[48] Es war im Jahre 1830, als sich die Einwohner von Arispe, der Hauptstadt der mexikanischen Provinz Sonora, in einer nicht geringen Aufregung befanden.
Sonora, einer der reichsten Staaten der Konföderation von Mexiko, bildete damals eine der am wenigsten bekannten Gegenden Mittelamerika's. Die Natur hat dieses Land mit außerordentlich reichen Gaben bedacht. Der durch den Pflug kaum aufgeritzte Boden bedeckt sich dort jährlich mit zwei höchst ergiebigen Ernten; die Wälder liefern einen unermeßlichen Vorrath von werthvollen Nutz- und Farbhölzern; das Thierreich bietet dem Menschen in großen Pferde- und Rinderheerden und einem beinahe unerschöpflichen Wildbestande die Befriedigung seiner ersten und letzten Bedürfnisse, und was die mineralen Verhältnisse betrifft, so konnte man vor noch nicht sehr langer Zeit an vielen Orten Gold in Menge finden, und es rivalisirte in dieser Beziehung dieses so verschwenderisch ausgestattete Land unter dem besten Erfolge mit dem heut zu Tage so vielgerühmten Kalifornien.
Viele gab es, die in Folge der Fruchtbarkeit ihrer[48] Heerden und des jungfräulichen Bodens sich ein mehr als fürstliches Vermögen sammelten, und ebenso Viele gelangten durch die Auffindung eines einzigen Stückes gediegenen Goldes zu einem Reichthum, der allerdings meist ebenso schnell verloren ging, wie er gefunden wurde.
Wo viel Licht ist, da findet sich gewiß auch immer viel Schatten. Die Vorzüge des Staates Sonora sind mit Uebelständen gepaart, von denen sie außerordentlich beeinträchtigt werden. Ungeheure Einöden, nur dem beherzten Manne zugängig, durchziehen das Land; in den Wäldern hausen die Riesen des Raubthiergeschlechtes, und über die weiten Ebenen tummelt der unversöhnliche Indianer sein Roß, der keinen größern Reichthum kennt als denjenigen der Skalpe, die er seinem weißen Feinde abgenommen hat.
Von Zeit zu Zeit wagen sich Leute, deren alleinige Industrie in der praktischen Ausbeutung ihrer metallurgischen Kenntnisse besteht, in diese Einöden. Sich tausend Entbehrungen und Gefahren aussetzend, schlagen sie in aller Eile eine zu Tage liegende Silberader aus oder beschäftigen sich mit dem Auswaschen des goldhaltigen Sandes. Dann kommen sie, von den Indianern vertrieben und verfolgt, in die bewohnten Distrikte zurück und geben die fabelhaftesten Berichte über Schätze, die von ihnen flüchtig gesehen wurden, aber unzugänglich seien, über ungeheuer reiche Minen oder unerschöpfliche und zu Tage tretende Goldmassen zum Besten. Diese Goldsucher oder Gambusinos, wie man sie nennt, sind für die Bergwerksindustrie ganz dasselbe, was die nordamerikanischen Sauatters und Trappers für den Ackerbau und den Handel sind, und unterhalten durch ihre Erzählungen, in denen die[49] Uebertreibung stets eine größere Rolle spielt als die Wahrheitsliebe, einen steten Durst nach Gold und ein immer reges Gelüste nach Eroberung derjenigen Länderstrecken, in denen man hofft, diesen Durst befriedigen zu können.
Zuweilen tritt ein kühner Abenteurer auf, der auf das allgemeine Verlangen nach Gold und Silber einen sanguinischen Plan erbaut; er gefällt sich in den verlockendsten Schilderungen, ist vielleicht in der glücklichen Lage, ein schweres Nugget oder sonst einen nicht ganz gewöhnlichen Fund vorzeigen zu können; andere Abenteurer gesellen sich ihm zu, junge Leute von guter Familie, die im Spiele oder durch eine sonstige Veranlassung all das Ihrige verloren haben, Männer, welche sich auf irgend eine Art und Weise mit der Justiz überworfen, Jäger und Fallensteller, welche die Gelegenheit benutzen wollen – es kommt eine Expedition zu Stande. Allein sie ist leichtsinnig unternommen oder tollkühn geleitet worden, sie verunglückt, und von den Vielen, welche ausgezogen sind, kommen kaum einige Wenige zurück, um von den Gefahren und Entbehrungen zu berichten, denen die Andern zum Opfer gefallen sind. Da wird plötzlich irgendwo wieder ein großer Fund gethan, das Fieber beginnt abermals, eine neue Expedition kommt zu Stande und – geht ganz unter denselben Verhältnissen zu Grunde.
Der größte Feind all dieser Unternehmungen ist nicht der Hunger oder der Durst, nicht der riesige Bär der amerikanischen Wälder, nicht der starke, blitzschnelle Jaguar oder das in den Sümpfen lauernde Krokodil, sondern der Indianer, der in dem Weißen nur den Räuber kennt, welcher ihn widerrechtlich aus dem Lande treibt, wo die Grabhügel seiner großen Krieger, die Wigwams seiner[50] Stammesgenossen liegen und ungezählte Heerden ihm seit Jahrhunderten den Unterhalt gewährten. Die Stärke des Bären mit der List des Panthers vereinend, jeder Anstrengung und Entbehrung gewachsen, virtuose Reiter, wohlgeübt in jeder Art von Waffe, und im Kampfe mit dem Feinde ebensowohl zum größesten Opfer als auch zur kühnsten Kraftentfaltung bereit, sind sie Gegner, die man sich furchtbarer gar nicht zu denken vermag, und die verschwiegenen Urwälder, die unermeßlichen Savannen sind Zeugen von Heldenthaten, wie sie unsere moderne europäische Kriegführung nicht aufzuweisen vermag, und die an jene reckenhaften Kämpen erinnern, von denen uns die Sage berichtet, deren Worten wir Alten und Jungen mit fliegenden Pulsen lauschen.
Also es war im Jahre 1830, als sich die Einwohnerschaft von Arispe in einer nicht geringen Aufregung befand. Man sprach von einer Expedition, die so zahlreiche Betheiligung finden und solche Hoffnung auf Erfolg bieten sollte, wie noch keine der vorhergehenden. Der Unternehmer war ein Fremder, ein Spanier, der erst vor kaum zwei Monaten angekommen war und den Namen Don Estevan de Arechiza führte. Dieser Mann schien schon im Lande gelebt zu haben, doch hatte ihn früher noch Niemand gesehen. Topographische Kenntnisse, deren Genauigkeit nichts zu wünschen übrig ließ, und die offenbar aus bester Quelle geschöpften Anschauungen über Menschen und Dinge bewiesen, daß Sonora ihm keine Terra inkognita sei. Er mußte mit einem sehr wohlüberlegten Plane aus Europa herübergekommen sein, denn Alles, was er that, verrieth tiefes Nachdenken und einen sehr sichtbaren innern Zusammenhang. Er verfügte über ebenso[51] bedeutende wie geheimnißvolle Hilfsquellen, denn er lebte auf einem überaus glänzenden Fuße, hielt offenes Haus, spielte sehr hoch, lieh seinen Bekannten Geld, ohne es jemals zurückzuverlangen, und kein Mensch konnte sagen, woher er das Geld nahm, um einen so ungewöhnlichen Aufwand zu bestreiten.
Er unternahm von Zeit zu Zeit eine kleine Reise, die höchstens eine Woche währte; dann zeigte er sich wieder, ohne daß man wußte, wo er gewesen war, denn seine Dienerschaft, die jedenfalls gut besoldet war, ließ über die Angelegenheiten ihres Herrn niemals Etwas verlauten. Sein vornehmes Wesen, seine Großmuth und Freigebigkeit verhalf ihm in Arispe bald zu einem gewaltigen Einflusse, so daß es ihm nicht schwer fallen konnte, eine Expedition zu organisiren, über deren eigentliches Ziel er sich allerdings noch nicht ausgesprochen hatte. Nur so viel ließ er hören, daß sie nach einem Orte gehen solle, bis zu welchem noch kein Weißer vorgedrungen sei.
Aus allen Gegenden des Landes strömten ihm Leute zu, die sich betheiligen wollten, und man erzählte sich, daß bereits achtzig entschlossene Männer nach dem Präsidio Tubac an der indianischen Grenze, das Arechiza ihnen als Sammelplatz bezeichnet hatte, unterwegs seien. Wollte man dem allgemeinen Gerüchte Glauben beimessen, so war auch der Tag bereits nahe, an welchem Don Estevan in eigener Person von Arispe abgehen wollte, um sich an ihre Spitze zu stellen.
Um diese Zeit war es, daß ein Reiter langsam durch die Straßen der Stadt geritten kam, sich angelegentlich nach der Wohnung Don Estevan de Arechiza's erkundigte und, vor derselben angekommen, vom Pferde stieg.[52]
Seine Kleidung bestand in einem Wammse ohne Knöpfe – einem Kleidungsstücke, welches man wie ein Hemd überwirft – und in einer weiten Hose, Beides aus gegerbtem, backsteinfarbigem Leder. Diese Hose, welche vom Knie an bis herab zur Ferse offen war, ließ das von mit figurenbedecktem Ziegenleder umgebene Bein sehen. Diese unförmlichen Stiefeln waren durch scharlachrothe Kniebänder befestigt, in deren einem ein langes Messer mit seiner Scheide stak. Eine aus rothem chinesischem Crepp bestehende Schärpe, ein großer Filzhut, welcher von einer Schnur venetianischer Perlen umgeben war, bildeten ein malerisches Kostüm, dessen Farben mit denen der Serape (Plaid), die ihm um die Schultern hing, vollständig harmonirten.
Ein Diener frug nach seinem Begehr.
»Ist Don Estevan de Arechiza zu sprechen?«
»Ich werde sehen! Wen soll ich melden?«
»Mein Name ist Petro Cuchillo.«
Der Diener schritt ihm voran und öffnete ihm bald den Eintritt in ein Gemach, wo sich der Mann befand, welchen er suchte.
Don Estevan schien im Begriffe gewesen zu sein, auszureiten. Er war ein Mann von etwas mehr als mittlerer Größe. Er hatte einen Dolman von dunkelblauer Farbe an, welcher reich mit seidenen Borden verziert war und durch ein weißes, mit himmelblauer Seide gesticktes Taschentuch fast ganz verdeckt wurde. Unter einem glühenden Himmel dient die Weiße dieser Art von Schärpe, pano del sol genannt, wie der Burnus der Araber dazu, die Sonnenstrahlen zurückzuwerfen. An seinen Füßen, die mit halbem Saffianleder bekleidet waren, hielt ein großer, mit[53] goldenen und silbernen Zierrathen geschmückter Riemen eiserne Sporen fest, deren Räder mit ihren fünf langen Spitzen und hellklingenden Kettchen sich mit jenem silbernen Geklirr bewegten, nach welchem die mexikanischen Reiter den Gang ihrer Pferde zu kadenziren pflegen. Seine Manga (Mantel), die mit goldenen Borten reich verziert war, bedeckte die weiten Beinkleider, die in der ganzen Länge der Beine mit Knöpfen von Silberdraht besetzt waren.
Sein ursprünglich schwarzes Haar zeigte bereits zahlreiche weiße Fäden; seine schwarzbraunen Gesichtszüge glichen denen der Menschen, welche lange unter einem tropischen Himmel gelebt haben, und schienen mit jener Beweglichkeit begabt, welche ungestüme und ungezügelte Leidenschaften verräth. Seine schwarzen, lebhaften und etwas unstäten Augen glänzten unter einer breiten und knochigen Stirn, welche von frühzeitigen Runzeln durchfurcht war.
»Was wollt Ihr von mir?« frug er den Ankömmling, der ganz das Ansehen eines jener Banditen hatte, welche die zwischen den mexikanischen Ortschaften liegenden Strecken unsicher machen. Er warf auf ihn einen forschenden, durchdringenden Blick, der ganz auf den Grund der Seele zu tauchen schien, und konnte sich einer Geberde der Ueberraschung nicht enthalten.
»Ich habe die Ehre, Ew. Sennoria die Hände zu küssen, und bin« – – –
Cuchillo hielt mitten in seiner Rede inne; er sah einen Mann vor sich, den er trotz der Jahre, die sie sich nicht gesehen hatten, sofort wieder erkannte.
»Was wollt Ihr von mir, habe ich gefragt!« klang es barsch.[54]
»Sennor Kapitano, ich bin ebenso erstaunt als erfreut, Sie« – – –
»Mein Name ist Arechiza, merkt es Euch!«
Da blitzte es in den Augen Cuchillo's auf.
»Sennor, der Name gleicht dem Schlachtpferde; ist das eine unter mir erschossen, so besteige ich ein anderes. Ist es bei Ihnen nicht ebenso?«
Es war Don Estevan anzumerken, daß er nur mit Mühe einen aufsteigenden Zorn niederzuhalten vermochte, doch klang seine Stimme milder als vorher, als er zum dritten Male frug:
»Was wollt Ihr von mir, Don Petro Cuchillo?«
»Nichts. Ich bringe Ihnen Etwas!«
»Was?«
»Ein großes, werthvolles Geheimniß.«
»Wenn es Werth hätte, würdet Ihr es für Euch behalten!«
»Ich kann seinen Werth nicht ausbeuten und möchte Sie um Ihre Hülfe bitten.«
»So! Worin besteht dieser Werth?«
»In einer Bonanza (zu Tage liegende Goldmasse) von geradezu undenkbarem Reichthume.«
»Wo liegt diese Bonanza? Jedenfalls in Eurer Einbildung.«
»Läge sie nur da, so würde ich es verstehen, sie auszubeuten, darauf können Sie sich verlassen, Sennor Capit – Don Arechiza, wollte ich sagen; da es aber eine wirkliche Bonanza ist, die mitten im Gebiete der Apachen liegt, so kann sie nur durch eine Expedition gehoben werden, welche stark genug ist, es mit den Indianern aufzunehmen.«[55]
»Ah! Und Ihr denkt wirklich, ich sei der Mann, der einer solchen Fabel Glauben schenkt?«
Cuchillo machte Miene, nach dem Messer zu greifen.
»Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht, Sennor, das ist mir vielleicht gleich; aber hüten Sie sich, mir eine Beleidigung zu sagen! Es ist ein Unterschied zwischen dem Decke eines Seeschiffes, wo der Kapitano Alles gilt, und dem freien Sonora, wo jedes unvorsichtige Wort einen Messerstich oder eine Kugel kostet.«
»Pah! Deck oder Sonora, ich sage meine Meinung. Uebrigens, um die Sache ein- für allemal beizulegen, wird es Euch lieb sein, wenn ich Euch blos als Cuchillo, wie Ihr Euch jetzt nennt, kenne. Ein Aehnliches nehme ich natürlich auch für mich in Anspruch, wenn unser unerwartetes Zusammentreffen Euch von irgendwelchem Nutzen sein soll. Und nun sagt aufrichtig und ohne Hinterhalt, was Ihr bei mir wollt! Ihr kennt mich genugsam, um zu wissen, daß Ueberschwenglichkeiten bei mir nicht verfangen.«
»Ich bringe Ihnen keine Ueberschwenglichkeit, sondern die reine Wahrheit. Ich kenne eine Bonanza, die Dem, welcher sie auszubeuten vermag, ein unerschöpfliches Vermögen bietet.«
»Wo liegt sie?«
»Das zu sagen, halte ich mich nicht für verpflichtet. Nur eine zahlreiche Gesellschaft darf hoffen, das Gold heben zu können; ich habe mir alle Mühe gegeben, eine solche zusammenzubringen, aber vergebens. Da hörte ich, daß ein Don Estevan de Arechiza in Arispe eine großartige Expedition zusammenbringe, und habe meine letzten Mittel[56] darangegeben, hierher zu kommen, um Ihnen das Geheimniß anzubieten.«
»Und die Geschichte dieser Bonanza?«
»Sie müssen wissen, daß ich seit meiner Rückkehr aus Europa das Gewerbe eines Gambusino treibe; ich habe schon viele Länder unter dem Himmel durchforscht und Goldlager gesehen, die wohl noch keines Menschen Auge erblickt hat.«
»Ihr habt das Gold gesehen und es liegen lassen?«
»Spotten Sie nicht, Don Estevan! Ich habe ein Goldlager gesehen, welches so reich ist, daß Der, welcher es besitzt, nichts weiter braucht, ein Goldlager, so reich, daß der unersättlichste Ehrgeiz damit zufrieden sein kann, denn es reicht vollständig, um sich ein Königreich zu kaufen, ein Goldlager, so reich mit einem Worte, daß ich keinen Augenblick Anstand nehmen würde, dem Teufel meine Seele dafür zu verschreiben!«
»Sennor Cuchillo, der Teufel ist nicht so dumm, eine Seele so hoch zu bezahlen, die er jeden Augenblick umsonst haben kann. Allein, wie habt Ihr dieses Placer entdeckt?«
»Haben Sie einmal den Namen Marcos Arellanos gehört?«
»Ja, er soll der berühmteste Gambusino von Mexiko gewesen sein.«
»Nun wohl. Er ist es gewesen, der mit noch einem Gambusino diese Bonanza entdeckt hat, allein, als sie sich eines Theiles des Goldes bemächtigen wollten, wurden sie von den Indianern aufgespürt und angegriffen. Der Gefährte mußte den goldenen Blick mit dem Tode bezahlen, und Marcos selbst entkam nur mit vieler Mühe. Zu Tubac[57] führte mich der Zufall mit ihm zusammen; er schlug mir vor, mit ihm einen zweiten Versuch zu machen, ich nahm sein Anerbieten an und wir begaben uns auf den Weg. Wir langten glücklich im Goldthale an, wie er den Ort nannte. O, ihr Mächte des Himmels! Sie hätten diese Goldblöcke in der Sonne glänzen sehen sollen! Unglücklicher Weise konnten auch wir blos unsere Augen sättigen. Der Ort ist den Apachen heilig, sie haben einem der berühmtesten ihrer Häuptlinge den Leichenhügel dort errichtet, wir mußten fliehen; ich kam allein zurück... der arme Arellanos; ich habe ihn sehr bemitleidet! Wohlan, das Geheimniß dieses Goldthales will ich an Sie verkaufen.«
»Wer garantirt mir für die Wahrheit des Gesagten und für Eure Treue?«
»Mein eigenes Interesse!«
»Wie so?«
»Ich verkaufe mein Geheimniß an Sie, allein ich gebe meine Rechte auf dieses Placer nicht auf. Ihnen kommt als Haupt der Expedition ein Fünftel des Ertrages zu; das macht zwar einen bedeutenden Theil des Schatzes aus, rechnen Sie aber, daß nur ein Bruchtheil Ihrer Achtzig zurückkommen wird, so bleibt für jeden der Ueberlebenden so viel übrig, daß er den Rest seiner Tage üppig leben kann. Ich verlange, außer einer angemessenen Summe als Preis des Geheimnisses, in meiner Eigenschaft als Führer der Expedition den zehnten Theil der Beute, denn ich werde Ihnen zu gleicher Zeit ein Führer und eine Geißel sein.«
»Ich fasse natürlich die Sache ebenso auf. Wie hoch schlagt Ihr Euer Geheimniß an?«
»Ich verlange nur eine Bagatelle dafür. Das Zehntel, welches Sie mir zusagen werden, ist mir hoch genug,[58] da ich mich dieser unzugänglichen Schätze nicht allein bemächtigen kann. Ew. Sennoria wird mir sodann die Kosten meiner Ausrüstung vergüten, die ich zu fünfhundert Piaster anschlage.«
»Fünfhundert Piaster? Ihr seid wirklich vernünftiger, als ich dachte, Cuchillo, und das giebt mir Vertrauen zu Euren Worten. Ihr sollt die fünfhundert Piaster sowie den zehnten Theil der Beute haben!«
»Wie groß dieselbe auch sein mag?«
»Wie groß sie sein mag; Ihr habt mein Wort! Wo liegt das Goldthal?«
»Jenseits des Präsidio Tubac. Ihre Expedition soll von Tubac ausgehen, Sie brauchen also ihre Route nicht zu verändern.«
»Ganz gut! Und Ihr habt das Gold mit eigenen Augen gesehen!«
»Ich habe es gesehen, ohne es berühren zu können; ich habe es gesehen mit Zähneknirschen, wie der Verdammte durch die Flammen der Hölle hindurch ein Stück des Paradieses sehen würde; ich habe gesehen zentnerschwere Blöcke des gediegenen Metalles und sehe sie noch heut in jedem Traume!«
Diese Worte wurden mit der ganzen Wuth getäuschter Habsucht gesprochen; Arechiza konnte nicht mehr länger an der Wahrheit des Gesagten zweifeln. Er nahm aus einer kleinen aber schweren Kassette einen hirschledernen Beutel und zählte aus demselben Cuchillo zweiunddreißig Quadrupel hin. Dies machte etwas mehr als fünfhundert Piaster. Cuchillo steckte das Gold ein und erhob die Hand zum Schwure.
»Ich schwöre beim Kreuze des Erlösers, daß ich nichts[59] als nur die reine Wahrheit sagen werde! Zehn Tagreisen in nordwestlicher Richtung hinter Tubac kommt man am Fuße einer Bergkette an, welche nicht schwer zu erkennen ist, denn ein dicker Nebel umschleiert ihre Kuppen Tag und Nacht. An dieser Hügelreihe läuft ein kleines Flüßchen hin, in welches sich ein anderes ergießt. Da wo sich an diesem Zusammenflusse eine Erdkrunze bildet, erhebt sich ein steiler Hügel, auf dessen Spitze sich das Häuptlingsgrab befindet. Am Fuße des Hügels liegt ein See und daneben ein enges Thal. Dieses ist das Goldthal, in welches das Wasser ungeheure Schätze gespült hat.«
»Diese Reiseroute ist leicht zu verstehen.«
»Desto schwerer aber ist es, ihr zu folgen. Dürre Wüsten, durch die man kommt, sind nur das kleinste Hinderniß. Indianerhorden durchstreifen diese Steppen an jedem Augenblicke; das Grab des Häuptlings bildet für sie den Gegenstand eines abergläubischen Kultus und das beständige Ziel ihrer Wanderungen. Bei einer dieser Pilgerfahrten haben sie mich und Arellanos überrascht.«
»Und dieser Arellanos, hat er nur Euch das Geheimniß entdeckt?«
»Ja.«
»Hatte er keine Verwandten? Vielleicht ein Weib?«
»Ich erfuhr gestern während der Reise, daß die Frau des Arellanos soeben gestorben sei.«
»Ein Kind?«
»Einen Sohn hatte er.«
»Einen Sohn? Dieser kennt das Geheimniß ganz sicher.«
»Ich glaube nicht, er war nicht daheim, als Arellanos von der Reise kam. Und übrigens ist es nur der[60] Adoptivsohn, der weder seinen Vater noch seine Mutter kennt.«
»Jedenfalls der Abkömmling eines armen Teufels aus dieser Provinz!«
»Ganz und gar nicht; er stammt aus Europa und ist höchst wahrscheinlich in Spanien geboren.«
»Ah!«
Don Estevan horchte unwillkürlich auf.
»So hat wenigstens der Kommandant einer englischen Kriegsbrigg, die im Jahre 1811 nach Guaymas kam, gesagt. Dieses Kind, welches zugleich spanisch und französisch sprach, war nach einen blutigen Treffen mit einem französischen Kutter mit gefangen genommen worden. Ein Matrose, welcher ohne Zweifel sein Vater war, und den das Kind stets beweinte, war entweder getödtet worden oder entkommen. Der Kommandant wußte nicht, was er mit dem Knaben anfangen solle, da nahm ihn Arellanos zu sich und machte einen Mann daraus; denn so jung er noch ist, so besitzt er doch den Ruf eines Rastreador (Spurenfinder), der nie fehlgeht, und eines Pferdebändigers, dem selbst die wildeste Bestie gehorchen muß.«
»Wie ist sein Name?«
»Tiburcio Arellanos.«
»Habt Ihr ihn gesehen?«
»Nein, aber desto mehr von ihm gehört.«
»Und meint Ihr nicht, daß dieser Rastreador, der nie fehlgeht, dieser kühne Pferdebändiger, uns gefährlich sein kann, wenn er um das Geheimniß seines Adoptivvaters weiß?«
»Was vermag ein Einzelner gegen Achtzig?«
»Richtig! Im Uebrigen sind wir mit unserm Geschäft[61] im Reinen und dürfen alles Weitere der Zukunft überlassen. Ich hatte beschlossen, nach drei Tagen nach Tubac zu gehen, werde mich aber unter den veränderten Verhältnissen für den morgenden Tag bestimmen. Ihr werdet Euch meinem Gefolge beigesellen und bis dahin Platz hier im Haufe finden. Besorgt also Eure Ausrüstung bis morgen früh, sonst ist es zu spät!«
Am andern Morgen hatte sich die ganze Einwohnerschaft von Arispe versammelt, um der Abreise des Don Estevan de Arechiza beizuwohnen. Die Gesellschaft bestand außer ihm nur aus sechs Personen, und dennoch hatte man eine Kavalkade von über dreißig Pferden für nothwendig gehalten, die weit Entfernung zwischen Arispe und Tubac mit möglichster Schnelligkeit zurückzulegen.
Diese Pferde gehören einer Race an, welche gewohnt ist, auf ungeheuren Weideplätzen frei umherzujagen und sind, wenn sie zwanzig Wegsstunden ohne Reiter zurückgelegt haben, noch ebenso munter, als wenn sie gerade aus dem Stalle kämen. Wenn große Strecken zurückgelegt werden sollen, so sattelt man sie abwechslungsweise, und reist dabei ebenso schnell wie in Europa mit der Post, wo auf jeder Station frische Pferde genommen werden.
Die Reise ging zunächst nach dem drei Tagereisen entfernten Dorfe Huerfano. Dort hatte sich ein trübes Ereigniß abgespielt zwischen zwei Personen, die in dem Gespräche zwischen Don Estevan und Cuchillo erwähnt worden waren.
Unter dem Dache einer kleinen aber sauber gehaltenen Hütte lag eine alte Frau im Bette, deren Gesichtszüge jenen Ausdruck anzunehmen schienen, welchen man den hippokratischen nennt. Vor ihr kniete ein bildschöner Jüngling[62] in der Ledertracht der Gambusinos, über dessen rechte Wange ein seiner Strich lief, der von einer Schnittwunde herzurühren schien, die kaum eine Spur zurückgelassen hatte. Die Frau hatte die Hände auf seine reichen Locken gelegt und sprach mit leiser, angestrengter Stimme:
»Das ist das Geheimniß, welches mir der Vater anvertraut hat, ehe er seine letzte Reise antrat. Ich habe es Dir mitgetheilt, weil er nicht wieder zurückgekehrt ist und das Gold Dir bei Deiner Armuth viel nützen kann.«
»Und Du kennst den Namen des Mannes nicht, mit welchem er sich in Tubac verbunden hat?«
»Nein.«
»Ich habe nach ihm geforscht, doch nichts erfahren können, als daß er ein wenig hinkt und ein Pferd geritten hat, welches oft stolpert.«
»Aber Du wirst ihn finden, Tiburcio! Du bist der beste Fährtensucher weit und breit, und wann Du ihn haben willst, so kann er Dir nicht entgehen. Weißt Du, was in der Schrift gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut? Tiburcio, ich gehe in ein anderes Leben, aber ich kann nicht eher scheiden, als bis ich weiß, daß den Mörder die Strafe ereilen werde. Lege Deine Hand in die meine und schwöre mir, daß Du nicht ruhen und nicht rasten wirst, als bis Du ihn gefunden und getroffen hast!«
»Ich schwöre es!«
»Ich danke Dir, denn ich weiß, daß Du diesen Schwur halten wirst!«
Sie legte sich, vom Sprechen ermüdet, zurück und schloß die Augen. Er betrachtete sie mit liebevollem Blicke, in seinem Auge standen große Thränentropfen, als er sich auf ihre hagere Hand niederbeugte, um sie zu küssen.[63]
»Mutter!«
»Was willst Du noch, mein Tiburcio?«
»Ich will Dir danken für all die große und viele Liebe, die ich bei Euch gefunden habe.«
Ein glückliches Lächeln glitt über ihr Gesicht.
»Du hast sie uns reichlich belohnt. Wollte Gott, ich könnte Dir Deine rechte Mutter nennen!«
»Habt Ihr mir Alles gesagt, was Ihr von mir wißt?«
»Alles.«
Er schwieg.
Trotz der Nähe des Todes, welcher seinen Stempel auf die erstarrenden Züge der Sterbenden drückte, gingen Erinnerungen durch die Seele des Jünglings, die ihn weit in die Ferne wiesen. Sie waren sein einziges Besitzthum, welches er mit in die Hütte des Gambusino gebracht hatte, und von ihm mit aller Sorgfalt gepflegt und festgehalten worden. Ein wunderschönes Frauenangesicht, hold und freundlich wie dasjenige eines Engels, hatte sich über ihn geneigt; dann sah er sich auf dem Arme eines wilden Mannes und hörte einen Schuß krachen; auch die Spitze eines Messers meinte er zu fühlen, welches ihm über die Wange ging. Dann hatte er viel, viel Wasser gesehen und war lange, lange Zeit auf einem Schiffe gewesen. Ein fürchterlich großer Mann hatte ihn auf dasselbe gebracht, aber dieser Mann war so lieb und gut gewesen und sie hatten sich Vater und Sohn genannt. Noch heut sah er die Augen dieses Mannes aus einem treuen Gesichte in Liebe und Milde herniederblicken, dann war er einmal mit bluttriefenden Händen und wildem Blicke zu ihm gekommen und hatte gerufen: »Bete, mein Sohn, der Tod ist da!« Ein fürchterliches Geschrei schnitt ihm noch[64] heut in die Ohren, und nun verließ ihn die Erinnerung, bis er sich in der Hütte seines Pflegvaters Marcos Arellanos wiederfand.
»Tiburcio!«
Er erhob den niedergesenkten Kopf in die Höhe und sah, daß der letzte Kampf begonnen hatte.
»Meine Mutter!«
Er drückte seine Lippen auf ihre von Schweiß bedeckte Stirn und ergriff ihre kalten Hände, als müsse er sie zurückhalten von dem großen Schritte, den sie jetzt thun sollte.
»Gott segne Dich jetzt und immerdar. Vergiß nicht Deinen Schwur!«
Die Worte entflohen nur leise und in immer sich vergrößernden Absätzen ihren Lippen; ihr Körper erbebte konvulsivisch – eine letzte, gewaltsame Bewegung, sie war todt.
Lange kniete er im Gebete an ihrem Lager, dann erhob er sich, um die Nachbarn herbeizurufen. In jenen Länderstrichen ist der Lebende gezwungen, sich so schnell wie möglich von seinen Todten zu trennen; die Natur zeigt sich gewaltiger und ungestümer, als in der gemäßigten Zone, und gewährt dem Menschen keine Frist zur Zahlung des ihr gehörigen Tributes. Das Grab wurde noch während des Abends angefertigt, und schon am nächsten Morgen deckte die Erde das einzige Wesen, welches Tiburcio, der Rastreador noch besessen hatte.
Er sah sich in der elenden Bambushütte um, welche er mit den nun todten Eltern bewohnt hatte. Ein Lager von Häuten, eine armselige Hängematte, das Skelett eines Pferdekopfes, welches als Sessel gedient hatte, das war[65] Alles, was sie barg. Sie war zu klein, zu eng für seinen thatendurstigen Geist gewesen, es hatte ihn immer wieder hinausgetrieben in die an Abenteuern so reiche Wüste; sie bot ihm jetzt nun gar nichts mehr, was ihn halten konnte. Er trat hinaus, wo sich der größte Reichthum befand, welchen er besaß, ein Pferd, welches seines Gleichen suchte. Es wieherte ihm freudig zu; er klopfte es auf den vollen und doch so zarten, kühn gebogenen Hals und legte ihm dann den Sattel auf. Muthig, erwartungsvoll schnaubend, rieb es den kleinen Kopf an seiner Schulter.
»Geduld, Geduld, Du Braver, Du einziges Wesen, welches mir geblieben ist. Es geht fort in den Wald, in die Savanne. Ich muß das Leid hinaustragen in die wilde Einsamkeit und es dort begraben, wo es niemand findet. Ich muß die Gefahr suchen, welche die Seele stärkt, die Gefahr und – und den hinkenden Mann, dessen Pferd stolpert. Und wenn ich ihn finde, so werde ich meinen Schwur halten, den ich der Mutter gegeben habe!«
Er schritt zur Cisterne, um seinen Wasserschlauch zu füllen, nahm die Waffen zu sich und saß dann auf. In kurzer Zeit schon lag das Dorf weit hinter ihm. Er war mit sich und seinen Gedanken allein und konnte ungestört an seine Lage und an seine Zukunft denken.
Die Mutter hatte ihm die Kunde von den unermeßlichen goldenen Schätzen vererbt; aber diese Reichthümer lagen mitten im Gebiete der Apachen, und er allein vermochte nicht, sie zu heben. Sollte er sich Jemandem anvertrauen? War dies der einzige Weg, zum Ziele zu kommen, so mußte er bald betreten werden, denn der Mörder von Marcos Arellanos that sicher sein Möglichstes, das Goldthal so bald wie möglich auszubeuten. Ein Plan nach[66] dem andern tauchte in dem Kopfe Tiburcio's auf, aber bei näherer Prüfung konnte er keinen einzigen für praktisch und ausführbar erklären. Er mußte das Gold um jeden Preis haben, nicht um des Goldes willen, sondern um mit Hülfe des werthvollen Metalles Licht über seine Vergangenheit und seine Abstammung verbreiten zu können.
So verging unter resultatlosem Grübeln und Sinnen der Tag. Sein schnelles Pferd hatte ihn weit fortgetragen, tief in die Wildniß hinein, wo er, jeder menschlichen Wohnung fern, sein Nachtlager unter den Sternen des Himmels aufschlagen mußte.
Schon hatte sich die Sonne hinter den westlichen Horizont hinabgesenkt, und die Lichter des Tages begannen, dem Düster der Dämmerung zu weichen. Er hielt das Pferd an und sah sich nach einem Platze um, der die zum Rastorte nothwendigen Eigenschaften hatte. Da war es ihm, als sehe er vor sich in der Ferne einige dunkle Punkte, welche sich quer über seine Richtung bewegten. Er verschärfte seinen Blick und erkannte vier Reiter, welche in langsamem Tempo durch das kniehoche Gras ritten. Er war mit der wilden Steppe nur zu wohl vertraut und wußte, daß er, um selbst sicher zu sein, ihnen folgen müsse, um sich über ihre Personen und den Zweck ihres Rittes Klarheit zu verschaffen. Er wartete, bis sie hinter den wellenförmigen Erhöhungen der Prairie verschwunden waren, und setzte dann sein Pferd in Galopp.
Nach Verlauf von einer Viertelstunde hatte er die Fährte erreicht und stieg ab, um sie zu untersuchen.
»Drei Männer und eine Dame!« meinte er verwundert. »Es ist kein Zweifel möglich, denn drei von den Pferden haben die gewöhnlichen Kreuzspuren hinterlassen,[67] während das Vierte nach der Weise der Damenpferde geschritten ist: im Bärentritt, die zwei Beine einer und derselben Seite zugleich erhebend. Wer mögen die Leute sein? Sollte – –«
Er vollendete den Satz nicht, mit welchem er seiner Vermuthung Worte geben wollte, aber ein freudiger Schimmer flog über sein bisher so ernstes Gesicht, und nach einem kurzen Nachdenken entschloß er sich:
»Ich muß ihnen nach auf jeden Fall!«
Noch war es hell genug, daß er die Hufeindrücke von dem Rücken des Pferdes aus zu erkennen vermochte. Er folgte ihnen ungesäumt, wenn auch, da er sie beim Lagerfeuer beobachten wollte, im langsamen Schritte, und mochte wohl eine kleine englische Meile vorwärts gekommen sein, als er plötzlich überrascht sein Pferd anhielt, zur Erde sprang und die Spuren nochmals genau betrachtete. Er ging einige Schritte zurück und wandte sich dann, den scharfen Blick immer zu Boden gerichtet, eine kurze Strecke seitwärts.
»Es ist keine Täuschung. Hier sind zwei Männer zu Fuß auf die Fährte getroffen und ihr sofort gefolgt. Sie tragen indianische Moccassins, gehen aber wie die Weißen, mit den Fußspitzen nach auswärts, und führen gute, kentucky'sche Bärentödter bei sich; das sieht man an den Kolbeneindrücken hier, wo sie die Büchsen auf die Erde gestemmt haben. Wenn die ersten Vier Sennor Augustin Pena von der Hazienda del Venado mit seiner Tochter Rosarita und zwei Vaqueros sind, wie ich vermuthe, so droht ihnen vielleicht Gefahr. Ich kann nicht von den Spuren lassen!«
Er stieg wieder auf und folgte der Fährte, bis ihm[68] die sich immer vergrößernde Dunkelheit nicht mehr erlaubte, die Eindrücke vom Pferde herab zu erkennen. Jetzt setzte er die Verfolgung zu Fuße fort, indem er sein Thier am Zügel führte.
Der Boden hatte schon längst einige derbere Grasarten und Stauden gezeigt, wie sie nur in der Nähe von Busch oder Wald und Wasser vorkommen. Einzelne zerstreute Mezquites (Gummipflanzen) zeigten sich; die Sträucher traten nach und nach enger zusammen, und es gehörte das scharfe, geübte Auge eines Rastreadors von den ausgezeichneten Fähigkeiten Tiburcio's dazu, die zwischen ihnen hinlaufende Fährte nicht zu verlieren. Er war gezwungen, sein Auge dicht am Boden zu halten, und bemerkte, daß die Eindrücke immer deutlicher wurden. Das saftige Gras, welches auf die Nähe eines Wasserlaufes schließen ließ, hatte sich noch nicht um eine Linie wieder erhoben, ein Zeichen, daß die Verfolgten kaum einige hundert Schritte vor ihm sein konnten. Er beschloß, sein Pferd zurückzulassen, band es an und schlich sich nun mit unhörbaren Schritten vorwärts.
Da schimmerte ihm eine Helle entgegen. Sie wurde verursacht von dem Lagerfeuer der vier Personen, welche er zuerst bemerkt hatte. Es brannte auf einer kleinen Lichtung, deren Rand ein schmaler Bach umspülte.
Ein Blick genügte, um ihn zu überzeugen, daß er sich nicht geirrt habe. Ein hoher, schöner Mann in der Tracht eines reichen Haziendero (Meiereibesitzer) stand am Feuer, neben welchem auf dem ausgebreiteten Poncho ein junges Mädchen ruhte, deren wunderbar schönes Angesicht unter dem Einflusse der Flammen in rosiger Gluth leuchtete.[69] Zwei Vaqueros (Hirten) waren beschäftigt, die Pferde abzusatteln.
»Es ist Don Augustin mit Sennora Rosarita,« flüsterte er, indem sein Herz höher schlug. »Aber wer sind die beiden Männer?«
Es war so dunkel geworden, daß er die Spuren unmöglich mehr erkennen konnte; er mußte die Umgebung durchschleichen, wenn er Antwort auf seine Frage finden wollte. Tief am Boden liegend, schob er sich langsam und unter Vermeidung auch des geringsten Geräusches seitwärts zwischen die Büsche hinein und war auch noch nicht weit gekommen, als er die zwei Gesuchten bemerkte. Sie lagen ganz so wie er am Boden und hielten die glühenden Augen nach dem Feuer gerichtet. Nur ein einziger Strauch trennte sie von ihm, so daß er den größten Theil des im Flüstertone zwischen ihnen geführten Gespräches zu vernehmen vermochte. Sie waren wie Mansas (civilisirte Indianer) gekleidet, doch deutete ihre Hautfarbe auf kaukasische Abstammung hin. Wenigstens konnte der Aeltere kein indianisches Blut in den Adern tragen, während der Jüngere, welcher unzweifelhaft sein Sohn war, die scharfen Züge und den dunklen, hier von den Sonnenstrahlen noch vertieften Teint zeigte, welcher Personen charakterisirt, die von einem kaukasischen Vater und einer kupferhäutigen Mutter abstammen.
Tiburcio mußte sich bei ihrem Anblicke alle Mühe geben, einen Laut des Schreckens zu unterdrücken. Er kannte diese zwei Männer nur zu gut; sie waren von Kanada bis nach Mexiko und Yukatan berüchtigt und gefürchtet, sprachen alle Zungen und hatten auch in jeder Sprache ihren besonderen Namen. Der Alte hieß französisch[70] Main-Rouge, bei den Amerikanern Red-Hand und bei den spanisch sprechenden Mittelamerikanern Mani-Sangriente; der Jüngere, welcher eine Indianerin zur Mutter hatte, wurde in Kanada Half-Breed, in den Vereinigten Staaten Sang-Mele und in Mexiko und bei den Apachen El Mestizo genannt.
Es gibt Weiße, welche das wilde Leben der Indianer annahmen und zu Renegaten der Civilisation wurden. Sie schlossen mit indianischen Frauen eine wilde Ehe und riefen eine gekreuzte oder gemischte Rasse in das Leben, welche man Mestizen nennt und die sicher die Laster der weißen und rothen Menschen, nicht aber ihre Tugenden erbt. Unermüdlich im Rauben, wie die Wilden, furchtbar in der Handhabung der Feuerwaffe wie ihre Väter, civilisirt und mild zugleich, die Sprachen ihrer Väter und Mütter sprechend und stets bereit, diese Kenntnisse und Fertigkeiten zu gebrauchen, um sowohl die Indianer als auch die Weißen zu betrügen, sind diese Mestizen der Schrecken der Wüste und die fürchterlichsten Feinde, denen man begegnen kann. Main-Rouge und Sang-Mele waren die berüchtigten unter ihnen. Zu jeder schlimmen That fähig und unübertroffen an Körperstärke und Geschicklichkeit, traten sie, wo sie nur erschienen, als rücksichtslose Gebieter auf, und wehe Dem, welcher ihnen Widerstand zu leisten wagte, er ging verloren, gleichviel ob er ein Weißer oder ein Indianer war. Und wie sie gegen Andere ein kein Mitleid kennendes Herz zeigten, so lebten dieser Vater und Sohn auch unter sich in einem grauenhaften Verhältniß, und man erzählte sich von Scenen zwischen ihnen, welche das Haar sträuben machten.
»Kennst Du sie, Alter?« frug leise Sang-Mele.[71]
»Don Augustin, der Reiche!« antwortete Main-Rouge kurz.
»Willst Du Geld, viel Geld?«
Der Prairienräuber nickte mit einem Lächeln, in welchem sich die ganze Grausamkeit seiner verworfenen Seele aussprach.
»Gut. Wir putzen die Vaquero's weg; der Haziendero muß ein Lösegeld versprechen, und das Mädchen bleibt als Geißel bei uns.«
»Auch wenn er das Geld bezahlt?«
»Auch dann,« lachte El Mestizo. »Oder denkst Du, daß ich keine Frau werth bin?«
»Aber nöthig hast Du keine. Was soll werden, wenn Du vor einem hübschen Gesicht im Grase kriechst? Ich putze sie Dir mit der ersten besten Kugel weg, darauf kannst Du Dich verlassen!«
»Dann putze ich Dich mit der zweiten weg, darauf kannst Du Dich ebenso verlassen, Du alter Schurke, Du!«
»Eine Frau nehmen ist der dümmste Streich, den ein Jäger machen kann.«
»Hast Du nicht auch eine ›Squaw‹ (indianische Frau) gehabt? Und zwar eine, deren Du Dich heut noch schämen mußt!«
»Schweig, Bube, sonst stoße ich Dir das Messer in den Leib! Ich nahm sie, weil ich gefangen war und mich nur auf diese Weise retten konnte. Sie ist Deine Mutter!«
»Gut, daß sie nicht mehr lebt, denn ich würde ihr nach drei guten Schritten das Fell über die Ohren ziehen für die Albernheit, mir einen solchen Vater zu geben! Aber nimm die Büchse her und mach, daß wir hier fertig werden. Ich nehme den rechts und Du den Linken!«[72]
»Well! Die Abrechnung wegen dem ›einen solchen Vater‹ können wir auch später halten!«
Sie schoben die Läufe ihrer Gewehre langsam durch die Zweige. Tiburcio erhob sich und trat leise hinter sie. Es widerstrebte seinem Gefühle, sie zu tödten, obgleich sie die Kugel sicher nicht unverdient bekommen hätten. Ein Schlag mit dem Kolben streckte Sang-Mele nieder, ein zweiter auch Main-Rouge. Der letztere hatte den Finger schon am Drücker gehabt; der Schuß ging los, traf jedoch Niemanden. Im Nu hatten der Haziendero und die beiden Vaquero's ihre Büchsen ergriffen und hielten die Augen auf die Stelle gerichtet, an welcher sie den leichten Pulverrauch in die Höhe steigen sahen. Tiburcio trat aus dem Busch hervor.
»Schnell, Don Augustin, kommt herbei; ich bedarf Eurer Hilfe!«
»Tiburcio Arellanos!« rief der Haziendero, ihn erkennend. »Wo der ist, gibt es keine Gefahr für uns. Welche Hilfe braucht Ihr von mir?«
»Helft mir zwei Räuber binden, welche Euch überfallen wollten!«
»Ah, ists möglich? Rasch, Leute, vorwärts!«
Sie kamen herbei und schlangen ihre Lasso's um die Hände und Füße der zwei besinnungslos daliegenden Männer.
»Wer sind sie?« frug Don Augustin.
»Habt Ihr noch nichts von El Mestizo und Mani-Sangriente gehört?«
»Von den zwei ›Teufeln der Savanne?‹ Gehört genug, aber, Gott sei Dank, gesehen habe ich sie noch nie!«
»So blickt auf Diese hier; sie sind es!«[73]
»Santa mater! Sprecht Ihr die Wahrheit, Tiburcio?«
Der Gefragte nickte.
»Ich bin ihnen nur ein einzig Mal begegnet; das war droben am Rio Grande. Ich bekam zwar nichts mit ihnen zu thun, aber ich habe mir ihre Physiognomien genau gemerkt. Ein Rastreador kann leicht einmal auf ihre Fährte stoßen, wie es ja auch heut geschehen ist. Ich folgte Eurer Spur, die ich draußen in der Savanne fand, und sah, daß sich die ihrige mit der Euren vereinte. Hier lagen sie im Hinterhalte und beschlossen, Eure Begleiter wegzuputzen und Donna Rosarita gefangen zu nehmen, um ein Lösegeld zu erpressen. Auch wenn Ihr dies auszahltet, sollte sie für Euch verloren sein, denn Sang-Mele wollte sie als seine Frau bei sich behalten. In dem Augenblicke, wo sie schießen wollten, schlug ich sie nieder.«
»Tiburcio!« rief das Mädchen, welches herbeigetreten war und seine Worte mitgehört hatte. »Welch ein Glück, daß Ihr uns folgtet!«
Er sah sie erbleichen und zittern bei dem Gedanken, in die Hände der »Teufel der Savanne,« wie Sang-Mêlé und Main-Rouge genannt wurden, zu fallen.
»Rosarita hat Recht,« stimmte Don Augustin bei, indem er dem Jünglinge die Hand reichte. »Ihr habt uns zum größten Dank verpflichtet. Die Hazienda del Venado steht Euch zu jeder Zeit und zu jeder Hilfe offen. Merkt Euch das, Tiburcio Arellanos!«
»Ich that meine Pflicht, Sennor Pena, nichts weiter. Wollt Ihr mir aber eine Gefälligkeit erweisen, so erlaubt, daß ich für diese Nacht an Eurem Lagerfeuer bleiben darf!«
»Wir erlauben es nicht, sondern wir bitten Euch, es[74] zu thun,« fiel Rosarita ein. »Ich werde unter Eurem Schutze sicher ruhen!«
»Was thun wir mit den Räubern?« frug Pena.
»Schleppt sie an das Feuer,« gebot Tiburcio den Vaquero's. »Wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren!«
Erst als die Körper der Gefangenen von der Flamme beleuchtet wurden, sah Don Augustin, mit welchen fürchterlichen Feinden er es zu thun gehabt hatte. Der alte Red-Hand, welcher aus dem Norden der Vereinigten Staaten stammte, war schon in seiner Jugend einer der berühmtesten Wildsteller und Schützen gewesen. Das wilde Leben hatte seine Knochen zu Eisen, seine Sehnen zu Stahl gehärtet und ihn zu einem bisher noch unüberwundenen Gegner gemacht. Sein ihm ebenbürtiger Sohn mußte ihn noch übertreffen, und die vier geretteten Personen standen da und betrachteten die Gefesselten mit jenen Gefühlen, mit welchen der Jäger auf den überwundenen Löwen blickt, von dem ein einziges Zucken der Pranken genügt, den Feind in Stücke zu zerreißen.
»Tiburcio, Ihr seid der beste Rastreador und Reiter von Sonora, hier aber habt Ihr ein Meisterstück gemacht,« meinte Don Augustin mit einem Athemzuge der Erleichterung. »Die Teufel sind noch von Niemandem besiegt worden!«
»Hätten sie mich bemerkt, so wäre ich verloren gewesen wie jeder andere, Sennor. Einen Menschen von hinten niederzuschlagen ist ein schlechtes Meisterstück.«
»Aber Ihr habt ausgezeichnet getroffen! Sie find noch immer wie todt.«
»Meint Ihr?« lächelte Tiburcio. »Ich wette mein Leben, daß sie schon seit fünf Minuten bei voller Besinnung[75] sind und jedes Wort vernahmen, welches wir sprachen. Diese Art Ungeziefer hat ein zähes Leben. Wären unsere Riemen nicht so scharf und fest, so wären die Teufel längst wieder frei; da sie aber keine Möglichkeit sehen, uns zu entkommen, so ziehen sie es vor, todt zu bleiben.«
Er bückte sich nieder und nahm die lange, ungewöhnlich schwere Büchse El Mestizo's auf.
»Dieses Gewehr ist, außer einem einzigen, das beste zwischen Kanada und dem Honduraslande. Es hat einen Werth, den nur der Jäger zu taxiren versteht, und wird von jetzt an mir gehören.«
»Hund!« knirschte es da zwischen den Lippen des Mestizen hervor.
Tiburcio lächelte befriedigt.
»Seht Ihr, Sennor Pena, daß sie lebendig sind! Er würde die Büchse nicht für zehntausend Unzen verkaufen, und muß sie jetzt umsonst hergeben; das hilft ihm zur Sprache. Nur ein einziges Gewehr gibt es, welches diesem gleicht, und das ist droben in den Rocky Mountains zu finden. Es gehört einem kanadischen Bärenjäger, welcher den Namen Bois-rose führt und in Gesellschaft eines Spaniers allem Wilde und wohl auch jedem Indianer den Tod geschworen hat. Er soll ein Riese sein, der eine Büffelkuh mit den Fäusten niederwirft, und dem kein Mensch gewachsen ist, so weit die Savanne reicht. Er hat noch niemals einen Fehlschuß gethan; die rothen Leute nennen ihn den ›großen Adler‹ und seinen Begleiter den ›zünden den Blitz;‹ an jedem Lagerfeuer drüben über dem Rio Grande del Norte erzählt man sich von ihren Heldenthaten, und wenn sein Schuß im Walde fällt, so kennt[76] jedes Ohr den untrüglichen Klang seiner Büchse, der Indianer zittert, der ehrliche Weiße aber, der ein gutes Gewissen hat, freut sich, unter seinen gewaltigen Schutz zu kommen.«
»Kennt Ihr einige von seinen Thaten?« frug das Mädchen.
»Viele. Ich habe ihn noch nicht gesehen, desto mehr aber von ihm gehört.«
»So erzählt uns von ihm, Tiburcio, wenn wir unser Mahl gehalten haben!«
»Gern, Donna Rosarita!«
Er überzeugte sich noch einmal von der Festigkeit der Lasso's, mit denen die Gefangenen gefesselt waren, und sah dann zu, wie die Tochter des Haziendero die verschiedenen Eßwaaren, welche der letztere seiner weiten Satteltasche entnahm, zu einem leckern und in der Wildniß ungewöhnlichen Mahle zusammensetzte. Wie er so dastand, auf die Büchse gelehnt, in der vollen Jugendkraft und männlichen Schönheit, bekleidet mit der malerischen Tracht des Pferdebändigers, war es gar nicht zu verwundern, daß der Blick des Mädchens öfters und länger auf ihm ruhte, als sie selbst beabsichtigte.
Auch er konnte das Auge kaum von dem lieblichen Wesen lassen, welches hier in der Nähe von zwei so furchtbaren Männern, aber unter seinem und dem Schutze ihres Vaters, mit einer Anmuth waltete, als befinde es sich in der Umgebung der gewohnten, sichern Häuslichkeit. Er war auf der Hazienda del Venado nicht unbekannt, sondern öfters schon dort gewesen, da Don Augustin eine selbst in diesen Gegenden seltene Gastfreundlichkeit übte. Er wußte, daß sie der »Stern von Sonora« genannt wurde, fühlte[77] sich glücklich, ihr einen nicht ganz gewöhnlichen Dienst geleistet zu haben, und sah mit einem bisher noch nicht gekannten Entzücken, daß ihre schönen, strahlenden Augen so oft zu ihm herüberblickten.
»Kommt, Tiburcio, und nehmt an unserem Mahle theil!« forderte ihn der Haziendero auf. »Ohne Euch hätten wir es sicher nicht halten können.«
»Wie kommt es, Sennor Augustin, daß Ihr nicht um der Donna willen eine solche Gefahr vermieden habt?«
»Ich mußte hinüber nach der Hazienda del Emenda, und da Rosarita dort eine Freundin hat, ließ sie nicht nach, bis ich ihr erlaubte, mitzugehen. Ich konnte den Ueberfall nicht vermuthen, denn wir haben diesen Weg schon sehr oft gemacht und find dabei in keinerlei Fährlichkeit gekommen.«
»Dann erlaubt mir, Euch für ähnliche Fälle einen guten Rath zu geben!«
»Welchen?«
»Als der Schuß vorhin fiel, bliebt Ihr mitten auf der Lichtung und am Feuer halten und botet mit Euren hell erleuchteten Gestalten jeder feindlichen Büchse ein sicheres und bequemes Ziel. Ihr hättet Euch sofort mit einem raschen Sprunge hinter die Sträucher werfen sollen.«
»Ihr habt Recht, Tiburcio. Ein Haziendero ist zu wenig Savannero, um in solchen Augenblicken gleich das Richtige zu treffen.«
Als das Essen beendet war, steckten sich die Männer die unvermeidlichen Cigaritto's an, und der junge Rastreador begann, von den Thaten des »großen Adlers« und des »zündenden Blitzes« zu erzählen. Rosarita lauschte[78] mit Aufmerksamkeit seiner wohltönenden Stimme und konnte, als er geendet hatte, nicht umhin auszurufen:
»Wäre ich kein Mädchen, ich möchte nichts anderes werden, als so ein Jäger, dessen Namen an jedem Lagerfeuer erklingt. Von Euch wird man wohl auch erzählen, Tiburcio!«
Er sah ihr mit aufleuchtendem Blicke in die Augen.
»Ich hoffe es. Die Büchse des Mestizen wird mir einen Namen machen!«
»Ist sie wirklich so ausgezeichnet?«
»Paßt auf!«
Er nahm das Gewehr, welches geladen war, zog einen dünnen Schierlingstannenzweig aus der Flamme und wandte sich an einen der Vaquero's.
»Geht zweihundert Schritte fort und steckt den Zweig in die Erde; ich werde mit meiner Kugel ihn gerade unter der brennenden Stelle entzweischießen!«
»Das ist unmöglich!« meinte der Haziendero.
»Tiburcio antwortete nicht, aber wenige Augenblicke später krachte der Schuß, und der Zweig wurde an der bezeichneten Stelle auseinandergerissen.«
»So! Das bringt man nicht mit jeder Büchse fertig. Jetzt aber legt Euch schlafen; ich werde die erste Wache übernehmen.«
»Und ich die zweite, jeder eine Stunde lang,« fiel Don Augustin ein.
Tiburcio bereitete dem Mädchen ein weiches und bequemes Lager von frischen Sassafraszweigen und durchforschte, als die Ruhenden sich in ihre Decken gewickelt hatten, die Umgebung, ob dieselbe ihnen Sicherheit biete.[79] Dann kehrte er zum Feuer zurück, wo er sich neben den Gefangenen niederließ.
Diese lagen noch immer vollständig bewegungslos am Boden, aber ihre zuweilen sich öffnenden Augen bewiesen, daß auch sie munter seien. Es waren eigentümliche Empfindungen, welche durch seine junge Seele flutheten; er hätte für die Ruhe und Sicherheit Rosarita's mit tausend Feinden kämpfen können und unterließ es, nach der abgelaufenen Stunde, ihren Vater zu wecken. Keiner der Schläfer erwachte während der Nacht, und erst als der Morgen angebrochen war, schlug der Haziendero die Augen auf. Als er die Helle des Tages bemerkte, sprang er auf.
»Warum habt Ihr mich nicht geweckt?«
»Ich glaubte Euch nicht gefährdet.«
Auch Rosarita und die Vaquero's, welche erwachten, machten ihm freundliche Vorwürfe. Dann wurde das Morgenmahl eingenommen und man rüstete sich zum Aufbruche.
»Was thun wir mit den Teufeln?« frug Don Augustin.
»Das mag Eurer Bestimmung überlassen bleiben.«
»Sie hätten den Tod verdient.«
»Sicher, nicht blos Euretwegen, sondern schon hundert Male wegen früherer Sünden.«
Auch die Vaquero's sprachen diese Ansicht aus, doch sprach Rosarita bittend dagegen, so daß die Männer, welche wohl auch nicht im Ernste daran dachten, ein so strenges Urtheil zu vollziehen, sich entschlossen, die Gefangenen freizulassen.
»Um uns dabei nicht in neue Gefahr zu begeben, lassen wir ihnen nichts von ihren Waffen,« schlug der Haziendero vor.[80]
»Verzeiht, Sennor,« wandte Tiburcio ein, »das hieße hier in der Savanne sie dennoch zum Tode verurtheilen.«
»Wie so?«
»Sie bedürfen ihrer Waffen zu ihrem Unterhalte. Laßt mich dafür sorgen, daß wir jede Gefahr vermeiden. Ihr könnt die Hazienda del Venago bis zum Abend erreichen und befindet Euch sodann in vollständiger Sicherheit. Ich werde hier zurückbleiben und ihnen die Freiheit zu einer solchen Zeit geben, daß sie Euch nicht erreichen können.«
»Nein, das gebe ich nicht zu,« warf Rosarita ein, »denn auf diese Weise nehmt Ihr die Gefahr ja nur auf Euch.«
Diese Aengstlichkeit für ihn that Tiburcio unendlich wohl; seine Wangen rötheten sich freudig, als er antwortete:
»Habt keine Sorge um mich, Donna Rosarita! Ich werde die Sache so einrichten, daß mir nichts geschehen kann.«
»Wollt Ihr das uns ganz sicher versprechen?«
»Ganz sicher!«
»So sollt Ihr Euren Willen haben, doch nur unter der Bedingung, daß Ihr uns so bald wie möglich auf der Hazienda del Venado aufsucht, damit wir Gelegenheit haben, Euch unsern Dank noch besser abzustatten, als es hier möglich ist!«
Auch der Haziendero sprach diesen Wunsch aus.
»Ich werde kommen,« versicherte der Rastreador, indem er seiner schönen Freundin in den Sattel half.
»Und zwar bald?« frug Don Augustin.
»Bald!«
Die kleine Kavalkade setzte sich in Bewegung und[81] war bald den Augen des nachblickenden Tiburcio entschwunden.
Dieser wandte sich jetzt den Gefangenen zu. Sie hatten seit gestern kaum eine leise Bewegung gemacht, nicht das Geringste genossen und außer dem Ausrufe »Hund« kein einziges Wort hören lassen. Aber in ihren Mienen sprach sich ein Grimm aus, dessen Folgen sicher fürchterlich werden mußten, wenn sie Gelegenheit bekamen, ihre Rache zu befriedigen.
»Wollt Ihr trinken?« frug er.
Keiner antwortete.
»Oder einige Bissen Fleisch nehmend?«
Die Frage hatte ganz denselben Mißerfolg.
»Gut, wie Ihr wollt! Ich beabsichtigte, Eure Banden zu lockern und Euch etwas mehr Freiheit zu gestatten; das wird jetzt unterbleiben.«
Er hatte schon am vorigen Abende sein Pferd herbeigeholt und in der Nähe angepflockt; jetzt ließ er es frei, daß es sich hinreichend Futter suchen sollte. Er selbst streckte sich nieder, um in Bequemlichkeit das soeben erlebte Abenteuer in allen seinen Einzelheiten noch einmal an sich vorübergehen zu lassen. Der Vormittag verging in anhaltendem Schweigen, und erst als die Sonne den Zenith erreicht hatte, erhob er sich und pfiff seinem Pferde. Als er es aufgesattelt hatte, wandte er sich an die Gefangenen.
»Ich weiß, was mir von Euch droht, darum werde ich ein wenig vorsichtig mit Euch verfahren. Die Büchse ist von jetzt an mein Eigenthum; das ist die einzige Strafe, die Euch treffen soll, allein ich lasse Euch an ihrer Stelle die meinige zurück. Was Euch gehörte, lege ich dort unter[82] jenen Summachstrauch; es wird Euch nicht schwer werden, hin zu gelangen und mit Hülfe der Messer die Riemen zu lösen.«
Nachdem er das Gesagte ausgeführt hatte, stieg er auf und verließ den Ort, welcher ohne sein Dazwischenkommen für die vier Leute aus der Hazienda del Venado so verhängnißvoll hätte werden können. Kein einziger Laut, kein Blick war ihm von den beiden Räubern noch geworden; aber er wußte, daß er sich in ihnen zwei ebenso furchtbare wie unversöhnliche Feinde erworben hatte.
Von hier bis zur Hazienda del Venado war es noch nicht eine kleine Tagereise. Der Weg führte durch jungfräuliche Wälder, deren Baumriesen so weit auseinander standen, daß man unter ihrem Blätterdache wie unter der Kuppel und zwischen den Säulen eines riesigen Domes dahinreiten konnte. Der Wald trat bis in die Nähe der Hazienda heran, hinter welcher die zu ihr gehörigen kultivirten Strecken lagen. Unabsehbare Maisfelder und ungeheure Olivenpflanzungen dehnten sich weithin, und es war bekannt, daß Don Augustin Pena einer der reichsten Grundbesitzer des Landes sei.
Die Hazienda selbst war wie alle derartigen Gebäude, welche nahe an dem Gebiete der Indianer liegen, und folglich den Einfällen der umherschweifenden Horden ausgesetzt sind, halb Landhaus und halb Citadelle. Aus Backsteinen und behauenen Quadern erbaut, von einer mit Schießscharten versehenen Terrasse umgeben und mit festen, massiven Thoren versehen, konnte sie recht gut die Belagerung von Feinden aushalten, welche in der Strategie nicht mehr bewandert sind, als die benachbarten Stämme der Apachen. An einer ihrer Ecken erhob sich ein Thurm, auch aus[83] behauenen Steinen erbaut und drei Stockwerke hoch. Er konnte für den Fall, daß das Hauptgebäude vom Feinde genommen wurde, noch einen fast uneinnehmbaren Zufluchtsort bieten. Endlich umgaben starke Pallisaden, aus Pfählen und Stämmen von Palmbäumen bestehend, das ganze Gebäude und die Wohnungen der zur Hazienda gehörigen Diener und Vaqueros und der untergeordneten Gäste, die hier eine vorübergehende Gastfreundschaft in Anspruch nehmen wollten. Außerhalb dieses Umkreises bildeten ungefähr dreißig Hütten eine Art kleinen Dorfes, welches von Tagelöhnern und ihren von der Hazienda vollständig abhängigen Familien bewohnt wurde. Diese Leute konnten in Tagen der Gefahr in der kleinen Festung Schutz finden und die gewöhnliche Besatzung derselben verstärken.
Zu der Hazienda gehörte ein in geringer Entfernung von ihr liegendes und sehr reichhaltiges Goldbergwerk, zahllose Heerden von großem und kleinem Rindvieh, von Stieren, Pferden und Mauleseln, welche auf großen Savannen oder in den tiefen Wäldern frei umherliefen. Eine so bedeutende Territorialausdehnung ist in jenen Ländern nichts Seltenes, wo es Privatbesitzungen gibt, welche einem deutschen Fürstenthume gleichen.
Die Hazienda del Venado war ein oft besuchter Ort, da sie an der Straße lag, welche Arispe und Tubac verband. Allerdings darf man sich bei dem Worte Straße hier nicht eine deutsche Chaussee denken, sondern der Weg ist nur ein gedachter, da es jedem Reisenden freisteht, die ihm beliebige Richtung einzuschlagen.
Eine Tagereise vor Venado lag la Poza, ein Ort, welcher seinen Namen von einer dort befindlichen Cisterne hatte, die, eine Seltenheit in jenen heißen Gegenden, Jahr[84] aus Jahr ein mit Wasser versehen war. Hier machten die Reisenden, obgleich keine bewohnbare Hütte in der Nähe lag, gewöhnlich Nachtlager, da sie und ihre Thiere das erquickende Naß fanden, ohne welches sie verschmachtet wären.
Einige Abende nach den oben erzählten Ereignissen brannte auf der la Poza ein helles Feuer und beleuchtete sechs Personen, welche um dasselbe lagerten. Ein Siebenter, in dem wir Don Estevan de Arechiza erkennen, saß etwas abseits auf dem heruntergenommenen Sattel eines Pferdes und blies die künstlichen Ringe in die Luft, welche er aus dem Rauche seiner Cigarritta zu bilden verstand.
Die Männer sprachen natürlich von dem Reichthume, welchem sie entgegengingen, und die Unterhaltung war eine so lebhafte, daß sie die Bewegung nicht bemerkten, welche sich einer in der unmittelbaren Nähe des Feuers haltentenden Kavalkade von ungefähr dreißig Pferden bemächtigt hatte.
»Benito,« befahl da Don Estevan. »Sieh doch einmal nach, was die Thiere haben.«
Der Gerufene, ein Diener Arechiza's, erhob sich halb und warf einen forschenden Blick auf die Pferde.
»Virgen santa! Seht Ihr die gesträubten Mähnen und die ängstlich leuchtenden Augen? Es muß irgend ein gefährliches Viehzeug in der Nähe sein!«
Und als sollten sich seine Worte sofort bestätigen, erscholl jetzt seitwärts von den Lagernden ein tiefes, grunsendes Brummen, welches schnell in eine höhere Tonlage überging und zu einem entsetzlichen Brüllen wurde.
»Der Jaguar!«
Dieses Wort brachte eine plötzliche Aufregung unter[85] die Leute. Arechiza zwar blieb ruhig auf dem Sattel sitzen und rauchte gleichmüthig weiter, als habe er den Schrei einer Hauskatze vernommen, die Andern aber rückten unwillkürlich zusammen und horchten lautlos nach der Seite hinüber, von welcher her das Brüllen erschollen war.
»Pah,« unterbrach endlich Einer die Stille, »wer braucht sich da zu fürchten! Der Jaguar greift keinen Menschen an, außer wenn er verwundet wird. Nicht einmal an ein Pferd wagt er sich, sondern packt nur höchstens ein Füllen an, welches sich mit den Hufen nicht zu wehren versteht.«
Der Sprecher wollte mehr sich selbst als den Andern Muth einflößen.
»Kennst Du den Jaguar, Baraja?« frug der Diener, welchen Arechiza vorhin Benito genannt hatte.
»Ich habe allerdings noch keinen gesehen.«
»So mußt Du schweigen! Ich sage Dir, der Jaguar springt auf das kräftigste Pferd, reitet es müde und reißt ihm dann die Gurgel aus. Ich habe ihn öfters gesehen und, so lange ich Vaquero war, die besten meiner Pferde durch ihn eingebüßt.«
Das Brüllen ließ sich wieder vernehmen und zwar lauter und näher.
»Nehmt Eure Waffen zur Hand!« gebot Don Estevan.
»Das ist unnütz, Sennor,« entgegnete Benito. »Laßt uns lieber das Feuer vergrößern; das ist das beste Mittel, ihn fern zu halten. Und seht nach den Pferden, ob sie fest angebunden sind, sonst reißen sie sich los und gehen durch.«
Er warf einige Aeste in die Flamme, während Baraja die Pferde sorgfältiger befestigte. Die Thiere kannten[86] die Größe der Gefahr und zitterten am ganzen Körper. –
»So, jetzt ist es beinahe so hell wie am Tage, und die Bestie wird es nicht wagen, diesen Lichtkreis zu überschreiten. Indessen, wenn sie vom Durst geplagt wird, so muß ich sagen – –«
»Was denn?« fiel Baraja ängstlich ein.
»Dann scheut er weder Feuer noch Flamme. Das Gescheidteste ist, ihm dann aus dem Wege zu gehen. Diese Thiere sind immer mehr vom Durste als vom Hunger geplagt.«
»Und wenn sie getrunken haben?«
»Hm, dann bekommen sie gewöhnlich Appetit zum Essen. Das ist ja auch ganz natürlich, wie mir scheint.«
»Allerdings. Aber was frißt er dann?«
»Hm, was er bekommt, Pferde, anderes Fleisch, vielleicht auch Menschen, wenn – – –«
»Wenn –?« frug der furchtsame Baraja.
»Wenn er schon Menschenfleisch gekostet hat; dann muß ich Euch sagen, daß diese Thiere eine sehr feine Zunge haben und den Menschen jeder andern Mahlzeit vorziehen, wenn sie einmal gesehen haben, wie er schmeckt.«
»Das ist nicht sehr beruhigend!« versicherte Cuchillo.
»Warum nicht?« frug Benito, welcher sich vorgenommen zu haben schien, seine Kameraden so viel wie möglich zu ängstigen.
»Nun, wen wird er sich da wohl unter uns herausholen?«
»Weiß nicht! Wir sind sieben Personen; an einer hat er wohl genug, und die andern sechs sind dann gerettet, es sei denn, daß – – –«[87]
»Daß – –« drängte Baraja; »so sagt doch in drei Teufels Namen Alles!«
»Ich wollte sagen, es sei denn, daß er sein Weibchen bei sich habe, in welchem Falle – – doch, warum soll ich Euch quälen!«
»Heraus damit!« gebot Cuchillo. »Man muß doch wenigstens wissen, woran man ist.«
»In welchem Falle er sich verpflichtet fühlen würde, gegen seine Ehefrau so galant zu sein, daß er sich einen Zweiten von uns für sie holen müßte.«
»Santa Maria, so wollte ich daß dieser Tiger noch ein Junggeselle wäre!«
Ein dumpfes Gebrumme ließ sich vernehmen, und da – ja wirklich, da antwortete auf der andern Seite ein zweites Brüllen.
»Er ist verheirathet!« rief Cuchillo. »Es werden nur Fünf von uns übrig bleiben!«
»Unter denen ich mich ganz sicher befinden werde,« meinte Benito. »Ich bin alt, und der Tiger ist kein Freund von magerem und sehnigem Fleische. Aber, horcht!«
Weit vor ihnen erscholl ein kurzer, vollkräftiger Laut, den Benito ebenso gut kannte wie die Stimme des Jaguars.
»Was war das?«
»Ein Löwe, ein Puma!«
»Alle Wetter, da ist ja die ganze Hölle gegen uns losgelassen!« raisonirte Baraja. »Ich wollte, ich wäre überall, nur nicht an diesem verteufelten la Poza! Was ist zu thun, mein guter Benito?«
»Macht Euch so dünn wie möglich, damit Euch das Viehzeug für ganz entsetzlich mager hält!«[88]
Auch Don Estevan schien jetzt Besorgniß zu hegen; er rückte näher an die Flamme und nahm das Gewehr zur Hand.
In diesem Augenblicke ertönten rasche Schritte, und wie aus der Erde gewachsen standen zwei Männer am Feuer, die wie die Nachkömmlinge eines bis auf sie ausgestorbenen Hünengeschlechtes erschienen. Der Eine von ihnen war ein Riese, und dennoch überragte ihn der Andere um eine volle Kopfeshöhe.
»Good evening, Mesch'schurs!« grüßte der letztere. »Wollt Ihr nicht so gut sein und Euer Feuer ein wenig auslöschen?«
»Feuer –? Auslöschen –?« frug Baraja ganz erschrocken. »Seid Ihr wahnsinnig, Sennor?«
»Wahnsinnig? Warum?«
»Weil uns dann der Löwe und die Tiger fressen würden!«
»Und gerade damit sie Euch nicht fressen, sollt Ihr das Feuer auslöschen.«
»Wer seid Ihr, und was thut Ihr hier am la Poza?« frug Don Estevan.
»Man nennt mich Bois-rose.«
»Bois-rose!« rief Benito aufspringend. »So seid Ihr der große Adler?«
»Ja, wenn es Euch recht ist.«
»Und dieser da ist der zündende Blitz?«
»Santa Lauretta, Ihr habt richtig gerathen!« meinte der Kleinere von den beiden Riesen.
»So laßt das Feuer in Gottes Namen auslöschen, Don Arechiza,« rief Benito. »Ich weiß, was diese beiden Männer wollen.«[89]
»Was?«
»Wir sollen uns von der Cisterne zurückziehen, damit die Bestien trinken können, und dabei – –«
»Dabei werden sie unsere Kugeln schmecken!« bestätigte Bois-rose.
»Es ist zu gefährlich!«
»Fürchtet Ihr Euch?« frug stolz der »zündende Blitz,« indem er Don Estevan mit geringschätzendem Blicke betrachtete.
»Löscht aus!« befahl dieser statt einer andern Entgegnung.
»Gut! Zieht Euch mit den Pferden zweihundert Schritte zurück, und ich gebe Euch mein Wort, daß Ihr in zehn Minuten wieder anbrennen könnt.«
»Aber wie kommt Ihr hierher? So spät, zu Fuße und so allein?«
»Wir haben bisher den Bären der Felsenberge gejagt, und wollen nun auch den Jaguar kennen lernen. Doch macht, daß Ihr fortkommt, sonst sind die Thiere da, ehe Ihr es Euch verseht, und bei dem flackernden Lichte hat man in das Dunkel hinein einen unsichern Schuß!«
In kaum einer Minute befanden sich die zwei Fremden allein bei der Cisterne.
»Es sind zwei, hüben und drüben einer.«
»So ists. Komm, gib mir Deinen Rücken!«
Es war jetzt vollständig dunkel. Sie kauerten sich auf ein Knie nieder und lehnten sich mit den Rücken gegen einander, um das Terrain vollständig beherrschen zu können und im Nothfalle eine Stütze zu haben. Das Bowiemesser zwischen den Zähnen und die schweren Büchsen[90] in den Fäusten warteten sie ruhig, bis die Thiere kommen würden.
Es waren noch nicht zwei Minuten vergangen, so ließ sich ein leises Schleichen vernehmen.
»Der meinige ist da, Pepe. Wie steht es mit dem Deinen?«
»Santa Lauretta, das Vieh kauert vor mir und glotzt mich an, als ob ich ihm etwas erzählen solle. Ich glaube, die hiesigen Tiger wissen gar nicht recht, was sie aus uns machen sollen.«
»So kannst Du zum Schuß?«
»Gut.«
»Dann los!«
Zwei Schüsse krachten wie einer, und im Nu hatten die Schützen die Büchsen weggeworfen und die Messer ergriffen. Ein kurzes Schnauben erscholl, dann war Alles ruhig.
»Gut getroffen! Auf der Stelle todt!«
In der Ferne erscholl das Brüllen des Löwen.
»Den holen wir auch noch, denn er geht erst mit dem Morgengrauen zur Tränke. Heda, Ihr Leute, brennt Euer Feuer wieder an; wir sind fertig!«
»Ist's wahr?« frug Baraja vorsichtig aus der Ferne.
»Kommt und seht Euch die Katzen an!«
Einige Augenblicke später brannte das Feuer, und die Körper der beiden Thiere wurden herbeigeschafft. Mit Staunen betrachteten die Mexikaner die gewaltigen Thiere und dann die beiden Männer, welche es so getrost gewagt hatten, den Kampf mit ihnen aufzunehmen.
»Wo habt Ihr sie denn getroffen?« frug Baraja.[91] »Ich sehe ja nicht die mindeste Spur von einer Verwundung!«
»Ihr habt wohl noch niemals eine Flinte in der Hand gehabt, Mann? Santa Lauretta, fragt dieser Mensch, wo wir sie getroffen haben! Natürlich da, wo man einen Tiger treffen muß. Seht Ihr denn nicht, wie Euch die Bestien anschielen?«
»Wahrhaftig, jeder Schuß ins rechte Auge!« rief Don Estevan. »Euer Ruf sagt keine Unwahrheit; Ihr seid die besten Schützen, die ich gesehen habe!«
»Hm,« meinte der Kanadier, »wenn man so einen braven Schießprügel hat wie ich, dann trifft man sicher dahin, wohin man zielt. Es gibt nur noch eine einzige von dieser Art, und diese – – –«
Er hielt inne. In der Gegend, aus welcher das Brüllen des Löwen erschollen war, krachte ein Schuß.
»Teufel!« rief der Kleinere von den Jägern. »Kennst Du diese Büchse?«
»Die kenne ich wie meine eigene,« antwortete der Andere. »Es ist dieselbe, von welcher ich soeben sprechen wollte. Nehmt Euch in Acht, Ihr Leute, die ›Teufel der Savanne‹ sind in der Nähe, denn dieser Schuß kommt aus keiner andern Büchse, als aus derjenigen von El Mestizo!«
Er zog das Messer und bog sich auf den Jaguar nieder, um ihm das Fell abzuziehen; der Kamerad folgte seinem Beispiele. Sie waren noch nicht fertig, so ertönte der Galopp eines Pferdes und ein Reiter hielt vor dem Feuer. Er hatte das eine Ende seines Lasso an den Sattelknopf befestigt, und an dem andern hing der Löwe, welchen er auf diese Weise herbeigeschleift hatte.[92]
»Darf man hier an Eurem Feuer Platz nehmen, Sennores?« frug er.
»Arellano, Tiburcio Arellano, der Rastreador!« rief Benito. »Willkommen, willkommen hier auf la Poza!«
Bei dem Klange dieses Namens blickten sowohl Don Estevan wie auch Cuchillo überrascht empor.
»Benito, wahrhaftig, der alte Benito ist hier. Dann steige ich ab, ohne weiter zu fragen!«
Er sprang vom Pferde, pflockte es an und zog dann den Puma heran, neben die Tiger.
»Santa virgen del estarda, habt Ihr eine gute Ernte gehalten, Sennores! Wer hat denn diese Meisterschüsse gethan?«
Bois-rosé richtete sich langsam empor und frug, statt die erwünschte Antwort zu geben:
»Habt Ihr den Puma geschossen?«
»Ja.«
»Alle Wetter, so habe ich mich in meinem Leben noch nie geirrt. Ich hätte drauf geschworen, daß es die Büchse von El Mestizo sei, die wir vorhin gehört haben!«
»Ihr habt Euch nicht geirrt; sie ists.«
»Was? Wirklich? Das ist ganz unmöglich! Sang-mêlé gibt sein Gewehr nur mit dem Tode her!«
»Oder wenn er gefangen ist.«
»Gefangen? Wollt Ihr Euch etwa über mich lustig machen?«
»Fällt mir nicht ein, Sennor! Er war gefangen und hat die Büchse lassen müssen.«
»Dann ist er einer fürchterlichen Uebermacht in die Hände gerathen!«[93]
»Auch das nicht. Ein Einziger hat ihm besiegt, ihn und seinen Vater.«
»Ihn und Main-rouge? Dann ist dieser Eine entweder ein Engel oder ein Teufel.«
»Keins von Beiden. Wollt Ihr ihn sehen?«
»Natürlich, wenn es möglich ist!«
»Seht mich an, Sennores!«
Es lag kein Stolz in diesen Worten, wenn ihnen auch eine gewisse Genugthuung deutlich anzuhören war.
»Ihr seid es gewesen? Erzählt!«
»Nachher, wenn ich dem Puma seine Haut genommen habe; ich darf ihn nicht kalt werden lassen. Aber, Sennores, meinen Namen habt Ihr gehört; wie nenne ich Euch?«
»Es ist der ›große Adler‹ und der ›zündende Blitz,‹ Tiburcio,« antwortete Benito an Stelle der Gefragten.
»Oder ›Bois-rosé und Pepe Dormillon,‹ wie uns die Weißen nennen,« meinte der größere Goliath.
»Ists wahr?« frug Tiburcio einfach überrascht zurücktretend.
»Wahr!« bekräftigte Bois-rosé.
»Dann nehmt meine Hand, Mesch'schurs. Ich gebe sie berühmten Leuten gern.«
Don Estevan de Arechiza war vorhin, als er den jungen Rastreador erblickte, um einen Schatten bleicher geworden; jetzt, als er den Namen Pepe Dormillon hörte, warf er einen raschen, forschenden Blick auf den Träger desselben und zog sich dann schnell in den Schatten zurück, in welchem er auch blieb, als die drei Thiere abgezogen waren und sämmtliche Anwesende sich um das Feuer gelagert hatten, um zu hören, wie es Tiburcio gelungen war, die »Teufel der Savanne« gefangen zu nehmen.[94]
Der Rastreador begann. Als er den Namen des Haziendero nannte, konnte Cuchillo die Frage nicht halten:
»Don Augustin Pena ist es gewesen? Zu ihm wollen wir, um auf der Hazienda del Venado einige Tage Rast zu halten!«
»So reise ich mit Euch. Auch ich will zu ihm!«
Als er geendet hatte, reichten ihm Bois-rosé und Dormillon die Hände herüber.
»Wir haben Euren Namen in dieser Gegend nennen hören, junger Mann. Macht so fort, dann wird man noch mehr von Euch erzählen! Aber einen ganz außerordentlichen Fehler habt Ihr begangen.«
»Welchen?«
»Ihr hättet den ›Teufeln‹ unbedingt die Kugel oder die Klinge geben sollen, und damit viel Böses bestraft und viel Unheil verhütet. Menschenblut ist ein köstlicher Saft, mit dem man so sparsam wie möglich umgehen soll, das ist wahr; aber das Blut dieser beiden Männer ist Drachenblut und darf nicht geschont werden. Um die Büchse möchte ich Euch beinahe beneiden, wenn die meinige nicht wenigstens eben so gut wäre. Haltet sie nur fest, denn ich glaube sehr, daß El Mestizo sie sich wieder holen wird und noch etwas dazu, nämlich Euren Skalp.«
Jetzt rückte Cuchillo an die Seite des Rastreador.
»Sagt einmal, Tiburcio, lebt Euer Vater Marco Arellano noch?«
»Nein. Habt Ihr ihn gekannt?«
»Blos gehört von ihm. Er soll ein außerordentlicher Gambusino gewesen sein und hat Euch sicher ein ansehnliches Erbe hinterlassen.«
»Nichts als eine kleine Bambushütte.«[95]
»Und Eure Mutter?«
»Ist auch todt. Ich habe sie vor einigen Tagen begraben.«
»Wo starb Euer Vater?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wirklich nicht? Ich meine doch, der Sohn müsse den Ort kennen, an welchem er den Vater verloren hat.«
Tiburcio warf einen schnellen Blick in das wenig vertrauenerweckende Gesicht Cuchillo's. Die Fragen desselben kamen ihm verdächtig vor, und er beschloß, diesen Mann zu beobachten.
»Mein Vater war Gambusino; er ging dahin, wo er Gold zu finden hoffte, und kam nur wenig nach Hause. Auf einem solchen Gange ist er verschollen. Vielleicht ist er den Indianern oder einem wilden Thiere zum Opfer gefallen.«
»Sind seine Reisen niemals von Erfolg gewesen?«
»Hätte er Erfolg gehabt, so bestände mein Erbe sicher aus mehr als einer Bambushütte.«
»Und Ihr habt sein Gewerbe erwählt?«
»Ja.«
»Ihr werdet vielleicht ebenso wenig finden wie er. Schließt Euch unserer Expedition an!«
»Welcher? Ich weiß von keiner.«
»Dieser Sennor, Don Estevan de Arechiza, hat eine Unternehmung veranstaltet, welche von Tubac aus in das Gebiet der Apachen gerichtet ist. Er kennt ein unerschöpfliches Placer, eine Bonanza, wie noch niemand eine gefunden hat und geht mit achtzig Mann, um sie auszubeuten. Ihr seid Goldsucher, Jäger, Rastreador, Alles in einer Person und sehr gut zu gebrauchen. Es ist gar kein[96] Zweifel, daß die Expedition gelingen wird, und dann seid Ihr mit einem Schlage ein reicher Mann.«
In den Adern Tiburcio's wallte es heiß, aber er verrieth mit keinem Zuge seines Gesichtes die Gedanken, welche seine Seele durchzuckten.
»Ich wollte zu Don Augustin, um mich ihm als Vaquero anzubieten, doch sagt, glaubt Ihr wirklich, daß Eure Expedition Erfolg haben wird?«
»So sicher, wie ich hier neben Euch sitze!«
»Dann will ich mir die Sache überlegen. Gebt Ihr mir Bedenkzeit bis zu Eurer Abreise von der Hazienda?«
»Sicher. Wir sind ja dort beisammen und werden uns bald kennen lernen.«
Cuchillo erhob sich mit der Bedeutung, daß er Astwerk für das Feuer holen wolle. Auch Don Estevan trat hinaus in die Dunkelheit. In einiger Entfernung vom Feuer trafen sie sich.
»Eine sonderbare und überraschende Begegnung, Ew. Sennoria, nicht wahr?«
»Sehr überraschend. Ihr habt ihn wirklich gut ausgefragt. Ich bin überzeugt, daß er kein Wort von der Bonanza weiß. Marco Arellanos ist gestorben, ohne seiner Frau oder seinem Sohne irgend eine Mittheilung machen zu können. Euer Messer hat ihn gut und zur rechten Zeit getroffen!«
»Mein Messer? Ew. Sennoria wollen doch nicht etwa sagen, daß ich – – –«
»Pah, erzählt Eure Fabeln wem Ihr wollt, nur nicht mir! Ich bin überzeugt, daß Ihr noch ganz die sichere Klinge führt, wie damals auf Schloß Elanchovi.«[97]
»Don Estevan! Ich denke, wir wollen uns erst seit Arispe kennen?«
»Eigentlich; doch ist ein Grund eingetreten, welcher uns veranlassen kann, einmal an die Vergangenheit zurückzudenken.«
»Welcher könnte dies sein?«
»Habt Ihr Euch diesen Tiburcio Arellanos genau angesehen?«
»Ich denke.«
»Findet Ihr keine Ähnlichkeit?«
»Hm, alle Teufel, daran habe ich nicht gedacht! Er hat wahrhaftig fast ganz dieselben Züge, welche ich bei Ihnen gesehen habe, als Sie in seinem Alter oder höchstens einige Jahre darüber waren.«
»Das habe ich sofort bemerkt. Vergleicht ferner sein Alter mit den Jahren, welche seit jener Nacht vergangen sind.«
»Das stimmt. Doch sind Alter und Aehnlichkeit noch lange nicht ein untrüglicher Beweis; sie können Zufall sein.«
»Aber der Schnitt über die Wange?«
»Hat er ihn?«
»Er hat ihn, wenn auch kaum bemerkbar. Die Zeit hat die seichte Wunde beinahe vollständig vernarbt.«
»Ich habe nicht so gesessen, daß ich ihn genau betrachten konnte. Hat er die Narbe wirklich, so ist kein Zweifel möglich. Was werden Sie mit ihm thun?«
»Er muß sterben.«
Der stolze Mann sprach dies Wort so ruhig, als handle es sich um den Tod irgend eines schädlichen oder unbequemen Ungeziefers.[98]
»Sterben? Wie?«
»Das ist ganz so Eure Sache, wie ich es damals Juan überlassen habe, sich die Klinge roth zu färben.«
»Ja, der arme Jose zauderte mir zu lange; er hat es leider büßen müssen, denn dieser vermaledeiete Miquelete gab ihm die Kugel.«
»Würdet Ihr diesen Miquelete wieder kennen?«
»Nein. Ich habe ihn ja nur in der Dunkelheit und während eines kurzen Augenblickes gesehen.«
»Er sitzt dort am Feuer.«
»Dort – am Feuer?« frug Cuchillo, der frühere Juan, indem er vor Erstaunen die Augen weit aufriß.
»Ja.«
»Welcher ist es?«
»Pepe Dormillon, der ›zündende Blitz.‹ In Elanchovi hieß er Pepe der Schläfer; Dormillon ist die französische Bezeichnung ganz desselben Wortes, und auch sein Aeußeres kann nicht trügen. Es ist genau der riesige Karabinier, welcher nach Ceuta verurtheilt wurde, dem es aber auf eine ganz unbegreifliche Weise gelungen ist, zu entkommen.«
»Und Sie irren sich nicht?«
»Ganz unmöglich.«
»Welch ein außerordentliches Zusammentreffen! Was ist zu thun?«
»Wir müssen uns seiner unbedingt entledigen.«
»Das wird schwer gehen. Die beiden Riesen sind fürchterliche Menschen. Wer in dunkler Nacht dem Tiger nachläuft, um ihn durch das rechte Auge zu treffen, dem ist nicht leicht beizukommen.«
»List ist oft mehr werth, als die größeste Körperstärke. Ich werde mir die Sache reiflich überlegen, muß[99] aber nun zurück, weil unsere doppelte Abwesenheit leicht auffallen kann.«
Er trat zum Lagerplatze zurück und nahm an einer Stelle Platz, wo das Licht des Feuers sein Gesicht nicht erreichen konnte.
Die beiden fremden Jäger lagen seitwärts eng neben einander. Sie waren abgehärteter als die Mexikaner, konnten die Wärme recht gut entbehren und hatten sich daher diesen Ort ausgesucht. Als die Andern schliefen, waren sie noch immer wach.
»Warum willst Du, daß wir so bald aufbrechen, Pepe?«
»Santa Lauretta, das ist eine ganz außerordentliche Geschichte! Weißt Du, wer dieser Don Estevan de Arechiza ist?«
»Ja.«
»Nun, wer?«
»Don Estevan de Arechiza.«
»Ja, allerdings; das weiß Jeder, der an diesen Namen glaubt; ich aber glaube nicht an ihn und weiß noch Etwas mehr.«
»Was?«
»Daß es jener Don Antonio de Mediana ist, der Deinen kleinen Fabian raubte, seine Mutter ermordete und mich dafür auf den Thunfischfang schicken wollte.«
Hätte Pepe ihm nicht mit der Hand ein Zeichen gegeben, sich zu beherrschen, so wäre Bois-Rosé vor Erstaunen aufgesprungen. Er schwieg eine ganze Weile; das Gehörte war wirklich so außerordentlich, daß er es erst gehörig verarbeiten mußte, ehe er es unternahm, eine Aeußerung zu thun.
»Kannst Du das beschwören, Pepe?« frug er endlich.[100]
»Mit tausend Eiden.«
»Aber es gibt Aehnlichkeiten.«
»Die aber nicht so groß sind, wie diese sein müßte. Pepe der Schläfer hat ein ausgezeichnetes Auge, und ein Gesicht, welches er unter solchen Umständen gesehen hat, vergißt er nimmermehr.«
»Gut, ich glaube Dir. Doch sag, was der Graf de Mediana hier in Sonora will?«
»Ich weiß es nicht; wir werden es aber erfahren.«
»Natürlich, wenn Du es gern erfahren willst!«
»Bois-Rosé!«
»Was?«
»Darf ich Dich Etwas fragen?«
»Gern.«
»Wir sind so viele Jahre bei einander gewesen.«
»Und haben uns nie verlassen.«
»Richtig! Nie, in keiner Gefahr, in keiner Noth und Sorge, in keiner Angelegenheit. Aber jetzt habe ich eine Angelegenheit – – –«
»In welcher ich Dich auch nicht verlassen werde.«
»Ists wahr?«
»Ich sage es, und da ist es wahr! Oder habe ich Dir jemals die geringste Lüge gesagt?«
»Niemals. Aber die jetzige Angelegenheit ist schwierig. Ich muß wissen, was der Graf hier will.«
»Ganz recht.«
»Ich muß ihn bestrafen für den Mord, den Kindesraub und die falsche Anklage gegen mich.«
»Ganz recht.«
»Und, weißt Du, hier dieser Ring an meinem Finger ist eigentlich Schuld, daß dieses Verbrechen geschehen konnte.[101] Ich habe ihn aufgehoben zum Zeichen, daß ich eine schwere Sünde wieder gutzumachen habe. Willst Du mir helfen?«
»Versteht sich, mein alter, treuer Pepe!«
»Auch wenn ich die Goldexpedition Jahre lang unter Kampf und Noth verfolgen muß?«
»Auch dann, und nicht nur Deinetwegen, sondern auch um meines kleinen Fabian willen, den ich aus dem Kahne gefischt, auf mein Schiff genommen und dann nach drei Jahren wieder verloren habe. Pepe, ich habe in der Welt kein Menschenkind so lieb gehabt, wie den Jungen, und hier diese meine rechte Hand ließe ich mir abhauen, wenn ich ihn wiederfinden könnte. Der Graf hat ihm seine Mutter gemordet und ihn auf dem Meere dem Verderben preisgegeben; ich werde ein weniges zusammenrechnen mit diesem Don Estevan de Arechiza!«
Das Gespräch war beendet; die beiden Männer hüllten sich fester in ihre Decken und versuchten, zu schlafen. – Als die Andern am nächsten Morgen erwachten, waren Bois-Rosé und Pepe Dermillon verschwunden. Niemand wunderte sich darüber; der schweigsame Jäger und Savannero hält sich nicht verpflichtet, Jedem, mit dem er einmal am Lagerfeuer saß, Rechenschaft über sein Thun und Lassen abzulegen.
Die Pferde wurden getränkt, die nöthige Anzahl von ihnen aufgesattelt, und dann ging es wie im Sturme der Hazienda del Venado zu. Don Estevan ritt immer voran; er liebte es nicht, mehr mit den Seinen zu verkehren, als unumgänglich nöthig war. Cuchillo hielt sich meist zu Tiburcio, dem er eine auffällige Freundschaft und Zuneigung an den Tag zu legen suchte. Der Rastreador nahm dies äußerlich mit dankbarer Freundlichkeit hin, wandte[102] aber im Umgange mit dem verdächtigen Menschen eine doppelte Vorsicht an.
Er hatte heut, ehe sie la Poza verließen, die Entdeckung gemacht, daß Cuchillo hinkte, und bemerkte nun während des scharfen Rittes, daß das Pferd desselben zuweilen stolperte, zwei Beobachtungen, welche es ihm beinahe außer allem Zweifel stellten, daß dieser Mann der Mörder seines Pflegevaters sei. Nun war er auch überzeugt, daß die Bonanza, welcher die Expedition galt, keine andere sei als diejenige, zu welcher ihm die sterbende Mutter den Weg so genau beschrieben hatte, daß er das Goldthal gar nicht fehlen konnte. Er beschloß im Stillen, sich der Expedition anzuschließen, um den Mörder zu entlarven und sein Recht auf die von Marco Arrellanos entdeckte Bonanza geltend zu machen.
Zunächst aber freute er sich auf sein Zusammentreffen mit Rosarita, dem »Stern von Sonora,« der auch ihm geleuchtet hatte da draußen in der Savanne. Ob er ihm wohl auch später noch leuchten werde? Er versank in süße Grübeleien. Die Vorsehung hat dem Menschen nicht erlaubt, in die Zukunft zu blicken, ihm aber für diese Gabe etwas weit Besseres verliehen, die Hoffnung, welche Jedem lacht, ganz besonders aber der Jugend zugethan ist, welche das größte Recht besitzt, von der Zukunft nur Glück und Freude zu erwarten. – –[103]
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