2.

[191] Bertha, die hübsche Tochter des »Bonapartenschusters«, saß noch immer mit ihrer Arbeit am Fenster, als sie plötzlich ausrief:

»Vater, der Kaiser geht über die Straße. Ich glaub' gar, er kommt zu uns!«

»Denk' nur so was nicht, da müßte ja eher der Himmel einfallen.«

»Aber er kommt doch, und der Steinmüller ist auch dabei!«

Es war so, wie sie sagte. Die Thüre wurde geöffnet, doch blieben die beiden Männer auf der Schwelle stehen. Kaiser warf einen forschenden Blick hinein und frug dann:[191]

»Ich hab' mit Dir zu sprechen. Soll ich hinzutreten, oder kommst Du vielleicht heraus?«

»Wer mit mir zu reden hat, der kommt herein zu mir; so ist's hier Sitt' und Gebrauch. Was ist Euer Begehr?«

»Sollst's gleich hören!« Dann fügte er, zu seinem Begleiter gewandt, hinzu: »Tritt näher, Müller, und setz' Dich; hier muß man sich selber helfen, wie's scheint!«

»Wer's nicht anders begehrt, ja« meinte ruhig der Schuster, welcher sich nicht von seinem Sitze erhoben hatte. »Wer grüßt, bekommt den Stuhl, wer's unterläßt, bleibt stehen. Nun aber sagt, was Ihr wollt!«

»Es ist ein Handel, den ich mit Dir machen will: Deine Hütte nämlich paßt mir schon seit lange nicht in die Aussicht; sie stört und ärgert mich, so oft ich bei mir herausschaue, doch ließ ich's gehen, weil ich bisher grad nicht die rechte Ursach' hatte, eine Aenderung zu treffen. Jetzt aber wird der Wilhelm heirathen, und da soll das Häuschen weg und an seine Stelle ein Blumengarten kommen für die junge Frau. Was willst haben für die Hütte und für das Grundstück, auf dem sie liegt?«

Der Gefragte gab nicht gleich Antwort. Es war ein schwer zu beschreibender Ausdruck, welcher sich über seine Züge breitete. Endlich meinte er lächelnd:

»Du glaubst gar nicht, Kaiserbauer, wie recht und willkommen mir Dein Anliegen ist! Es geht mir grad wie Dir: so oft ich aus dem Fenster sehe, ist mir Dein Hof im Weg; er stört und ärgert mich, Du weißt gar wohl, warum. Ein Tausch ist hier die beste und schnellste Hilfe. Dann schau ich aus dem Hof und Du aus der Hütte heraus, und es gibt nichts mehr, was uns die Aussicht verdirbt.«[192]

»Willst Du mich etwa foppen, Bonapart?«

»Hör', Kaiser, laß dies Wort bei Seite! Dein Vater war mein Vormund und Du kannst also wissen, wie der Name ist, den ich von meinem Pflegevater hab'. Man nennt mich Peter Fährmann hier bei mir; wo anders magst Du sagen, was Dir beliebt. Und was das Foppen anbelangt, so irrst Du Dich gar sehr. Ich mein's im Ernst und will Dich auch nicht übervortheilen. Der Tausch bringt Dir Profit: die Hütte ist mehr werth als der Hof; in ihr hat Treu und Ehrlichkeit gewohnt, so lange sie steht, und was das werth ist, kannst Du mir nicht bieten!«

»Was soll das bedeuten, he, Du Bonapartenschuster!« rief Kaiser.

»Das kannst Dir selber sagen, Du Franzosenkaiser!« lautete die Antwort. »Glaubst Du etwa, daß Du wie ein wirklicher Kaiser hier im Dorf gebieten kannst, welches Haus fort muß und was für eines Du dulden willst? Denkst Du etwa, daß ich Dir für all Dein Geld und Gut den kleinsten Nagel geb' von meinem Haus oder das geringste Kraut aus meinem Garten? Meinst etwa, der Peter Fährmann sei nicht so schwer wie der Inhaber vom Franzosenhof? Geh' hinaus auf den Gottesacker, wenn Dir noch nichts bekannt ist, und laß Dir von der Todten, die dort in der Ecke liegt, die Geschichte erzählen, die Dir von Nöthen ist, damit Du Demuth lernst. Dann wirst Du auch ohne Aerger zum Fenster hinausblicken können und nicht das ›Grüß Euch Gott‹ vergessen, wenn Du zum Nachbar kommst!«

Kaiser hatte nicht vermocht, den Sprecher zu unterbrechen. Der Ingrimm färbte sein Gesicht mit dunklem Roth; seine Fäuste ballten sich und mit drohender Miene trat er hart zu Fährmann heran.[193]

»Willst Du schweigen, oder soll ich Dir den Mund verstopfen! Du Herr von Habenichts wärst mir der Rechte, mich hier mit der Moral zu füttern. Ich will Dir nun weiter nichts mehr sagen, als daß Deine Hütte doch noch weg muß; was ich will, das will ich, da macht kein Mensch etwas dagegen, und Du erst recht nicht!«

Fährmann hatte sich erhoben und stand dem Bauer furchtlos gegenüber.

»Komm nicht von Sinnen, Kaiser, und achte auf Deine Rede, daß Du Dich nicht versprichst! Dies Häuschen bleibt mein, da macht kein König und auch kein – Kaiser 'was dagegen; halt nur den Hof da drüben fest, er steht mir sehr im Weg!«

Der Steinmüller hatte sich schon längst bis an die Thüre zurückgezogen; jetzt trat er herbei und ergriff den Arm des Bauers, indem er ihn, der abermals in Schmähungen ausbrechen wollte, mit sich aus der Stube fortzog. –

Bertha hatte gleich nach dem Eintritte der beiden Männer die Stube verlassen; sie ahnte, daß die Unterredung keine freundliche sein werde und vermied es daher, derselben beizuwohnen. Die Pforte des kleinen Gärtchens öffnend, trat sie hinaus auf das Feld. Dort stand ein wilder Apfelbaum; er hatte schon oft mit seinen Zweigen und Blättern zu ihren Träumen und Wünschen gerauscht, denn unter seinem schattigen Wipfel war ihr gewohntes Sonntagsplätzchen. Als sie zwischen den wogenden Aehren hervortrat, zog sie fast erschrocken den Fuß zurück. In dem weichen Grase lag Einer, den sie hier noch niemals getroffen und auch heute nicht erwartet hatte, obgleich ihre Gedanken soeben nur bei ihm gewesen waren.

»Wilhelm, Du hier?« frug sie erröthend.

»Das magst Du wohl nicht gern leiden? Oder ist's so ganz absonderlich, daß Du's nicht allein hier hübsch und kühlich findest?«

»Gar nichts von Beidem. Ich dachte mir nur, daß Du nicht hier sein könntest, weil Du zu Hause gebraucht wirst.«

»Gebraucht? Von wem?«

»Von dem Besuch, der bei euch ist.«

»Um den bekümmere ich mich nicht, der Müller ist beim Vater und seine Prinzeß sieht sich mit der Mutter das Linnen an. Da bedarf man meiner nicht.«

»Ich hab' gemeint, Du bist grad der, wegen dessen sie bei euch sind!«

»Das mag wohl sein. Ich soll die Gret' nehmen, aber ich mag sie nicht!«

Er blickte finster vor sich nieder, während ihr Auge forschend auf ihm ruhte. Sie konnte kaum glauben, was er sagte; er war von Kindheit an seinem Vater in Allem fügsam gewesen, das wußte sie, und hatte mit keinem Mädchen jemals eine nähere Bekanntschaft geschlossen; daher hatte sie auch nicht im Geringsten gezögert, seine Verbindung mit der Müllerstochter als Thatsache hinzunehmen.

»Du magst sie nicht? Warum denn? Sie ist ja jung und hübsch und – vornehm genug!«

»Das gilt mir gleich! Ich werde überhaupt gar nimmer heirathen.«

»Du und nicht heirathen? Den Grund, den möcht' ich doch erfahren!«

»Den kannst schon hören! Ich hab' Eine lieb und die ist mir nicht gut; darum bleib' ich ledig!«

»Du hast schon Eine lieb?« frug sie mit sinkender Stimme. »Hier im Dorfe?«

»Ja, hier im Dorf!«

»Aber ich hab' Dich doch noch mit Keiner gesehen, weder auf dem Tanz, noch sonst wo!«

»Ja, eben weil sie mich nicht leiden mag. Ich hab' ihr ja noch gar nichts merken lassen.«

»Warum denn nicht? Du bist doch sonst kein Hasenfuß und schaffst gerade das am liebsten, was Andern schwierig fällt. Der Wilhelm vom Kaiserhof ist überall willkommen.«

»Meinst wirklich überall?«

»Ueberall!« nickte sie.

»Auch bei Dir?«

Sie blickte schnell und erglühend zu ihm empor. Er hatte sich gleich bei ihrem Erscheinen vom Rasen erhoben und hielt jetzt ihre beiden Hände in den seinen.

»Wilhelm, treib nicht Spott mit mir! Du bist der Reichste und ich bin die Aermste im Ort!«

»Bertha, es ist kein Scherz und Spott, glaub' mir, ich soll später Kaiserbauer werden, aber wenn ich mir die Bäuerin dazu nicht aus diesem Häuschen holen darf, so laß ich lieber den Hof fahren und thu 'was, woran der Vater nimmer denkt. Ich bin ihm gern gehorsam alle Zeit und überall, aber mein Herz gehört nur mir allein und mein Leben auch; ich laß mir das Herz nicht todtschlagen und das Leben vergiften. Das sind die Punkte, wo der Vater keine Gewalt anlegen darf, und wenn er's dennoch thut, so geh' ich fort!«

Sie schwieg. Ihre Brust hob und senkte sich unter den auf sie einstürmenden Gefühlen und ihre Hände bebten leise in den seinigen.

»Hast Du mir denn gar nichts zu sagen, Bertha?«

»Was soll ich Dir denn sagen?« frug sie.

»Sag: ›Wilhelm, ich hab' Dich lieb!‹ zu mir!«

Er zog sie an sich, hob das rosige Gesichtchen zu sich empor und blickte sie bittend an.

»Ist's wirklich Dein Ernst?« frug sie erglühend.

»Ja, Bertha. Bitte, sag die Worte; ich will Dir's lohnen all mein Lebenlang!«

»Wilhelm,« flüsterte sie, den Kopf schamhaft an seine Brust legend, »ich hab' Dich lieb, sehr lieb!«

»Und wirst mir gut sein, auch wenn ich arm bin und in Knechtesdienst gehe?«

»Auch dann und noch mehr!« antwortete sie. »Aber thu's nicht um meinetwillen, denn Du weißt, ›des Vaters Segen baut den Kindern Häuser‹, und ich könnte Dir doch nichts von Alledem wiedererstatten, was Du um mich dahingibst. Wilhelm, folg' dem Vater, oder prüf' Dich doch zuvor, eh' Du den Schritt thust, der gar schwere Folgen hat!«

»Das hab' ich schon gethan, schon Wochen lang, Bertha, denn die Geschichte mit der Gret' ist nichts Neues. Der Müller ist ein ruinirter Mann und denkt sich durch die Verheirathung seiner Tochter mit mir wieder aufzuhelfen – ich möchte nur wissen, womit er's dem Vater angethan hat! Der ist ganz in ihn und in seine Putzmamsell vernarrt und läßt sich nimmer rathen. Ich hab' gewiß nichts unterlassen von dem, was ein guter und folgsamer Sohn in meiner Lage thun soll, und auch die Mutter ist ihm fast zu Füßen gefallen; er aber läßt nicht von seinem Sinn. Aber wenn man die Saite gar zu hoch spannt, so muß sie endlich platzen, und ich hab' auch meinen Kopf, wenn's gilt, ihn aufzusetzen für ein Recht, das ich mir trotz meiner Kindespflicht nicht rauben lassen darf. Er mag wohl zusehen, daß er über die Schwiegertochter nicht den Sohn verliert!«

»Da wär' auch viel verloren, Du ungerathener Bub!« erklang es zornig hinter ihm. Kaiser war mit dem Müller nicht direkt nach Hause zurückgekehrt, sondern hatte ihn zur Besichtigung von Fährmann's Grundstück denselben Weg geführt, welchen Bertha vorher gegangen war. »Nimm gleich den Arm fort von der Dirne, sonst werd' ich Dich lehren, mir Trotz zu bieten!«

Das Mädchen war, auf's Aeußerste erschrocken, zusammengefahren und wollte sich aus Wilhelms Armen winden; er aber hielt sie fest.

»Ich hab' nicht gemeint, Vater, daß es so gar schnell kommen werde,« antwortete er, sich ruhig zu ihm wendend; »aber es ist mir eben recht, daß Du so früh schon siehst, wie es mit uns steht!«

»Was? Soll ich am End' noch glauben, daß es kein Spaß ist, sondern Ernst da mit der Schusterpupp'?«

»Es ist der Ernst, Vater. Aber die ›Pupp'‹ laß weg; die Bertha hat mehr Sorg' und Arbeit in der kleinen Fingerspitze, als in der ganzen Gret' zu finden ist!«

»Dann laß aber sofort gleich los, sonst helf' ich nach!« drohte der ergrimmte Bauer, und als dem Befehle nicht augenblicklich Folge geleistet wurde, griff er zu und versuchte, die Beiden aus einander zu reißen. Bertha schrie laut auf unter dem Drucke seiner rücksichtslosen Hand.

»Vater, ich bitte Dich, geh' nicht zu weit! Schlag' auf mich, so viel Du Lust hast, ich werde mich nicht dagegen wehren, denn ich bin Dein Sohn, aber das Mädchen laß in Ruh'!«

»Wie –? Du willst mir gar noch drohen, mir, dem Vater?! Gib die Bettelbonapartin los, sag' ich, oder ich schlag' euch Beide zu Boden!«

»Nein, das soll nicht geschehen; vor dem kann ich Dich noch behüten, Vater!« Er gab die zitternde Geliebte frei. »Geh' nach Hause, Bertha, und grüß' mir die Eltern; ich werde noch heute mit ihnen sprechen!«

»Das sollst Du mir nur wagen!« herrschte Kaiser ihm zu. »Da hab' ich auch ein Wort darein zu reden und Du sollst sehen, was ich dann thu'!«

»Ich werd's zu tragen wissen; aber die Gret' zwingst Du mir nicht auf! Leb' wohl, Müller; wir sind mit einander fertig!«

Er ging; auch Bertha war schon längst hinter den hohen Getreidehalmen verschwunden.

»Hast' so 'was für möglich gehalten, Steinmüller? Ich hab'[194] den Bursch noch niemals so gesehen; aber es wird sich schon zeigen, wessen Kopf der härteste ist!«

»Sie sind gleich hart, Kaiserbauer, dies hab' ich ganz zur Genüge bemerkt,« antwortete der Müller kalt. »Du wirst nicht weichen und er wird nicht weichen; so fahrt ihr erst noch 'mal recht zusammen und dann für immer aus einander. Aber das kann weder Dir noch mir 'was nützen. Ich brauch' mein Kind gar Niemanden an den Hals zu werfen. Komm fort! Ich fahre nach Haus, um mir das wegen der Steine noch zu überlegen. Die Sache hat ihre zwei Seiten, und wenn sie vor's Gericht käm', so wär's um mich geschehen. Am besten ist es immer, man zeigt so 'was gleich selber an, eh' man sich in Gefahr begibt!«

»Steinmüller!« rief Kaiser voll Schreck und Besorgniß.

»Ja, so ist's!« antwortete dieser mit nachdenklichem Kopfnicken.

Der Bauer blickte verlegen vor sich nieder und schritt schweigend an seiner Seite hin. Beim Hofe angekommen blieb er stehen.

»Hör', Müller, wenn Du Dich auf die schlechte Seite legen willst, so kannst Du doch nichts ausrichten; mir kann ja nichts bewiesen werden, da Du keine Zeugen hast. Aber so weit soll's auch gar nicht kommen! Ich nehme den Wilhelm jetzt gleich noch 'mal vor und Du wirst sehen, daß er sich fügen muß. Ich bin schon noch der Mann, den Trotzkopf gefügig zu machen!«

Quelle:
Der Kaiserbauer. Eine erzgebirgische Dorfgeschichte von Karl May. In: Illustrirte Chronik der Zeit. 7. Jg. 1878. Heft 10. S. 190–197. – Stuttgart (1877), S. 191-195.
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