II.

[201] Der Bäckerjakob wunderte sich nicht wenig, als er aufstand und die vornehme Frau am Backtroge sah. Er gab mir nicht eher Ruhe, als bis ich ihm die Tragkorbgeschichte bis aufs Haar erzählt hatte.

»Höre Er, Potschappler Franz,« schmunzelte er vergnügt, »da hat Er ja in einer ganz verteufelten Capitalpatsche gesteckt! Na, die Emma ist's werth, daß Er sich Mühe um sie giebt. Es wird freilich am Ende vergeblich sein, denn ich glaube im ganzen Leben nicht, daß Er sie bekommt. Aber darum braucht Er den Muth nicht zu verlieren; es geht bei solchen Dingen oft gar wunderlich zu. Aber nehme Er sich in Zukunft besser in Acht, daß es Ihm nicht noch einmal schlimmer ergeht! Der Hilbert wird Ihm und dem Mädchen nun doppelt auf dem Nacken sein. Er hält sich für den großen Mann, der einen Grafen zum Schwiegersohne bekommt; aber wer weiß, ob er wirklich einen so großen Beutel hat! Sein Getreidehandel hat ihn in der letzten Zeit gar derb hineingerissen. Vielleicht wird es bald Zeit, daß er die Laubthaler findet, die der Hilbertludwig anno Vierzehn mit aus Frankreich gebracht und aus Mißgunst vor seinem Tode versteckt hat.«

»Wie ist denn das? Davon habe ich ja noch gar nichts gehört!«

»Der Ludwig war der Oheim von ihm und ist ein gar eigner Kauz gewesen. Er war zu dem Gelde gekommen, man weiß nicht wie, und hat darauf gesessen wie der leibhaftige Drache. Dann ist er plötzlich gestorben, und als sie bei ihm suchten, hat Keiner einen Pfennig gefunden. Wer's einmal erwischt, kann sich darüber freuen!«

Es war so, wie er gesagt hatte. Der Obermeister war mir doppelt gehässig geworden, that mir und meinen Meistersleuten Alles zum Aerger und bewachte die Emma auf eine Weise, daß sie kaum mehr aus der Thür zu treten wagte. Dabei ging es mit unserem Geschäfte immer besser, und von dem seinigen vernahmen wir immer weniger Gutes. Ich wußte, daß mir das Mädchen treu war, und das war mir genug. Wir hatten uns lieb, aber wir kamen nicht mehr zusammen; es war besser so, denn ich wollte der Emma keine schlimme Zeit bereiten.

So verging der Winter, und ich wurde Altgesell, worüber sich der Obermeister schrecklich ärgerte, denn er mußte mir nun von wegen der Innung öfters Gehör schenken und konnte mich nicht fortweisen, wenn ich gezwungen war, mit ihm zu reden.[201] Ich that dies aber nur, wenn es nothwendig war. Auch der Sommer war wieder vorüber, und die kalten Tage kamen.

Da auf einmal hörte ich, daß die Emma heirathen solle. Ein reicher Bäckerssohn von auswärts hatte um sie angehalten und wollte das Geschäft übernehmen, während Hilbert nur noch den Getreidehandel betreiben sollte. Man munkelte, daß es bei ihm bald Matthäi am Letzten sei.

Eines Sonnabends wurde drüben ganz gewaltig geputzt, gefegt und gescheuert, und ich erfuhr, daß der Bräutigam morgen auf die Brautschau kommen werde. Das gab mir einen Stich ins Herz, wie Ihr Euch wohl denken könnt. Zwar war die Bäckerin mir nicht ganz abgeneigt, das wußte ich; aber was konnten die beiden Frauen machen, wenn der Vater nicht von seinem Vorsatze ging? Er brauchte einen reichen Schwiegersohn, und die Tochter mußte sich fügen, wenn sich nicht auf irgend eine Weise Hilfe zeigte.

Ich beschloß, mit ihr zu sprechen, und gab ihr, als sie sich auf einen Augenblick am Fenster sehen ließ, ein Zeichen, daß ich um Acht im Garten auf sie warten werde. Ich ging auch um diese Zeit hinüber, denn ich wußte nicht, daß der Obermeister im Verkaufsladen gewesen war und mein Zeichen bemerkt hatte. Er war schon vor mir im Garten und hörte jedes Wort, was wir redeten.

»Wo ist Dein Vater?« war meine erste Frage, als sie kam.

»Er ist einmal fortgegangen, kann aber jeden Augenblick wiederkommen. Hast Du gehört, daß er mich zur Hochzeit zwingen will?«

»Ja. Was wirst Du thun?«

»Ich weiß es noch nicht; aber das ist sicher, daß ich nicht ›Ja‹ sage. Es ist ein alter Junggeselle, schon nahe an die Vierzig; er gefällt wohl auch dem Vater nicht recht, aber er hat Geld, deshalb soll ich ihn nehmen.«

»Und die Mutter?«

»Die weint mit, wenn ich weine. Ach, Franz, es geht jetzt schlecht bei uns. Seit Du beim Bäckerjakob bist, ist unser Geschäft ganz herabgekommen; wär'st Du im Haus, so käm's wohl wieder in die Höhe. Was thun wir nur!«

»Komm, laß uns überlegen –!«

»Dazu ist jetzt keine Zeit, Franz. Ich hab' noch viel zu thun, und wenn der Vater kommt, muß ich in der Stube sein. Komm lieber später wieder.«

»Geht es denn?«

»Ich denke. Wir haben so lange nicht miteinander gesprochen, da der Vater gewiß meint, es ist aus. Er wird nicht denken, daß wir uns heut' bestellen. Ich habe dem Gesellen den Hauschlüssel fortstibitzt; hier hast Du ihn. Es wird für morgen viel gebacken; da gehen Alle zeitig schlafen. Ich gehe zuletzt, und wenn Du in meiner Bodenkammer Licht brennen siehst, so kannst Du kommen. Schau' aber erst durch die Ladenritze, ob es in der Stube auch wirklich finster ist. Den Hausschlüssel ziehst Du wieder ab und gehst leise in die Stube; ich komme nicht eher, als bis Alles fest eingeschlafen ist.«

»Ich komme, Emma, und wenn sie mich zehnmal wieder aus dem Korbe schütten wollen. Gieb her den Shlüssel, und gute Nacht bis dahin!«

»Gute Nacht!«

Ich ging. Ich war ganz glücklich, daß ich wieder einmal bei ihr sein durfte, und schaute alle fünf Minuten nach dem Bodenfenster. Sobald ich Licht dahinter bemerkte, machte ich mich auf.

»Wo soll es denn hingehen?« fragte der Meister. Er hatte meine Unruhe beobachtet.

»Hinüber!«

»So! Na, ich will Ihn nicht weiter warnen; Er weiß ja selber, was Er zu thun hat!«

Durch die Läden war nichts Verdächtiges zu bemerken; ich benutzte also meinen Hausschlüssel und trat in die Stube. Da ich nicht wußte, wo das Zunderzeug stand, konnte ich die Lampe nicht anbrennen, aber durch das Tasten überzeugte ich mich, daß keine Seele in dem Raume sei. Zur Sicherheit verriegelte ich die Thür von innen – Emma konnte ja leise klopfen – und ging nach der Backstube. Hier war es wärmer, und ich beschloß, mich auf den Backofen zu setzen, wo ich in aller Gemüthlichkeit warten konnte, bis sie kam.

Es hatte hier wirklich viel zu thun gegeben. Die große Beute war mit Brodmehl gefüllt und an ihren beiden Enden der Sauerteig angemacht worden; auf einigen Stühlen standen zwei kleinere Backtröge für den Kuchenteig und auf ebener Diele ein dreielliger Trog für den Semmelteig. Sehen konnte ich das freilich nicht, sondern nur fühlen, und an dem eigenthümlich süßlichen Geruche merkte ich zugleich, daß die Hefe in den Trögen schon zu gähren angefangen hatte.

Also ich steige hinauf auf den Backofen und will es mir eben so bequem wie möglich machen, da höre ich es neben mir rascheln; es packt mich Jemand bei der Kehle, setzt mir die Kniee auf die Brust und ruft:

»Heinrich, Fritz, kommt herein; ich hab' ihn!«[202]

Das war der Obermeister. Er hatte die Emma oben eingeriegelt, daß sie gar nicht kommen konnte, den Gesellen und den Lehrjungen in den Flur postirt und mich hier erwartet. Ein Glück war es, daß ich die Thür verriegelt hatte; die Gehilfen konnten nicht herein. Aber was nun thun? Reden durfte ich nicht, damit er mir nichts beweisen konnte, wenn die Sache ja eine ungeschickte Wendung nahm; Gewalt wollte ich auch nicht gebrauchen; er war ja der Vater von meinem Mädchen, – und ausreißen? Ja, das war nun so ein Ding! Zu fürchten brauchte ich mich nicht sehr; aber der Spectakel, der Mordspectakel, der dabei entstehen mußte, und dazu waren die Thüren alle verschlossen; ich konnte doch unmöglich den Schlüssel in aller Gemüthsruhe aus der Tasche langen und mir während des Aufschließens den Buckel vollprügeln lassen, worauf es jedenfalls am meisten abgesehen war! Es war wirklich eine bedenkliche Lage.

Und dabei drückte mir der Obermeister die Gurgel zusammen, als ob er einen Raubmörder unter sich hätte; die Luft wollte mir ausgehen, und weil das Ersticken niemals nach meinem Geschmacke gewesen ist, so faßte ich ihn doch endlich unter den Armen, hob ihn empor und legte ihn zur Seite, so daß ich wieder athmen konnte. Ich hatte dabei meine ganze Kraft nicht aufgewendet, und doch schrie er, daß man es drei Häuser weit hören konnte:

»Hilfe, Hilfe! So macht doch nur, daß Ihr hereinkommt!«

»Ja, Meister, wir können doch nicht; die Thür ist ja verriegelt!«[216]

»So hebt den Schieber aus und kommt durch die Fußgrube!«

Alle Teufel, das war gefährlich! Wenn sie durch das Loch, durch welches der fertige Teig hinaus in den Backofen gereicht wird, hereinkamen, so war ich verloren. Ich gebe also dem Hilbert einen Klaps, daß er eine Strecke weit fortkugelt, und springe vom Backofen herunter, aber – Prosit die Mahlzeit! – nicht etwa auf die Diele, sondern in den einen Backtrog, der da auf den Stühlen steht. Das alte Möbel kommt natürlich ins Wackeln; ich fahre mit den Händen in der Luft herum, als wolle ich Mücken fangen, kann aber das politische Gleichgewicht nicht wiederfinden, falle also vornüber und schlage wie ein Dampfhammer in den zweiten Backtrog. Der hat sich das Ding auch nicht vermuthet und fährt vor Entsetzen so ganz außer Rand und Band, daß wir im nächsten Augenblicke alle Sieben miteinander und durcheinander unten auf dem Boden liegen, nämlich vier Stühle, die zwei Backtröge und ich.

Na, so eine Weihnachten! Ihr könnt Euch den Heidenscandal gar nicht vorstellen! Die beiden Kerls in der Fußgrube denken, die Welt geht in der Stube unter, und schreien, was sie nur schreien können; der Obermeister trompetet vor Wuth wie ein Elephant und kommt vom Backofen heruntergeschossen; natürlich will er mich wieder bei der Parabel nehmen, geräth aber mit den Beinen in das umgestürzte Backmagazin und fällt mitten hinein, so daß er wieder gerade auf mich zu liegen kommt. Der Geselle hat unterdessen den Schieber geöffnet und steckt schon mit dem halben Leibe in der Stube; der Lehrjunge schiebt helfend nach; ich muß mich also zu salviren suchen und springe auf. Hilbert aber hat sich an mir festgeklammert, und ich kann ihn wirklich nicht anders los werden, als daß ich ihn oben und unten anfasse und in den dreielligen Semmeltrog einquartiere. Ehe er sich aus dem alten Kasten herausfindet, bin ich im Flur und lange nach dem Hausschlüssel. Aber damit ist's nichts. Der Nachtwächter hat seinen Umgang gehalten, den Lärm gehört und Succurs geholt. Es donnert vorn und hinten an den Thüren, und von oben kommen nun auch die aus dem Schlafe geweckten Hausleute die Treppe herunter. Sapperlot, wohin soll ich um Tausendwillen nur fahren? In die Küche, weiter giebt es keine Rettung!

Ich reiße also die alte, morsche Thür auf, daß sie aus den verrosteten Angeln fährt und auf eine hölzerne Stellage fällt, auf der sich eine Menge von allen möglichen thönernen Töpfen, Schüsseln, Torten- und Pfannenkuchenformen befindet. Das giebt ein Geprassel, daß Einem Hören und Sehen vergehen möchte; ich aber kann mich um die heillose Verwirrung, die ich angerichtet habe, gar nicht bekümmern, sondern springe auf den Heerd und stecke im nächsten Augenblicke droben im Rauchfange auf der Räucherstange, wo ich so häuslich wie möglich mich einzurichten suche. Mittlerweile hat sich Hilbert aus dem Troge gemacht und die Thür geöffnet. Beim Scheine der Lampen und Laternen findet man sofort meine Spur, weil ich bei jedem Schritte Stücke von dem mir anklebenden Kuchenteige verloren habe, und nun steht die Rotte Korah, Dathan und Abiram unten in der Küche und reißt alle möglichen schlechten Witze über mich. So hänge ich also droben und lasse den ungebackenen Rosinenkuchen mir langsam an den Beinen herunterlaufen, so daß er Klex auf Klex mir von den Füßen tropft.

»Will Er wohl herunterkommen?« ruft der ergrimmte Obermeister.

Ich antworte nicht.

»Ich frage Ihn, ob Er sofort herunterkommen will!«

Ich gebe keine Antwort.

Darüber geräth der über und über bekleisterte Mann in neue Wuth, steigt auf den Heerd und langt mit den Händen in den Schornstein. Ich halte mich an der Räucherstange fest und schüttele mit den Beinen, so daß die Tigtropfen wie ein Hagelwetter auf ihn niederschlagen. Er spring zurück und ruft den Lehrjungen.

»Fritz, geh' in den Schuppen und bring' dürres Karloffelkraut herbei; ich will den Kerl schon noch herunterkriegen!«

Jetzt wird die Sache bedenklich; aber hinunter gehe ich nicht und sollte ich doppelt geschmort, dreifach gebacken und zehnfach gebraten werden! Ich hebe also die Räucherstange aus und schiebe mich mit den Knieen, Ellenbogen und Achseln nach Schornsteinfegerart in die Höhe. Das ist nun freilich eine schlechte Passage; ich muß die Augen schließen; denn der Ruß wirbelt nur so um mich herum, und jetzt – wahrhaftig, jetzt fängt es unter mir an zu knistern und zu prasseln; der Rauch dringt mir in Mund und Nase; ich nehme also meine zwei Gedanken zusammen, und husch, husch, husch! geht es empor, als hätte ich eine Dampfmaschine von dreißig Pferdekräften vorgespannt. Oben fahre ich hinaus und ducke mich so viel wie möglich hinter dem Essenkopfe zusammen.

Ja, da standen sie – vorn auf der Gasse und hinten in Hof und Garten, und von Minute zu Minute wurde der Haufe größer. Zwar konnte ich nichts erkennen, denn die Nacht war stockrabendunkel; aber was gesprochen wurde, das verstand ich desto besser.

»Was ist denn los?« fragte Einer. Es war der Bäckerjakob.

»Es ist Jemand mit Dietrichen bei mir eingebrochen,« antwortete der Obermeister, der mich gern so tief wie möglich in die Tinte bringen wollte; »ich bin aber dazu gekommen, und da hat er sich durch die Feueresse aufs Dach retirirt. Nachbar Schwalbe, besetzt Eure Bodenkammern, daß er nicht hinein kann!«

Da gab es nun freilich keine Zeit zu verlieren; denn durch das Nachbarhaus ging der einzige Rettungsweg, und so kletterte ich denn an dem Firste hin, um dem Schwalbe mit seinen Leuten womöglich zuvor zu kommen. Es war bei Frost und Glätte ein lebensgefährlicher Weg; aber er gelang. Das Nachbarhaus war etwas höher, und ich mußte mich also aufrichten, um hinüber zu kommen. Kaum aber hatte ich mich auf die Kniee erhoben, so prasselten die angefaulten Schindeln unter mir, und ich fuhr mit dem einen Beine durch das Dach.

»Horcht, er bricht beim Schwalbe in die Kammer!« rief Hilbert. »Kommt rasch; jetzt kriegen wir ihn!«

Da hinüber durfte ich also nicht. Mit einigen kräftigen Stößen machte ich das Loch so weit, daß ich hindurch konnte, und stieg hinein. Nun schnell die Treppen hinunter und mitten durch die Gaffer hindurch gesprungen!

Ich suchte also nach einem Ausgange. Aber – was war denn das? Hier Mauer und da Mauer, so eng, daß es kaum eine Elle breit Zwischenraum gab, und oben darüber weg das Dach. Bei dieser Untersuchung stieß ich an etwas Hartes. Ich bückte mich; es war ein Topf, oben fest zugebunden und so schwer, als ob er mit Blei ausgegossen wäre.

Da durchzuckte mich ein Gedanke, ein Gedanke – hurrjesses, wenn das dem Hilbertludwig seine Laubthaler wären! Rasch riß ich Band und Leinwand los und griff hinein. Alle neunundneunzigtausend Hefenklöße! Es war Geld, gutes rundes Geld, Silber, vielleicht wohl gar auch Gold dabei! Na, Obermeister, Du kannst allen Heiligen danken, daß ein solcher Spitzbube bei Dir eingebrochen ist, und wahrhaftig, da steht noch einer – und noch einer; na, Emma, freu' Dich; denn jetzt bin ich Derjenige, welcher Deinen Vater im Sacke hat!

Ich stecke mir also alle Taschen voll, steige wieder hinaus aufs Dach und krieche zurück bis an die Esse. Eins, zwei, drei, bin ich hinein und fahre zwanzigmal rascher hinunter, als es hinaufgegangen ist. Kein Mensch denkt, daß mich der Klapperstorch wieder durch den Schornstein bringen werde, und so komme ich ungesehen bis an die Stubenthür, die ich öffne, um ganz ungenirt einzutreten.

»Alle guten Geister –!« schreit es mir entgegen, und Alles reißt vor mir aus, hinaus in die Bäckerei und hinauf auf den Backofen. Ich sah allerdings wie der leibhaftige Teufel aus; erst der weiße Teigüberzug, nachher eine Rußhaut, dann das Schindel- und Ziegelpulver und endlich noch einmal durch den Schornstein; das war eine Kruste, wie sie sich der Gottseibeiuns nicht schöner wünschen konnte, – und in der Backstube, da lag noch Alles über dem Haufen, die Stühle, die Backtröge, das Mehl, der Teig, und die da oben auf dem Ofen hatten sich in den äußersten Winkel zusammengedrückt und dachten, ihre letzte Stunde sei gekommen: die Emma, ihre Mutter, der Geselle, der Lehrjunge und die Magd.

Da geht die Stubenthür auf, und wer kommt her ein? Der[217] Obermeister und mein alter Bäckerjakob. Er hat sich gleich gedacht, wer der Spitzbube sein mag, hat den Hilbert in das Haus zurückgetrieben und alle Thüren verschlossen, so daß uns Niemand stören kann.

»Da ist er ja, der Halunke!« ruft der Obermeister, als er mich erblickt, und will rasch wieder hinaus, um Hilfe zu holen. Ich aber habe ihn schon beim Arme, schiebe ihn hinter den Tisch und drücke ihn so kräftig auf den Stuhl, daß er sitzen bleibt, als wäre er angenagelt. Die Sache war eigentlich keine lustige; aber als ich ihn nun so dasitzen sehe, da muß ich wirklich gerade hinauslachen; der Mann sah in seinem Teigüberzuge doch gar zu possirlich aus. Mein Gelächter ergrimmt ihn; er springt also auf und ruft:

»Ich glaube gar, Er Galgenschwengel will mich auch noch auslachen! Ich werde Ihm aber –«

»Halt!« falle ich ihm in die Rede. »Wartet erst ab, was ich Euch zu sagen habe. Da guckt Euch einmal das Ding hier an!«

Dabei greife ich in die Tasche und werfe eine von den Münzen auf den Tisch. Rasch greift er danach, betrachtet sie, läßt sie auf den Tisch klingen, sieht mich ganz verdutzt an und fragt endlich:

»Was soll denn das, he?«

»Da guckt Euch auch den an, und den – den – den – den –!« sage ich. Er hat auf einmal seinen Grimm vergessen und fährt mit allen zehn Fingern nach dem Gelde.

»Aber ich frage Ihn doch, was das soll, he!«

»Und den – den – den – den!« Und dabei werfe ich einen Thaler nach dem anderen auf den Tisch, bis die Taschen leer sind.

Das ist ihm denn doch zu viel. Er steht auf und macht ein Gesicht, als wäre ich der Satan und wolle ihn um Seele und Seligkeit bringen; auch der Bäckerjakob reißt den Mund auf, als wolle er einen Walfisch todtbeißen, und die Anderen machen Augen wie die Wagenräder.

»So,« sage ich weiter, »das sind lauter alte, gute französische Laubthaler, das Stück zu einem Thaler siebzehn Groschen und sechs Pfennigen; die hat der Hilbertludwig anno Vierzehn mit aus Frankreich gebracht, und wer drei große Töpfe voll davon haben will, der mag nur zu mir kommen. Gute Nacht!«

Damit drehe ich mich um und will zur Thür hinaus. Aber da komme ich schön an.

»Halt!« schreit der Obermeister, daß die ganze Stube wackelt. »Komm Er einmal her!«

Ich drehe mich langsam um.

»Was giebt's denn noch?«

»Wo hat Er das Geld her?«

»Das ist meine Sache! Aber wenn Ihr Verstand annehmen wollt, so können wir morgen einmal davon reden.«

»Morgen? Nein – heute – jetzt, sogleich will ich es wissen! Ich bin der Erbe; es gehört mir!«

»Und ich bin der Finder. Holt es Euch doch einmal ohne mich!«

»Na, was verlangt Er denn als Finderlohn?«

»Nicht viel; bloß die Emma.«

»Er ist verrückt! Packe Er sich hinaus!«

»Gut, den Gefallen kann ich Euch schon thun!«

Ich gehe, bin aber noch nicht bis an die Thür, so hat er mich ergriffen und zieht mich wieder zurück.

»Sei Er einmal gescheid! Wo ist das Geld?«

»Seid einmal gescheid! Krieg' ich das Mädel?«

»Die bleibt jetzt noch ledig!«

»Die Töpfe bleiben auch noch steh'n!«

»Kerl, ich bringe Ihn zur Anzeige!«

»Daraus macht sich ein Luftikus nichts. Ihr wißt, was ich meine, Herr Obermeister!«

»Ach, das habe ich nicht so gemeint. Er sah auch damals schäbig genug aus; jetzt aber weiß ich, daß Er ein fleißiger und tüchtiger Bäcker ist. Ich bitte es Ihm ab!«

»Gut, so gebt mir die Emma! Ich übernehme die Bäckerei und Ihr den Getreidehandel, und ich sage Euch, Ihr macht kein schlechtes Geschäft dabei! Die Brautschau morgen bringt Euch kein Heil!«

Jetzt mengt sich auch der Jakob in die Sache; die Meisterin steht ihm getreulich bei, und die Emma legt sich mit mir aufs Bitten. Er ist im Grunde kein harter Mann, springt endlich auf und ruft:

»Na, da nehmt Euch meinetwegen, wenn Er mir sagt, wo das Geld ist!«

»Gut, Herr Obermeister! Eingeschlagen!«

»Topp!«

»Und zu Ostern ist die Hochzeit?«

»Ja, ja; meinetwegen schon am Charfreitage!«

»Da brennt Euch rasch ein paar Laternen an!«

Das geschieht, und nun steigen wir die zwei Treppen hinan, Eins hinter dem Anderen: erst ich, hinter mir der Obermeister, dem der Bäckerjakob folgt, dann kommt Mutter und Tochter, nachher der Geselle, endlich die Magd und ganz zu allerletzt der Lehrjunge. So geht es hinauf bis auf den Hahnebalkenboden, wo ich an die Mauer leuchte.

»Da sind wir. Nun sucht einmal, ob Ihr 'was findet!«

Natürlich finden sie nichts, und so zeige ich denn auf die Wand.

»Seht einmal her! Das habt Ihr für die Brandmauer zwischen Euch und dem Nachbar Schwalbe gehalten; es ist aber nur eine dünne Ziegelwand, die der Ludwig hergestellt hat, um sein Geld zu verstecken.«

Ich stoße mit dem Fuße die aufs Hohe gestellten Lehmziegel ein; der Zwischenraum wird sichtbar, und wie die Spinne auf die Fliege, so fährt der Obermeister nach den Töpfen. Jedes will zuerst hineingucken; er aber drängt sie Alle fort und sagt:

»Hier nicht. Kommt hinunter in die Stube; da ist's bequemer!«

Die Töpfe werden gepackt, er einen, ich einen und der Jakob einen. Als wir in den Flur kommen, klopft der Gerichtsdiener an die Hausthür und will wegen dem Einbrecher herein. Hilbert fertigt ihn kurz ab, und nun geht es in die Wohnstube. Da hängt der Himmel voll Baßgeigen; zum Aufräumen ist keine Zeit; wir haben mehr zu thun; es wird gegessen und getrunken, geschwatzt und gelacht, gejubelt und – Geld gezählt, und als ich endlich aufbrach, da haben sich die beiden Teigpanzermänner umärmelt, und der Obermeister hat gemeint:

»Potschappler Franz, ich habe mich sehr in Ihm geirrt; ich glaub', es muß da hinten doch recht wackere Leute geben! Was meinst Du, Jakob?«

»Hm, bin ja auch dort gewesen und habe zwei volle Jahre da in der Gegend von Potschappel in Arbeit gestanden. War eine schöne Zeit und hab' sie nie vergessen. Jetzt aber komme Er, Franz; meine Alte muß auch erfahren, wie Er zu der Emma und der Obermeister zu seinen Laubthalern gekommen ist!«[218]

Quelle:
Die Laubthaler. Humoreske von Karl May. In: Weltspiegel. 3. Jg. Dresden (1878). Nr. 14, S. 216-219.
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