II.

Beim Dessauer

[44] Es war am andern Morgen. Am Fenster seines Arbeitszimmers stand Fürst Leopold und neben ihm sein Vetter, der regierende Fürst von Anhalt-Bernburg, Viktor Friedrich, ein junger, mit einem sehr angenehmen Aeußeren ausgestatteter Herr, welcher um die Hand Louisens, der Lieblingstochter des Dessauers, angehalten hatte, eine Werbung, welche den Beifall der jungen Prinzeß hatte und auch von den Eltern nicht abschläglich beschieden worden war.

Leopold trommelte mit den Fingern lebhaft an einer Fensterscheibe, ein Zeichen, daß er sich im Zorne befinde.

»Also Du sagst wirklich, daß die Hallunken sich wieder in den Anhaltischen Landen breit machen?«

»Trotzdem die Bewohner desselben protestantisch sind.«

»Sie müssen doch wissen, was ihrer wartet, wenn sie attrapirt werden.«

»Lange Gefangenschaft, eventuell noch mehr.«

»Schön, mein Junge! Dieses Eventuell wird eintreten, sobald ich einen dieser Schleicher bei mir erwische. Ich halte fest an Gott und weiß es auch, daß er es gern sieht, wenn ihm getrommelt und gepfiffen wird, aber Alles in der rechten Weise. Habe da gestern einen Prediger gehört, der seine Sache aus dem Fundamente verstand; werde ihn vielleicht 'mal zum Feldprediger machen. Aber sich die Haut mit Frömmigkeit beschmieren, während das Herz voll Dreck, Schlamm und Sünde ist, das kann ich nicht leiden, da werde ich wild, da fahre ich reinweg aus der Haut. Und das nennt sich ›Gesellschaft Jesu,‹ hole der Kukuk die saubere Bande! Du meinst also, daß sie besonders in Erbangelegenheiten machen?«

»Ja; doch habe ich ihnen die Sache in einigen Fällen verleidet.«

»Recht so. Da muß man dazwischen fahren, wie der Teufel damals unter die Schweine; ich glaube, es war bei den Girgesenern, oder wie die braven Leute hießen. Werden auch schönen Speck bekommen haben! Was waren es denn für Fälle?«

»Natürlich machen sie sich besonders an die wenigen Katholiken im Lande. Hatten da einen reichen Bauer vollständig umzingelt, daß er ihnen zu Gunsten ein Testament machte und seine Kinder enterbte. Diese suchten Hülfe bei mir, weil sonst Niemand helfen konnte.«

»Hast es doch gethan?«

»Natürlich. Ich ließ mir das Testament bringen und zerriß es. Die Erbschleicher suchten das Weite, und dem Tölpel von Bauer habe ich den Kopf wieder zurechtgesetzt.«

»Bravo! Wagten sie so etwas bei mir, so wollte ich ihnen eine Erbschaft bereiten, die ihnen schwer zu verdauen sein würde. Weiter!«

»Nach Bernburg kommt ein Uhrmacher, gründet ein Geschäft, macht sich an eines der reichsten Nädels in der Stadt, fischt sie auch wirklich weg und heirathet sie. Nach einiger Zeit stirbt der Vater; die junge Frau tritt als einziges Kind das Erbe an, und jetzt erklärt ihr der Mann, daß er eigentlich katholisch sei und aus dem Lande ziehen werde. Die Frau wehrt sich, und er geht ihr mit dem Gelde durch. Aber kurz vor der Grenze haben wir ihn erwischt.«

»Und aufgehängt natürlich.«

»Nein; der Strick wäre zu gut für ihn gewesen. Er mußte den Raub herausgeben und wurde über die Grenze gestäupt.«

»Zu wenig, viel zu wenig, Vetter; bei mir hätte er unbedingt hängen müssen! Du bist zu gut und unvorsichtig, denn der Schlingel wird anderwärts dasselbe Spiel beginnen.«

»Die Nachforschungen, welche ich anstellen ließ, haben ergebendaß diese Gesellschaft Jesu uns förmlich zu erobern trachtet. Wir sind zum Zwecke ihrer Propaganda in regelrechte Bezirke getheilt, welche unter Agenten stehen und von Subjekten bearbeitet werden, die nach einem festen, unerschütterlichen Plane handeln.«

»Und du meinst, daß Dessau auch zu diesen Bezirken gehört?«

»Jedenfalls.«

»Das mögen sie sich nur nicht wagen, sonst nehme ich ihre Propaganda, oder wie das Weibsen heißt, beim Kopfe und lasse ihr das Leder gerben, daß man Trommelfelle daraus machen kann!«

»Sie werden es dennoch wagen. Ich bin gestern in der Stadt Einem begegnet, der dem gestäupten Uhrmacher so ähnlich sah wie ein Ei dem andern.«

»Siehst Du? Nun habe ich das Ungeziefer hier! Hättest Du ihn hängen lassen! Doch ich hoffe, daß ich Deinen Fehler gut machen kann.«

Ein Diener trat ein.

»Was willst Du?«

»Der Herr Gesandte Geheime Rath von Raumer bittet um Audienz zum Vortrage.«

»Mag kommen! Kannst dableiben, Vetter; wir haben keine Heimlichkeiten zu verhandeln.«

Der Geheimerath Johann Georg von Raumer trat ein. Er gehörte zu denjenigen wenigen Persönlichkeiten, welche den Fürsten richtig zu nehmen wußten, und sich daher seiner unveränderlichen Gunst erfreuten.

»Setzt Euch nieder, Hansjörg, und beginnt mit Euren Neuigkeiten!« befahl Leopold.

Der tägliche Morgenvortrag wurde begonnen, und Raumer verstand es, selbst das Unangenehme in eine versöhnliche Gewandung zu hüllen, so daß der Fürst ohne besondere Aufregung bis zu Ende hörte.

»Fertig für heute, Hansjörg! Ich habe gestern Deinen Pastor gehört.«

»Darf ich hoffen, daß er sich der Zufriedenheit Ew. Durchlaucht erfreut?«

»Er ist ein ganzer Kerl, und wir haben mit ihm eine sehr passable Aquisition gemacht. Kennt Ihr das Mädchen, welches er bei sich hat?«

»Ja,« antwortete der Geheimerath, indem sich eine leichte Röthe über sein Gesicht zog.

»Ein Prachtmädel! Nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Ja, ein Blitzmädel, stramm und fest, gewachsen wie ein Grenadier. Sie wird heut Mittag kommen, hahahaha, als Stütze für meine Anneliese, habe ich gesagt; aber die Sache wird anders: der Franke soll sie heirathen.«

»Der Franke?«

»Ja. Oder habt Ihr etwas dagegen?«

»Was Ew. Durchlaucht thun, ist wohlgethan; da es aber so steht, muß ich mir in dieser Angelegenheit eine Bemerkung gestatten.«

»Nun?«

»Korporal Franke hat eine Geliebte.«

»Ist das wahr?«

»Ich habe mir niemals gestattet, Ew. Durchlaucht ein unsicheres Wort zu sagen.«

»Da soll mir der Kerl durch das ganze Regiment Spießruthen laufen und nachher als Extrastrafe das Pastormädel nehmen. Verliebt sich der Mensch, ohne mir ein Wort zuvor zu sagen! Die Welt wird immer böswilliger und ungehorsamer, und es ist wirklich die höchste Zeit, den Gänserich zu rupfen, damit er erfährt, wem seine Federn gehören. Wer weiß, in was für eine Drehpuppe sich der Kerl verschamerirt hat. Wenn meine Blauröcke heirathen, so sollen sie auf tüchtige Rekruten zielen, und dazu ist vor allen Dingen erforderlich, daß ihnen die Frau nicht blos bis an die Hüften reicht.«

»Das hat der Korporal jedenfalls im Auge, denn seine Erwählte ist kaum zwei Zoll kleiner als er und dabei brav und wohlhabend wie selten Eine.«

»So! Das freut mich; da hat er doch eine Ansicht gehabt, und ich werde ihm also die Spießruthen erlassen. Aber das Pfarrermädel nimmt er doch. Ich habe es beschlossen, und dann wißt Ihr, daß es dabei bleibt. Hat sie etwa auch schon einen Liebsten?«

»Ich glaube, nein. Der Pfarrer war heut schon früh wegen ihr bei mir.«

»Ah!«

»Er hat Ew. Durchlaucht mitgetheilt, daß er Erzieher bei dem Grafen von Glachau war?«

»Allerdings.«

»Die beiden Kinder desselben kamen nach seinem Tode unter die Vormundschaft des Ministers von Brühl.«

»Der beste Freund, den der Dessauer hat. Wenn es nach ihm ging, wäre es längst aus mit mir!«

»Eine seiner Kreaturen, ein Federfuchser und Baron ich weiß nicht wie, verlangt für seine geleisteten Dienste die schöne Tochter des Grafen von Glachau von ihm.«

»Ist sie wirklich schön?«

»Sehr, und gut und lieb dazu.«

»So wollte ich, daß der Teufel den Kerl in die Hölle ritte! Also für geleistete Dienste? Gegen wen sind sie denn geleistet worden? Doch nur gegen Preußen und mich? Und dafür soll der Hallunke eine so vornehme, schöne und brave Frau bekommen? Ist sie lang?«[46]

»So lang und stark wie der Korporal Franke.«

»Donnerwetter, wenn man dem Kerl etwas am Zeuge flicken könnte!«

»Das könnten Ew. Durchlaucht recht gut!«

»Wirklich? Inwiefern?«

»Emma von Glachau kann den Federfuchser nicht leiden.«

»Darum lobe ich sie.«

»Der Minister aber will sie zwingen –«

»Bekäme ich den Urian einmal zwischen meine Patschen, ich wollte ihn auch zwingen!«

»Darum hat sie kurzen Prozeß gemacht und ist entflohen.«

»Ausgerissen? Hört, Hansjörg, das ist ein ganzes Weibsen! Ich möchte sie nur einmal sehen!«

»Ew. Durchlaucht haben sie bereits gesehen und gesprochen.«

»Ich? Wo denn?«

»Sie floh aus dem Lande zu ihrem früheren Erzieher, der aus diesem Grunde eine Anstellung in Dessau gesucht hatte.«

»Meint Ihr damit etwa Euern Pastor?«

»Denselben.«

»Himmelbataillon, jetzt geht mir ein Licht auf. Das ist ja eine förmliche Verschwörung gegen mich! Der Hansjörg stellt hinter meinem Rücken einen Pfarrer an, damit ein obstinates Mädel ihrem Vormunde echappiren kann. Ich werde Euch und die ganze Sippschaft krummschließen lassen!«

Der Zorn begann sich in ihm zu regen. Raumer ergriff das geeignetste Mittel, ihn zu besänftigen.

»Durchlaucht waren abwesend, und ich gab dem Pfarrer die Stelle, ohne von der ganzen Angelegenheit das Geringste zu wissen, und weil ich ihn für einen Prediger hielt, mit dem sein fürstlicher Patron zufrieden sein werde. Er entschied sich deshalb für Dessau, weil er wußte, unter einen starken Schutz zu kommen. Der Minister fürchtet Durchlaucht und wird es nicht wagen, zu Gewaltmitteln zu greifen, was er in jedem andern Falle thun würde.«

»Wollte es ihm auch nicht rathen! Aber wenn das Mädel wirklich so ein großes Vertrauen zu mir hat, so soll sie sich nicht[59] täuschen. Sie wird bei mir so sicher sein wie im Schooße Abrahams. Aber, alle Teufel – da kann ja aus der Geschichte mit dem Franke gar nichts werden! Er ist ein ganzer Kerl, das ist richtig, doch eine gräfliche Prinzeß – hm, da habe ich mich in eine schöne Patsche hineingeritten. Helft mir heraus, Hansjörg! Daß ich das Mädel kommen ließ, das macht mir kein Bauchgrimmen; sie wird als Gesellschaftsdame bei meiner Liese bleiben, die ganz glücklich sein wird, so eine arme verwaiste und malträtirte Glucke unter ihre Flügel nehmen zu können. Aber ich habe auch den Franke bestellt, um ihm seine Braut zu zeigen. Was thue ich mit ihm?«

»Durchlaucht können ihm ja irgend einen Auftrag geben.«

»Oder ihm die Genehmigung zur Heirath mit seiner Liebsten ertheilen,« fiel jetzt der Bernburger ein.

»Hm, so ja ja! Vetter, Du hast nicht ganz unrecht; aber ich kenne das Mädel ja nicht.«

»Es wird Dir nicht schwer sein, sie einmal zu sehen.«

»Das wohl, aber er hat sich in sie verliebt, ohne mich um Erlaubniß zu fragen; das erfordert Strafe, und ich werde – –«

Er wurde durch den eintretenden Diener unterbrochen.

»Rittmeister Baron von Wehlen!«

»Herein!«

Er wandte sich an die beiden Anwesenden.

»Der Rittmeister kehrte gestern aus Dresden zurück; ich hatte keine Zeit, seine Anträge zu hören und habe ihn für jetzt bestellt. Gehe zu den Frauen, Vetter, und bringe sie mir hernach herüber; ich habe sie heut noch gar nicht gesehen. Und Euch, Hansjörg, werde ich meine Entschließung in Betreff Eures Schützlings zukommen lassen. Jetzt adieu!«

Sie entfernten sich, während Wehlen eintrat. Er schritt drei Schritte vor, schlug die Fersen sporenklirrend zusammen und wartete dann auf die Anrede des Fürsten.

Die Unterhaltung bezog sich auf politische Evolutionen, und erst als dieses Thema erschöpft war, zog der Rittmeister zwei Schreiben hervor, welche er Leopold überreichte.

»Von wem?«

»Aus der Kanzlei des Ministers von Brühl.«

»Und das zweite?«

»Von seiner Excellenz dem Generalfeldmarschall Prinz Eugenius. Es wurde mir von dem österreichischen Gesandten zur Besorgung anvertraut.«

»Was sollte mir dieser Brühl mitzutheilen haben? Weiß Er es vielleicht?«

»Ja; der Minister legte mir persönlich an das Herz, den in seiner Zuschrift ausgesprochenen Wunsch bei Ew. Durchlaucht zu befürworten.«

»Nun?«

»Es betrifft seine Mündel, die Gräfin Emma von Glachau, welche ihm entflohen ist und nach Anhalt gegangen zu sein scheint.«

»Kennt Er die Dame persönlich?«

»Ja. Ich wurde ihr vorgestellt.«

»Weßhalb entfloh sie?«

»Einer ihr mißfälligen Verbindung wegen.«

»Wen sollte sie nehmen?«

»Den Sekretär von Sanden.«

»Den – –! Ein schöner Kerl! Habe seinem Einflusse auf den Minister manchen Aerger zu verdanken. Er soll des Satans Urgroßmutter heirathen, aber nicht die Glachau. Seine Befürwortung behalte Er für sich, Rittmeister. Wir sind fertig. Rechtsum, kehrt, marsch!«

Eine scharfe Schwenkung auf dem Absatze, und der Offizier schritt zur Thür hinaus.

Kaum hatte er sich entfernt, so erklangen lachende Stimmen auf dem Korridor, die Thür wurde wieder geöffnet und wie ein zum Neste zurückkehrender Vogel flog Prinzeß Louise herein und an seinen Hals. Ihr folgten langsamer die Fürstin am Arme des Bernburgers.

»Guten Morgen, Papa!« grüßte Louise, ihn herzlich küssend.

»Guten Morgen, Kind!« Und der Fürstin die Hand entgegenstreckend, fügte er hinzu: »Willkommen, Alte! Ausgeschlafen?«

»Gut, mein Alter. Du warst schon sehr in Arbeit?«

»Wie es sich für einen Fürsten schickt, der ein guter Vater seines Landes sein will! Setzt Euch! Wo bleiben denn die Andern?«

»Die sind im Parke exerziren bei Korporal Franke.«

»Recht so! Wer jung gedrillt wird, erspart es im Alter. Du hast Fräulein von Mitagsheim Urlaub gegeben?«

»Auf einige Wochen,« erwiderte die Fürstin.

»Sollst in ihrer Abwesenheit eine andere Gesellschafterin haben, ein braves Frauenzimmer, das von seinen Feinden gehetzt wird und bei Dir Schutz sucht.«

»Wer ist es?« frug Anna Louise verwundert, da sich der Fürst nur höchst selten um ihre Damen zu bekümmern pflegte.

»Eine Gräfin von Glachau aus Dresden. Brühl will sie zwingen, einen Skribifax zu heirathen; da ist sie entflohen und soll bei Dir Hülfe finden. Heut Mittag trifft sie ein. Hier ist der Brief, welchen der Minister mir schreibt. Ich habe ihn noch gar nicht geöffnet. Lies ihn einmal vor, Louise!«

Die Prinzeß ergriff das Schreiben, brach das Couvert auf und entfaltete den Bogen. Der Minister stellte die Angelegenheit in seinem Sinne dar, bat um sofortige Auslieferung der Flüchtigen, falls sie, wie sich aus den Spuren vermuthen lasse, in den Anhalt-Dessauischen Landen eine Zuflucht suche, und drohte im Verweigerungsfalle mit ernsten Maßregeln, zu denen er sich dann veranlaßt sehe.

Der Fürst hörte den Brief bis zum Ende ruhig an; bei der letzten Wendung aber brauste er zornig auf.

»Der Teufel hole den Kerl! Ich mache mir den Kukuk aus seinen Maßregeln, und wenn sie so ernst sind, daß ihm selbst die Haare dabei zu Berge stehen! Ich bin souveräner Fürst des deutschen Reiches und brauche mir keine Vorschriften vortrommeln zu lassen. Ich nehme bei mir auf, wen ich will, und jage fort, wen ich nicht leiden mag. Die Glachau ist mir willkommen, und die Maßregeln werde ich ruhig abwarten!«

»Ist es eine gebildete und liebenswürdige Dame, Papa?« frug Louise.

»Ja; vierundsiebzig Zoll hoch und so breit wie ich. Eine solche Bildung hat nicht Jede aufzuweisen.«

»Sogar ich nicht,« lachte die Prinzeß. »Fräulein von Mitagsheim ist meine Freundin, und wenn die Riesin so gut ist wie sie, wird sie es auch werden.«

»So ist's recht, mein Matz! Aber hier habe ich noch einen Brief. Er ist vom Prinzen Eugenius. Lies ihn vor!«

Das in der eigenthümlichen Art des »kleinen Kapuziners« abgefaßte Schreiben lautete folgendermaßen:


»Wien, im Fruchtmonat anno domini 1739. Ew. Liebden!


Obgleich es in politicis und causa militaris mit nichten etwelche Absonderlichkeit zu vermelden giebt, so seid Ihr mir ein theurer und werther Freund, an den ich eine Bitte donnire, betreffend eine Personnage, welcher ich mein Wohlwollen und Fürwort nicht versagen kann.

Ew. Liebden weiß von unsern ruhmreichen Feldzügen her, daß ein General von Hellbach unter mir diente, dessen Bravour und aimable Conduite ich stets auszuzeichnen hatte. Item verblich derselbe vor Jahresfrist des Todes und hinterließ einen legitimen Erben, dessen Mutter dem Generale in der Stunde ihres Todes allerdings nachträglich angetrauet wurde. Die Hellbachs sind zwei Linien. Die jüngere, annoch bestehende zeichnet sich durch extremement fromme Gesinnungen und Inklinationen aus, zuwegen bei ihr die Väter Jesu verkehren und ihre plus meilleuse Stütze finden. Also erhebt sich gegen den Erben Arthur von Hellbach eine feine Opposition, geleitet von den frommen Vätern, so nach seinen Gütern trachten, ihm seine Papiere und documenti entwenden und es ihm impossible machen, seine Beweise zu präsentiren. Dieweilen man ihn des Betruges zeiht, wird er gar in prison genommen, dabei es ihm gelingt, sich gewaltsam zu salviren.

Ew. Liebden können glauben, daß ihn die Väter und Brüder in Jesu verfolgen, indem sie ihn sodann in Sachsen gefunden haben. Auch hier ist ihm der Rückzug gelungen, und nun vernimmt man die Mähr, er sei nach Preußen gegangen. Item habe ich alle Ursache, mich des Verfolgten anzunehmen und im Stillen die Beweise seiner Unschuld und Legitimität zu sammeln, was mir binnen kurzer Zeit vollständig gelungen sein wird. Sollte besagter Hellbach bis dahin Ew. Liebden vor das Gesicht und Gehör kommen, so ersuche ich, ihm allen Vorschub zu leisten und ihn gegen die Machinationen seiner ennemis in löblichen Schutz und Protektion zu nehmen, wobei ich nicht verfehle, mich zu dünken

Ew. Liebden vielgetreuer Freund und Kamerad Eugen.«


»Alle Wetter, das ist ja dieselbe Geschichte, welche mir gestern der Seifensieder erzählt hat!« meinte Leopold.

»Welcher Seifensieder?« frug die Fürstin.

Ihr Gatte erzählte von dem Zusammentreffen. Die Fürstin wurde nachdenklich.

»Sollte dieser Mann, der sich für einen Seifensieder ausgiebt,[60] vielleicht einer der jesuitischen Spione sein, welche den Hellbach verfolgen?«

»Hm! Fromm sah der Kerl nicht aus.«

»Maske!«

»Kannst recht haben, Anneliese! Ich habe ihm bedeutet, sich zu trollen; läßt er sich wiedersehen, so geht es ihm an den Kragen. Ich will dieser heiligen Sippe zeigen, was es heißt, den Dessauer für einen Schubiak zu halten, bei dem sie ihren Dreck an den Mann bringen können!«

Die Adern seiner Stirn schwollen wieder bedenklich an, und es wäre sicherlich einer seiner Zornesausbrüche erfolgt, wenn nicht vom Schloßhofe herauf Trommelschlag und Pfeifenklang erschollen wäre.

»Da kommen die Jungens; auf mit den Fenstern!« gebot der Fürst.

Einer der jüngeren Prinzen, der elfjährige Moriz, verrieth trotz seiner Jugend ein unleugbares militärisches Talent, und Leopold hatte daher aus Knaben beliebter Bürger eine Kompagnie bilden lassen, welche an Uniform und Ausrüstung ganz seinem Halle'schen[61] Regimente glich. Sie hatte täglich Uebung im Parke und kam von einer solchen jetzt zurück, um sich im Schloßhofe aufzulösen. Kaum aber erblickte Moriz die Zuschauer an den Fenstern, so zog er den Degen an, warf sich in Positur und ließ die Kompagnie mit klingendem Spiele und präsentirtem Gewehre vorüberdefiliren, wornach er einige Uebungen ausführte, die den vollen Beifall des Fürsten fanden.

»Bravo!« rief dieser in den Hof hinab. »Kompagnie halt! Rechtsum! Das Gewehr beim Fuß! Los, rührt Euch! Brav gemacht, Jungens; sollt heut doppelte Löhnung haben!«

Er verließ das Zimmer, um hinabzugehen, und stieß dabei draußen auf eine Bauersfrau, welche mit einem Korbe auf dem Rücken nach der Küche wollte.

»Wohin?« frug er.

»Zur Durchlaucht Fürstin.«

»Die kommt da hinter mir. Was hat Sie in dem Korbe?«

»Butter.«

»Es ist meine Butterfrau,« erklärte die Fürstin. »Wie theuer giebt Sie heut das Stückchen?«

»Zweiundzwanzig Pfennige.«

»Zweiundzwanzig? Auf dem Markte kostet sie nur neunzehn.«

»Die wird auch darnach sein.«

»Gute Butter! Da sehe Sie her; ich habe sie holen lassen, weil Sie heut später kommt als gewöhnlich.«

»Soll ich nicht etwas mehr verlangen, wenn ich die Butter aufs Schloß tragen muß? Solche Leute können schon Etwas geben,« bemerkte die Frau mit unvorsichtigem Muthe.

Die Folgen ließen sich sofort spüren. Der Fürst, den die kleinste Veranlassung aufregen konnte, war durch seine große Sparsamkeit bekannt. Daß er für jedes Stückchen Butter drei Pfennige mehr geben sollte als andere Leute, brachte ihn sofort in Harnisch.

»Wird Sie die Butter wohl für neunzehn geben?«

»Zweiundzwanzig!«

»Gut; nehme Sie den Korb herab!«

Er griff selbst mit zu.

»Also neunzehn?«

»Zweiundzwanzig!«

»Schön!« Die rothe Farbe seines Gesichtes, seine rollenden Augen und die tiefen Falten seiner Stirn verriethen ein nahendes Wetter, doch war eigenthümlicher Weise seine Stimme nicht so dröhnend wie bei ähnlichen Veranlassungen, und der Mund zuckte unter einem unbeschreiblichen, verheißungsvollen Lächeln.

»Köche her!« kommandirte er.

Zwei weißgekleidete Männer erschienen, eine kerzengerade Haltung annehmend.

»Kommen Sie hierher!«

Er faßte die Frau, zog sie zur hinteren Wand der Küche und stellte sie hart an die Mauer, so daß sie den Rücken nach dem Raume kehrte.

»Glaubt Sie, daß ich halte, was ich sage?«

»Ja.«

»Schön! Vortrefflich! So gebe ich Ihr jetzt mein heiliges Wort, daß ich Sie wegen Betruges vier Wochen einspinnen lasse, wenn Sie sich muxt oder eher vom Flecke rührt, als bis ich es Ihr ausdrücklich befehle. Sie hat sich keinen Zoll breit zu bewegen! Vier Wochen; hat Sie's gehört? Und mein Wort darauf!«

Jetzt wandte er sich zu den beiden Köchen, welche vorn bei der Thür an dem Korbe standen.

»Könnt Ihr zielen?«

»Zu Befehl, Durchlaucht!«

»Und gut werfen?«

»Zu Befehl!«

»Werft ihr die Butter Stück für Stück auf den Buckel. Wer nicht trifft oder zu leise wirft, erhält acht Tage strengen Arrest!«

Weder die Fürstin, noch Louise oder der Bernburger wagten einen Einspruch gegen diese ungewöhnliche Züchtigung. Der Zorn Leopolds wäre dadurch nur vergrößert worden.

»Achtung! Geladen! Feuer!«

Beim zweiten Kommandorufe griffen die Köche in den Korb. Jeder nahm ein Stückchen Butter zur Hand. Beim dritten Worte flog die Butter der Bäuerin mit solcher Vehemenz auf den breiten, mit hochschließender Taillenjacke bekleideten Rücken, daß sie sich breit drückte und dann auf die Diele herabfiel. Die Frau wagte nicht, einen Laut von sich zu geben.

»Geladen! Feuer!«

Diese Kommandos erschollen so lange, bis der Korb leer war und hinter der Bäuerin ein Haufe formloser Butter lag.

»Jetzt wieder umgedreht!«

Die Frau folgte dem Gebote. Sie sprach nichts, aber ihre Augen ruhten mit dem Ausdrucke listiger Wuth auf den Ruinen ihres milchwirthschaftlichen Fleißes.

»So! Ich werde Ihr lehren, mich zu prellen, Sie alte Butterhexe, Sie! Lecke Sie sich den Buckel ab und nehme Sie das Zeug hier wieder in den Korb. Und wenn Sie wieder einmal höhere Preise macht als Andere, so wird Ihr die Butter noch an einem andern Orte beigebracht! Versteht Sie mich, an welchem? Jetzt schleunigst fort mit Ihr!«2

Sie schaufelte die Butter mit den beiden Händen in den Korb und verließ dann die Küche.

Als der Fürst aus derselben trat, verhandelte eben ein in die gewöhnliche ländliche Tracht gekleideter Mann, der einen Stelzfuß hatte, mit dem Kammerdiener.

»Er kann nicht vorkommen,« meinte der Letztere. »Seine Durchlaucht sind beschäftigt, und ich kenne Ihn ja gar nicht.«

»Er wird schon Manchen eingelassen haben, den Er nicht kennt. Sage Er nur meinen Namen, so ists genug. Ich bin der Vater vom Korporal Franke!«

Diese letztern Worte vernahm Leopold im Heraustreten, und kaum war sein Auge auf den Sprecher gefallen, so rief er:

»Feldwebel Franke, alter Kriegskamerad, Du hier? Komm herein!« und zum Diener meinte er verweisend: »Wenn Dieser hier kommt, so wird er eingelassen, und wenn es mitten in der Nacht ist!«

Er schritt voran zum Arbeitszimmer; der Stelzfuß folgte. Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, zog er den Mann an sich und klopfte ihm während der herzlichen Umarmung freundlich auf die breite Schulter.

»Willkommen, willkommen! Habe Dich seit acht Jahren nicht zu sehen gekriegt. Warum kommst Du nicht einmal herbei, he?«

»Durchlaucht, ich bin kein Lump, der von Eurer Freundschaft Vortheil ziehen will. Ihr seid gut zu mir, und ich habe Euch lieb; das wissen wir Beide, und das ist mir genug. Der Teufel hole alle Scherwenzelei! Wenn ich öfters käme, könnten die Leute weiß Gott denken, ich raspelte Süßholz mit Euch!«

»So bekomme ich also meinen besten Kriegskameraden nicht zu sehen, weil Du Dich vor den Leuten fürchtest!«

»Oho, Durchlaucht, macht mir keine dummen Witze! Ihr wißt, ich bin grad so ein alter Rappelkopf wie Ihr. Habt Ihr jemals gesehen oder gehört, daß ich mich fürchte?«

»Nein, alter Schwede; dieses Zeugniß muß ich Dir geben, und darum eben halte ich so große Stücke auf den Feldwebel Franke. Hast Du schon gefrühstückt?«

»Nein; aber macht Euch deshalb keine Sorge. Ich habe ein Stück Brod und Käse in der Tasche, das hilft gegen den Appetit und gegen den Hunger.«

»Donnerwetter, willst Du, daß ich mich blamire? Soll es etwa heißen, daß der Dessauer nichts für den Schnabel hat, wenn ihn ein guter Freund besucht? Heinz!« Und als der Ruf nicht sofort gehört wurde, öffnete er die Thür und brüllte mit wahrer Löwenstimme:

»Heeeeeeiiiiiinz!!!«

Der Diener erschien.

»Schaffe etwas zu essen; aber nichts Schnepferliches, sondern etwas Kräftiges für zwei alte Soldaten! Und einen guten Trunk dazu; das ist die Hauptsache!«[62]

Einige Minuten später saßen sie am Tische und schlugen wacker ein; die Gläser klangen, und die Erinnerungen wurden wach. Eine halbe Stunde verging nach der andern; jeder Angemeldete wurde abgewiesen, und die Dienerschaft merkte also, daß der einfache Mann mit dem Stelzfuße dem Herrn werther sei als mancher Offizier und Kavalier, vor dem man Respekt haben mußte. Sämmtliche Kriegsfahrten und Abenteuer des Dessauers wurden durchgenommen; manches Kraftwort erschallte, und manches heitere oder gar dröhnende Lachen ertönte. So wurde es zwölf Uhr, und mit dem Glockenschlage trat der Diener ein.

»Ist ein Weibsbild draußen; kommt vom Pastor aus – – –«

»Die?« fiel er ihm in die Rede. »Die mag hereinkommen, und nachher führst Du sie zur Fürstin!«

Die Angemeldete trat ein. Sie trug heut eine Kleidung, welche die Schönheit und Fülle ihrer Formen noch mehr hervortreten ließ als das gestrige Hausgewand.

»Bravo! Ich sehe, daß Sie pünktlich ist. Wo hat Sie den Pfarrer?«

»Er befindet sich beim Herrn Geheimerath von Raumer.«

»Habt wohl alle Beide Angst vor mir?«

»Angst nicht, Durchlaucht; aber eine kleine Sorge durfte ich mir gestatten.«

»Ja, das hat man davon, wenn man nicht offenherzig ist. Konntet mir gleich gestern Alles sagen! Sie ist eine Glachau?«

»Zu Befehl, Durchlaucht.«

»Und der Brühl will Sie zur Heirath zwingen?«

»Leider!«

»Der Teufel soll ihn holen und den Bräutigam dazu! Und wenn sie mir wegen Ihr etwas am Zeuge flicken wollen, so werde ich sie koramiren, daß es ihnen grün, gelb und blau vor den Augen wird!«

»Soldat Baldauf!« meldete der Diener.

»Herrrrein!«

Der gestern angeworbene Rekrut trat ein. Er trug bereits die Uniform des Halle'schen Regimentes und hielt mehrere Papiere in der Hand. Als sein Auge auf Emma von Glachau fiel, zuckte es wie ein tiefer Schreck über sein offenes Gesicht; auch sie erbleichte sichtlich, doch nahmen sich Beide schnell zusammen.

»Ich habe Ihn für jetzt bestellt, um mir Seine Skripturen anzusehen. Ist es wahr, daß Er gut mit der Feder bewandert ist, wie Er mir gestern sagte, so wirds zu Seinem Nutzen sein. Habe da drei Kerle in der Kanzlei sitzen, die können nicht 'mal meine Schrift lesen, viel weniger eine andere. Seine Faust versteht Er zu gebrauchen, das hat Er mir bewiesen, Er Himmelhund, und Begriff hat Er auch, das sehe ich jetzt: gestern erst eingetreten, heute eine Stunde exerzirt, und steht nun vor mir, glatt und blank wie ein Alter. Das freut mich, Er kann's schnell vorwärts bringen. Zeige Er die Wische her!«

Leopold überblickte die Bogen.

»Famos, ganz famos! Er ist ein Tausendschwerenöther! Eine Zeile wie die andere, und die Buchstaben in gleicher Höhe und Lage aufmarschirt wie ein Regiment Grenadiere, Augen rechts, richtet Euch. Er tritt in meine Kanzlei, und weil es grad so paßt, so setze er sich her; ich werde Ihm 'was diktiren!«

Der Rekrut nahm an dem Seitentische Platz, auf welchem sich alle nöthigen Schreibrequisiten befanden.

»Also schreibe Er!«


»An den Minister Excellenz Graf von Brühl, Dresden.


Habe Eure Schrift erhalten und gelesen. Scheere mich den Teufel um das, was bei Euch vorgeht; scheert Euch doch auch den Teufel um das, was mir zu thun beliebt. Die Glachau ist ein braves, resolutes Weibsen; werde sie Euch nicht an das Messer liefern. Wer sie heirathen will, mag sie holen. Ab, basta!

Leo – – –«


»Wollen Euer Durchlaucht diese Unterschrift nicht selbst vollziehen?« unterbrach ihn der Schreiber.

»Ja, richtig! Wenn ich einmal im Flusse bin, so läufts wie Wasser. Gebe Er die Feder her!«

Während er sich bückte, um seinen Namen unter die höflichen Zeilen zu setzen, begegneten die Augen des Rekruten dem Blicke Emma's. In Beider Zügen leuchtete die Freude. Es war klar, sie mußten bekannt mit einander sein.

»Jetzt kann Er gleich noch einen Brief schreiben,« gebot der Fürst. »Wir sind einmal im Zuge!«

Der Rekrut nahm wieder Platz, und Leopold diktirte:


»Dessau, im September 1739.


Ew. Liebden


theile ich mit, daß ich auch ganz verdammt ärgerlich bin über die Ruhe im Reiche. Wenn der Friede so bleibt, so verfault Alles; ein fröhlicher Krieg ist die Hauptsache, alles Andere aber ist Larifari. Der Hellbach soll mir willkommen sein, wenn er so gescheidt ist, mich aufzusuchen; die Schleicher aber, die ihn suchen, lasse ich aufhängen, sobald ich sie erwische, wobei ich verbleibe

Ew. Excellenz guter Freund und Kamerad – – –


So, jetzt kommt der Name!«

Er streckte die Hand nach der Feder aus; der Schreiber hielt sie zurück.

»Mit Verlaub, Durchlaucht; an diesem Schreiben wird etwas zu ändern sein.«

»Zu ändern?!« Leopold trat einen Schritt zurück und maß den Verwegenen mit zornigem Auge. »Zu ändern? Er wagt es, mein Diktum zu tadeln? So lang ich lebe, ist mir so 'was noch nicht vorgekommen, und Er Himmelbatailloner thut es gleich im ersten Augenblicke Seines Dienstes! Er ist entlassen aus der Kanzlei; Er geht vier Wochen in Arrest. Marsch hinaus!«

»Durchlaucht haben – – –«

»Marsch, sage ich!!«[75]

»Keinen Fehler begangen,« fuhr der Muthige ruhig fort.

»Marsch hin – – – Was? Ich habe keinen Fehler gemacht, und doch sagt Er, daß geändert werden muß! So stammt der Schnitzer also von Ihm?«

»Auch nicht. Ich muß nämlich bemerken, daß – – –«

»Kerl, Er ist verrückt, Er ist total übergeschnappt! Niemand hat einen Fehler gemacht, und doch soll geändert werden. Will Er mir das wohl erklären!«

»Ich meine den Passus ›der Hellbach soll mir willkommen sein, wenn er so gescheidt ist, mich aufzusuchen.‹ Hier muß es anders heißen.«

»Wie denn zum Beispiel, Er Himmelelementer?«

»Der Hellbach ist so gescheidt gewesen, mich aufzusuchen, und ich heiße ihn willkommen.«

»Donnerwetter, das wäre ja die reine Lüge!«

»Ich wage dies zu bestreiten, Durchlaucht, denn –« er richtete sich so hoch wie möglich empor und fuhr salutirend fort: »Der Hellbach steht ja hier!«

»Er – Er ist der Hellbach? Teufel, das ist ja ein wirkliches Theaterstück, was Er da aufführt! Ich denke, Er heißt Franz Baldauf.«

»Ich mußte meinen Namen verschweigen und habe mir die auf Baldauf lautenden Papiere geborgt.«

»So, so, hm! Also darum stand eine Siebzig an Stelle der Achtzig. Aber, hm, ja, wie will Er mir denn beweisen, daß Er wirklich der Arthur von Hellbach ist?«

»Haben Ew. Durchlaucht die Güte, sich an Fräulein von Glachau zu wenden. Sie kennt mich und wird mich rekognosziren.«

»Ihr kennt Euch? woher denn?«

»Von Dresden aus, wo ich erst Zuflucht fand und dann wieder fliehen mußte.«

»Himmeltausendsapperment, jetzt wirds hell, jetzt geht mir eine Ahnung auf! Das Fräulein von Glachau hat den Tintenklexer nicht gemocht, weil – weil – na, weil ihr ein gewisser Hellbach lieber gewesen ist. Ists so oder nicht, Ihr Tausendschwerenöther?«

»Wir können nicht leugnen, Durchlaucht,« antwortete Hellbach.

»So! Und was man in Wien und Dresden zerrissen hat, das soll ich hier wieder zusammenflicken?«

»Ew. Durchlaucht sind der einzige Schneider, der das fertig bringt!«

»Was bin ich? Ein Schneider bin ich, Er Mohrenelementer? Und noch dazu der einzige? Warum denn das, he?«

»Es hat nicht Jeder den Muth, zwei unschuldig Verfolgte in Schutz zu nehmen. Ew. Durchlaucht sind der einzige Fürst im deutschen Reiche, vor dessen Willen selbst der Kaiser Respekt hat.«

»So! meint Er das wirklich?«

»Mit voller Ueberzeugung!«

»So soll Er sich auch nicht getäuscht haben. Ihr bleibt in Dessau, so lange es Euch gefällt, und ich will 'mal Den sehen, der Etwas dagegen hat! Aber als gemeinen Soldaten kann ich ihn unmöglich installiren. Er scheint bereits einige militärische Begriffe zu haben?«

»Ich habe die Militärschule absolvirt und stand, als Vater starb, als Oberlieutenant beim Regimente Natzmer.«

»Natzmer? Sind ganze Leute das; kenne sie von früher her, als ich an der Seite des kleinen Kapuziners focht! Will Er bei mir eintreten?«

»Mit Freuden!«

»Schön, Herr Oberlieutenant à la suite. Jetzt aber nehme Er Seine Braut und führe Er sie zu meiner Frau. Die und die Louise werden sich schön wundern über den Roman, der hier zu spielen scheint.«

Hellbach nahm mit vor Freude glänzendem Gesichte Emma beim Arme und marschirte mit ihr zur Thür hinaus. Als sich diese hinter ihnen geschlossen hatte, wandte sich Leopold zu Franke zurück.

»Was sagst Du dazu, altes Haus?«

»Eine ergötzliche Geschichte.«

»Und ein verteufelt schmuckes Paar.«

»Freilich; grad wie mein Junge und seine Anna.«

»Ach so, ja, es ist ja wahr; der Korporal soll eine Liebste haben?«

»Und was für eine! Sie gibt da der Glachau gewiß nichts nach.«

»Alle Wetter, das ist viel gesagt!«

»Die reine Wahrheit!«

»Ich werde ihn aber dennoch ganz gehörig bei der Parabel nehmen. Wie kann er es wagen, sich ohne meinen Willen zu verschameriren!«

»Er hat mich auch nicht gefragt, und ich bin doch der Vater.«

»Aber ich bin sein Pathe und Kriegsoberster!«

»Die Liebe ist ein obstinates Ding. Als ich meine Alte nahm, habe ich auch nicht viel gefragt, und ich weiß nicht, ob Durchlaucht – – –«

»Hast Recht, Alter, hast Recht! Na, so wollen wir es für dieses Mal noch hingehen lassen. Wer ist denn das Mädel?«

»Es ist die Nichte vom Amtmann Grunert.«

»Vom Grunert? Ich hörte, der Kerl sei unverheirathet.«

»So ist es auch. Die Anna führt ihm die Wirthschaft, und was das bei einem Amtsgute zu bedeuten hat, das wird Durchlaucht wissen.«

»Ja ja; das Gut ist groß, ein wirkliches, richtiges Rittergut. Der Grunert war fremd; er kam, glaube ich, aus Oesterreich oder Bayern, als ich den Pacht ausrufen ließ. Er bot fünfhundert Thaler mehr als sein Vorgänger, und darum erhielt er es. Ich war damals im Felde, und – meiner Treu, jetzt fällt es mir erst ein, daß ich ihn noch gar nicht gesehen habe. Der Pacht wurde von der Rentei abgeschlossen, und da die Gelder alle pünktlich eingehen, so habe ich mich nicht weiter nach der Geschichte umgesehen.«

»Und dennoch wäre dies vielleicht einmal nöthig gewesen.«

»Nöthig? Wie so?«

»Er wirthschaftet schlecht.«

»Und zahlt pünktlich. Wie paßt das zusammen?«

»Wer die Aecker aussaugt und den Wald rodet, der kann gut zahlen.«

»Donner und Doria, ist das wahr?«

»Natürlich, sonst würde ich es doch nicht sagen.«

»So soll mir der Hallunke herhalten. Er hat den Pacht pünktlich zu entrichten und das Gut mitsammt den Liegenschaften in dem Stande zu erhalten, in welchem er sie überkommen hat.«

»Ja, prosit die Mahlzeit! Durchlaucht mögen nur hingehen und sich die saubere Wirthschaft einmal ansehen. Der Wald wird von Tag zu Tag lichter, das Feld magerer, die Wiese gelber, und im Stalle stehen die Pferde und Rinder wie die Gespenster. Der Pacht läuft im Frühjahr ab; dann wird der Grunert mit dem herausgesaugten Gelde verschwinden, und der Nachfolger kann sich zehn Jahre abmühen, ehe er einen gesunden Halm erbaut.«

»Wenn das so ist, so werde ich es mit ihm machen, wie er mit der Wirthschaft. Aber das ist doch nicht plötzlich gekommen. Warum wird es mir erst jetzt gemeldet?«

»Der Grunert ist Amtmann, ein schlauer Fuchs und dabei gewaltthätig bis zum Exzeß. Wer will sich da aufwerfen. Uebrigens haben ja Durchlaucht und Dero Beamte selber Augen, um zu sehen, was zu sehen ist; warum soll man da den Angeber machen!«

»Gut, hast Recht. Werde ihm nächster Tage in den Sattel steigen, und dann wehe ihm, wenn ich schmutzige Wäsche bei ihm finde!«

»Ist genug davon vorhanden! Ich hätte heut gar nicht von ihm angefangen, wenn nicht die Gemeinde endlich doch zusammengetreten wäre und mich hergeschickt hätte, um mit Durchlaucht über ihn zu sprechen.«

»So also steht es? Eine förmliche Beschwerde!«

»Ja, nicht wegen seiner schlechten Wirthschaft, denn das geht uns nichts an, sondern wegen seiner Amtsführung und andern Dingen.«

»Nun, heraus damit.«

»Ja, es muß heraus, obgleich seine Nichte die Liebste von meinem Jungen ist. Wie er die Felder aussaugt, so zieht er auch die Gemeinde aus. Es sollte mich wundern, wenn eine einzige Rechnung stimmte. Im vorigen Jahre hat der Schmied für zwanzig Gulden Arbeit geliefert, in der Rechnung aber steht plötzlich eine Sechzig. Dem Lehrer, welcher sich plagen muß, aus dummen Jungen brauchbare Rekruten zu machen, hat er von seinen vierzig Gulden, die doch weder vorn noch hinten reichen, fünfzehn abgebrochen. Wenn Ew. Durchlaucht rekrutiren lassen, so fertigt er eine Liste, in welcher die reichen Bursche nicht stehen, weil sie zahlen können; dann muß der Kriegsherr die armen, ausgehungerten Teufel nehmen, deren Mütter und so weiter der Gemeinde zur Last fallen.«

»Da schlage doch gleich ein sternhageldickes Graupelwetter drein!« rief der Fürst aufspringend. »Das ist genug: ich mag jetzt weiter gar nichts hören! Aber ich komme, Du Hallunke, und Gnade Dir Gott und die Fuchtel, wenn ich Dich zwischen die Finger nehme!«

»Eins aber muß ich doch noch sagen!«

»Was noch?«

»Haben Durchlaucht von den Jesuiten gehört, welche sich jetzt im Lande breit machen wie die Kohlraupen?«

»Habe es gehört. Was ists mit ihnen?«

»Der Grunert ist Katholik, und – – –«[76]

»Katholik? Ich glaube, in seinem Ausweise stand, daß er Protestant sei.«

»Möglich, aber dennoch ist er Katholik, und des Nachts verkehren bei ihm öfters Leute mit langen Röcken, die bis oben zugeknöpft sind. Manchmal sind wohl an die Zwanzig da. Dann werden des Nachts Reden gehalten; man ißt und trinkt und schleicht sich beim grauenden Morgen heimlich wieder davon.«

»Woher weißt Du das?«

»Von der Anna. Der Amtmann will es nämlich nicht zugeben, daß sie meinen Jungen nimmt, und so kommt sie zuweilen zu mir und meiner Alten, um uns ihre Noth zu klagen. Sie soll partout Einen heirathen, der bei den nächtlichen Zusammenkünften mit zugegen ist; er ist reich und sie bekommt nichts, weil das Vermögen des Amtmanns der Gesellschaft Jesu gehört.«

»So, aha, pfeift es aus diesem Loche? Höre, Franke, kennen mich die Leute bei Euch?«

»Wohl kaum; es sind bereits über zwanzig Jahre her, daß Ew. Durchlaucht nicht im Dorfe waren.«

»Gut, schön. Schreibe mir doch 'mal die Bursche auf, welche der Amtmann durch die Liste gelassen hat!«

Franke griff ohne Umstände nach Feder und Papier, um die verlangte Aufzeichnung zu machen. Er übergab das Blatt dem Fürsten.

»Einundzwanzig Bursche? Alle Teufel; die im Regimente haben oder nicht, das ist ein Unterschied! Ich werde die Sache so besorgen, daß Du zufrieden sein kannst, Franke, doch halte reinen Mund. Und jetzt kommst Du mit hinüber zur Anneliese; die wird sich freuen, daß Du uns nicht ganz vergessen hast!« – – –

Quelle:
Der Pflaumendieb. Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauers von Karl Hohenthal. In: All-Deutschland! 4. Jg. Heft 1–3. Stuttgart (1879).Nr. 5, S. 75-77.
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