III.

Beim Klapperbein

[191] Heute sollte der Schmuggelbalzer begraben werden. Der Leichenhans hatte Bahre und Sargtuch vor das Haus getragen und kehrte von da nach dem Kirchhofe zurück, um bei der Beerdigung behilflich zu sein und nach derselben die offene Grube zu verschütten. Er traf seinen Herrn und Meister, welcher nachsah, ob Alles sich im gehörigen Stande befinde. Still, wie immer, legte er die Seile und Unterlagen zurecht; der Klapperbein duldete keine überflüssige Unterhaltung, und es war daher für den schweigsamen Gehilfen ein Ereignis, als er die Frage hörte:

»Ist der Richterbauer noch nicht aufgewacht?«

»Erst seit einer Stund' ist er wieder lebendig. Ich traf die Magd, welche es mir gesagt hat.«

»Was muß doch nur mit ihm geschehen sein?«

»Das wißt Ihr noch nicht? Er hat es selbst im Schlaf ausgeredet, als der Gregorius, oder wie der Wundarzt heißt, bei ihm gewesen ist. Denkt Euch nur, er hat einen Brief vom Herrgottle wegstehlen wollen, und da hat ihn der Herrgottsengel so arg beim Schopf genommen, daß er fast zwei volle Tag' lang ohne Besinnung gewesen ist.«

»Wem hat der Brief gehört?«

»Das weiß Niemand; vielleicht gar dem Balzerludewig, denn er hat noch in der selbigen Nacht vom Herrgottsengel zweitausend Thaler geborgt bekommen, – denkt Euch nur! Es passiren jetzt ganz außerordentliche Sachen, die man gar nicht glauben könnt', wenn die Nachricht nicht grad' von der Botengustel käm', die doch bei Balzer's wohnt. Der Richter hat nämlich dem Ludewig einen gottlosen Wechsel gemacht mit dem er ihn aus dem Häusle jagen will. Der Ludewig ist aber gleich zum Herrgottle hinaufgestiegen, und der hat ihm das Geld mit einem Zettel gebracht, darauf stand geschrieben, er solle keine Angst haben und zur dringenden Noth das Geld einstweilen bezahlen, er werd's ganz sicher zurück erhalten und solle es dann wieder zum Herrgottle tragen. Was meint Ihr dazu?«

»Weiß der Richter schon davon?«

»Das kann ich nicht sagen. Er ist vor einer Stund' aufgewacht und hat sogleich die Selma zu sich gerufen, mit der es einen ganz schrecklichen Auftritt gegeben hat. Mehr konnt' ich nicht erfahren.«

Der Klapperbein nickte kurz und entfernte sich. Nachdem er kurze Zeit in seiner Wohnung zugebracht hatte, verließ er den Kirchhof und stieg zum Dorfe hernieder. Eben begannen die Glocken zu läuten, zum Zeichen, daß die Träger den Sarg aufgenommen hatten, um ihn auf der Straße, welche in mancherlei Windungen zur Höhe stieg, nach dem Gottesacker zu bringen. Außer dem Richter und seinen Hausgenossen wohnten sämmtliche Nachbarn der Beerdigung bei, daher erreichte der geheimnißvolle Mann sein einstiges Heimgut, ohne von Vielen bemerkt zu werden. Die ihn aber sahen, die verwunderten sich seines Kommens, denn seit er zwischen den Gräbern lebte, hatte ihn Niemand wieder im Dorfe gesehen. Der Knecht, welcher unter dem Hofthore stand, machte Miene, scheu vor ihm zurück zu weichen, doch hielt ihn die Frage:

»Wo ist der Bauer?« auf der Stelle fest.

»Droben in der Oberstub'!«

»Und die Tochter?«

»Sie ist bei ihm. Er hält sie gefangen.«

»Warum?«

»Sie hat den Balzer zur Ruh'stätt' begleiten wollen.«

»So soll sie gleich wieder frei sein!«

Er stieg die Treppe empor und trat ohne vorheriges Klopfen in das Zimmer. Der Richter lag im Bette; Selma saß, zum Begräbnisse angekleidet, in der Ecke; ihr Gesicht zeigte, daß sie geweint habe.

»Grüß' Gott, Richterbauer! Bist ja krank, wie ich hör'?«

»Es ist schon fast vorüber,« klang die stockende Antwort. Der Sprecher hätte alles Andere eher erwartet, als den Klapperbein bei sich zu sehen. »Heut' ist wohl der jüngste Tag, daß Du ins Dorf herabkommst?«

Statt einer Antwort wendete sich der seltene Besuch zu dem Mädchen.

»Grüß' auch Dich, Selma! Was thust im Leichenkleid hier in der Stub'?«

»Ich darf nicht mit!«

»Wer sagt's?«

»Der Vater hat's verboten!«

»So bekommst die Erlaubniß dafür von mir. Geh' gleich und schnell! Wenn Du nicht die Straß', sondern den Steig nimmst, so bist noch zur rechten Zeit beim Grab.«

Der Richter erhob sich in eine sitzende Stellung.

»Was fällt Dir ein? Willst mir wohl gar das Commando über die Dirn' wegnehmen? Sie bleibt hier!«

»Sie geht!« entschied der Klapperbein. »Der Ludewig ist ihr Schatz, und der Balzer hat es nicht an Dir verdient, daß Du ihm die letzte Lieb' verweigerst. Geh', Selma, geh'. Ich befehl' es Dir und werd' dafür sorgen, daß Du um die Folg' nicht bang' zu sein brauchst!«

»Sie bleibt!« rief Schubert noch einmal, aber zu spät. Das Mädchen war schon zur Thür hinaus.

»Laß sie fort, Frieder; es ist Deine Pflicht!«

»Meine Pflicht? Du sprichst wohl irr? Ich spring' auf und ruf' sie zurück!«

»Bleib' liegen. Ich hab' es ihr befohlen, und damit ist's genug! Was spielst für einen Trumpf gegen den Ludewig? Weißt's gewiß, daß Du die Kart' gewinnen wirst?«

»Die Sach' geht Dich nichts an! Kommst etwa ihretwegen zu mir?«

»Auch mit! Der Leichenhans hat mir vorhin davon erzählt. Was ist's mit dem Wechselbrief?«

»Nichts ist's. Ich hab' dem Balzer ohne Unterschrift geliehen und darauf noch vor seinem Tod den Brief von ihm erhalten. Soll ich das Geld etwa einbüßen?«

»So! Erst beklagst Dich, daß der Pachtzins nicht zu erschwingen sei, und jetzt gestehst, daß Du Tausende verborgst. Welchen Reim werd' ich mir wohl drauf machen?«

»Keinen! Die Angelegenheit ist mein; Dich geht sie gar nichts an.«

»Denkst wirklich? Ich bin der andern Meinung! Das Gut ist Erb- und Lehngericht, und meine Voreltern haben seit Menschengedenken darauf gesessen und Recht und Gerechtigkeit geübt zur Ehre des ganzen Geschlechts und zur Zufriedenheit aller Nachbarn im Ort. Als ich Dir den verschwiegenen Pacht übergab, bin ich der Meinung gewesen, daß Du das Amt so treu und gut verwalten werdest, wie sie es thaten. Dann, und wenn Du Dein Gelöbniß von wegen der Bertha halten werdest, soll –«

»Schweig'!« rief Schubert, indem er, wie von einer unsichtbaren Hand gepackt, vom Lager emporfuhr. »Ich mag den Namen nicht hören. Er ist mir zuwider, er fährt mir durch die Seel' wie Gift und Opperment!«

»Hast sie also auch noch nicht überwunden, die fürchterliche Geschicht'? Also, wenn du gut verwaltest und das gelobte Schweigen hältst, sollte der Hof nach meinem Tod Dein Eigenthum werden. Geschwiegen hast bisher, aber das Andere ist nicht eingetroffen. Du bist ein harter, stolzer Mann geworden, dem die Noth seiner Mitbrüder und das Wohl der Gemeind' gar wenig am Herzen liegt. Meine guten Wort' hast in den Wind geschlagen, und meine Drohung achtest nicht. Von Tag zu Tag fast hört man Neues, was Du gethan, aber lobenswerth ist's nimmer. Die Felder verstehst zu bewirthschaften, das ist wahr, aber für das Amt bist nimmermehr zufrieden gestaltet. Soll ich Dir's nehmen?«

»Schau doch, Anton, wie vortrefflich der Kirchhof zum Studiren ist! Ich glaub' nicht, daß der Hofprediger eine so kluge und schöne Red' zusammenbringt, wie die Deinige ist; doch wenn ich den Text hören will, so geh' ich in die Kirch' und hab' Dich dazu nicht von Nöthen. Glaub' nur nicht, daß ich mich[191] gegen Dich vertheidigen werd', da müßte schon ein Anderer kommen, sondern ich sag' Dir nur so viel, daß Du mir weder das Gut, noch das Amt zu nehmen vermagst. Das Schreiben, welches Du mir damals gegeben hast, ist mir die beste Sicherheit.«

»Darüber soll auch noch gesprochen werden. Jetzt hab' ich erst ein Geschäft mit Dir zu machen.«

»Ein Geschäft? Welches?«

»Ich will nicht fragen, ob Du dem Balzer die zweitausend Thaler wirklich geborgt hast, aber das möcht' ich gern wissen, wer jetzt den Wechselbrief hat. Liegt er beim Advocat?«

»Nein. Der Notar war nicht zu treffen; ich hab' den Brief also wieder mit nach Haus' genommen. Dann – dann kam die Schwäch', an der ich niederlieg', so daß ich nicht wieder in die Stadt gekommen bin.«

»Den Grund zu Deiner Schwäch' kennt Jedermann im Dorf. Der Herrgottsengel hat mit seinem Schlag die Gefährlichkeit des Briefes zernichtet; nun gilt derselbige nur noch als einfache Schuldverschreibung, und Du selbst hast Dich um die Freud' gebracht, den Ludewig auspfänden zu können. Ich will Dir die Schuld abkaufen!«

»Ich verkauf' sie nicht. Wer weiß, wenn Du sie zahlst; vielleicht soll ich's vom Pacht abzieh'n.«

»Ich zahl' sie gleich.«

»Auch dann verkauf' ich sie nicht. Es ist wahr, ich hab' die Wechselzeit verschlafen, aber die Schuld bleibt doch, und ich brauch' sie gegen den Schmuggelbalzersbub', mit dem ich ein Hühnchen zu rupfen hab' von wegen seiner Herrgottspost und daß er verrathen hat, warum ich krank und lägrig bin.«

»Er hat nichts verrathen, sondern Du selbst hast's im Fieber dem Chirurgus erzählt, und so ist's im Dorf herumgekommen. Der Ludewig ist ein Bursch, gegen den Keiner das Geringste zu sagen vermag; Du hast ihn bei der Selma gelitten; nun aber soll's auf einmal alle sein, und Du willst ihm sogar noch gefährlich werden? Das ist ein grundloser und böser Streich, den ich nimmer leiden werd'. Verkaufst Du mir die Schuld oder nicht?«

»Nein. Ich behalt' sie selber!«

»Gut, so nehm' ich meinen Richterhof zurück!«

»Das wirst schon bleiben lassen« lachte Schubert.

»Warum?«

»Von wegen der Unterschrift, die Du mir damals gegeben hast.«

»Die ist mir nicht mehr fürchterlich. Ich hab' die Bertha hinunter in –«

»Hältst den Mund oder nicht?« rief der Richter und stand mit einem Sprunge vor ihm. Die Arme bogen sich zusammen, und zwischen den emporgehobenen und geballten Fäusten stierte ein vor Wuth und Angst verzerrtes Gesicht dem Sprecher entgegen. »Ich hab' Dir verboten, den Namen zu sprechen. Sagst Du ihn wieder, so fliegst zur Thür hinaus, so lang und groß Du bist!«

»Bist ja heut' ein rechter Hercules, Frieder! Aber leg' Dich nur wieder zur Ruh'; ich werd' den Namen verschweigen; er muß mir noch weher thun, als Dir, denn ich bin es gewesen, der sie hinunter gestürzt hat in den Schacht, und Du hast's bloß verschwiegen. Aber darum bist ja eben der Mitschuldige und mußt ruhig sein, sonst wirst auch mit bestraft. Dazu kommt noch, daß ich es nicht mit Absicht verbrochen hab' und daß so viele Jahr' darüber hingegangen sind. Deine Anzeig' hätt' also vielleicht gar nicht die Kraft, die Du ihr immer zugeschrieben hast. Ich hab' sie sehr gefürchtet, jetzt aber ist mir nicht mehr bange vor ihr, denn die Straf' kann unmöglich so groß sein, wie die Qual, die mir der innere Vorwurf stets bereitet hat. Da, schau mich an! Was war ich für ein starker, kraftgewaltiger Bursch, und jetzt – jetzt bin ich ein Geripp', jetzt seh' ich wie der leibhaftige Tod, jetzt nennt man mich den – Klapperbein. So hat die Kummerkrankheit an mir genagt, so hat sie ein Stück nach dem anderen von meinem Leib und von meiner Seel' herabgerissen, bis bloß noch die Kirchhofsscheuch' verblieben ist!«

»Da bist nur selber schuld! Der Vorwurf ist eine dumme Angewohnheit, durch die nur Alles schlimmer, aber nichts besser werden kann, und ein kluger Mann weiß sich vor ihr ganz schön zu hüten. Nur ein Narr wird sich selbst für das bestrafen, was er gethan hat. Geh', Anton, Du bist ein solcher Narr! Du hast Dich von den Menschen verbannt und das Gut von Dir gegeben. Glaubst wirklich, daß Du wieder zu ihnen darfst, oder daß Du den Hof wiederbekommst?«

»Ich glaub's und werd' es Dir beweisen. Du hast Deine Versprechung nicht gehalten, d'rum nehm' ich Dir den Pacht. Mach' Dich bereit; zum Montag zieht ein neuer Bauer ein!«

»Ein neuer Bauer? Wer soll's denn sein? Doch nicht Du selber?«

»Nein! Ich hab' meinen Platz auf dem Gottesacker; den werd' ich nicht vertauschen. Der Ludewig ist's.«

»Der Ludewig? Hat Dich der innere Vorwurf gar endlich noch verrückt gemacht? Der Schmuggelludewig soll Richterbauer werden? Geh' doch ins Narrenhaus, aber zu mir gehörst nun nicht mehr länger!«

»Der Nam', den Du ihm giebst, zielt nicht auf ihn, sondern nur auf seinen Vater, und der hat ihn nur Dir zu verdanken gehabt. Du hast mit vollem Rechte der Schmuggelfrieder geheißen und bist dennoch Richterbauer geworden; warum soll's dem wackeren Burschen nicht auch und noch leichter gelingen?«

»Er mag's versuchen! Und gar zum Montag schon! Woher willst denn eigentlich das Recht nehmen, mich ohne Kündigung hinaus zu jagen?«

»So steht's geschrieben in der Verzeichnung, die Du mir für meine Schrift gegeben hast.«

»Das ist nicht wahr; das ist die größte Lüg', die Du Dir ersinnen kannst!«

Sein Auge glitt bei diesem Ausrufe mit lauerndem Ausdrucke über das entschlossene Gesicht des Anderen.

»Das ist keine Lüg', sondern die Wahrheit! Wenn Du vergessen hast, was damals geschrieben worden ist, so will ich Dir das Papier zeigen. Ich hab's mitgebracht, weil ich mir schon denken konnt', daß Du den Einwand machen werdest.«

»Zeig' her! Ich glaub's nicht eher, als bis ich's mit eigenen Augen seh'.«

»Hier hast's. Lies nur genau, so wirst's bald finden!«

Er zog einen sorgfältig eingeschlagenen Bogen aus der Tasche, befreite ihn langsam von seiner Umhüllung und gab ihn mit siegesgewissem Lächeln hin. Mit einer hastigen Bewegung ergriff ihn Schubert, warf einen Blick darauf und stieß dann ein höhnisches, schadenfrohes Lachen aus.

»Lesen? Nein, lesen werd' ich den Contract nicht; ich seh' schon, daß er's ist, und weiß auch ganz genau, was ich geschrieben und unterzeichnet hab'. Aber etwa Anderes werd' ich mit ihm thun. Da schau her!«

Er riß den Bogen in kleine Stücke und verbarg die selben unter die Decke seines Lagers.[192]

»O Du Wunder von Klugheit und Listigkeit, konntest Dir denn nicht denken, warum ich das Papier hab' sehen wollen?« sagte Schubert mit boshaften Lächeln. »So lang' Du's in den Händen hattest, war der Hof Dein, und ich mußte ihn hergeben an jedem Augenblicke, wenn Du ihn zurück begehrtest. Drum hab' ich gesonnen Tag und Nacht, wie ich's wiederbekommen könnt'; aber all mein Denken ist vergebens gewesen. Nun hast mir's so zuvorkommend selbst gebracht, hast mich zum richtigen Richterbauer gemacht, dem Niemand mehr den Hof zu nehmen vermag, und darum sollst zum Montag auch die Einzugsred' halten dürfen, wenn der Schmuggelbalzersludewig den Willkommen hält!«[204]

Der Klapperbein hatte nicht die geringste Miene gemacht, die Vernichtung des Papieres zu verhindern. Er lächelte jetzt noch ebenso siegesgewiß wie zuvor, als er antwortete:

»O Du Wunder von Bosheit und Niederträchtigkeit, konntest Dir denn nicht denken, warum ich Dir das Papier so gern gegeben hab'? Es war die letzte Prüfung, die ich mit Dir vorgenommen hab'; Du hast sie nicht bestanden und sollst darum wieder der Schmuggelfrieder sein. Womit willst Du denn beweisen, daß das Gut Dein Eigen ist und daß ich Dir's geschenkt hab'?«

»Ich hab's ja Allen auf Dein Geheiß so sagen müssen und das ganze Dorf weiß es von Anbeginn nicht anders. Womit willst's beweisen, daß es nicht so ist?«

»Ich hab's vom Vater ererbt, das weiß Jedermann, und aus meinem Mund hat noch nie ein Mensch vernommen, daß ich Dir's zum Geschenk gegeben hab'.«[205]

»Ich werd's beschwören! Und außerdem hab' ich die Unterschrift, daß Du der Mörder bist. Versuch's doch, mich zu vertreiben!«

»Das werd' ich nicht nur versuchen, sondern gewiß und wirklich thun! Hörst, wie die große Glock' neunmal anschlägt? Das ist das Zeichen vom heiligen Vaterunser. Jetzt wird der Balzer in die Erd' gesenkt; und der Pfarrer betet über seiner Leich'. Ich weiß nicht, was Du in seiner letzten Stund' mit ihm vorgenommen hast, aber sein Verführer und Mörder bist gewesen, und er wird Dich in der Ewigkeit verklagen. Ich hingegen hab's nicht nöthig, bis auch dahin zu warten, sondern werd' schon gleich jetzt das Gericht mit Dir beginnen. Deine Verschreibung hast mir zerrissen; gieb nun auch die meinige heraus!«

»Geh' fort, und laß Dich nicht länger auslachen!«

»Gieb sie heraus!«

»Du bekommst sie nicht!«

»So nehm' ich sie mir selber!«

»Weißt so genau, wo sie liegt?« lachte er.

»Sehr genau!«

»So hat Dir's wohl davon geträumt? Oder bist vielleicht gar hinauf zum Herrgottle gegangen und hast gefragt?«

»Schubertfrieder, Dein Hohn trifft grad' die richtige Stell'! Ja, vom Herrgottle hab' ich's erfahren, und dem hat's der Ludewig in seinem Brief erzählt. Er hat gesehen, wo der Wechsel lag, und dort wird wohl auch das Andere zu finden sein. Die Schlechtigkeit ist sich nur immer selbst zum Schaden. Paß auf, wohin ich greifen werd'!«

Er trat an die Wand und streckte die Hand nach dem Schränkchen aus. Im Augenblicke stand der Richter an seiner Seite.

»Wag's, Spitzbub', Dich an meinem Eigenthum zu vergreifen!«

»Ich darf's thun, denn Du hast mir das meinige vernichtet!«

»Nimm die Hand vom Kasten fort, sonst schlag' ich Dich nieder und laß Dich nachher einschließen. Was Du versuchst, ist nicht nur Diebstahl, sondern gar der gewaltsame Raub!«

»Die Schrift ist nicht mehr Dein Eigenthum, sondern das meinige; drum nehm' ich sie. Geh' fort, sonst bekommst den Herrgottsengelhieb zum zweiten Mal!«

»Meinst, daß Du ihn zusammenbringst?« fragte er, nach ihm fassend.

»Merk's selbst!« lautete die Antwort, und mit ihr zugleich fiel die Faust des Sprechers auf den Kopf Schubert's nieder.

Der Getroffene sank lautlos zur Erde. Vermochte der Klapperbein noch jetzt eine solche Hand zu führen, so mußte er in seinen besseren Jahren ein wahrer Riese gewesen sein. Unbekümmert um den am Boden Liegenden zog er den Schrank aus der Wand und untersuchte die Vertiefung. Sie enthielt jetzt nur drei ineinander gesteckte Papiere. Das erste war der Wechsel; er legte ihn an den Ort zurück. Das zweite war das Gesuchte; es enthielt das Bekenntniß, daß er Bertha Schubert, die Todtengräberstochter, in den Schacht gestürzt habe; er steckte es zu sich. Nun warf er einen Blick auf das dritte; es war dasjenige, welches der Schmuggelbalzer dem Richter zurückgegeben hatte. Kaum hatte sein Auge die ersten Zeilen entziffert, so trat er mit einem Ausrufe des höchsten Erstaunens zu dem am Fenster stehenden Tische, wo er die vergilbten Schriftzüge besser zu erkennen vermochte.

»Herr mein Heiland, was ist das? Steht das wirklich hier geschrieben, oder ist's nur ein Traum, den ich hab'?«

Mit sichtlicher Gier verschlang er förmlich ein Wort nach dem andern; seine Augen öffneten sich weit und weiter; seine hohlen, bleichgrauen Wangen färbten sich roth und immer röther; sein Athem ging fliegend; seine buchstabirenden Lippen bebten; sein Angesicht strahlte hell und heller, als enthalte jede einzelne Silbe ein Himmelreich für ihn, und als er das Ende erreicht hatte, preßte er das alte, vielbeschmutzte Papier mit sprachloser Inbrunst an die Brust; seine lallende Zunge suchte vergebens nach einem verständlichen Laute, und es ging eine Aufregung durch seinen über den Tisch sinkenden Körper, die sich endlich in einem erschütternden, convulsivischen Weinen Luft machte.

So lag er lange, lange Zeit. Da regte es sich leise hinter ihm; er bemerkte es nicht. Der Schlag war doch nicht so kräftig gewesen wie derjenige des Herrgottsengels droben auf der Halde: der Richter kam wieder zu sich. Er öffnete die Augen, blickte verwundert und nachsinnend um sich und sah den weinenden Mann über die Platte des Tisches gebeugt. Dieser Anblick brachte ihm das Bewußtsein der gegenwärtigen Lage zurück. Er erhob sich vorsichtig und trat leise hinter den Schluchzenden. Einen Blick auf das Papier werfend, hatte er es im nächsten Augenblicke ergriffen und machte Miene, es zu zerreißen wie das vorhergehende. Er kam nicht dazu. Der Beraubte drehte sich blitzschnell ihm zu und ergriff seine Hände mit solchem Drucke, daß er die Schrift mit einem Schmerzensrufe fallen ließ; sofort hatte der Klapperbein sie aufgehoben und in die Tasche verborgen.

»Halt, Schubertfrieder, solch' einen Schatz laß ich mir nimmer rauben! Also darum kannst den Namen Bertha nicht erhören, weil Du ihr – –«

»Bist still jetzt auf der Stell', oder ich – –«

»Thu' nicht so grausam mächtig, Schwestermörder; der Stachel ist Dir genommen! Du bist der Geier, dem seine Krall' verschnitten ist, und wirst jetzt Rechenschaft ablegen, hörst, jetzt sogleich!«

»Rechenschaft? Dir etwa?« grollte es halb wüthend, halb furchtsam aus dem Munde Schubert's hervor.

»Ja, mir! Oder meinst etwa, daß ich Dich nicht bezwingen kann? Denselben Spieß, den Du bisher gegen mich gerichtet hast, kehr' ich um gegen Dich, und wehe Dir, wenn Du Dich nicht freiwillig unterwirfst! Ich nehm' die fürchterliche That, die bisher auf meiner Seel' gelastet hat, von ihr herunter und werf' sie auf die Deinige. Schmuggelfrieder, Du hast die Bertha –«

»Halt' ein, und laß den Namen fort, sonst sollst mich kennen lernen!«

»Da kommst zu spät; ich kenn' Dich schon genug und bin nicht mehr bang' vor Dir. Du hast die Bertha, hörst wohl, die Bertha, die Bertha« – er faßte ihn mit mächtigem Griffe bei den Schultern, hielt ihn fest, daß er sich fast nicht zu rühren vermochte, und rief ihm das Wort langsam und mit schwerer Betonung in das Gesicht – »Du mußt's hören, und wenn die Angst Dir die Augen aus dem Kopf hinaus treibt, die Bertha hast ermordet, die Deine eigne Schwester war! Hier in meiner Brusttasch' steht's geschrieben, ausführlich und genau, und Du hast es dem Schmuggelbalzer unterzeichnen müssen, grad' so, wie Du's von mir erzwungen hast. Bist etwa feig genug, es zu leugnen?«

»Laß los, Anton, und bring' das Wort nicht wieder, so bin ich vielleicht zum Reden bereit!«

»Zu reden brauchst nicht viel; ich hab' genug gelesen. Du bist ein Schaudermensch, daß man Dich flieh'n und meiden möcht' wie Teufelsspuk. Du hast mich belogen und betrogen, hast mich in Ketten und Banden geschlagen, hast mir mein Herz vergiftet und die Sonn' meines Lebens ausgelöscht. Deine Schuld hast auf mich gelegt und damit Schacher und Wucher getrieben bis auf den heutigen Tag; aber Dein schändlich' Thun hat um Rach' empor geschrieen zum Himmel, und der Herrgott hat darein geschaut und Dich nun endlich unter sein Scheermesser genommen. Grad' da, als Du am sichersten warst und dem einzigen Zeugen noch im Tod betrügen wolltest, da hast Dich selbst betrogen und der Straf' grad' in die Hand gearbeitet. Nun ist die Lüg' entdeckt, die Ketten sind zerrissen, mein Herz wird wieder heil, und die Tag', die ich noch zu leben hab', sie dürfen hell und freundlich sein. Es giebt einen Richter, der im Verborgenen waltet und aller menschlichen Berechnung lacht; ihm bist verfallen, und bis er sein Urtheil spricht, hat er Dich einstweilen in meine Hand gegeben. Was meinst, daß ich mit Dir thu'?«

Der Gefragte schwieg; er blickte starr und unentschlossen vor sich nieder. Es entstand eine Pause, und dann klang es merklich milder:

»Schubertfrieder, Du hast den Richterbauers-Anton zum Klapperbein gemacht; benutz' die Freud', die er in diesem Augenblick empfindet, sonst find'st Du kein Erbarmen! Warum hast Du die That begangen?«

»Ich hab' sie nicht begangen, denn ich hab' sie nicht gewollt, sondern der Stoß, welcher die – der Stoß galt einem Anderen,« lautete die zögernde Entschuldigung. Der harte, gewissenlose[206] Mann hatte mit seinem verstörten Angesichte jetzt Aehnlichkeit mit einem wilden Thiere, welches sich mit ohnmächtigen Grimme gegen einen überlegenen Gegner sträubt. Er suchte in seinem Innern nach einer Waffe; sein Sinnen schien vergebens zu sein.

»Einem Anderen? Ah, jetzt wird's vollends licht in mir; dieser Andere war ich! Ist's so richtig?«

Es dauerte eine Weile, ehe die Antwort kam. Ein eigenthümlich lauernder Zug glitt über das Gesicht Schubert's. Er hatte die Waffe doch noch gefunden.

»Wär's ein Wunder, Anton? Denk' nach, was Du mir stets zu Schad' gewesen bist!«

»Ein Wunder – nein, bei Dir ist's keins! Die Zech' gehört zum Richterhof, und da wir uns nicht nehmen sollten, so hatten wir da oben unser Stelldichein. Drum mußt' ich Euch und Eure Niederlag' aus dem Schacht vertreiben, damit wir nicht verrathen würden. Das hat mir die Pascher zum Feind gemacht, und sie sind gar einmal über mich hergefallen, so daß ich nur mit großer Noth davongekommen bin. Den Einen hab' ich dabei mit dem Messer niedergestochen; ich konnt' nicht anders. Du lagst damals krank darnieder, und ich wußt' noch nicht, daß Du zu ihnen gehörtest, sonst hätt' ich Euch vielleicht doch noch gelitten.«

»Ich war der Anführer und lag nur zum Schein. Es galt ein großes Geschäft, und ich wollt' den Verdacht von mir fortlenken. Nachher aber wurde aus dem Schein die Wirklichkeit, denn der, den Du gestochen hast, bin ich gewesen.«

»Du? So ist der Stoß, der mir gegolten hat, aus Rach' und Vergeltung geschehen?«

»Vielleicht mit. Es kam noch ein Anderes dazu. Wir wollten aus der Zech' fortziehen und unsere Vorräth' wegschaffen. Das Bret war von dem Loch fort auf die Seit' gelegt; die Männer befanden sich unten, und ich und der Balzer hielten die Strickleitern. Da kamst Du mit – mit – – mit dem Mädchen.«

»Ist's so gewesen? Ich hatt' sie hinauf bestellt, um sie zu bitten, heimlich mit mir nach Amerika zu gehen, weil wir uns hier nicht haben konnten. Sie aber war zu brav und hat nicht eingewilliget. All' mein Zureden war vergeblich. Da ist mir um ihren Besitz gar bang' geworden, und ich hab' ihr gedroht, sie in den Schacht zu stoßen, wenn sie nicht mitgeht. Gott ist mein Zeug', ich hätt's nimmermehr gethan! Ich hab' sie bloß zur Zusag' bewegen wollen und nicht geahnt, daß das Mundloch offen sei; es war ganz finster in dem Zechenhäusle. Ich rang zum Schein mit ihr und trieb sie näher an das Loch, in das sie doch nicht fallen konnt'.«

»Ich hab' gemeint, Du thust's im Ernst, bin still herangeschlichen und hab' nach Dir gestoßen.«

»Schubertfrieder, es ist genug. Denken muß ich an diese schreckliche Stund' zu aller Zeit, an jedem Augenblick, aber von ihr reden, das kann ich nicht weiter! Ich trieb ein frevles Spiel, und Du – Du hast ihren Tod nicht gewollt, bist aber doch der Mörder, der meinige und der ihrige. Ich möcht' es Dir nicht anrechnen; aber was Du dann weiter an mir verbrochen hast, das ist unerhört, das kann ich Dir nicht vergeben, das ist der langsame und tausendfache Mord an Leib und Seel'! Ich hab' mich Dir und Du hast Dich dem Balzer verschreiben müssen, und dann bist zwischen uns Beiden gestanden und hast uns betrogen um Güter, die höher sind als Leib und Leben oder Hab' und Gut. Mir vermagst nichts wieder zu erstatten, aber die Sünd' an ihm, die versuch' an seinem Sohn zu sühnen. Gieb ihm den Wechselbrief zurück! Ich weiß nun sicher, daß er falsch ist.«

»Wenn Du mir den Hof lässest!«

»Das kann ich nicht! Ich hab' Dir schon gesagt, warum. Aber Du bist der Bruder von – sei still, ich sag' den Namen nicht! – von ihr, und darum will ich lind mit Dir verfahren. Du giebst ihm die Selma, und von mir erhält er grad' so wie Du den Hof in Pacht. Nach meinem Tod ist er dann sein Eigenthum. Ich hab' keinen Erben und kann ohne Vorwurf so handeln. Willst?«

»Was sagen die Leut' dazu?«

»Es erfährt Keiner die eigentliche Sach'!«

»Anton, es kommt mir zu schnell; ich muß erst überlegen. Gieb mir die Zeit dazu!«

»Die sollst haben, obgleich es nicht nothwendig ist. Heut' über eine Woch' bin ich des Abends wieder hier bei Dir. Besinn' Dich gut; es hängt gar viel an einem Faden!«

»So gieb die Unterschrift heraus; sie soll vernichtet sein!«

»Die brauch' ich zur Sicherheit, und den Wechsel auch. Zeig' ihn her!«

»Er liegt bis dahin gut!«

»Bei mir noch besser! Gehst auf den Vorschlag ein, so wird die Schrift zerrissen, aber keine Minut' eher, als zur Hochzeit und wenn der Hof dem Ludewig übergeben ist. Thust nicht mit, so geht sie ans Gericht; dann wirst wohl seh'n, was weiter kommt. Also heraus mit dem Wechselbrief!«

Der Richter trat grollend an die Mauervertiefung und nahm das Document heraus.

»Hier hast ihn! Du bist der Stein, an dem die Bitt' zerschellt.«

»Blick' in Dein eignes Herz! Es ist von noch viel härterem Gefüg' als das meinige. Schau, da geh'n die Trauerleut' vom Kirchhof zurück. Denk' d'ran, wie bald sie auch Dich hinausgeleiten können, und trag's der Selma nicht nach, daß sie mitgewesen ist!«

»Ich will jetzt nichts mehr sagen. Der Kopf brennt mir wie glühend Eisen, und den Hieb, Anton, den kann ich Dir nur schwer vergessen. Wenn ich mich leg' und nimmermehr ersteh', so bist Du schuld daran!«

»Hast ihn verdient, Frieder, und wirst nicht daran sterben. Hast ja schon mehr als das mit Leichtigkeit auf Dich genommen!«

Er ging. Schubert trat zum Fenster und blickte ihm finster nach, bis er ihn droben hinter dem Gitter verschwinden sah.

»Welch' eine Stund'!« seufzte er tief auf. »Ich hab' das Gesetzbuch und weiß, daß ich mit dem Hof nichts gegen ihn vermag, und er läßt sich durch keine Red' verschüchtern. Wenn ich nur wüßt', warum er den Pacht verschwiegen hat und warum er für arm gelten will! Vielleicht ist er gar der Herrgottsengel. Er weiß Alles, was der Ludewig geschrieben hat, und der Hieb, es ist ganz derselbige, welcher vor Zeiten den Vetterbauersfranz, nachher den Knecht und endlich auch mich beim Kreuzle niedergestreckt hat. So einen Schlag kann nur der Anton thun, das weiß ich ganz genau von jungen Jahren her.«

Er öffnete die Thür und rief die Tochter herbei. Sie gehorchte mit Bangigkeit, weil sie die Folgen ihres Ungehorsams fürchtete.

»Schickst heut' dem Klapperbein das Essen, oder gehst selbst hinauf?«

»Warum sollt' ich es ihm schicken? Er mag einen anderen Boten nicht leiden!«

»Ich dacht', weil Du vielleicht im Sterbehaus von Nöthen bist.«

Sie blickte überrascht zu ihm empor.

»Darf ich denn hinüber?«

»Ich hab' nichts dagegen. Sag' dem Klapperbein, er soll um Zwölf heut' bei mir sein, ich hätt' ihm Wichtiges mitzutheilen!«

Sie entfernte sich, froh, das grade Gegentheil ihrer Befürchtungen erfahren zu haben, und mußte unwillkürlich an die Worte des alten, geheimnißvollen Freundes denken: »Der Klapperbein hat Trost und Hilf' für Dich, wenn Du einmal eines mächtigen Beistandes von Nöthen bist.« Hätte sie jetzt das Gesicht ihres Vaters gesehen, so wäre ihre Freude wohl eine minder große gewesen.

»Da hab' ich Glück und Seligkeit bereitet,« lachte er in sich hinein, »und damit den schlauen Zug begonnen! Die Kirchhofsscheuch' legt meine Schrift und den Wechsel sicher nirgends wo anders hin, als in die Leichensparbüchs', die ich erlauscht hab'. Ich schieb' den Riegel vor und steig' zum Fenster hinab; meine Botschaft bringt ihn vom Gottesacker fort, und während er an der verschlossenen Thür denkt, ich lieg' im tiefen Schlaf, räum' ich den ganzen Schatz hinweg. So bekomm' ich die Schrift, den Wechselbrief und meinen ganzen Pacht zurück, und dann, Klapperbein, dann werd' ich anders mit Dir sprechen, als heut', wo mir die Klugheit rieth, klein nachzugeben. Der Richterbauer[207] ist nicht so leicht zu überwinden; er braucht kein Kreuzle und keinen Herrgottsengel und weiß sich selbst den allerbesten Rath! Und wer weiß, was gar noch geschieht, wenn der Todtenhäusler das leere Nest bemerkt! Der Schreck ist ein mächtiger Gesell und hat schon Manchen niedergeworfen, der stark und rüstig war. Das wär' der beste Schluß für unser Stück und der schönste Lohn für seine Mahnung, ich soll' d'ran denken, daß sie auch mich bald einscharren werden!«[208]

Mit erleichtertem Herzen bereitete Selma das Abendbrod und stieg dann ihren täglichen Weg zum Kirchhofe empor. Der Leichenhans war noch beschäftigt, das Grab Balzer's auszufüllen.

»Grüß Gott, Jungfer Selma! Bringst das Deputat für den Herrn?«

»Ja. Ist er daheim?«

»Wo sollt' er sein? Er kommt ja gar nie fort, und es ist das größte Mirakel, daß er heut' einmal ausgewesen ist. Was mag ihn doch nur weggeführt haben?«

»Er war beim Vater.«

»Bei dem Deinigen? Da muß es etwas ganz Absonderliches gegeben haben, denn als er zurückkam, hab' ich ihn kaum wieder erkannt. Er hat ein Gesicht gemacht, wie ein jung' Bursch' von zwanzig Jahren, der von der Liebsten kommt, ist bei mir eine ganze lange Zeit im Gespräch gestanden, und dann hab' ich ihn gar ein lustig Stücklein trällern hören, was grad' unerhört zu nennen ist. Geh' zum Winkel; er ist darin!«

Als sie die Büsche erreichte, vernahm sie ein lautes, jubilirendes Reden. Sie konnte die einzelnen Worte nicht unterscheiden, da die Töne aus der Tiefe kamen. Der Klapperbein erzählte seiner Todten von dem Glücke, sich nicht länger als ihren Mörder anklagen zu müssen. Er vernahm den Ruf des Mädchens erst nach einer Wiederholung desselben und kam dann hervor.

»Bist's, Selma?« fragte er. »Hast Zank erhalten für den Begräbnißgang?«

»Nein. Der Vater hat sogar gesagt, ich soll am Abend zu Balzer's geh' n.«

»Das hör' ich gern. Gieb her den Korb!«

»Weißt auch etwas von der Wechselgeschicht'?« erkundigte er sich, als er wieder aus dem Hause trat.

»Ich weiß Alles.«

»Wie wird es enden?«

»Ich kann es nicht sagen; aber der Ludewig hat vom Herrgottsengel das Geld erhalten, das er zur Noth bezahlen soll.«

»Er wird's nicht brauchen, sag' ihm das; ich weiß es ganz genau. Und Eins will ich Dich fragen: Was giebst mir, wenn er der Richterbauer wird und Du die Bäuerin?«

»Das – das ist – – unmöglich!« wollte sie ausrufen, aber der Klapperbein war lachend schon hinter der Hausthür verschwunden.

Seine Frage nahm ihre Gedanken so in Anspruch, daß sie den Auftrag des Vaters auszurichten vergaß und sich beeilte, recht bald zu dem Geliebten zu kommen.

Sie fand ihn und seine Mutter in Gesellschaft der Botengustel, welche herbeigestiegen war, um den Leidtragenden ihre Theilnahme zu beweisen. Im Laufe des Gespräches berichtete sie von der unerwarteten Nachgiebigkeit ihres Vaters und den seltsamen Worten des Todtenhäuslers.

»Ich glaub' selber auch, daß ich das Geld nicht brauch',« meinte Ludwig. »Der Wechselbrief hat seine Kraft verloren, und für den Nothfall ist's doch nur gewesen. Es brennt mir in den Händen, und d'rum werd' ich mich heut' beim Kreuzle bedanken und zugleich anfragen, was mit der Summe nun werden soll. Ein solches Geld darf ich doch nicht so leichtsinnig in den[222] Briefkasten thun; es könnte ja gar der Unrichtige darüber kommen. Gehst mit hinauf, Selma?«

»Ja, doch muß ich zuvor sehen, was der Vater macht.«

»So geh'; unterdessen werd' ich den Brief beginnen!«

Sie fand die Thür zu dem Zimmer des Richters von innen verriegelt, auch brannte kein Licht. Jedenfalls schlief er also, und so konnte sie den Gang unternehmen. Als sie, das warme Tuch zum Ausgehen um den Kopf geschlungen, wieder bei Balzer's eintrat, betheuerte die Botengustel:

»Bist doch die Bertha, wie sie leibt und lebt! Grad' so, mit übergeschlagenem Tuch, kam sie des Abends zu mir, um den Richterbauers-Anton zu treffen. Du hast ihre Gestalt und auch dasselbe Gesicht, und wenn ich Dich so steh'n seh', denk' ich nicht anders, als: es muß die Bertha sein!«

Mit verschämtem Lächeln nahm sie das Compliment hin; sie wußte, die Tante war ein schönes Mädchen gewesen, das schönste für lange Zeit im ganzen Dorfe.

Unter traulich ernstem Gespräche stiegen die beiden jungen Leute den Berg empor und erreichten die Halde eben, als es Zwölf schlug. Diese Stundenzahl erinnerte Selma an den vergessenen Auftrag. Sie erschrak.

»Zwölf ist's? Ich soll den Klapperbein für diese Zeit zum Vater bitten und hab' nicht daran gedacht! Was thu' ich, Ludewig?«

»Für jetzt um Mitternacht? Das däucht mir fremd! Aber die Botschaft muß ausgerichtet werden. Wir geh'n jetzt gleich hinab!«

Der Briefkasten am Kreuz war schon aufgeschlossen. Ludwig legte seinen Brief hinein und steckte die Laterne in Brand. Dann eilten sie zum Kirchhofe hinab. Sie fanden das Gitterthor nur angelehnt, doch hielten sie sich nicht mit Betrachtungen darüber auf. Die Scheu, mit welcher man einen solchen Ort zu solcher Stunde betritt, ließ sie unwillkürlich leiser auftreten.

»Schau durch den Laden, Ludewig, ob noch Licht ist in der Stub'!«

»Es ist keins darin.«

»So schläft er schon. Die Kammer ist hinten an der Mauer. Wir müssen um die Eck' herum und an das Fenster klopfen!«

Das schon sonst nicht furchtsame und durch die Gegenwart des Geliebten noch mehr ermuthigte Mädchen trat ihm voran zu den Büschen. Sie schlüpften hindurch. Nur einige Schritte vor ihnen drang ein heller Lichtschein aus der Erde empor, und es war doch wohl ein kleines Erschrecken, mit welchem sich Selma an Ludewig schmiegte.

»Er ist in seinem Grab, das er sich neben der Bertha gemacht hat,« flüsterte dieser. »Ich werd' einmal hinabschauen!«

Er trat leise an den Rand der Grube, um hinunter zu blicken, wich aber sofort und fast erschrocken wieder zurück.

»Weißt, wer's ist, Selma?«

»Doch der Klapperbein!«

»Nein. Dein Vater ist's!«

»Mein Vater? Das ist nicht möglich! Was sollt' der hier im Grab zu suchen haben? Du hast Dich versehen!«

»Nein. Paß auf, er kommt herauf.«

Der helle Schein verschwand; das Licht war ausgelöscht worden. Aber das Firmament stand voller Sterne, und der Mond blickte voll und groß vom Himmel nieder; man konnte jede einzelne der Blumen erkennen, welche das Grab der im Schacht Zerschmetterten schmückten. Es war ein tiefes, angestrengtes Stöhnen zu vernehmen; ein schwerer Kasten wurde aus der Grube gehoben, der dann eine breite, kräftige Gestalt entstieg. Es war der Richter. Er hatte trotz der Schrecken, welche grad' dieses Grab für ihn haben mußte, die Ausführung seines finsteren Planes unternommen; aber es war ihm doch beinahe über seine Kräfte gegangen. Wie von bösen Geistern gehetzt, blickte er mit stieren Augen und verzerrten Zügen um sich; sein Athem keuchte schnell und ängstlich aus der fliegenden Brust heraus, und die Beine schienen ihm unter dem zitternden Körper brechen zu wollen. Er bückte sich nieder, um den Kasten aufzunehmen; da rauschte es durch die Zweige, und die lange Gestalt des Klapperbein richtete sich vor ihm in die Höhe.

»Willkommen, Spitzbubenfrieder! Soll ich Dir helfen?«

Fast wäre der Angeredete vor Schreck rücklings in die offene Grube gestürzt; er raffte sich jedoch zusammen und trat zwischen seinen Raub und den Erschienenen.

»Ich bedarf hier keiner Hilf'. Geh' aus dem Weg, Kirchhofsscheuch'!«

»Das werd' ich gern und willig thun, denn Dein Weg führt stracks ins Verderben. Ich bin nicht schuld an der Begegnung. Hätt'st das Gitter wieder zugeschlagen, wie Du es gefunden hast, so wär' ich nimmer auf den Gedanken gerathen, daß Einer mich um Mitternacht besucht. Komm' mit herein ins Haus, da soll sich Alles finden!«

»Es wird sich hier schon finden.« Er griff zum Boden nieder, raffte ein Beil, welches er sich jedenfalls als Werkzeug mitgebracht hatte, auf und schwang es nach dem Kopfe des Gegners. »Fahr' hinunter in die Grub'!«

Der Klapperbein ergriff seinen erhobenen Arm und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen.

»Willst so? Gut, sollst Deinen Willen haben. Da unten liegt die Schwester, die Du ermordet hast; der Mörder gehört zu seinem Opfer. Die Bertha ruft, geh' hin zu ihr!«

Die bewaffnete Rechte des Richters festhaltend, holte er zum niederstreckenden Schlage aus, strauchelte dabei über den Kasten, dem er sich beim Ringen genähert hatte, und stürzte unter der Gewalt seines eigenen Diebes zur Erde nieder. Im Nu kniete Schubert über ihm.

»Meinst wirklich, daß ich mich vor der Todten fürcht'? Ich lach' über sie, und wenn sie jetzt sogleich leibhaftig erscheint, um Dir zu helfen. Leb' wohl, Anton, mit Dir ist's aus!«

Er erhob das Beil zum tödtlichen Streiche. Da stürzte Selma vor. Das verhüllende Tuch war ihr auf die Schultern herab geglitten; der Mond warf sein Licht auf ihre klaren Züge.

»Halt' ein, halt' ein, steh' auf von ihm!« rief sie in höchster Angst.

Er blickte empor.

»Bertha – Ber – –!« Es zog ihn halb empor; es riß ihm die Arme weit auseinander; sein Haar sträubte sich, seine Augen quollen mit erschrecklichem Ausdrucke unter den Lidern hervor. – »Bertha – Ber – Ber – –«

Erst hatte er den verhängnißvollen Namen laut hinausgeschrieen; er konnte ihn nicht wiederholen; die Laute erstarben ihm zwischen den Lippen; die ersteifende Zunge vermochte kaum noch zu lallen; er taumelte hin und her, schlug hinten über und stürzte mit lautem Gepolter in die gähnende Grube hinab.

Der Klapperbein hatte sich erhoben und starrte das Mädchen an.

»Die Bertha –? Nein, Selma, Du bist's? Du hast mich vom Tod errettet! Wie kommst zu dieser Zeit herbei? Und der Ludewig auch?«

»Der Vater hat befohlen, ich soll Dich um Zwölf zu ihm bestellen; ich hab's vergessen und mich erst kurz vorhin darauf besonnen. Schau nach, Anton,« flehte sie angstvoll, »er ist hinunter ins Grab; schau nach, was mit ihm ist!«

»Um Zwölf sollt' ich zu ihm kommen? Schau doch, wie klug der Frieder ist! Komm, Selma, komm; geh' hinein in die Stub'. Hier kannst nicht länger sein. Ich werd' Dir das Licht anbrennen, damit Du wartest, bis wir hier fertig sind. Halt' Wach' hier bei der Grub', bis ich wiederkomm', Ludewig!«

Sie widerstrebte lange, ehe es ihm halb durch Bitten, halb mit Gewalt gelang, sie fortzubringen. Der Jüngling blieb in einer unbeschreiblichen Stimmung zurück. Durch Auge und Ohr überzeugte er sich, daß der Körper des Richters vollständig regungslos auf dem Grunde der Grube lag. Dann prüfte er das Gewicht des Kastens; dieser war sehr schwer, und ein verrätherisches Klingen ließ auf die Kostbarkeit seines Inhaltes schließen. War er wirklich mit Geld gefüllt, wem gehörte es, und wie kam er hinab in das Grab? Sein Auge glitt suchend über den Boden und traf auf einen hellen Gegenstand, welcher, wie er vorhin bemerkt hatte, dem Klapperbein im Ringen entfallen war. Er hob ihn auf und vermochte nicht, einen Ausruf der Verwunderung zu unterdrücken. Es war sein Brief an den Herrgottsengel, den er vor kaum einer Viertelstunde in den Briefkasten am Kreuzle gesteckt hatte. Rasch blickte er zur Halde auf. Die Laterne war verlöscht, zum Zeichen, daß der Brief an seine Adresse gelangt sei.[223] Da hörte er nahende Schritte und verbarg das Schreiben in seine Tasche.

»Da bin ich wieder! Ist 'was vorgekommen?«

»Nein.«

»So laß uns hinableuchten!«

Er enthüllte die Blendlaterne und ließ ihren Schein in die Tiefe fallen.

»Er ist mit dem Kopfe aufgeschlagen und in die Ohnmacht gesunken. Die Leiter hat er selbst dort aus der Eck' herbeigeholt. Komm, steig' mit hinab; er muß herauf!«

Es war keine leichte Aufgabe, den schweren Mann empor zu schaffen. Sein Körper wog wie Blei, und seine Glieder waren steif und unbiegsam wie Eisen. Erst als er auf der Erde lag, war es möglich, ihn zu untersuchen.

»Das ist nicht Ohnmacht, Ludewig, das ist der Tod, der sichere, starre Tod! Er hat die Selma für die gehalten, die da unten liegt, und ist darüber vor Schreck zu Stein geworden. Der Schreck ist ein gar mächtiger Gesell und hat schon Manchen niedergeworfen, der stark und rüstig war!«

»Herr, mein Gott, ist's möglich? Ich kann's gar nimmer fassen!«

»Es ist so; glaub' es mir! Der Schlag hat ihn getroffen und sein Blut zu Eis erstarrt. Da sieh' den Kopf, das Aug' und den ausgestreckten Arm. So hat er da gestanden und die Selma angeblickt. O, Ludewig, der Herrgott ist gar fürchterlich in seinem Zorn, und seine Gerechtigkeit macht, daß wir uns die Straf' stets selbst bereiten. Du kannst mich nicht genau versteh'n, aber Du sollst Alles erfahren. Die Leich' muß nach Haus' getragen werden. Laß uns nur gleich berathen, was wir am Besten thun! Komm' herein!«

»Zur Selma? Darf sie es denn wissen?«

»Es geht nicht anders; doch müssen wir vorsichtig sein. Die Leich' bleibt einstweilen hier, aber den Kasten, den faß mit an; er muß mit in die Stub' hinein.«

»Das glaub' ich auch. Es ist dem Herrgottsengel seine Geldschatull'; die dürfen wir nicht wohlfeil stehen lassen!«

»Dem Herrgottsengel seine? Was meinst damit?«

Der Gefragte zog den Brief hervor.

»Warum hast mein Schreiben verloren, das ich auf Deine Post gegeben hab'? Richterbauers-Anton, hier liegt Einer, den das Gericht Gottes niedergestreckt hat auch mit für Das, was er uns Böses gethan. Doch der Herrgott straft nicht allein, sondern er weiß auch zu belohnen, und was dort droben am Kreuzle für gute That geschehen ist, das wird keinem Andern als nur Dir vergolten werden. Hab' ich Recht?«

»Die Post am Herrgottle ist nicht um des Lohnes willen angebracht worden. Doch komm' herein. Du und die Selma, Ihr sollt erfahren, was Niemand wissen darf!«

Sie gingen in das Haus zu dem in schwerer Besorgniß ihrer harrenden Mädchen.

Draußen schien der Mond und blinkten die Sterne so hell wie zuvor herab in die kleine Ecke, in welcher der Richter den wohlverdienten und von ihm selbst vorbereiteten Lohn gefunden hatte.

Auch das größte Glück oder Leid der Erde vermag nicht, die Bahnen des Himmels zu stören. So wandelt auch die Vorsehung in unerreichbarer Höhe und läßt sich durch keinen Spott und durch kein Sträuben ein Jota abdingen von den Gesetzen, nach denen der Sterbliche unter die unnachsichtliche Gerichtsbarkeit seiner eigenen That gestellt ist.[224]

Quelle:
Der Herrgottsengel. Erzählung von Emma Pollmer. In: Weltspiegel. 3. Jg. 1879. Heft 4–7. Dresden (1878). Nr. :14, S. 222-225.
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