I.

Der Erlenmüller

[201] Es blüht die Blume im Gefild

Und in des Haines tiefer Ruh.

Es treibt in ihr, es glüht und schwillt;

Es strebt ihr Haupt dem Himmel zu.

Sie sendet Grüße Dir empor,

Maria, Himmelskönigin,

Und leise klingt es mir in's Ohr,

Daß ich auch Deine Blume bin.


Es tönt im dunklen Waldeshag

Und an des Baches grünem Rand

Der Vögel heller Frühlingsschlag

Allüberall durch's weite Land.

Sie senden Grüße Dir empor,

Maria, Himmelskönigin,

Und leise klingt es mir in's Ohr,

Daß ich auch so ein Vöglein bin.


Es ziehen Pilger zum Gebet

Den schattenreichen Weg entlang

Und dort, wo die Kapelle steht,

Ertönt des Glöckleins frommer Klang.

Sie senden Grüße Dir empor,

Maria, Himmelskönigin,

Und leise klingt es mir in's Ohr,

Daß ich auch so ein Pilger bin!


so klangen die Worte des bekannten, einfach schönen Wallfahrtsgesanges zweistimmig aus dem Nachbargarten herüber, wo sich heute am Sonntage die jungen, hübschen Mädchen von Studenetz bei Schneeglöckchen und Märzviolen zusammengefunden hatten. Sie alle, im Frühlinge ihres Lebens stehend, glichen selbst jenen Blumen, welche zu verkündigen haben, daß die große Erdenfreundin Sonne ihre Herrschaft nun wieder antreten werde, um die Starrheit des Winters zu lösen und den schlafenden Fluren ein neues Blumengewand anzulegen.

Am Gartenzaune der Erlenmühle stand Einer, welcher diesem Gesange mit sichtbarer, inniger Rührung lauschte. Sein Anzug war sehr bescheiden zu nennen, und der Spieß, den er in seiner rechten Hand hielt, ließ in ihm den Biric, den Wächter oder Büttel des Dorfes erkennen. Er hatte einen hölzernen Stelzfuß, und über die Stirn lief ihm die Narbe eines Säbelhiebes, welche seinen guten, ehrlichen Zügen einen sehr streitbaren Ausdruck verlieh. Als die Mädchen ihr Lied beendet hatten, fuhr er sich mit der Hand nach dem Auge und murmelte:

»Hm, ich glaube gar, daß das mein altes Herz ergriffen hat! Ja, es war dasselbe Lied, welches meine Emilka sang, als wir uns zum ersten Male sahen, wo sie mir dann gleich so resolut sagte, daß ich sie heirathen solle. Ich hätte das nicht gewagt. Sie muß mir doch sofort außerordentlich gut gewesen sein! Aber, der Müller klatscht mir; er hat mich bemerkt, und da muß ich hinein!«

In der Erlenmühle standen die Fenster der Wohnstube offen, und der Müller saß in einem Lehnstuhle, dessen Beine mit kleinen Rädern versehen waren. Er war eine ungeschlachte, roh zugehackte Gestalt, deren Gesichtszüge von ungeübter Hand aus Holz geschnitzt zu sein schienen. Eine Lähmung hatte in Folge einer Erkältung seine Beine ergriffen, so daß er nur mit Mühe zu gehen vermochte; so war er gezwungen, sich eines Rollstuhles zu bedienen. In der Rechten hielt er eine Peitsche. Dieses Instrument war der Schrecken aller derjenigen Leute, welche in untergeordneter Weise mit ihm zu verkehren hatten.

Er war reich, dieser Erlenmüller, nach den Verhältnissen seiner Umgebung sogar sehr reich, und er verachtete Alle, welche mit dem kargen Leben um ihres Leibes Nahrung und Nothdurft zu ringen hatten. Diese Geringschätzung traf aus erster Hand natürlich Diejenigen, welche persönlich mit ihm in Verkehr oder sogar in seinem Dienste standen. Der Zustand seiner Beine verhinderte ihn, sie in der gewöhnlichen Weise zu beaufsichtigen, aber seine scharfen Sinne, seine Augen und Ohren waren stets bei ihnen, und es gelang selten einem seiner Untergebenen, ihn zu täuschen. Er herrschte unbeschränkt, und sein Scepter war – die Peitsche. Wer sich diese nicht gefallen lassen wollte, konnte gehen; es kamen um des hohen Lohnes willen, welchen er zahlte, genug Andere, die sich mit süß-saurer Miene diesem Scepter unterwarfen.

Er hatte jetzt ganz einsam und allein in der Stube gesessen und den Gesang vernommen, dessen Töne durch die geöffneten Fenster zu ihm hereingedrungen waren; er hatte auch den Büttel am Zaune stehen sehen und gab diesem nun durch ein Peitschenknallen das Zeichen, daß er mit ihm sprechen wolle. Der Büttel kannte dieses Zeichen; er hatte mit dem Müller, welcher Ortsrichter war, in amtlichen Angelegenheiten öfters zu verkehren und war daher gezwungen, sich in die Eigenthümlichkeiten seines Vorgesetzten zu schicken.

Als er eintrat und grüßte, deutete der Müller mit der Spitze seines Peitschenstieles auf einen ihm nahen Punkt der Diele und gebot:

»Stelle Dich hierher, Matthias! Hast Du die Mädchen singen hören?«

»Ja,« lautete die Antwort.[201]

»Wer sang den schönen Baß dazu?«

Der Richter hatte weder Harmonielehre noch Contrapunkt studirt: er verwechselte ganz ohne Verletzung seines unmusikalischen Gewissens den Alt mit dem Basse.

»Agnes Engelmann ist es gewesen,« berichtete der Büttel.

»Sie war mit dabei?« brauste der Müller auf, indem er mit der Peitsche klatschte, als wolle er einem störrischen Zugthiere einen Hieb ertheilen. »Das soll sie doch nicht! Ich habe ihr verboten, dergleichen Kindereien mitzumachen. Sind etwa junge Burschen mit drüben?«

»Kein Einziger! Ihr wißt ja, Richter, daß sie sich bei einer solchen Zusammenkunft niemals betheiligt. Sie ist das schönste und bravste Mädchen im Dorfe, und wenn sie auch arm ist, so braucht sie doch keinem Burschen nachzulaufen.«

»Nein, das braucht sie nicht, und das darf sie auch nicht! Ich bin ihr Pathe und will doch sehen, ob ich ihr nicht gerade so zu befehlen habe wie ihr Vater, der ihr so Vieles zuläßt, was sich für ein ordentliches Mädchen weder schickt noch paßt.«

Der Wächter räusperte sich und meinte in bescheidener Entgegnung:

»Ich wüßte nicht, was sie für eine Unschicklichkeit begangen – – –«

»Schweig!« unterbrach ihn der Müller, indem er ihm die Peitsche zornig um die Beine knallte, wobei der Büttel, welcher an diese Art von Liebkosung gewöhnt zu sein schien, den Hieb gewandt mit seinem hölzernen Stelzfuße auffing. »Ist es für sie etwa schicklich, zu Tanze zu gehen und mit dem Jungvolke wie unsinnig herumzuspringen?«

»Ist es denn eine gar so große Sünde, einmal einen – –«

»Schweig!« gebot der Richter abermals, indem er ihm einen zweiten Hieb versetzte. »Sie weiß, daß sie nicht dorthin gehört, denn es giebt gesetzte Männer, an die sie sich zu halten hat, und die eine solche Kinderei nicht vertragen können.«

»Darf ich wohl fragen, wer diese gesetzten Männer sind?« erkundigte sich Schulazek im unterwürfigsten Tone, jedoch mit einer Miene, in welcher eine kleine Ironie nicht ganz zu verkennen war.

»Schweig!« befahl der Erlenmüller zum dritten Male, und jetzt traf seine Peitsche den Frager an einer empfindlicheren Stelle. »Packe Dich hinaus, und schicke sie mir einmal her! Ich habe mit ihr zu reden.«

Der Büttel gehorchte, drehte sich aber unter der Thür, wo ihn die Peitsche nicht mehr erreichen konnte, um und fragte:

»Wenn sie nun wissen will, was Ihr mit ihr zu reden habt; was soll ich ihr da sagen?«

»Kerl, willst Du gehen oder nicht!« brauste der Gefragte auf, und da die Peitsche zu einem seinem Zorne angemessenen Hiebe zu kurz war, so warf er sie ihm nach. Sie traf nur die Thür, welche der Wächter schnell hinter sich zugezogen hatte.

Der Letztere humpelte zur Mühle hinaus und wandte sich nach dem Zaune des Nachbargartens. Dort saßen die plaudernden Mädchen in der Fliederlaube, welche sich bereits mit dem Grün des Frühlings geschmückt hatte. Auf seinen Ruf kam Eins derselben herbei; er grüßte freundlich und reichte ihr die Hand hinüber.

»Grüß Gott, Agnes! So ist's recht: wenn man des Werktags brav geschafft hat, so darf man des Sonntags lustig sein. Was macht der Vater?«

»Der hat noch keinen Sonntag. Er arbeitet.«

»Er arbeitet? Wem pressirt's denn so?«

»Dem Erlenmüller. Er will noch heute die neue Jacke haben, die ihm der Vater zu machen hat.«

»Ich konnte mir denken, daß dieser es ist. Ein Anderer würde Deinen Vater nicht zwingen, am heiligen Sonntage zu arbeiten. Ich war jetzt drüben bei ihm. Er hat Euern Gesang gehört und schickt mich zu Dir, daß Du sogleich einmal zu ihm kommen sollst.«

»Was soll ich bei ihm?«

»Ich weiß es nicht. Er war zornig darüber, daß Du gesungen hast.«

Ueber das Angesicht des Mädchens zog ein tiefer Schatten und sie bemerkte in unmuthigem Tone:

»Ja, wenn es nach dem Herrn Pathen ginge, so würde ich bei ihm eingeschlossen und er hielt noch obendrein die Wache vor der Thür. Ich werde einmal sehen, was er mir zu sagen hat.«

»Viel Kluges ist es nicht, Agnes: das kann ich mir leicht denken,« meinte der Veteran. »Schau, die alte selige Muhme von Deiner Mutter ist die Großmutter von meines Schwagers Base gewesen, und darum gehörst Du in meine Verwandtschaft, und ich meine es gut und aufrichtig mit Dir. Der Erlenmüller möchte gern eine junge Frau, die ihn pflegen soll, und wen er damit meint, das wirst Du wissen. Die Müllerin wird eine reiche Frau sein, glücklich aber nicht. Das sage ich, und das sagt auch meine Emilka, und was diese sagt, das hat guten Grund und Nachdruck. Und daher meine ich, daß es besser ist, arm zu bleiben, als elend und unglücklich zu werden. Merke Dir das!«

»Du hast Recht, Vetter Schulazek! Aber weißt Du nicht, daß mein Vater dem Richter über zweihundert Gulden schuldig ist?«

»Ich weiß es. Willst Du Dich verschachern lassen?«

»Wie kannst Du so fragen, da Du den Vater kennst! Der Müller ist mein Pathe und meines Vaters Gläubiger, aber das wird weder mich noch den Vater zwingen, Etwas zu thun, was wir später bereuen könnten.«

Sie reichte ihm die Hand und ging. Er sah ihr nach, als sie den Garten verließ und nach der Mühle schritt.

»Hm,« meinte er für sich, »an Der wird sich der Richter verrechnen. Die ist gerade so resolut wie meine Emilka. Schade wär's aber auch um sie, ja, jammerschade! Die sollte eigentlich einen Mann bekommen, einen – einen – hm, so einen Unteroffizier, einen Feldwebel; eigentlich brauchte sich sogar ein Hauptmann nicht mit ihr zu schämen. Ein Blitzmädel! Das liegt so im Blute und in der Verwandtschaft; unsere Freundschaft hat lauter tüchtige Männer und lauter couragirte Weiber aufzuweisen.«[202]

Wer das hoch und kräftig gewachsene Mädchen so leicht und doch so sicher dahinschreiten sah, der konnte allerdings vermuthen, daß sie das nothwendige Maß von Selbstbewußtsein besitze. Sie war von jener jugendlich frischen Schönheit, welche keiner künstlichen Mittel bedarf, um zur Geltung zu kommen, und wenn ihr Inneres mit diesem Aeußeren harmonirte, so war der Mann, welcher sie sich zu erringen verstand, gar wohl glücklich zu nennen.

Sie trat beim Müller ein und grüßte.

»Gieb mir einmal die Peitsche her!« befahl er ihr, anstatt den freundlichen Gruß zu erwidern. »Schade, daß ich den Wächter nicht getroffen habe; er hatte sie verdient!«

Sie hob die Peitsche gehorsam auf und lehnte sie in die Ecke.

»Her damit!« gebot er. »Was soll sie dort!«

»Und was soll sie in Eurer Hand, Pathe?« fragte sie ruhig. »Oder habt Ihr etwa vor, hier in der Stube Gänse zu hüten?«

»Schweig!« rief er ihr zu. »Du weißt, daß ich sie brauche. Dieses Gesindevolk ist nur mit der Karbatsche zu bemeistern!«

»Jetzt ist Keiner von den Leuten da, und für mich braucht Ihr hoffentlich die Peitsche nicht! Ihr habt mich rufen lassen, Pathe. Was soll ich hier bei Euch?«

»Was Du sollst?« frug er mit künstlichem Erstaunen. »Das fragst Du noch! Ja, der Pathe muß hier in Schmerz und Jammerthal sitzen, während da draußen der Bruder Lustig herrscht. Da wird gesungen und jubilirt, als ob es in der ganzen Welt keinen Kranken gäbe, und wer eine Pflicht hat, der muß erst durch den Wächter an sie erinnert werden!«

Agnes nahm auf einem Stuhle Platz und antwortete ruhig:

»Mit dieser Strafrede werde wohl ich gemeint sein; aber wenn der Herr Pathe einmal nachdenken will, so wird er finden, daß er Unrecht hat. Einen Bruder Lustig habe ich da draußen nicht gesehen; wir haben ein frommes Wallfahrtslied gesungen, und das ist keine Sünde. Und meine Pflicht kenne ich so genau, daß Niemand nothwendig hat, mir ihretwegen den Wächter zu senden. Ich muß für die Eltern sorgen und habe wohl auch den Herrn Pathen zu ehren, aber seine Dienstmagd bin ich nicht. Ich war heute bereits schon einmal da: was giebt es jetzt so Nothwendiges zu thun?«

»Nichts giebt's zu thun; aber hier bei mir sitzen sollst Du und nicht da draußen bei den Schreihälsen, welche sich doch nur ihre Bursche herbeisingen wollen!« erklärte der Müller.

»Davon ist keine Rede gewesen,« antwortete Agnes. »Aber wenn Ihr Euch zu einsam fühlt, so bleibe ich gern ein Stündchen da; nachher muß ich wieder bei der Mutter sein.«

Sie erhob sich von ihrem Sitze und trat an ein kleines Wandschränkchen, welches sie öffnete.

»Was suchst Du dort?« fragte der Müller hastig.

»Das Legendenbuch; ich will Euch etwas vorlesen.«

»Das laß nur bleiben! Du fürchtest Dich wohl gar vor mir, da Du Dich hinter die Legende verbarrikadiren willst?«

»Ich fürchte mich vor Keinem, auch vor Euch nicht, obgleich Ihr es versteht, die Leute scheu zu ma chen. Und die Legende, welche Ihr nicht haben wollt, die lese ich Euch dennoch vor. Ihr seid nicht in der Kirche gewesen, und da ist es gerade recht, daß Ihr etwas Frommes zu hören bekommt!«

Das resolute Mädchen setzte sich wieder nieder und schlug das Buch auf, der Müller aber wehrte mit beiden Händen ab.[203]

»Ich mag aber diese Geschichten nicht hören«, sagte der Müller. »Wenn Du anfängst, so rufe ich den Knecht; der muß Dich hinaus werfen!«

»So kann ich ja lieber gleich vorher gehen!« erwiderte Agnes.

Sie schlug das Buch zu und stand auf, um sich zu entfernen.

»Bleib!« gebot er. »Ich habe Dich rufen lassen nicht der Legende wegen, sondern um mit Dir zu reden. Weißt Du, daß heute Abend Tanz gehalten wird?«

»Ja.«

»Wirst Du gehen?«

»Ja.«

»Also wirklich! Gehen willst Du!« rief er. »Ich sage Dir aber, daß Du nicht gehen wirst. Ich verbiete es Dir!«

Sie schüttelte lächelnd den Kopf und antwortete:

»Da hat sich der Herr Pathe doch gar sehr verändert. Er ist früher der flotteste Tänzer gewesen und hat sogar drei Wochen nach dem Tode der Frau Pathin bereits wieder getanzt. Warum ist denn nun jetzt so plötzlich das Tanzen ein so schlimmes Ding geworden? Es ist bereits über ein Jahr vergangen, seit ich von meinem Dienste in Halberstadt wieder daheim bin, und in dieser Zeit habe ich nur zweimal den Tanzboden betreten. Auch heute wollte ich nicht gehen, aber die Eltern sagten, daß ich mir auch eine Freude machen und mich nicht immer vor den Leuten verstecken solle wie Eine, die kein gutes Gewissen hat. Da sieht der Herr Pathe wohl ein, daß ich es dem Vater nicht abschlagen kann, wenn er mich mitnehmen will.«

»Ah, Dein Vater will gehen?«

»Ja, mir zu Liebe, denn ohne ihn thue ich es nicht.«

»Also, um in das Wirthshaus zu gehen, hat er Geld? Er mag zuvor kommen und mich bezahlen, der Lump! Er darf – – –«

»Hört, Pathe«, unterbrach ihn das Mädchen schnell, »wenn Ihr den Vater schimpft, so habt Ihr es mit mir zu thun! Meine Eltern sind wenigstens ebenso brav, wie der reiche Erlenmüller, und ich leide es nimmermehr, daß Ihr ein solches Wort gegen sie gebraucht!«

»So!« dehnte der Müller. »Was willst Du denn dagegen thun?«

»Wenn es ein Anderer wäre, so würde ich ihn heimzuschicken wissen, obgleich ich kein Raufbold, sondern nur ein Mädchen bin; da es aber der Herr Pathe ist, so kann ich nichts thun, als gehen.«

»Bleib!« gebot er ihr. »Wenn Du die Widerspänstige spielst, so sollst Du sehen, was ich thue! Oder denkst Du etwa, daß ich die Macht nicht habe, Dich gehorsam zu machen?«

Jetzt nahm ihr Gesicht einen sehr ernsten Ausdruck an; sie trat nahe an ihn heran, legte ihm die Hand schwer auf den Arm und sagte:

»Ich weiß es, welche Macht Ihr meint: es ist keine gute. Schämt Euch, Pathe, auf eine solche Weise den Tyrannen zu spielen. Mein Vater hat ein Weniges zurückgelegt, und ich habe meinen sauer verdienten Lohn dazu gethan; auf diese Weise sind hundertfünfzig Gulden zusammengekommen, welche der Vater Euch hat geben wollen; Ihr aber habt sie nicht angenommen, sondern die ganze Summe verlangt. Das ist nicht der richtige Weg, sich Liebe und Achtung zu erwerben. Ich müßte blind sein, wenn ich nicht bemerken wollte, welchen Zweck Ihr verfolgt; auf diese Weise aber kommt Ihr nicht zum Ziele: das sage ich Euch!«

»Nicht?« höhnte er. »Und wenn ich nun Deinen Vater einsperren lasse? Ich habe den Wechselbrief in der Hand.«

»Ja, das ist auch so eine rechte Bosheit von Euch gewesen. Der Vater hat geglaubt, er unterschreibe einen gewöhnlichen Schuldschein, und anstatt dessen ist es ein Wechsel gewesen; er hat das nicht gekannt, und nun er die Summe nicht bezahlen kann, soll er in Arrest kommen. Ihr seid der Pathe, und darum will ich nicht sagen, was ich denke, aber der liebe Gott wird schon noch in Euer Gewissen greifen, und dann – – –«

»Schweig!« donnerte er. »Mein Gewissen ist mein, und darein soll mir Niemand greifen. Dein Vater wird heute kommen, um mir die Jacke zu bringen, und da werde ich einmal im Ernste mit ihm reden. Wenn Du heute Abend den Tanz besuchst, so ist es aus mit Euch; das merke Dir!«

Noch ehe das Mädchen antworten konnte, entstand draußen ein Geräusch von Waffen; die Stubenthür wurde aufgerissen, und es traten drei Männer herein, welche in die überall gefürchtete rothe Panduren-Uniform gekleidet waren.

»Wohnt hier Stephan Noak, der Richter von Studenetz?« fragte der Eine von ihnen, welcher die Abzeichen eines Unterofficiers trug. Er hatte es gar nicht nöthig gefunden, vor seiner Frage einen Gruß auszusprechen.[217]

»Der bin ich«, antwortete der Müller.

»So! Könnt Ihr nicht aufstehen, wenn man mit Euch spricht!«

Der sonst so gewaltthätige Müller schien diesen Leuten gegenüber seinen ganzen Muth verloren zu haben. Er versuchte, sich auf die Füße zu stellen, sank aber unter einem schmerzhaften Stöhnen sofort wieder nieder.

»Ich kann ja nicht«, antwortete er. »Ich habe das Kalte in den Beinen!«

»So seht Euch vor, daß wir es Euch nicht warm machen! Verstanden?« bemerkte der Unterofficier in barschem Tone. »Wer ist der vornehmste Mann in diesem Dorfe?«

»Ich!« lautete die einigermaßen selbstbewußte Antwort.

»So werden wir zu Euch den Herrn Oberst legen müssen.«

»Welchen Oberst?«

»Kennt Ihr unsere Uniform denn nicht? Ich meine den Panduren-Oberst Freiherrn von der Trenck.«

»Die Augen des Müllers wurden größer, und auch sein Mund öffnete sich vor Schreck.«

»Den Trenck!« rief er. »Gott sei uns gnädig!«

»Ja«, lachte der Unterofficier, »Gott mag Euch gnädig sein, wenn Ihr Euch nur das Geringste zu Schulden kommen laßt. Ihr habt doch wohl schon von dem Trenck gehört? Der fackelt nicht!«

»Ich denke, der ist in Bayern«, wagte der Richter zu bemerken.

»Da ist er gewesen. Nun aber hat er einen kleinen Spaziergang nach Böhmen gemacht, um auch Euch einmal eine Freude zu machen. Heute gilt's nur einer Recognition, welche der Oberst in eigener Person zu unternehmen geruht. Er kommt mit nur zwei Lieutenants und der nöthigen Dienerschaft; morgen geht es wieder fort. Aber das ist Geheimniß. Wenn es verrathen wird, so kostet's Euch den Kopf. Ich hoffe, daß Ihr gut kaiserlich seid und nicht etwa mit den Preußen conspirirt! Wer ist denn das Jüngferchen hier?«

»Sie ist mein Pathenkind.«

»Von hier?«

»Ja.«

»Was ist ihr Vater?«

»Er ist Schneider.«

»Pfui Teufel, wie könnte ich nur ein Schneider werden! Aber eine hübsche Tochter hat er, und ich werde mich zu ihm einquartieren.«

Dies paßte dem Richter nicht in das Spiel; er bemerkte daher:

»Die Eltern sind blutarme Leute, Herr Unterofficier; es giebt ja reiche Bauern genug, bei denen Ihr viel besser aufgehoben seid!«

»Das geht Euch Nichts an! Verstanden? Ich werde mir jetzt das Dorf betrachten, und dann soll es sich finden, wo die Herren Lieutenants und die Uebrigen wohnen. Aber das sage ich Euch, Richter, laßt es an Nichts fehlen; der Trenck macht keinen Spaß!«

Er warf sein Zeug ab und entfernte sich mit den Beiden. Jetzt schlug der Müller die Hände zusammen und jammerte:

»Ist's möglich? Der Trenck! Der ist ja schlimmer als der wahre Teufel! Und ich kann nicht auf; ich kann nicht laufen! Mein Haus, mein Vieh, mein Geld! Agnes, spring rasch und hole den Wächter; rufe meine Leute zusammen und komme dann wieder. Du darfst heute nicht fort; ich kann Dich ganz unmöglich entbehren!«

Das Mädchen knüpfte ihr Vortuch fester und antwortete:

»Den Wächter sollt Ihr haben und das Gesinde auch; was aber mich betrifft, so kann ich nicht wiederkommen. Ihr habt ja gehört, daß sich der Unterofficier zu uns gemeldet hat, und da kann die kranke Mutter ohne mich nicht verkommen. Ich werde schnell laufen!«

»Schweig!« gebot er ihr. »Wenn ich Dir befehle – –«

Sie hörte seine weiteren Worte nicht; sie eilte hinaus, um den ersten Theil seines Auftrages zu erfüllen. Als dies erledigt war, schritt sie ihrer Wohnung zu, welche am äußersten Ende des Dorfes lag. In einiger Entfernung vor sich erblickte sie einen Mann, welcher in langsamen Schritten durch das Dorf spazierte. Es mußte ein Fremder sein, obgleich er die Tracht der dortigen Gegend trug. Seine Gestalt war beinahe eine riesige zu nennen, fiel aber gar nicht unangenehm in die Augen, da der Gliederbau ein ganz harmonischer war. In der Rechten schwang er wie spielend einen Knotenstock, dessen Gewicht einem Andern ganz sicher mehr zu schaffen gemacht hätte, und wer ihn so langsam, sicher und gewichtig dahinschreiten sah, der konnte sich leicht sagen, daß dieser Enakssohn eine wahre Bärenkraft besitzen müsse.

Da Agnes eilte, so kam sie ihm immer näher. Im Vorübergehen wollte sie ihn grüßen, und auch er wandte sich zu ihr, da er ihre nahenden Schritte vernommen hatte. Beider Blicke fielen auf einander, und Beide blieben sogleich in höchster Ueberraschung stehen.

»Agnes!« rief er.

»Wilhelm!« rief sie, und zwar unter einem freudigen Leuchten ihrer großen, schönen Augen. »Herr Gott, wie kommst Du nach Studenetz?«

»Weil ich Sehnsucht nach Dir hatte, meine Agnes«, antwortete er mit einem Lächeln des Glückes in seinem treuen, aufrichtigen Angesichte. »Ich habe mir Urlaub genommen und – – –«

»Urlaub?« unterbrach sie ihn. »In Jesu Namen! Ich habe gehört, die Preußen sind in Böhmen eingedrungen. Bist Du etwa mit dabei?«

»Freilich!« antwortete er.

»Wo steht Ihr denn bereits?«

»Hm! Das darf ich Dir leider nicht sagen. Es ist Krieg!«

»O, welche Angst ich da bekomme! Wenn man Dich hier sieht, so bist Du verloren!«

»Wohl nicht sogleich«, meinte er mit einem lächelnden Blick an seiner Herkulesgestalt hernieder. »Man kennt mich[218] hier ja nicht, und ich hoffe auch, daß keine Feinde in Studenetz stehen.«

»Sie sind noch nicht da, aber sie kommen«, bemerkte sie voller Angst.

»Wer denn? Reiter? Infanterie?«

»Die Panduren – –«

»Ah!« machte er erstaunt, »Stehen diese Kerls bereits hier oben? Aber komm schnell! Man hat uns noch nicht bemerkt, und unter solchen Umständen ist es besser, wenn unser Gespräch unbeobachtet bleibt.«

Sie hatten sich allerdings zufälliger Weise an einem menschenleeren Theile der Dorfstraße getroffen. Er nahm sie bei der Hand und schlüpfte mit ihr in einen schmalen Heckenweg hinein, welcher zwischen zwei Gärten hinaus auf die Felder führte. Da draußen fanden sie hinter einem dichten Hollundergebüsch einen Platz, wo sie wahrscheinlich unbemerkt blieben. Erst dort war ein herzlicheres Willkommen möglich, und dann meinte der Fremde:

»Agnes, ich habe mir unser Wiedersehen ganz anders gedacht, aber da Du von Panduren redest, so habe ich zunächst auf meine Sicherheit zu sehen. Wann werden sie kommen?«

»Heute, sehr bald.«

»Wie viele?«

»Der Trenck, zwei Lieutenants und die Bedienung.«

»Der Trenck!« rief der Fremde fast zu laut für ihre gegenwärtige Situation. »Der Trenck, der wilde Trenck selbst? Ah! Und mit so wenig Gefolge? Entweder ist das eine einfache Recognition, oder es steckt irgend eine Teufelei dahinter! Wo wird er wohnen?«

»Bei meinem Pathen, dem Richter. Er ist bis morgen da.«

»Beim Richter, von dem Du mir so wunderschöne Sachen geschrieben hast? Den muß ich mir einmal ansehen!«

»Um Gotteswillen, thue das nicht!« bat das Mädchen. »Du weißt gar nicht, wie gefährlich das für Dich ist.«

Sie gab ihm nun ein deutliches Bild von dem Charakter und dem Verhalten des Richters, und merkte dabei nicht, daß sie durch die Beantwortung seiner dabei eingestreuten Fragen gewissen Zwecken diente, von denen sie gar keine Ahnung hatte. Sie schloß endlich:

»Du weißt, wie sehr ich mich nach Dir gesehnt habe, aber da Du hier so große Gefahr läufst, so bitte ich Dich, ja nicht länger hier zu bleiben. Ich würde vor Angst sterben, wenn die Panduren Dich in ihre Hand bekämen. Du würdest ganz sicher als Spion aufgeknüpft!«

Er zog lächelnd seine Uhr und schien in Gedanken nachzurechnen.

»Ich will Dir den Willen thun«, sagte er dann, »aber nur in dem Falle, daß Du mir auch einen Gefallen thust.«

»Welchen?«

»Du gehst heute Abend unbedingt zu Tanze!«

»Aber der Pandur, welcher bei uns wohnt, wird dann auch mit gehen!«

»Was schadet das? Willst Du?«

»Ja.«

»In welchem Hause wohnst Du?«

»Im letzten dort.«

»Und wo ist die Mühle?«

»Da rechts hinter den vier hohen Erlen; daher heißt sie ja auch die Erlenmühle.«

»Also Du gehst zu Tanze, tanzest aber mit keinem Menschen! Verstehst Du wohl? Ich habe meinen Grund dabei. Und wenn ich ja nicht bald wiederkommen sollte und der Müller macht Euch Sorge, so nimm hier das und bezahle den Menschen. Ich habe es von meinem Gehalte gespart; Du kannst es mit gutem Gewissen annehmen.«

Sie wollte ein Wort der Weigerung sagen; er jedoch schloß ihr den Mund mit einem Kusse und sprang davon. Sich später umdrehend, winkte er ihr noch einmal mit dem Taschentuche zu; dann verschwand er hinter den Weiden, welche den Bach umsäumten. Dort blieb er halten und zog die Uhr abermals.

»Hm! Ich habe sechs Stunden zu laufen«, überlegte er. »Es ist nur dann zu ermöglichen, wenn ich ein Pferd bekommen kann.«

Er eilte im Rücken des Dorfes weiter und kam so auch an dem Garten der Mühle vorüber, in welchem zwei braune, stämmige Ackerpferde weideten. Er warf einen forschenden Blick umher, um sich zu überzeugen, daß er unbeobachtet sei; dann öffnete er das Pförtchen, welches aus dem Garten in das Freie führte, bestieg eines der Pferde und war mit demselben bereits nach einigen Minuten jenseits des eng gezogenen Horizontes verschwunden. Das Gesinde des Müllers hatte keine Zeit, an die Pferde zu denken; sie waren damit beschäftigt, das werthvollere Eigenthum ihres Herrn der Habsucht der Panduren zu entziehen. – – –[219]

Quelle:
Pandur und Grenadier. Eine heitere Episode aus ernster Zeit von Karl May. In: Deutsche Gewerbeschau. 5. Jg. Dresden (1883). Nr. 14, S. 217-220.
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