Erste Scene.

[47] Götterkanzley. Man liest über verschiedenen Tischen die Aufschriften: Apollo besorgt die Beleuchtung – gibt sich neben bey auch mit den Musen ab. Merkur behandelt Dichter und Diebe. Ceres führt ein Protokoll über Getreidböden und Heuscheuern. Die hintre Cortine stellt eine Registratur vor. Auf den ungeheuern Faszikeln ist zu lesen: Menschliche Sündenregister von Anno 1 bis 1820. Apollo schläft an seinem Tisch.


MERKUR.

Es ist schon zehn Uhr, und Alles ist noch leer,

Ich muß was zu plaudern haben. Heda mon cher frère.

Du bist ja der König aller Schlaraffen!

APOLLO.

Ich war aufm Ball, und hab nicht ausgeschlafen.

Du! das war ein Fest! Madeln hat's da geben,

Wie die Göttinnen!

MERKUR schneidet Federn.

Ey, du bleibst schon wieder kleben?

Gibst denn gar keine Ruh? Hast denn noch nicht genug?

Die Tiroler werden doch mit vierzig Jahren klug.

Aber du hast schon hundert Mahl überhört den Schnalzer.[47]

APOLLO.

Die sächsischen Deutschen und die Apollosaalwalzer

Machen mich völlig jung: auch haben wir prächtig soupirt,

Drey tausend Austern hab ich ganz allein schnabulirt.

Und einen Eimer Champagner dazu ausgestochen,

MERKUR.

Und heut hast wieder kein Geld, um nur Knödel zu kochen.

Immer wird über die schlechten Zeiten geklagt,

Aber in einer Nacht wird eine Jahrsgage verjagt –

Um nur dabey zu seyn, versetzt man die letzten Fetzen,

Wie soll das klecken ohne Reichthum und Schätzen.

APOLLO.

Wer nicht fidel lebt, der kann das nicht fassen,

Ich will lieber todt seyn, als einen Ball auslassen.

Du bist immer so ein Kopfhänger, und bleibst beym Alten,

Ich liebe das Neue, und laß das Schicksal walten.

Die Genie's sind immer schwarz, und reich sind sie nie,

Und ich bin doch Apollo – ein göttliches Genie.

MERKUR.

Apropos, ich habe ein Referat unter der Feder –

APOLLO.

Referiren will heut zu Tag ohnehin schon ein jeder.

MERKUR.

Die Poeten gehören von Rechts wegen mir.

APOLLO.

Bin ich nicht der Dichtergott? Wie ghörens denn dir?

MERKUR.

Ich bin der Gott der Diebe, wenn S' nichts dawider haben,

Die heutigen Poeten stehlen alle wie die Raben,[48]

Einer plündert den andern, und wie sie sich balgen!

Das Volk verdiente einen eigenen Galgen.

APOLLO.

Da muß ich bitten, ich steh den Poeten

Seit Jahrtausenden schon bey in ihren Nöthen.

Ich bin ihr Patron, und bin so arm wie sie,

Die Zunft Herr Collega bekommen Sie nie.

MERKUR.

Das wollen wir sehn; es soll zwischen beyden

Der Götterrath morgen in pleno entscheiden.

Wer stiehlt, ist ein Dieb: die Diebe sind mein,

Folglich gehörn die Poeten auch in mein Votum hinein.


Quelle:
Carl Meisl: Theatralisches Quodlibet, Pesth 1820, S. 47-49.
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