Neuntes Kapitel

[107] Wie Lazaro ein Lastträger wurde.


Nicht weit von Illescas stieß ich auf einen Erzgauner, als welchen ich ihn auf den ersten Blick erkannte. Ich ging zu ihm wie zu einem Orakel, um ihn zu fragen, wie ich mich bei meiner neuen Lebensart zu benehmen habe. Er gab mir zur Antwort, wenn ich rein von Staub und Spreu durchkommen wolle, so rate er mir, mit dem Müßiggang der Maria die Arbeit der Martha zu verbinden: das sollte heißen, daß ich bei meinem Gaunerhandwerk noch ein anderes Gewerbe, in der Küche, im Schlachthause, als Bedienter einer Kupplerin oder als Lastträger, nebenher betreiben solle, welches eine wahre Schutzwache für die Gaunerschaft wäre. Ich dankte ihm für seinen Rat und befolgte ihn.

Bei meiner Ankunft in Madrid kaufte ich einen Strick, mit welchem ich mich mitten auf den Markt stellte. Die erste, die mich zur guten Stunde mietete, war eine Jungfer (man verzeihe mir, wenn ich lüge) von ungefähr achtzehn Jahren und sittsamer als eine Novize. Sie hieß mich ihr folgen und führte mich durch eine Menge von Gassen zu einem Hause, das ich an dem kleinen Hinterpförtchen, am Hofe und an den Mädchen, die darin tanzten, sogleich für das erkannte, was es war. Wir gingen in ihr Stübchen, wo sie mich fragte, ob ich wollte, daß sie mir meine Arbeit sogleich bezahle. Ich antwortete ihr, es wäre ja Zeit, wenn wir da angekommen sein würden, wohin ich ihr das Päckchen tragen sollte.[107]

Ich nahm meine Last auf, die sehr leicht war, da sie größtenteils aus Schminkbüchsen und Flaschen mit wohlriechenden Wassern bestand, und sie führte mich nach dem Tore von Quadalaxara. Hier, sagte sie, müsse sie sich auf einen Wagen setzen, um, ihrem Verdienst nach, auf den Jahrmarkt nach Nagera zu gehen. Auf dem Wege erzählte sie mir mancherlei von ihrer Lebensart, und wir kamen gerade beim Wagen an, als er eben abfahren wollte. Ich legte das Päckchen ab und bat sie um meinen Lohn. Sehr gern! sprach die Unverschämte, und indem sie mir eine so starke Ohrfeige gab, daß ich zur Erde taumelte, fuhr sie fort: Bist du noch so ein Neuling, daß du Geld von meinesgleichen verlangst? Und habe ich dich denn nicht gefragt, ehe wir aus dem Hause gingen, ob du von mir Lohn haben wolltest? – Damit sprang sie in den Wagen wie ein Reh und ließ mich erzürnt und beschämt stehen.

Wenn das Ende dieses Geschäftes so ist wie sein Anfang, dachte ich, so werde ich mich am Ende des Jahres recht wohl dabei befinden. – Ich war noch nicht weggegangen, als ein anderer Wagen von Alcala de Henares ankam. Die darin saßen, stiegen ab. Es waren liederliche Mädchen, Studenten und Mönche. Einer der letztern vom Orden des heiligen Franziskus fragte mich, ob ich ihm die Liebe erzeigen wolle, sein Bündel bis zu seinem Kloster zu tragen? Mit Freuden sagte ich ja; denn da war doch vorauszusehen, daß er mich nicht betrügen würde, wie die liederliche Dirne. Die Last war so schwer, daß ich sie kaum ertragen konnte; aber die Hoffnung der guten Bezahlung machte mir Mut.

Sehr ermüdet kam ich endlich an dem weitentlegenen Kloster an. Der Mönch nahm sein Bündel und schloß mit den Worten: Alles zur Ehre Gottes! die Türe hinter sich[108] zu. Ich wartete, bis er wiederkäme, mich zu bezahlen; da ich aber sah, daß er ausblieb, klopfte ich an die Pforte. Der Pförtner kam heraus und fragte mich, was ich begehre. Ich sagte ihm, daß ich meinen Lohn verlange für das Bündel, welches ich getragen hätte. Geh mit Gott! erwiderte er; hier wird nichts bezahlt! – Damit schloß er die Tür wieder zu, indem er mir noch zurief, ich solle nicht mehr klopfen, denn es wäre jetzt Silentium, und wenn ich es dennoch täte, so würde er mir mit seinem Stricke hundert Hiebe geben.

Ich war wie erstarrt. Ein Armer von denen, die an der Pforte standen, sagte zu mir: Guter Freund, Ihr könnt nur immer gehen; denn diese frommen Väter rühren kein Geld an und leben selbst nur vom Schmarotzen.

Ei, sie mögen leben, von was sie wollen, sagte ich; sie sollen mir aber meinen Lohn bezahlen, oder ich müßte nicht sein, wer ich bin. – Hiermit fing ich voll Zorn wieder zu klopfen an. Ein rüstiger Laienbruder kam heraus, gab mir, ohne zu fragen, was ich wolle, einen Rippenstoß, der mich zu Boden streckte, versetzte mir ein halbes Dutzend Kniestöße und ebensoviel Hiebe mit seinem Stricke und ließ mich zerschlagen liegen. Länger als eine halbe Stunde lang konnte ich nicht aufstehen und hatte deshalb Zeit, über mein Unglück und über die so übel verschwendeten Kräfte dieses ungeistlichen Bengels nachzudenken. Er würde sich besser dazu geschickt haben, sagte ich, dem König, unserm Herrn, zu dienen, als daß er den Armen das Almosen entzieht; aber dazu taugen diese Herren nicht einmal, denn sie sind müßige Fleischklumpen. Kaiser Karl der Fünfte zeigte dies ja deutlich, als ihm der General der Franziskaner zweiundzwanzigtausend Mönche zum Kriege anbot, die alle nicht über vierzig und nicht[109] unter zweiundzwanzig Jahre alt waren. Der unbesiegte Kaiser gab zur Antwort, daß er sie nicht haben wolle, weil er für sie täglich zweiundzwanzigtausend Kochtöpfe nötig hätte, um sie zu ernähren: womit er zu verstehen gab, daß sie sich besser zum Essen als zum Arbeiten schickten.

Gott verzeihe mir es, daß ich von diesem Tage an diese frommen Laienbrüder so sehr verabscheute, daß es mir, wenn ich einen sah, immer vorkam, als wenn ich eine Wespe in einem Bienenstocke sähe. – Ich beschloß, dieses Gewerbe zu verlassen, doch wollte ich abwarten, bis die vierundzwanzig Stunden, wie bei einem plötzlich Gestorbenen, verstrichen wären.

Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 107-110.
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