Viertes Kapitel

[747] Durch seine lange Zimmerreihe schritt der Kanzler von Mailand ruhelos auf und nieder. Die Fensterläden waren gegen die brennende Nachmittagssonne geschlossen und nur durch eine Spalte schoß hin und wieder ein neckischer Strahl in die Dämmerung, einen grellen Streifen über die Fliesen ziehend, während die Tiefe der Gemächer im Geheimnis blieb. Doch nicht der schmalste Lichtblitz erhellte dem Kanzler die Seele Pescaras. Er hatte seinen ganzen Menschen preisgegeben, Pescara auch nicht ein Teilchen seiner selbst, und nicht nur ein Schuldiger und Geständiger war jetzt der Kanzler, sondern auch ein Gefangener oder nicht viel anders. Doch weit entfernt, daß seine Bloßstellung ihn gereut oder sein Halbgefängnis ihn geängstigt hätte: im Gegenteil, er schwelgte in der Großmut seiner völligen Hingabe. Nicht einmal sein schmählich verratener Herzog beunruhigte jetzt sein Gewissen, so gänzlich erfüllte ihn die Leidenschaft sich Pescaras zu bemächtigen und der Reiz seines Anschlages auf diesen einzigen Menschen, dessen große Haltung und ernstes Spiel in der eben beendeten Szene er aufrichtig bewunderte. Er setzte diese Szene fort: jedes Wort des Zwiegespräches wiederholte sich in seinem Ohr und selbst jede Miene und Gebärde desselben bildete sich ab in seinen Zügen und schwang in seinen Muskeln fort – doch über Sinn und Tragweite des Gesprochenen verstrickte er sich in unlösbare, in tödliche Zweifel. Eine Auslegung nach der andern verwarf er, um zuletzt zu dem wahrscheinlichen[747] Schlusse zu kommen, noch sei Pescara ungewiß, noch liege er im Kampfe mit sich selber.

Da gedachte er sehnsüchtig der Bundesgenossin, die jede Stunde, jede Minute ihm bringen konnte, und der Wert Victoria Colonnas deuchte ihm unermeßlich. Nur eine solche konnte einen solchen besiegen. Nicht ein aufstachelndes, herrschsüchtiges Weib, wie damals deren manches in Italien sein Wesen trieb, sondern die edelste Frau der Zeit führte seine Sache, und in dieser jede Schönheit und Tugend Italiens verkörpernden und von seinen Freveln und Sünden freien Gestalt erschien ihm sein Vaterland so unvergleichlich und der Ruhm, es sich selbst wiederzugeben, so einzig, daß hier sogar ein Pescara und gerade ein Pescara unmöglich widerstehen konnte. Ein mit unsittlichen Mitteln wirkendes Bündnis verklärte sich in diesen himmlischen Augen zu einer Reinheit, die den Namen einer »heiligen Liga« in einem freien und weltlichen Sinne rechtfertigte. Die Bewunderung des göttlichen Weibes, welches, wie er glaubte, Italien zu retten berufen sei, wurde dem Kanzler zur Anbetung und seligen Inbrunst, denn er war der erhabensten und der gemeinsten Gefühle in gleicher Weise und Stärke fähig.

Jetzt da die gewonnene Zuversicht sein Inneres erhellte, verlangte es ihn nach dem Tageslichte, er stieß einen Laden auf und stand, sich umblickend, in dem sogenannten Schlangensaale, von welchem sein Herzog ihm oft erzählt, den er selbst aber noch nie gesehen hatte. Über dem Getäfel lief die vier Wände entlang ein gemaltes Geflechte von Schlangen, je zweie sich umwindend, die eine der feuerspeiende Drache der Sforza, die andere das entsetzliche Wappenbild der Visconti die Schlange mit dem Kind im Rachen. Legende oder Wahrheit, der süße Lionardo da Vinci galt als der Schöpfer des scheuseligen Kranzes: während seines langen Dienstes bei dem Mohren habe er einmal im herzoglichen Hause zu Novara sich aufgehalten und in wenigen Stunden dieses Spiel einer grausamen Laune begonnen und beendigt unter dem Vorwande einer Verherrlichung seines Fürstenhauses. Keine Unmöglichkeit, denn der Bildner des zärtlichsten Lächelns liebte zugleich die Fratze und das Grauen. Zuerst mit ergötzten, bald mit beängstigten Augen betrachtete der Kanzler den wilden Ring, das Werk einer unerschrockenen Einbildungskraft, die sich daran geübt hatte, den Ungetümen und dem nackten Kinde in dem verschlingenden Rachen eine Folge von natürlichen Bewegungen zu geben. Dann plötzlich er schien es ihm, als lebe und[748] drehe sich das Gewinde. Der Kanzler wendete sich schaudernd und trat wieder an das Fenster.

Er erblickte den einsamen Schloßgarten, der sich unter einem weiten Gewölbe von Bäumen in tiefdunkle Schatten verlor Darüber das blendende Lichtmeer, und hin und wieder ein Bruchstück der gezackten Stadtmauer. Nur in einiger Entfernung stieg aus dem üppigsten Grün auf drei Terrassen eine kleine Villa, im Winkel und von zwei Seiten sichtbar, deren jede ein Bild bot, jene mit einem Turmbau endigend, diese in einen weinumwundenen Säulengang verlaufend. Es wollte Morone scheinen, das anmutige Landhaus, dessen Teile leicht auseinander herauswuchsen, müsse für Victoria bestimmt und der Gedanke Pescaras sein, der ihr nicht in einem schweren und von dem Schritte der Wachen dröhnenden Schlosse, sondern an einer gefälligen und friedlichen Stätte liebenden Empfang bereite. Auch deutete mancherlei drüben hin und her eilende Dienerschaft auf das Kommen eines Gastes, und jetzt glaubte er aus der entgegengesetzten Richtung den Lärm einer Ankunft zu vernehmen. Da litt es ihn nicht länger in den unbehaglichen Räumen, er suchte Treppe und Pforte und wandelte bald in einem grünen Schattenreiche.

Seine Schritte führten ihn in ein weites Rondell, wo das lieblichste Halbdunkel herrschte und in dessen Mitte ein Brunnen seine schimmernde Schale mit einer langsam strömenden Flut durchsichtig und einschläfernd verschleierte. Vier breite Marmorsitze standen im Umkreise. Auf einem derselben, dessen Lehnen zwei Sphinxe bildeten, schlummerte der Feldherr, das Haupt über die Brust gesenkt.

Nach einem leichten Erstaunen näherte sich Morone auf vorsichtigen Füßen, um das schlafende Antlitz zu belauschen, ob nicht die jetzt willenlose Miene den verschwiegenen Gedanken abbilde und ausdrücke. Lange stand er davor. Nein, es träumte nicht ehrgeizig, dieses Haupt, noch sann es Verrat, sondern seine unbeherrschten Züge trugen, ohne die Spur von Triumph und List, einen Ausdruck, der kein anderer sein konnte als der des Leidens und der Entsagung. Wie Morone es betrachtete, erstarrte seine eigene aufgeregte Miene, denn die des stillen Hauptes war so überredend, daß auch ihn eine fatalistische Stimmung unwiderstehlich erfaßte, eine Gewißheit von dem Nichts der menschlichen Pläne und der Allgewalt des Schicksals. Nichts anderes sagte das mächtige Antlitz als Frömmigkeit und Gehorsam.

Da legte sich unversehens eine Hand auf die Schulter des[749] Kanzlers. Nach einem kleinen gespenstischen Schrecken, als ob ihn der Geist des vor ihm Schlummernden von hinten berühre, wandte er sich und erblickte einen gelben Schädel und eine von Alter gebrochene Gestalt. Zwei braune kluge, aber unendlich wehmütige Augen waren ihr einziges Leben.

»Numa! Wahrhaftig, du hast mich erschreckt.«

»Ich glaube es. Aber komm, Kanzler. Lassen wir ihn schlummern und setzen uns dort gegenüber, daß ich ihn von ferne beobachte.« Sie taten es, und der Arzt der wohl achtzig zählen mochte, doch sein feines Gehör bewahrt hatte, ließ sich mit dem Kanzler in ein lispelndes Gespräch ein. »Du glaubst gewonnen zu haben?« fragte er.

»Ich weiß nicht«, sagte der Kanzler. »Est in votis.«

»Enttäusche dich, Girolamo! Ich sage dir, auch wenn er wollt so kann er nicht.«

»Er könnte nicht? Warum? Das tönt geheimnisvoll. Welcher Gott oder welche Göttin verbietet es ihm? Kreuzige mich nicht! Rede!«

»Dürfte ich reden, ich hätte dir von der Schwelle meines Hauses und aus Novara weggewinkt, aber meine Lippen sind gebannt. Doch ich darf dich, du Ärmster, auch nicht in dein Verderben stürzen lassen. Du verlierst hier deine Worte und vielleicht dein Leben. Er kann nicht, beteure ich dir! Es ist ihm versagt. Es ist ihm nicht beschieden. Fliehe! Es ist alles umsonst.«

»Fliehen? vor Pescara? Ich denke nicht daran und halte ihn fest umschlungen! Bei allen Dämonen, warum ist es ihm nicht beschieden?«

Da hauchte der Arzt, daß ihn Morone kaum verstehen konnte: »Ist nicht aller sterbliche Wandel in Zeit und Raum? Beide aber versagen diesem.«

Er legte den Finger auf die Lippen, ihnen Schweigen gebietend, und dann gleich zum andern Male, um den Kanzler auf nahende Schritte aufmerksam zu machen. »Still! Siehe!« flüsterte er.

Auf leisen Sohlen kam Victoria Colonna in den weiten grünen Saal, den Gatten an seinem Lieblingsplatze suchend. Noch trug ihr Kleid den Staub der Straße; sie mochte kaum vom Pferde geglitten sein. Da sie ihn schlummern sah, blieb sie stehen und verlor sich in seinem Anblick. Dann zerfloß sie plötzlich in Tränen, aus einem Übermaß der Freude, oder es erschreckte sie der heilige Ernst der geliebten, nun von Mühen und Wunden tiefer[750] gegrabenen Züge. Wenige Augenblicke aber, und sie trat zu ihm. Mit unendlicher Liebe legte sie die Hand unter das strenge Haupt, und es sachte hebend, weckte sie es mit inbrünstigen Küssen. Pescara öffnete die Augen. Sanft drückte er sein Weib an die rechte Brust und gab ihr einen Kuß auf die Stirne.

Da sich der Feldherr erhob, hatte sich Morone in einer seltenen Regung von Keuschheit weggeschlichen und Pescara sah nur den Arzt vor sich. Die Linke um Victoria schlingend, ergriff er mit der Rechten die Hand Numas und sprach zu seinem Weibe: »Das ist mein Arzt«, und diese, in ihrer feurigen Art, bog das Knie und bedeckte die schlaffe Hand mit Küssen. »Sie hat die Wunde meines Helden geschlossen!« jubelte sie voller Dankbarkeit. Dann aber richtete sie sich auf und fragte in tiefer Erregung: »Messer Numa Dati?«

Der Alte verneigte sich.

Und Victoria, von ihrem warmen Herzen hingerissen, wendete sich an den Gemahl, Mund gegen Mund, und klagte »Ehe wir uns freuen, mußt du mir und diesem Recht schaffen! Unser Neffe hat ihm die Enkelin verleitet und weigert sich, der Frevler, seine Schuld durch die Ehe zu sühnen!«

»Ist es so, Numa?« sagte der Feldherr, und da der Greis traurig bejahte: »Warum hast du mir das verheimlicht?«

»Anfangs, Herrlichkeit, war es eine bloße Vermutung, da sie mein Haus und Novara heimlich verließ. Und wie durfte ich Euch, der sein eigenes großes Schicksal trägt, mit dem kleinen eines Mädchens beschäftigen? Erst heute erhielt ich Gewißheit, durch ein Schreiben aus Rom, von der Äbtissin, in deren Kloster das arme Kind sich geflüchtet hatte.«

Jetzt drängte sich Victoria flehend an die linke Seite ihres Helden, der unter dem Drucke des Frauenleibes einen körperlichen Schmerz zu empfinden schien. Um ihn zu verbergen und zu verwinden, tat er ein paar Schritte vorwärts.

Die dreie standen vor den spielenden Lichtern des Brunnens »Schönste Frau, mich hat herzlich verlangt Euch wiederzusehen«; sagte der Feldherr, »und da bist du ja, meine Seele!« Er blickte ihr in die strahlenden Augen. »Aber deine edeln Lider sind ja noch ganz bestäubt von der Reise. Dein Tuch!« Sie gab es ihm, der es netzte, und schloß die Augen, während er ihr Stirn und Lid und Wange wusch und badete.

»Ich erinnere mich deiner Enkelin ganz wohl, Numa, obwohl ich sie kaum gesehen habe. Tiefblaue Augen und kastanienbraune[751] Haare, wie diese da, nicht wahr, und Julia heißt sie? Was ihre Sache betrifft, die dünkt mich schwer und tragisch. Nicht daß ich anstünde den Bösen, den du kennst, Victoria – auch ich kann ihn nicht anders nennen – zur Ehe mit ihr zu zwingen, er würde sich fügen, ohne Zweifel, denn er ist mein Geschöpf und ich habe Macht über ihn. Aber ich frage mich, ob es gut sei, die Verschmähte an einen Herzlosen und Grausamen zu fesseln, der freilich durch seine Vermessenheit und Begabung in der Welt die höchsten Stufen erreichen wird. Und sie selbst? Wird sie es verlangen? Glaubst du, Victoria? Hat sie es verlangt, die sich dir in Rom zu Füßen geworfen hat, wie ich vermute, da du sie kennst?«

»So tat sie«, sagte Victoria mit flehender Stimme.

»Ertrug sie deinen reinen Anblick? Und im Ernst, du willst sie dem Manne geben, der sie verschmäht? Wenn sie mein Kind wäre, ich vergrübe sie ins Kloster. Ihr aber seid menschlich und barmherzig, Madonna. Und wer weiß, vielleicht liebt sie ihn noch, oder liebt und haßt ihn zugleich – ich verstehe das nicht. Doch ich will mich ihrer annehmen, sie habe die Wahl.«

Jetzt öffnete der Arzt den welken Mund. »Arme Julia! Welche Wahl! Selig, daß sie ihrer überhoben ist!«

»Wodurch?« fragte Pescara.

»Durch eine dunkle, aber weise Gottheit.«

»Ich verstehe«, sagte der Feldherr rasch, »sie lebt nicht mehr.«

»Du sagst es, Herrlichkeit.«

»Sie hat sich ein Leides getan?« wehklagte Victoria. »Da sei ihr Schutzengel davor!«

»Wer weiß es? Als sie in ihr Kloster zurückkam, nachdem sie sich Euch geoffenbart, ist sie gestorben. Ihr Geständnis muß sie getötet haben, und der Anblick Eurer Reinheit, Madonna, wie die Herrlichkeit es gewollt hat. Vielleicht ein Herzschlag, vielleicht – das willige Mädchen ist mir in meiner Apotheke oft mit Verständnis und Geschick beigestanden.«

Jetzt urteilte der Feldherr: »Das bleibe unberedet. Sie ist eingegangen in den Frieden und steht jetzt in Dienst und Pflicht einer heiligen Macht, die unserer erbärmlichen Gerechtigkeit spottet.«

Victoria weinte und der Greis flehte: »Ich kann nicht mehr! Es sei gut!«

»Ja, es ist gut«, schloß der Feldherr.

Dann bot er Victoria die Hand und sagte leichthin: »Edle Frau, ich habe Euch und mir, solange wir zusammensein dürfen,[752] ein helleres Haus gerüstet als dieses alte Schloß mit seinen plumpen Deckenbalken, diese Wohnung des Verrates, denn auf seiner Zugbrücke wurde der Mohr ausgeliefert. Sehet Ihr dort bei den Pinien die anmutige Baute, Madonna? Die habe ich Euch bestimmt: sie ziemt Eurem klaren Wandel«

Sie durchschritten den Park und langten am Fuße der drei Treppen an, wo der greise Arzt stehenblieb, Atem schöpfend und den Feldherrn zurückerwartend. Da Victoria die dritte Treppe erstieg, erblickte sie zwei Bildwerke, welche rechts und links die höchste Stufe schmückten. »Das hat der junge Franz Sforza ersonnen, an welchem sein guter Geschmack immer noch das Beste ist«, plauderte Pescara. »Diese Gruppen sind hübsche Gedanken aus seinem flüchtigen Kopfe. Die rechts zum Beispiel. Erst konnte ich nicht aus ihr klug werden, sosehr sie mir gefiel. Da sagte mir der Gärtner die Inschrift, die sie anfangs trug, die aber der feine Herzog verschwinden ließ, damit der Beschauer fühle und rate. Sie lautete ... doch das bringst du heraus, Geliebte?«

Victoria, nachdem sie einen flüchtigen Blick auf die linke Gruppe, ein ungebunden kosendes Paar geworfen hatte, betrachtete lange Zeit die rechte. Es waren zwei weibliche Gestalten, eine liegend und etwas wie eine Blume oder einen Schmetterling leichtsinnig zerpflückend; die andere stand, innig vertieft in sich selbst, oder in die Ferne verloren. Alle drei Mädchen aber, das kosende, das vergessende, das sich sehnende, hatten unter verschiedenem Ausdrucke das gleiche Gesicht. Victoria sann. Da blies ihr der Feldherr mutwillig ins Ohr, wie in der Schule ein Knabe einem Mädchen: »Tu die Augen auf, ein paar Buchstaben sind noch lesbar.« Victoria entdeckte links, schwach ausgeprägt: Pres ..., rechts aber unterschied sie etwas deutlicher: Ass ... »Presenza und Assenza«, ergänzte sie beschämt, und der Feldherr sagte: »Die Gegenwart ist frech. Die Abwesenheit aber, die vergißt, ist gedankenlos. Ich preise die gegenwärtige Abwesenheit: die Sehnsucht.«

»Wir werden uns nicht mehr trennen, Ferdinand, wenn du mich liebhast.«

»Nur noch einmal. Für einige Tage, höchstens eine Woche, Madonna, bis ich Mailand werde genommen haben. Ihr folget mir und forthin wenn Ihr wollt, trennen wir uns nicht mehr. Es liegt an dir, Victoria«, sagte er zärtlich.

»Ob ich will!«[753]

»Erinnerst du dich, Geliebte«, scherzte er wiederum, »daß du mir einmal in Ischia am plätschernden Strande gesagt hast, du begreifest nicht, wie ein Weib, das geliebt habe, jemals einem zweiten gehören könne? Es widerspricht der Liebe, sagtest du. Freilich, aber es hat Erfahrung und menschliche Natur für sich. Assenza, Assenza!«

Jetzt erhob sich Victoria zu ihrem ganzen stolzen Wuchs und streckte den herrlichen Arm, von welchem der Ärmel zurückfiel, gegen den leuchtenden Himmel und schwur: »Nie gehöre ich einem andern, bei den reinen Strahlen dieser Sonne!«

Der Feldherr beschwichtigte: »Dort stehen deine Kammerfrauen, Kind, und bestaunen dein Gelübde, das sie dir wahrlich nicht nachtun werden.« Er winkte den in ehrerbietiger Entfernung harrenden Zofen und beurlaubte sich bei der Marchesa »Ihr werdet Euch umkleiden, Herrin, und ich selbst habe noch bis zur Abendstunde zu tun. Auf Wiedersehen hier, nach Sonnenuntergang, zum Spätmahle.« Er wendete sich und ging, ohne nach ihr sich umzublicken. Unten an der Treppe nahm er den Arm des greisen Arztes, langsam mit ihm durch einen Zypressengang nach dem Schlosse zurückwandelnd.

»Wie war die Nacht Eurer Herrlichkeit?« fragte der Alte.

»Wie gewöhnlich«, antwortete Pescara. »Du hast gegen deinen Gastfreund reinen Mund gehalten, Numa?«

»Ich erinnerte mich Eures Befehles ... Aber wie möget Ihr mit dem Kanzler und meinem armen Italien dieses grausame Spiel treiben! Wie dürfet Ihr es?«

»Ich spiele mit Italien, sagst du? Im Gegenteil, deine Landsleute, Numa, spielen mit mir: sie heucheln Leben und sind tot in ihren Übertretungen und Sünden.«

Sie gingen eine Weile schweigend. »Weißt du, Numa«, spottete jetzt der Feldherr, »daß mich neulich ein Astrologe besucht und mir das Horoskop gestellt hat? Er schätzte mich auf sechzig Jahre, ich fand das wenig.«

Der Greis seufzte.

Wieder wandelten sie wortlos. Vor der schmalen Pforte der Burg beurlaubte Pescara den Alten. »Meine Feldherrn erwarten mich, Numa, ich habe sie auf diese Stunde beschieden.« Da beschlich ihn noch ein Mitleid mit den guten braunen Augen und dem zahnlosen Munde, und er sagte freundlich: »Fürchte nichts, Numa. Ich werde dein Italien nicht mißhandeln, ich werde gerecht und milde verfahren.«[754]

In seinem Vorsaale fand der Feldherr den Herzog von Bourbon und Leyva sich gegenüberstehen, zwischen ihnen Del Guasto, als ob er sie auseinanderhielte, und dann noch einen vierten, der in einer Fensterbrüstung lehnte. Dieser war ein vornehmer Mann in Jahren, halb Mönch, halb Weltmann, mit einem bronzefarbenen Kopfe und tiefen, unergründlichen Zügen, in einen kuttenähnlichen weißen Mantel gehüllt. Wie Pescara ihn erblickte, schien der Feldherr leicht zu schaudern, ging aber auf ihn zu und begrüßte ihn.

»Was verschafft mir die Ehre, Moncada?«

Der andere erwiderte: »Erlaucht, ich bin in Sendung und ersuche im Namen des Vizekönigs um eine Unterredung.«

»Ich gewähre sie«, versetzte der Feldherr, »aber ich bitte Eure Gnade, sich kurz zu fassen am Vorabende des Feldzuges.«

»Eine geheime Unterredung.«

Pescara besann sich. »Eine geheime? Nicht, Ritter. Geschäftliches würde ich diesen zwei Herrschaften meinen Kollegen nicht vorenthalten. Ersparet mir die Mühe. Mein Neffe hier ist verschwiegen. Was ist Euer Auftrag? Sprechet, Ritter!« Er bot Moncada keinen Stuhl.

Dieser musterte die anwesenden Gesichter. »Nach Eurem Willen«, sagte er. »Erlaucht, der Vizekönig ist in tiefster Besorgnis. Die italienische Liga ist eine Tatsache, an welcher Erlaucht nicht zweifelt, da sie durch Leyva den Vizekönig um Truppen ersuchen ließ, welche dieser freilich nicht entbehren kann, selbst ihrer bedürftig, um im Falle des ausbrechenden Krieges eine ehrfürchtige, aber drohende Bewegung gegen die irregegangene oder mißleitete Heiligkeit zu machen. Erlaucht gibt zu, daß unsere Heere im Süden und Norden der Halbinsel zusammenwirkend in denselben Plan eingreifen müssen. In diesem Sinne sendet mich der Vizekönig, Euch zu begleiten und ihn auf dem laufenden zu halten. Genehmigt Erlaucht?«

Der Feldherr bejahte, seinen Unmut niederkämpfend.

»Ein anderes«, fuhr Moncada fort. »Ich bedaure, daß Ihr mich nicht geheim empfangen habet, aber ich ergreife den Augenblick. Es wird gewünscht, in Madrid, daß Erlaucht, wenn Sie Mailand erobert haben wird, dort zum Heile der Monarchie, und um das Übel mit der Wurzel auszurotten, streng und durchgreifend verfahre. Es wird geraten: der abtrünnige Herzog werde in Ketten gelegt und nach Spanien gesendet; der trotzige lombardische Adel verliere seine Güter und besteige das Schafott;[755] starke Besatzung und schwere Kriegssteuer bändige den Bürger; der Schrecken herrsche in Mailand!« Er suchte in der Miene des Feldherrn zu lesen.

Dieser stand ruhig. »Der Schrecken?« wiederholte er. »Niemals, solange ich lebe und meinem Kaiser diene! Mailand ist Reichsgebiet, und der Kaiser will nicht, daß das Reich mißhandelt werde. Wer wünscht? Wer rät? Verschonet mich mit Räten und Wünschen, Moncada, ich brauche sie nicht.«

»Hat der Herzog um Aufschub gebeten?« fragte Moncada mißtrauisch.

»Nein, Ritter.«

»Durch seinen Kanzler?«

»Der Kanzler der Hoheit von Malland bewohnt seit heute diese Burg. Eure Gnade kann ihn sprechen und sich bei ihm selbst erkundigen, Sie wird ihm damit ein Vergnügen machen, denn ich fürchte, daß er sich langweilt.«

»Erlaucht hat ihn nicht empfangen? Keine Neugierde läßt mich fragen, sondern das Interesse der königlichen Sache, welcher wir alle hier dienen.«

»Ich habe den Kanzler gesprochen, heute morgen, zwei Stunden.«

Diese Aufrichtigkeit setzte Moncada in Erstaunen, aber sie sagte ihm nichts Neues. Er war durch die spähenden Ohren, welche er unter dem Gesinde Pescaras besoldete, von der Ankunft und der Audienz Morones genau unterrichtet.

»Eine lange Beredung, da doch allein von der Unterwerfung des Herzogs die Rede sein konnte.«

Pescara schwieg. Geheimer Abscheu, so schien es, verbot ihm, den vor ihm Stehenden nur eines Wortes zu würdigen über das Nötige hinaus.

»Ich wundere mich«, sprach Moncada weiter, »daß Erlaucht nicht kurz abgebrochen, und ich erstaune, daß Sie diesen Niederträchtigen überhaupt empfangen hat, jetzt da jene Verleumdungen über Erlaucht Italien erfüllen.«

»Nicht weiter! Jedes Wort wäre eine Beleidigung und ein Zeitverlust! Ich habe diese Lügen meinem Kaiser berichtet. Das genügt. Ich kenne meine Feinde ...«

»Weise. Und ebenso weise, wenn Erlaucht Ihrer Unterredung mit Morone unverdächtige Zeugen gegeben hätte.«

»Das geschah«, erwiderte Pescara verächtlich. »Diese Herrschaften hier.« Bourbon und Del Guasto nickten. »Was aber den[756] Inhalt der Unterredung betrifft, nach welchem Ihr neugierig zu sein scheinet, so werdet Ihr ihn der Antwort entnehmen, welche ich in Eurer Gegenwart, wenn Ihr es wünscht, dem Kanzler morgen zu geben gewillt bin, bevor er meinem Heerzug als ein Gefangener folgen wird. Hier in diesem Saale. Nun aber lasse ich Euch.« Und er entfernte sich in sein inneres Gemach, wohin die drei andern ihm folgten.

Moncada stand allein. »Eine Maske«, überlegte er, »eine durchdachte Maske. Welch ein Antlitz verbirgt sie? . . . Ich werde es wissen ... Du entrinnst mir nicht, ich umschwebe dich, Pescara!« Er ging langsam weg in streitenden Gedanken.

Während die drei Feldherrn drinnen den Krieg vorbereiteten, blieb der Vorsaal eine Weile leer und unbehütet. Der Page Ippolito hatte sich zu der Herrin hinübergeschlichen, deren Ankunft er belauscht hatte und deren Schönheit und Leuseligkeit er kindlich bewunderte. Er brannte sie zu begrüßen und ihr seine Dienste zu bieten. Dann aber bevölkerte sich der feierliche Saal mit einer lustigen Gesellschaft Die fünf silbergrauen Windspiele des Connétable, närrische, noch ganz junge Tiere, hatten irgendeinen unbewachten Eingang in das Schloß gefunden und beschnoberten jetzt die Spalten der Türe, hinter welcher sie ihren Herrn vermuteten. Diese Rasse war Modesache. Nun kam auch der Windbund des Marchese, ein edles Tier und ein unermüdlicher Läufer, zu sehen, was es gebe, und war nicht sehr erbaut von dieser leichtsinnigen Sippe, die ihm nicht in diesen ernsten Raum zu gehören schien und der er knurrend sein Mißfallen kundgab.

Siehe da erschien noch ein zartes, zierliches Windspiel, ein schneeweißes Geschöpf von den feinsten Formen, das auf schimmerndem Silberhalsband die Inschrift trug: »Ich gehöre der Victoria Colonna.« Zuerst mit Freude und Bewunderung empfangen, wurde das schmucke Spielzeug bald zu einem gejagten und gehetzten Wilde, hinter welchem die ganze jugendliche Meute kläffend im Kreise herumfuhr. Da kam der Page hereingesprungen, nahm das Eigentum der Herrin, welche ihn danach gesendet haben mochte, in die Arme und flüchtete es aus dem Tumulte, die wilde Jagd hinter sich ziehend, den besonnenen Läufer des Pescara ausgenommen. In demselben Augenblicke trat Leyva aus dem innern Gemache und beschleunigte die allgemeine Flucht, indem er dem hintersten Hündchen des Connétable einen Tritt versetzte, daß es winselnd durch die Luft flog.[757]

Der ergraute Feldherr hatte einen zornroten Kopf und ließ sich von Pescara, der ihn geleitete, kaum mehr an der Hand zurückhalten. »Leyva«, sagte der Marchese, »ich bitte Euch, bleibt! Beherrschet Euch! Ich kann Euch nicht zwingen, gegen den Herzog gerecht zu sein, aber beobachtet wenigstens die Formen! Der Herzog benimmt sich musterhaft gegen Euch, mit tadelloser Courtoisie, Ihr aber zoget ihm die grinsende Miene eines Bauers und jetzt lauft Ihr weg, ehe unsere Beratung geschlossen ist. Das ist kein Betragen, wie es sich für Eure Stellung und Euer Verdienst geziemt.«

»Ich konnte den Verräter nicht länger ertragen, Pescara! Mit jeder Miene, jeder Bewegung hat mich der Hochmütige beleidigt! Nichts als Hohn! Seine Kälte verachtet mich, und seine Verbeugungen spotten meiner. Ich möchte wissen, woher er das Recht nimmt auf mich herabzusehen. Ich stehe über ihm, trotz seiner hohen Geburt, denn meine Ehre ist rein und ich bin ein treuer Knecht meines Königs, den seinigen aber hat er verraten! Er ist gezeichnet und sein glattes Gesicht garstiger als meine Wunde hier! Doch nicht alle Fürsten verachten mich, es gibt deren, die meinen Wert kennen. So dieser verständige Moncada, mit dem ich gereist bin. Der wenigstens hat mich seines Vertrauens gewürdigt.«

Pescara wurde sehr ernst. »Leyva«, sagte er, »Ihr gebet mir die Genugtuung, daß ich Euch immer für voll genommen habe. Ich frage nicht nach der Geburt, sondern ich nehme den Menschen, wie ich ihn erprobe. Habet Ihr mich je hochmütig gesehen oder kleindenkend erfunden? Du hast nichts gegen mich, Alter«, sagte er zutraulich, »wir kennen uns.« Er suchte mit den hellen grauen Augen die des Mitfeldherrn, der sie ihm aber, den Kopf senkend, hartnäckig entzog. »Nichts«, murrte Leyva, »außer daß Ihr Freundschaft haltet mit dem andern. Doch ich habe Eile: Erlaucht schickt mir die Instruktionen nach. Ich besitze dergleichen gerne schriftlich. Leyva tut seine Pflicht. Zählt darauf!«

Der Feldherr ließ ihn gehen und streichelte nachdenklich den feinen Kopf seines Windspieles, das ihm denselben in die Hand zu legen gekommen war.

Dann trat er in sein Gemach zurück, wo er Bourbon und Del Guasto in einem aufgeregten Gespräche fand, wohl über den Kanzler, denn sie deuteten mit den Blicken in der Richtung der Turmgemächer. Der Feldherr lächelte. »Herrschaften«, sagte er, »ihr habet heute morgen eine wunderbare Rede belauscht und –[758] noch wunderbarer – diese Rede hat mich nicht verführt, aber euch meine Zeugen. Meine Treue blieb fest, und die eurige wurde erschüttert, wie ich glaube: ein Triumph, den der Kanzler nicht beabsichtigte, der ihm aber schmeicheln darf.«

Jetzt wendete er sich mit veränderter Miene gegen Del Guasto: »Don Juan, ich sah Eure Augen habgierig nach Beute flammen. Danket es mir, daß ich Euch nicht zu Worte kommen und Euern Herrn den Kaiser verraten ließ. Denn gerade Ihr, Don Juan, müsset der Majestät unverbrüchliche Treue halten, wenn Ihr nicht ein Verbrecher werden wollet. Treue am Fürsten ist die einzige Tugend, deren Ihr zur Not fähig seid, und der letzte Ehrbegriff, der Euch übrigbleibt. Sie wird Eure Unerbittlichkeit adeln, wenn Ihr dieselbe gegen Abfall und Empörung ausübet, und Eure grausamen Triebe werden der irdischen Gerechtigkeit dienen. Nehmet das als meinen wohlgemeinten Rat, und nun gehet und vermeidet heute die Augen Donna Victorias. Euer Anblick ist ihnen verhaßt, sie können einen Mörder nicht ertragen.«

»Einen Mörder?« Don Juan lehnte sich auf.

»Einen Mörder. Kennet Ihr Euer Opfer noch nicht? Ich nenne es Euch: es ist Julia, die Enkelin meines Numa Dati, gestorben in Rom am gebrochenen Herzen, und Ihr seid es, der sie umgebracht hat. Ihr geschah wohl, aber das mindert Euren Frevel nicht im geringsten. Fürchtet nicht, daß sie Euch erscheinen werde, sie ist versenkt in die Ruhe und überläßt Euch den Furien Eurer Seele, zu früher oder später Reue.«

Del Guasto erbleichte und sein Haar sträubte sich wie ein Gewirr von Schlangen. Nicht seine Tat erschreckte ihn, aber der furchtbare Richterernst des Feldherrn, dessen vernichtende Strafgewalt von jenseits des Grabes zu kommen schien. Er entwich bestürzt vor den Blitzen dieses Auges.

»Familienangelegenheiten«, bemerkte Bourbon.

»Aber weißt du, Ferdinand, daß der Kanzler mich mehr, als du denkst, begeistert hat? Trotz seiner Schmähungen – er ist der einzige, dem ich nichts übelnehme – war er auf dem Wege mich völlig zu betören, oder vielmehr du hast mich betört, da du sagtest, ich sei dein Alter ego und du würdest mir Mailand geben Du hast dich über mich lustig gemacht und ich Stumpfsinniger habe den Spaß nicht verstanden.«

»Vergib, Karl! Ich war neugierig, ob der Kanzler seinem Herzog Treue hielte. Aber glaube mir, Karl, auch dir bleibt nichts als die Sache des Kaisers. Der Niedergang Italiens ist unaufhaltsam,[759] es unterhöhlt sich selbst. Besieh dir doch die Sache: Italien bietet sich mir flehend und bedingungslos, mit einem Schein von Wahrheit und Größe, und zugleich zieht es mir mit vollendeter Tücke den Boden unter den Füßen weg, um mich zum Sprung über den Abgrund zu zwingen. Ich begreife bei solchen Gerüchten und Verleumdungen, daß mir Madrid einen Aufseher und Belauscher sendet. Aber warum meinen Feind? warum Moncada? Zwar er wird mir nichts anhaben, und ich werde mein Tagewerk zu Ende bringen und dir, Karl, werde ich geben, was ich kann, mein Amt und meine Nachfolge ... Nicht wahr, Karl, du bist gerecht in Italien? Du quälst es nicht? Du drückst es nicht über das Maß? Das gelobst du mir. Obwohl sie es nicht um mich verdient haben. Ich kenne dich: du gehst menschlich mit ihnen um.«

»Ausgenommen mit dem Heiligen Vater, der schlecht von mir gesprochen hat. Aber, Ferdinand, was redest du? Du erschreckst mich! Wir sind gleichen Alters, und eine Kugel kann mich vor dir oder uns beide zusammen niederstrecken. Dieser Moncada ist über dich gekommen wie ein Frost, ich sah dich zusammenschauern. Was liegt zwischen euch?«

Jetzt ging die Sonne unter und es klopfte leise an der Türe. Der eintretende Ippolito wendete sich flehend gegen seinen Herrn: »Erlaucht lasse Madonna nicht warten. Die Tafel drüben ist gedeckt und Madonna steht harrend auf der Terrasse, wenn sie nicht die Stufen herabsteigt.«

»Gehe, mein Kind, und sage ihr, ich komme.«

»Das tue ich nicht«, versetzte Ippolito mit anmutigem Trotze, »sonst läßt sich Erlaucht mit Hoheit wieder in ein endloses hochpolitisches Gespräch ein und die süße Frau wird vergessen.«

Der Feldherr litt den Knaben neben sich, und die Unterhaltung mit dem Herzog fortsetzend, um dessen Schulter er vertraulich den Arm geschlungen hatte, bediente er sich der spanischen Sprache, von welcher er wußte, daß sie von dem Pagen nicht verstanden wurde. »Was zwischen mir und Moncada liegt, Karl? Etwas Entsetzliches, ein Verdacht, der für mich eine Wahrheit ist, für welchen ich aber keinen Beweis habe als meine Überzeugung. Ich glaube, ja ich bin gewiß: dieser Mensch hat meinen Vater umgebracht.« Er glättete die Locken des Kindes, das mit unschuldigen Augen zu ihm emporblickte.

»Es war nach der Wende des Jahrhunderts und ich wie dieser hier, jedenfalls nicht älter. Mein Vater, ein guter Feldherr und[760] ein besserer Mann als ich, ein treuherziger Mann, ging in Sendung des damaligen Vizekönigs, des großen Gonsalvo, der später den spanischen Undank so grausam erfuhr, nach Barcelona, wo der alte Ferdinand eben hofhielt. Dort erblickte er den letzten Sprossen unsers neapolitanischen Fürstenhauses, jenen unglücklichen Jüngling, der unter dem argwöhnischen Auge Ferdinands welken mußte, mit einem unfruchtbaren Weibe verheiratet. Arglos und unklug wie der Vater war – ich sage dir, es gab keinen schlichtern Mann – ließ er sich mit dem entthronten Prinzen in ein teilnehmendes Gespräch ein und besuchte ihn dann zuweilen im Palaste. Das reichte hin, ihn dem Könige verdächtig zu machen, und dieser Verdacht genügte, um ihm das Leben abzusprechen.

Ich erzähle dir die Sache, wie ich sie nachher erforscht und zusammengebracht habe, da, bei reiferm Verstande und erlangter Menschenkenntnis, die Vergangenheit Sinn und Bedeutung für mich gewann. Es ist höchst wahrscheinlich, daß der König selbst sein Opfer bezeichnete, wenn auch nur mit einem halben Wort oder einer kurzen Gebärde. Die Ausführung seines geheimen Spruches aber übernahm ein junger Mensch, den er um sich hatte und von dem es hieß, daß er sein natürlicher Sohn sei. Der junge Moncada, kein anderer, begegnete meinem Vater, der von dem Prinzen zurückkam, in einer Galerie des Schlosses und stieß ihn nieder. Kein Zweikampf, sondern ein Meuchelmord, denn die Rechte des Vaters war durch eine alte Verwundung gelähmt Und Pescara fiel unschuldig, so wahr ich dich umschlungen halte; denn nichts lag dem Redlichen ferner als Intrige und Verschwörung. Ist das nicht verrucht? Und vielleicht glaubte der junge Moncada eine Pflicht zu erfüllen und als guter Christ zu handeln, da er dem Wink einer Königsbraue gehorchte. Ist das nicht abscheulich? Wäre so etwas bei euch möglich, Karl?«

»In Frankreich? Je nachdem. Doch nein, so einfach nicht.«

»Nach Jahren, da ich meine ersten Sporen verdient hatte, treffe ich den Moncada im Zelte meines Feldherrn und Schwiegervaters, des Fabricius Colonna. Er umarmt mich, nennt mich seinen jungen Helden, den aufgehenden Stern und die Hoffnung Spaniens, und sein Blick gleitet mit ruhiger Beobachtung über meine Züge. Er versichert mir, ich gleiche meinem Vater, den er gekannt habe, und das Blut erstarrt mir in den Adern, denn ich hatte die Gewißheit, daß mich der Mörder Pescaras liebkosend in den Armen halte.«[761]

»Du ließest ihn gehen?«

»Am Abende jenes Tages ging ich, ihm das Leben zu nehmen oder ihn das meinige nehmen zu lassen. Er war verschwunden. Ich konnte ihn nicht verfolgen. Wo hätte ich die Zeit dazu genommen, immer im Zelte und in der Mitte der Entscheidungen wie ich lebte? Aber der Geist des gemordeten Vaters folgte mir überall.

Später erfuhr ich, der Verhaßte habe sich in irgendeine Kartause geworfen um eine Sünde zu büßen. Dann ist er jenseits des Meeres, in Cuba wiederaufgetaucht, wo ihm König Ferdinand reiche Besitzungen verlieh, und hat den kühnen Cortez nach Mexiko begleitet. Ich denke, um den ehrgeizigen Eroberer zu überwachen: denn Moncada lebt in den Gedanken und Plänen seines Vaters und ist im Zusammenhange mit jener fanatischen spanischen Partei am kaiserlichen Hofe, welcher die Burgunder und Niederländer glücklicherweise die Waage halten. Über das Meer zurückgekehrt, hat er sich ein Verdienst daraus gemacht, durch sein verborgenes Wirken Neuspanien der Krone erhalten zu haben, und steht in halb gefürchtetem Ansehen, auch bei dem Kaiser seinem Neffen. Jetzt ist er in Italien, um mich zu unterjochen oder zu verderben. Das ist Moncada.«

»Weißt du, Ferdinand«, sagte Bourbon, der aufmerksam gelauscht hatte, »ich hätte dir längst gern einen Gefallen getan. Räche ich dir den Vater und schaffe dir zugleich den Feind vom Halse? Nicht durch Meuchelmord, das ist nicht meine Art, sondern in geregeltem Duell, zu welchem ich schon einen Anlaß finde. Ich gefährde mich nicht, denn, ohne dir nahezutreten, du gibst zu: wir Franzosen fechten besser als ihr Spanier. Du bleibst außer Spiel, und mich schützt meine fürstliche Geburt. Willst du? Ich bin zu deiner Verfügung.«

Da antwortete Pescara mit fast verklärten, bläulich schimmernden Augen: »Nein. Es ist zu spät. Ich denke jetzt anders und gebe den Mörder der ewigen Gerechtigkeit.«

Bourbon blickte erstaunt. Pescara aber nahm Ippolito an der Hand und sagte: »Nun dürfen wir Madonna Victoria nicht länger warten lassen.«

Er gab dem Herzog den Vortritt. Auf der Wendeltreppe fragte er den Knaben: »Die Herrin ist dir schon so lieb, die du heute zum ersten Male gesehen hast?«

»Sie war gleich so gütig«, erwiderte Ippolito, »und ihr sah die Schwester ähnlich, die ich jetzt nicht mehr sehen soll« – helle[762] Zähren rieselten ihm über die Wange – »weil sie, wie mir der Großvater erzählte, in einem römischen Kloster ist und dort die Gelübde abgelegt hat. Und sie war sonst so fröhlich, die Julia aber freilich in der letzten Zeit ist sie sehr still geworden. Wie mag sich die Schwester so jung begraben!« Er sagte das, während sie ms Freie traten.

»Ich flehe, mich der erlauchten Frau vorzustellen«, bat der Connétable. »Jüngst fand ich, ein Buch öffnend, die Natur habe das Herrlichste gebildet und dann die Form zerbrochen, damit Victoria Colonna einzig bleibe. Ihr gönnet mir den Anblick?«

Sie beschritten den langen Zypressengang, und jetzt gewahrten sie in einiger Entfernung einen bewegten Auftritt: eine vorwärtsstrebende weibliche Gestalt riß sich von einem Manne los, der ihr zu Füßen lag. In demselben Augenblicke schrie Ippolito: »Dort ist der böse Zauberer, er will der Herrin ein Leides tun!« und eilte spornstreichs Donna Victoria zu Hilfe, während der Kanzler von den Knieen aufsprang und hinter einer Lorbeerhecke verschwand.

Die Befreite eilte dem lächelnden Gemahl mit schnellen Füßen entgegen und mit einem so jungen und kräftigen Erröten, daß Pescara sie niemals schöner gesehen zu haben glaubte. Während ihr Gewand noch flog, sagte die nicht einmal außer Atem Gekommene: »Ein Flehender hat mich überfallen und beschworen seine Sache bei Euer Erlaucht zu führen: er bittet, ihn nicht allzulange auf Bescheid harren zu lassen, da er sich in Zweifel und Erwartung verzehre.«

»Er hat seine Fürbitterin gut gewählt, Madonna«, versetzte der Feldherr, »aber alles zu seiner Zeit. Jetzt gestattet, daß ich Euch die Hoheit Bourbon vorstelle.« Victoria, lebhaft wie sie war, verbarg einen Ausdruck frauenhafter Teilnahme nicht.

Der Herzog ließ nicht im geringsten merken, daß ihn der knie ende Kanzler belustigt hatte. Er verneigte sich ehrerbietig und hielt sich fein und stolz aus Rücksicht für Pescara und im Bewußtsein seines schmachvollen Ruhmes, das ihn nie verließ Er bewunderte die Schönheit Victoriens, ohne sein dunkles Auge auf ihrem Antlitz oder ihrem Wuchse ruhen zu lassen. Er schmeichelte nicht, er streute keinen Weihrauch, sondern er sagte einfach: »Ich freue mich Madonna Victoria zu erblicken, die Gattin meines Freundes des Marchese, und huldige ihr nach Gebühr.« Dann verwickelte er sie, zu ihrer Linken gehend, in ein leichtes und gefälliges, aber unbedeutendes Gespräch, und da sie[763] ihn zur Tafel bat, bedankte er sich und schied unten an der Treppe des Landhauses mit ruhiger Höflichkeit. Victoria, so bescheiden sie war, hatte mehr erwartet, schon aus Gewöhnung, denn ihr pflegte von den Berühmtheiten der Zeit auf das übertriebenste gehuldigt zu werden. Doch sie verwand leicht und belächelte ihre Enttäuschung, mit dem Feldherrn die Stufen hinansteigend in der schon wachsenden Dämmerung.

Die Mahlzeit war kurz, wie Pescara es liebte. Victoria ließ es sich nicht nehmen, selbst dem Gemahl die Speisen vorzulegen, er aber rächte sich beim Nachtisch. Zwischen Eis, Früchten und Naschwerk erblickte er eine von seinem Zuckerbäcker kunstvoll geformte Mandelkrone. »Siehe da«, scherzte er, »etwas für meine ehrgeizige Victoria!« Er bot sie ihr, deren Herz zu pochen begann.

Sie erhoben sich und betraten das Nebenzimmer, das eine schwebende Ampel gleichmäßig erhellte und in seinem noch frischen Schmucke schimmern ließ. An den Wänden liefen Kinder mit Blumenkränzen, während das Lattenwerk der Decke in seinen Feldern grau auf Goldgrund gemalte Heroenbüsten zeigte eine willkürlich gewählte Gesellschaft, auf den vier ampelhellen Mittelfeldern: Äneas, König David, Herkules und Pescara. Das ganze Gerät war ein Ruhebette, dessen Rücklehne in ihrem Kastanienholze mit ausgebrochenen Lettern die Schrift trug: »Hier muß man plaudern.«

»Wie kommt es«, fragte Victoria, sich neben Pescara niederlassend, »daß mir der Connétable trotz seiner feinen Art einen unangenehmen Eindruck macht, daß er mich – geradeheraus gesagt – abstößt?«

»Der Arme!« scherzte Pescara. »Mars und Muse, Rauheit und Anmut, der garstige Leyva und die schöne Victoria fühlen sich gleicherweise von dem Kapetinger beleidigt, der sich doch gegen beide unsträflich benommen hat, wie ich bezeugen kann. Da muß sich etwas zwischen ihn und jeden andern, wer es sei, einschleichen, und ich glaube wohl, dieser entstellende Dunst und verhäßlichende Nebel ist sein Verrat, oder welchen Namen man dem Abfall von seinem Könige geben will.«

Eine leichte Blässe überzog das Antlitz Victorias.

»Verrat ...« Pescara dehnte die zwei Silben des Wortes. »Es ist begreiflich, daß ein edles Weib diese Sünde verabscheut. Ob ich meinem Fürsten Treue breche oder meinem Freunde oder meinem ahnungslosen Weibe oder selbst meinem Mitschuldigen, alles das sind Spielarten derselben Gesinnung ... Schon dein[764] finsterer und großer Dichter, aus welchem du deine Seele erneuerst, wertet den Verrat als die schwerste Schuld, da ja in seiner Giudecca sein Cerberus oder Luzifer in jedem der drei Rachen einen Verräter zermalmt. Den ersten weiß ich: es ist jener, der den Heiland geküßt hat. Wer aber sind die zwei andern: die, welche Luzifer an den Füßen gepackt hält und die das Haupt nach unten schweben? Das ist mir in diesem Augenblicke nicht erinnerlich. Sprich doch die Stelle, du weißt ja die hundert Gesänge auswendig.«

Victoria rezitierte:


»Degli altri due, ch' hanno il capo di sotto,

Quel, che pende dal nero ceffo, è Bruto:

Vedi come si storce, e non fa motto:

E l'altro è Cassio, che par sì membruto.«1


Behaglich plauderte der Feldherr weiter: »Dieser schweigend sich windende Brutus ist gut, doch – mit der schuldigen Ehrfurcht – den dürren Cassius, dessen Magerkeit Julius Cäsar fürchtete, wie kann ihn Dante muskulös nennen? Oberhaupt Victoria, wie gefällt dir diese Speise des Cerberus?«

Da antwortete Victoria tapfer: »Herr, die Mörder Cäsars gehören nicht in die Hölle. Hier tadle ich mei nen Dichter.«

»Beileibe nicht!« neckte Pescara. »Und doch, brav, meine Römerin! Treue ist eine Tugend, aber nicht die höchste. Die höchste Tugend ist die Gerechtigkeit.«

So schaukelte Pescara sein Weib über dem Abgrund und dem Geheimnis seiner Seele und hinderte sie, Fuß zu fassen, die mit dem ganzen Ungestüm ihres Wesens Boden suchte, den Sieg erstrebend, den zu erringen sie nach Novara geeilt war. Auf immer neuen Wegen verfolgte sie das Ziel, von welchem Pescara sie ferne hielt. Jetzt hatte sie die Eingebung, den größten lebenden Patrioten Italiens zu Hilfe zu nehmen.

»Ich mußte mich immer wundern, Pescara«, sagte sie, »daß du, wie du bist, unter unsern Bildnern und Dichtern die lieblichen den gewaltigen vorziehst, den Ariost und Raffael dem erhabenen Dante und seinem späten, aber ebenbürtigen Bruder, dem Buonarotti – du selbst aber bist eine tiefe und verborgene Natur.«[765]

»Eben darum, Victoria, wenn ich es bin. Die Kunst ist eine Ergötzung. Was aber deinen Michelangelo angeht, so mache mich nur nicht eifersüchtig auf den Zyklopen mit dem zertrümmerten Nasenbein, da du ihn so sehr bewunderst.«

Victoria lächelte. »Ich habe sein Angesicht nie gesehen und kenne nur seine Sistine.«

»Die Propheten und Sibyllen? Diese habe ich vor Jahren auch betrachtet und aufmerksam, doch sind sie mir wieder verschwommen, bis auf ein paar Einzelheiten. Zum Beispiel der Mensch mit gesträubtem Haar, der vor einem Spiegel zurückbebt –«

»Worin er die Drohungen der Gegenwart erblickt«, ergänzte sie erregt.

»Und dann die Karyatide, von einer ungeheuren Last zusammengedrückt, das kurze, viereckige, jammervolle Geschöpf! Das häßlichste Weib ohne Frage, wie du das schönste bist –«

»Eine Vergewaltigte, eine Unterjochte, eine Sklavin –«

»Nun tauchen mir auch die Propheten wieder auf: der kahle Sacharja, oder wer es sein mag, ein Bein oben, eines unten, der scheltende Hesekiel im Turban, Daniel schreibend, schreibend, schreibend. Auch die Sibyllen: die gekrümmte Alte mit der Habichtsnase, die glimmenden Augen in ein winziges Büchlein vertieft, mit der Nachbarin, die sich Öl in die erlöschende Ampel gießen läßt, und, die schönste von allen, die Jugendliche mit dem delphischen Dreifuß. Alles in rasender Tätigkeit. Was soll dieser Sturm? Was predigen und weissagen diese?«

Da rief Victoria in flammender Begeisterung, als säße sie selbst im Rate der Prophetinnen: »Sie bejammern die Knechtschaft Italiens und verkündigen den kommenden Retter und Heiland!«

»Nein«, urteilte Pescara streng, »die Stunde des Heils ist vorüber. Nicht Gnade verkündigen sie, sondern das Gericht.«

Victoria erbebte, aber schon wieder war der strafende Ernst aus den Zügen Pescaras gewichen. »Verlassen wir jene prophetische Kapelle«, sagte er schmeichelnd, »und eine Kunst, die erschreckt und erschüttert. Mich aber darfst du nicht gemeint haben, da du von einem Heiland Italiens sprachest, obwohl ich freilich die Seitenwunde schon besäße«, schloß er mit einem jener herben Scherze, welche ihm eigentümlich waren.

Die ganze Zärtlichkeit Victoriens überquoll, da Pescara jene Wunde nannte, welche ihre Tage und Nächte beschädigt hatte, bis er ihr schrieb, sie habe sich geschlossen. Das liebende Weib umschlang[766] ihn mit der Linken und mit der Rechten strich sie ihm die rötlich blonden, vorne leicht gelockten Haare tief in die Stirn, so daß er im Ampellicht und in ihrer wonnigen Nähe ein ganz jugendliches Ansehen gewann.

Da überkam sie eine Erinnerung an einen zusammen verlebten, nicht allzu fernen Tag. Es war in der Nähe von Tarent, auf einer ihrer Besitzungen. Dort hatten sie, freilich erst nach dem völligen Untergang einer sengenden Erntesonne, unter dem verglühenden Abendhimmel neben ihren noch rüstigen Schnittern zur Sichel gegriffen und sich jedes seine Garbe gebunden. Wieder sah sie den Feldherrn lässig auf der seinigen liegen, während sie die Schnittermädchen, leicht improvisierend, eine neue Kantilene lehrte nach dem Muster der dort im Süden gebräuchlichen, die dann das junge Volk bis in die Nacht zu wiederholen nicht müde wurde. Jenen Abend brachte sie jetzt dem Feldherrn ins Gedächtnis.

Es freute ihn. »Weißt du jenes Liedchen noch?« fragte er.

»Wie sollte ich?«

»Nun, es gab da einen Reim: Schnitter und Zither. Sonst sagte das Liedchen nichts weiter, als daß, wie auf dem Felde, auch im Himmel gesungen und die Garbe getragen werde. Das bescheidene Liedchen klingt vielleicht noch im Munde des Volkes, wenn ich und später auch du längst verstumme sind, und, aufrichtig, es gefällt mir besser als ein mir neulich übersendetes Sonett, in welchem du feierlich zu mir redest. Ruhig, Victoria! Es ist nicht von dir. Ich weiß, daß es nicht von dir ist.«

Sie loderte vor Zorn. »Wer erkühnt sich«, rief sie aus, »meine Maske zu nehmen und in meinem Namen zu dir zu reden? Wer ist der Freche? Wo ist das Machwerk, daß ich es zerreiße!«

»Oh, das wäre schade. Es sind Verse, die dir keine Schande machen. Hier.« Der Feldherr zog ein Blatt aus dem Busen. Sie entriß es ihm und trat unter die Ampel. Mit wogender Brust und hastigen Lippen begann sie:


»Victoria an Pescara


Ich heiße Sieg, Pescara, und ich kröne

Mit Lorbeer deine Schlachten und Gefechte,

Doch wehe mir, wenn ich die Heimat knechte,

Mißbrauchend meines Namens stolze Töne.
[767]

Da ich mich dir vermählt in Jugendschöne,

Aus Römerblut und fürstlichem Geschlechte,

Gab ich dir in Italien Bürgerrechte

Und brachte dir die Liebe seiner Söhne.


Ich komme, Lohn zu fordern für ein Leben,

Nur dir geweiht in hellem Opferbrande!

Mein Held, was wirst du deinem Weibe geben?


Ich weiß die Geister, welche dich umschweben!

Zerschneidend mit dem Schwert Italiens Bande,

Belohnst du mich mit meinem Vaterlande!«


Nie verwandelte sich eine Stimmung seltsamer unter dem Eindruck eines Gedichtes: unmutig hatte die Colonna das Blatt ergriffen, bald besänftigte sie sich, dann sprach sie innig und die letzten Zeilen jubelte sie hingerissen. Jetzt bekannte sie offen: »So bin ich und solches hoffe ich, wenn ich dieses auch nicht geschrieben habe!«

Pescara blickte spöttisch. »Das Sonett«, sagte er, »hat sich auf deinen Lippen wunderbar veredelt, aber es ist innerlich hohl und stammt aus einer niedrigen Seele. Liebe fordert keinen Lohn, Liebe gibt sich umsonst, Liebe rechnet nicht. Solches ist gemein. Nein, so kann Victoria nicht denken. Ein Mietling hat diese Verse gemacht, und ich weiß seinen Namen: seine ungeheure Eitelkeit hat ihn gezwungen, die Maske frech zu lüden. Sieh her.« Pescara wies mit dem Finger auf zwei winzige Buchstaben, ein P und ein A, in die untere rechte Ecke des Blattes gekritzelt. »Auch ein Göttlicher, wie er sich nennt! Ich sehe den Aretiner mit seinem Zeltgenossen, dem Giovanni Medici, dem zügellosesten Jüngling Italiens, weintriefend und witzereißend zusammensitzen und höre ihn lästern: ›Glaube mir, Hans, es ist kein leichtes, sich in die göttliche Victoria hineinzudenken!‹ Und ein faunischer Jubel. Der Aretiner lacht, daß er fast mit dem Stuhl überschlägt, er schüttelt sich, er lacht aus vollem Halse –«

»Bräche er ihn, der Schamlose!« schluchzte Victoria; denn Petrus Aretinus und sein Wesen waren schon damals weltkundig.

»Brav, meine Römerin!« begütigte Pescara. »In einem aber hat er recht, Geliebte: dein Vorname hat schon den Bräutigam begeistert. Es ist schön, mit dem Siege vermählt zu sein.«

Aber die Colonna verstand keinen Scherz mehr. Sie war in[768] den Tiefen ihrer Seele aufgewühlt in den Wurzeln ihres Wesens erchüttert, voller Tränen und zugleich voller Glut und Leidenschaft. »Doch in dem andern hat er unrecht!« redete sie heftig. »Ich weiß nicht, auf welchen Geist du lauschest, und mühe mich umsonst in deinem Herzen zu lesen! Du spielst mit deinem Weibe! Du umarmst mich und du drückst mich weg! Hast du Grausamer mich doch nicht einmal meine Botschaft ausrichten lassen, die ich dir bringen wollte in dem Jubel meines Herzens!«

»Weil ich sie erriet. Ich tadle den Heiligen Vater, mein edle Weib zur Dienerin mißbraucht und dir, der Wahrhaften, eine Botschaft aufgelistet zu haben, eine Botschaft seiner und deiner unwürdig, voller Lüge und Sophismen, welche ich, in den nächsten Tagen schon, ihn nötigen werde zu widerrufen und zu verleugnen. Die Heiligkeit gibt mir Neapel, wenn ich es erobere, und absolviert mein Gewissen, wenn ich es abstumpfe. Ich aber glaube nicht an ein solches Binden und Lösen, nicht in weltlichen Dingen, weder ich noch irgendein anderer mehr, und«, sagte er höhnisch, »auch in geistlichen nicht. Das ist vorbei, seit Savonarola und dem germanischen Mönche.«

»Und mein Italien, das du wie ein Magnet anziehst, lässest du es an dir scheitern? Achtest du es für nichts? Verachtest du es?« schrie Victoria verzweifelnd.

Der Feldherr erwiderte sanft »Wie dürfte ich ein Volk verachten, das mir dich gegeben hat? Aber ich will dir nicht verhehlen: Italien redet umsonst, es verliert seine Mühe. Ich kannte die Versuchung lange, ich sah sie kommen und sich gipfeln wie eine heranrollende Woge, und habe nicht geschwankt, nicht einen Augenblick, mit dem leisesten Gedanken nicht. Denn keine Wahl ist an mich herangetreten, ich gehörte nicht mir, ich stand außerhalb der Dinge.«

Victoria entsetzte sich. »Wie? Bist du kein Mensch? Bist du ein Geist ohne Fleisch und Blut? Betrittst du den Boden nicht, über den du wandelst?«

»Meine Gottheit«, antwortete er, »hat den Sturm rings um meine Ruder beruhigt.«

Da flehte Victoria: »Deine Gottheit?« und sie umschlang ihn mit beiden Armen, »ich lasse dich nicht, du nennest mir denn deinen Gott!«

Pescara löste sich sachte und erwiderte mit schmerzlichen Augen: »Wenn du es verlangst, aber komm mit mir in den Garten? ich muß Luft schöpfen.«[769]

Da sie auf die Terrasse traten, standen alle Sterne über ihnen, und drüben im alten Schlosse erblickten sie noch ein einsames Licht von irdischer Farbe. »Dort«, sagte sie mitleidig, »ist der Kanzler schlummerlos und verzehrt sich in Angst und Hoffnung.« »Ich glaube nicht«, versetzte Pescara, »eher hat er sich mit einem Mutwillen oder einer Nichtswürdigkeit in den Schlaf gelesen und seine niederbrennende Ampel leuchtet den Wänden.« Er hatte es erraten. Nach qualvollen Stunden hatte sich Morone mit einem Catull eingeschläfert.

Der Feldherr nahm seinen Weg nach dem Boskette mit den weißen Marmorbänken, wo er zu ruhen pflegte. Sie saßen unter dem dunkeln Laubdache, Hand auf Hand.

Da flüsterte Victoria: »Nun rede!« Der Feldherr aber schwieg.

Tritte nahten und eine andere Bank füllte sich mit Geflüster.

»Steht es wirklich so mit dem Feldherrn, Moncada? Ich habe Mühe es zu glauben.«

»Auch ich glaube es noch nicht, Leyva, aber ich forsche. Erlange ich Gewißheit, so trete ich hervor und wir handeln. Der König darf sein Heer in Italien nicht verlieren.«

»Ihr meint?«

»Du ziehst deine Truppen zusammen und wir verhaften ihn.«

»Er wird sich zur Wehre setzen.«

»Dann fällt er.«

»Und die Majestät?«

»Besorge nichts, die Majestät bedarf unser, wir beherrschen sie. Verweigerst du mir deine Hilfe, so muß ich ihn durch eine gedungene Hand töten lassen. Kann ich auf dich zählen?«

»Ihr dürft ... eine schwere Tat ...« Da zog ihn der andere fort. »Mir ist«, sagte er, »ich habe hier atmen hören.«

Wirklich, die feuchte Nachtluft drückte den lauschenden Feldherrn und benahm ihm den Atem. Er keuchte leise. Jetzt sagte auch er: »Gehen wir. Tau fällt und Verderben brütet in der Luft.« Sie drängte sich an ihn.

Drei Hornstöße ertönten, vom alten Schlosse her.

»Ein Kurier. Ich werde heute noch zu lesen haben.«

»Ferdinand«, flehte sie, »du bist umlauert. Du wirst dem Kaiser verdächtig. Du bist verloren! Wirf dich Italien in die Arme! Da ist dein Heil und deine einzige Rettung!«

»Ich fürchte nichts«, sagte er. »Der Weg ist dunkel, aber meine Zuflucht ist offen.«[770]

Jetzt standen sie in der kleinen Halle des Landhauses, und Pescara weckte den auf einem Schemel schlummernden Ippolito. »Geh hinüber«, befahl er, »und bringe, was eben angelangt ist.« Dann sagte er zu Victorien: »Ich meine, es ist von Madrid, vielleicht eine Zeile der Majestät selbst, die mir zuweilen schreibt, ohne das Wissen ihrer Minister. Ich bin doch begierig.«

Jetzt schlug die Turmuhr des alten Schlosses Mitternacht, müde und zitternd, mit so weit ausholenden Schlägen, daß je zwischen zweien ein Leben Raum zu haben schien. Der zwölfte Schlag unwiderruflich.

Ippolito kratzte an der Tür und brachte ein Paket, das der Feldherr öffnete. Es enthielt, neben einigen andern Briefschaften, einen kaiserlichen Erlaß, welcher den Marsch auf Mailand guthieß und den Oberfeldherrn bevollmächtigte, in der genommenen Stadt durchaus nach seinem Ermessen und gemäß den Umständen zu verfahren.

»Alles?« fragte Pescara.

Da bog der Knabe ehrfürchtig das Knie, überreichte ein Briefchen, welches er dem Kurier mit Not abgerungen hatte, und entfernte sich. Es war überschrieben: »In die eigenen Hände des Marchese.«

»Vom Kaiser«, sagte Pescara und öffnete. »Da, Victoria, lies vor. Er schreibt so kritzlig.« Sie gehorchte. Es war nicht viel, wenige Zeilen, und lautete:


»Mein Pescara!

Ich bin es, der diese Vollmacht durchgesetzt hat gegen meine Minister. Ihr habet viele Feinde. Hütet Euch vor Moncada. Ich aber bin gläubig an Euch, denn ich habe für Euch gebetet und sah einen Engel, der Euch an der Hand hielt. Ich traue.

Ich Euer König.«


Pescara lächelte mühsam. »Karl traut zu leicht«, sagte er »Das könnte ihn zu Schaden bringen mit einem andern, als ich bin. Aber – seltsam – er hat meinen Genius erblickt.«

»Jetzt nenne mir deine Gottheit!« flehte Victoria. »Ich beschwöre dich, Pescara, nenne sie mir!«

»Ich glaube, da ist sie selbst«, keuchte er heiser. Immer schwerer begann er zu atmen, er stöhnte, er ächzte, er röchelte. Ein furchtbarer Krampf beklemmte seine Brust. Er sank, mit der Hand nach dem gepeinigten Herzen langend, auf die Ottomane[771] und rang nach Atem. Da kniete sich Victoria neben ihn nieder, hielt und stützte ihn mit ihren Armen und litt mit ihm. Sie wollte Ippolito rufen und den Knaben nach seinem Großvater dem Arzte schicken, er verbot es mit einer Gebärde. Endlich entschlummerte er, aufs tiefste erschöpft, nachdem Victoria geglaubt hatte, er stürbe ihr. Da sie sich der Tränen gesättigt, entschlummerte auch sie. Dann erlosch die Ampel.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1968, S. 747-772.
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