfe immer ihren Arm in den seinen, damit sie im Schnee nicht strauchle. Das waren selige Gänge für Heiner, denn dann war er mit ihr allein und konnte immer tiefere Blicke thun in den Reichthum ihres reinen, engelhaften Gemüthes.

Auf einem der Nachhausewege frug sie, mitten im Gespräch abbrechend:

»Wer singt den Sopran besser, Heiner, die Alwin' oder ich?«

»Du.«

»Warum?«

»Weil Du im Herz'n stets Weihnacht'n hast; das klingt dann ächt und wahr. Nur Aans ist der Alwin' besser gelungen, weil ihre Stimm' größ're Macht gehabt hat, nämlich die Arie ›Ich verkünde große Freude.‹ Das muß wie Engelsruf über alle Felder und Hirt'n hinwegbraus'n, und dazu ist Dein Organ zu zart.«

»Und nun sag' auch, mit wem hast' lieber gesungen, mit ihr oder mit mir?«

»Frag' den Kantor!«

»Wie so?«

»Er sagt, daß ich mit Dir besser sing' als mit der Alwin!«

»Aber auf sie hast' Vers' gemacht!«

»Warum, das hab ich Dir schon gesagt als wir damals zur Stadt fuhr'n.«

»So darfst' bei mir net?«

Sie schlang die Hände über seinem Arm zusammen und hob ihr liebes Gesicht zu ihm empor.

»Nein!«

»Aber ich hab' dich doch gerade damals darum gebet'n, Heiner!«

»Ich – ich darf net.«

»Sie schwieg nachdenklich, dann rezitirte sie halblaut:


›Es war ihr Bild, nein, nicht ihr Bild,

Sie selbst war's, doch verklärt.

Und nun ist aller Schmerz – – –‹«


»Alma!« fiel er erschrocken ein; »wo hast' dies Gedicht her?«

»Gefund'n?«

»Wo, sag' wo! Ich hab's verlor'n oder versteckt und überall vergebens gesucht.«

»Willst' es wieder hab'n oder darf ich es behalt'n?«

»Ich kann Dir's net lass'n, ich darf Dir's net lass'n. Gieb's wieder zurück!«

»Bitt, Heiner, laß es mir!«

»Nein, nein, es gehört mir!«

»Dir! Und ich hab gedacht, es sei Jemand damit gemeint. Geh, Heiner, Du hast mit der Alwin' viel lieber gesungen als mit mir! Willst es gleich hab'n, das Gedicht?«

»Ja,« antwortete er zögernd und gepreßt.

»Da, nimm!«

Sie blieb stehen und zog an einer Schnur, die am Halse unter dem Kleide verlief. Es hing ein Medaillon daran, welches sie öffnete; es lag nichts als ein zusammengebrochener Zettel darin.

»Ist es das, Alma?«

»Ja. So nimm doch!«

Er zögerte.

»Und wirst' dann bös auf mich sein?«

»Nein; das kann ich nie!«

Er hörte das leise Beben ihrer Stimme; er sah, daß die treuen, klaren Augen wie flehend zu ihm emporschauten, und neigte sich zu ihr nieder.

»Alma,« sprach, nein, flüsterte er in jenem Tone, den man im Leben nur einmal kennt, »Hast' erfahren, was Dein Nam' bedeutet?«

»Ja, er heißt Seele.«

»Und kein andrer Nam' hätt' für Dich gepaßt, so viel' tausend es auch giebt.« Er zog sie an sich, und beinahe zitternd zwischen Hoffen und Fürchten er klang die leise, innige Frage: »Sag', Alma, willst' meine Seele sein, mein Glück, mein Leb'n und meine Seligkeit, jetzt und immerdar?«

»Darf ich denn, Heiner?«

»Ob Du darfst? Sag' ja, Alma, sonst waaß ich net, was mit mir wird; ich muß eingehn, wie der Baum ohne Land, ich muß sterb'n, wie die Blum' ohne Sonne oder wie der Gedank' ohne das Wort, das ihn umschließt. Alma, Du hast mir den Tag wiedergegeb'n nach langer Nacht, laß es net wieder dunkler werd'n als es zuvor war! Sag' also, magst' meine Seele sein?«

»Ja!« hauchte sie unter unaussprechlicher Wonne.

Er umarmte und er küßte sie nicht, aber er legte ihren Kopf an sein Herz und strich ihr mit der Hand lind über das volle, seideweiche Haar, welches unter dem zurückgefallen Kapuchon hervorquoll.

»So leg' Dein Köpfle hierher, Du Engel Du; da soll er ruh'n und sicher sein vor allem Leid so lang mein Leben währt!«

Er hatte wie im Schwur die Hand erhoben, und der Sternenschein flimmerte in einer Thräne, die an seiner Wimper hing. Dann hüllte er sie sorgfältig ein, zog ihren Arm in den seinen und nahm den unterbrochenen Weg wieder auf. Kein Wort wurde weiter gesprochen; aber als er, im Hofe angekommen, sie von sich ließ, frug er:

»Sagst' es der Mutter?«

»Ja.«

»Darf ich nachher zu ihr kommen?«

»Nein, Heiner. Sie wird Dich rufen lass'n! Willst' das Gedicht noch wieder hab'n?«

»Behalt's, Alma! Ich hab's auf Dich gemeint gleich damals, als Du mich auf dem Fichtler trafst.«

Es war eigenthümlich. Er hatte die Herrin des Hofes erst ein einziges Mal gesehen, damals, als er dem Balzer nachging. Er fühlte ihr Wohlwollen, ihr freundliches Sorgen und Wirken Tag für Tag immer deutlicher, aber nur aus der Ferne. War sie wirklich so sehr krank, daß ihr ein kurzes Zusammensein mit Andern unmöglich wurde?

So kam das Weihnachtsfest heran, an dessen erstem Feiertage die Kantate öffentlich aufgeführt werden sollte. Die Kirche sollte ihren Raum dazu hergeben, und man wußte, daß aus der ganzen Umgegend eine zahlreiche Zuhörerschaft dazu herbeiströmen werde.

Am heiligen Abende war Hauptprobe. Sie war für den Nachmittag angesetzt und verlief zur vollständigen Zufriedenheit aller Betheiligten. Als sie beendet war, trat Alma zum Kantor.

»Herr Kantor, darf ich eine Bitte aussprechen?«

»Sprich, mein Kind!«

Er hatte ihr seine ganze Liebe geschenkt und, wenn sie auch nur zeitweilig bei ihm sein konnte, in ihrem Umgange Ersatz für die Verlorene gefunden.

»Mama hat so viel Schönes von der Kantate gehört und kann doch nicht zur Kirche kommen; da läßt sie fragen, ob Sie nicht die Güte haben und heut Abend für ein Stündchen zu uns kommen wollten. Wir haben ein sehr gutes Instrument, und ich und Heiner könnten ihr Einiges vortragen!«[775]

»Ich würde sehr gern kommen; aber der Weg und meine Augen – – –«

»Wir schicken den Schlitten, Herr Kantor.«

»Gut, so will ich zusagen!«

Er war einigermaßen neugierig, die Besitzerin des Teichhofes kennen zu lernen, die noch kein Bewohner des Ortes zu Gesicht bekommen hatte, und fuhr, als der Schlitten anlangte, seiner Bestimmung mit reger Erwartung entgegen. Heiner empfing ihn und nahm ihn zunächst mit zu sich.

»Nehmt zunächst bei mir aan Glas Wein, Herr Kantor! Man ist drüb'n noch zu sehr mit Anordnung der Bescherung beschäftigt.«

Es dauerte jedoch nicht lange, so kam Alma um sie zu rufen. Sie wurden in das Musikzimmer geführt. Heiner hatte diese renovirten und neu ausgestatteten Räume noch nicht betreten. Er und noch mehr sein Vater erstaunten über den Reichthum, welchen der Teichhof jetzt in sich schloß. Der Kantor bemerkte davon nichts; er suchte mit seinen kranken Augen nach der Herrin des Gutes.

Diese erhob sich aus einer Ottomane, welche durch die farbigen Lichtschirme im Dunkeln gehalten wurde, und bewillkommnete die Gäste mit ihrer leisen und, wie es schien etwas belegten Stimme. Dann nahm man Platz. Der Kantor setzte sich an das wirklich prachtvolle Instrument und Alma und Heiner sangen zu seiner Begleitung abwechselnd oder im Duett. So waren sich die Vorträge schon eine ganze Weile gefolgt, da bat Alma auf einen Wink der Mutter:

»Nun noch die Engelsarie, Herr Kantor!«

»Warum diese, Kind?«

»Weil sie den Eingang zur Weihnacht bildet, und dann will Mama bescheren.«

»So mag es sein. Aber schone Deine Stimme, damit sie morgen nicht versagt!«

Er griff in die Tasten. Das rauschte und brauste, das wogte und schwirrte, als sei der Himmel geöffnet und sende die Menge seiner Heerschaaren zur Erde nieder. Dann löste sich aus dem wallenden Tonmeere ein großgezeichnetes Thema, wiederholte sich und wechselte in den verschiedensten Gestaltungen, umwob sich mit glanzvollen Harmonien und begann dann nach einer ahnenden Pause:


»Ich verkünde große Freude,

Die Euch widerfahren ist,

Denn geboren wurde heute

Euer Heiland Jesus Christ!«


Während der Einleitung war Alma zu dem Armleuchter getreten, um die Schirme zu verstellen. Ihre Mutter hatte sich erhoben und ihre Stelle eingenommen. Sie sang. Erst wie unsicher und im Mezzoforte; nach und nach aber schwoll dieses zum festen, entschiedenen Forte an, so daß der Kantor erstaunt aufhorchte. Als er aber zu rascherem Tempo überging und hinter ihm das


»Jubelnd klingt es durch die Sphären,

Sonnen künden's jedem Stern;

Weihrauch duftet auf Altären,

Glocken klingen nah und fern,«


mit einer Energie und in einem Tone erscholl, der wie Orgel- und Glockenklang das Zimmer erfüllte und nicht aus einer weiblichen Brust, sondern aus eherner, metallener Tiefe zu kommen schien, da riß es ihm vom Stuhle empor und zu der Sängerin herum.

»Alwine!!!«

»Vater!«

Seine Stirn zuckte unter den sie durchkämpfenden finsteren und hellen Gedanken; seine Augen wollten zornig aufblitzen ohne es zu vermögen, aber sein Herz hatte den Armen schon ihren Weg gezeigt; sie lagen um die Wiedergefundene und zogen sie an die halb widerstrebende, halb freudig klopfende Brust.

»Kannst Du mir vergeben?«

Seine Hände lösten sich wieder von ihrer Schulter.

»Du hast mich und Dich verlassen!«

»Dich, Vater, mich aber nie, nie!«

»Beweise es!«

»Höre meine Erlebnisse, aber nicht jetzt, sondern später! Ich war leichten Sinnes; meine Verblendung und die gefürchtete Verbindung mit dem Balzer trieb mich fort; nie aber habe ich mich und meine Ehre verschenkt. Dich habe ich verlassen und den Heiner verrathen, aber tausendfaches Leid ist mir gefolgt. Vergebt mir! Ich bringe Euch wieder, was ich Euch raubte, vielleicht noch mehr als das: ein herrliches, reines und schuldloses Gemüth, welches nie ein Hauch der Sünde trüben dürfte, Alma, die Ihr ja schon liebt. Ich mißachtete Eure Einfachheit und wurde eine gefeierte Sängerin, später sogar das rechtmäßige Weib eines Grafen. Die Gräfin kehrt, zur Erkenntniß gelangt, zu Euch zurück, wirft den Titel hinter sich und will von Euch das von sich gestoßene Glück, den verlorenen Frieden erflehen. Werdet Ihr unbarmherzig sein?«

Die Hülle war ihr entfallen und sie stand vor ihnen in all der Schönheit, mit der sie ihr Talent emporgetragen und die sie trotz der langen Jahre nicht verloren hatte. Sie war nicht matt, nicht krank; sie hatte das Unwohlsein nur vorgeschützt, um bis heut verborgen bleiben zu können; der Eindruck, den sie machte, mußte jedes feindliche Gefühl verscheuchen.

»Heiner, bist Du groß genug, mir zu verzeihen!«

Er lehnte an der Wand, bleich wie diese selbst; er wollte sprechen und konnte nicht, und erst als Alma seine Hand erfaßte, da löste sich der Bann von seiner Brust.

»Alwin', sei glücklich. Ich verzeihe Dir!«

»Und Du, Vater? Du kannst der Tochter nicht das Geschick bereiten, welches ihre Briefe gefunden haben! Du wolltest mich als Teichhofbäuerin sehen; jetzt bin ichs. Zürnst Du noch?«

»Alwine, Du hast mich besiegt!«

Und aus seiner Umarmung heraus bot sie auch Silbermann die Hand.

»Wollen wir wieder Freunde sein?«

Dem alten Manne standen die hellen Thränen in den Augen.

»In Gottes Namen, Alwin'. Ich hab wahrhaftig net geglaubt, daß so aan brav Weibsbild aus Dir werd'n könnt!«

»So kommt denn zur Bescherung!«

Die Flügelthüre öffnete sich und der helle Glanz eines reichbehangenen Tannenbaums strahlte ihnen entgegen. Unter demselben war ein Berg von Geschenken aufgehäuft. Durch die entgegengesetzte Thür drängte sich das Gesinde herbei und empfing Gaben, welche ihre Erwartung übertrafen. Das stimmte zum Jubel. Die noch ernste Miene des Kantors heiterte sich auf, als die Knechte und Mägde voller Witz und Zufriedenheit mit ihrer Beute abzogen.

»Jetzt sind wir wieder unter uns,« begann Alwine, »und können nun auch an uns denken. Ich habe Dich wieder, Vater, das ist mir das köstlichste Weihnachtsgeschenk; und Du? Hier nimm; das ist Dein!«

Sie schob ihm Heiner zu.

»Er wird Dir ein besserer Sohn sein, als ich Dir eine Tochter war.« Dann nahm sie Alma bei der Hand. »Ihr, Vater Silbermann, sollt Etwas erhalten, was Ihr Euch schon längst vergeblich gewünscht habt. Wo keine Frau im Hause ist, da ist eitel Unordnung und Aergerniß; nehmt Alma hin und sorgt dafür, daß sie an Heiner gut macht, was ich an ihm gesündigt habe. Seid Ihr zufrieden mit dieser Schwiegertochter?«

»Na und ob! Gotts Blitz, wenn sie net dem Heiner seine Frau werd'n sollt, so nähm ich sie am Liebst'n gleich für mich selber!«

»Und Du, Heiner, Du bist mit den Andern schon beschenkt genug; aber hier ist noch etwas ganz Besonderes für Dich. Das Honorar liegt hier unter dem Baume.«

Sie hielt ihm einen Prachtband entgegen, auf dessen Vorderseite die goldene Inschrift flimmerte: »Gebirgsklänge, von Heinrich Silbermann.« Sie hatte ihr Wort gehalten und die Herausgabe seiner Gedichte vermittelt.

Neben diesen Herzensgaben gab es noch eine ganze Menge anderer Ueberraschungen, die alle für die Bedürfnisse der Empfänger berechnet waren. Diese einzige Stunde ließ alles Vergangene versinken, und sogar der alte Silbermann gab nach, als er von Alma überrumpelt wurde:

»Silberpapa, hast' dem Kantorgroßvater auch schon das ›Gimpelpack‹ verziehen?«

»Noch net, Goldkind Du.«

»So thu's ja gleich, nachher bekommst' auch den erst'n Kuß von mir!«

»Ist's wahr?« frug er ungläubig und dennoch sich unwillkürlich den Mund wischend.

»Ja, aber sofort mußt's thun!«

»Na, um diesen Preis verzeih' ich aller Augenblick' noch ganz andre Ding'. Hier ist die Hand, Nachbar; nun mag wirklich und von Herz'n Friede sein!«

Er empfing schmunzelnd die verheißene Belohnung. Sie war ihm ein überreicher Ersatz für das schöne Komplott, aus dem nun doch nichts werden konnte.

Keine noch so leise Erinnerung an längst vergangenes und nun vergebenes Unrecht trübte die Freude des Abends, und selbst Balzer, der sicher einer lebenslänglichen Gefängnißstrafe entgegenging, wurde ohne besondere Härte erwähnt. Als man aufbrach und Heiner sich für einige Augenblicke mit der Geliebten allein sah, meinte er:[776]

»Nun hast' das Gedicht von mir, brauchst mir aber trotzdem net zu sag'n, woher Du All's so gut gewußt hast. Ich hätt' nimmermehr gedacht, daß so viel Leid noch solch aan gutes End' nehmen könnt! Doch sag', muß ich den ersten Kuß bis zur Hochzeit aufheb'n?«

Sie lächelte ihm glücklich zu.

»Hast' in net schon auf dem Fichtler dreifach erhalt'n?«

»Das galt net mir; das war aus Mitleid für den Stieglitz.«

»Soll ich dann auch solch Mitleid hab'n mit Dir?«

»Ich bitt' gar schön darum!«

Die Bitte wurde gewährt, und diese Mildthätigkeit schien die[777] beiden Leute so in Anspruch zu nehmen, daß Papa Silbermann, der den Kantor bis an den Schlitten begleitet hatte, eine Erinnerung für nöthig hielt.

»Wo steckst' denn, Heiner?« frug er von unten herauf. »Ja, wo aane Frau ins Haus kommt, da giebt's nur eitel Säumniß und Honigkuch'n. Oder soll etwa der Nachbar auf die Gut' Nacht von Dir wart'n, bis die Pferd' angefroren sind?«[778]

Quelle:
Der Giftheiner. Eine Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl Hohenthal. In: All-Deutschland! 3. Jg. 1879. Heft 20–25. Stuttgart (1879). Nr. 49, S. 772-779.
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