Zweites Kapitel

[711] In der weiten hellen Fensternische jener edeln vatikanischen Kammer, an deren Dielen und Wänden Raffael die Triumphe des Menschengeistes verherrlicht, saß ein Greis mit großen Zügen und von ehrwürdiger Erscheinung. Er sprach bedächtig zu dem emporgewendeten, mit dunkelblonden Flechten umwundenen Haupte eines Weibes, das zu seinen Füßen saß und mit einem warmen menschlichen Blut in den Adern ebenso schön war als die Begriffe des Rechtes und der Theologie, wie sie der Urbinate in herrlichen weiblichen Gestalten verkörpert. Der betagte Papst ist seinem langen gebückten Rücken und in seinem fließenden weißen Gewande ähnelte einer klugen Matrone, welche lehrhaft mit einem jungen Weibe plaudert.

Noch nicht gar lange mochte Victoria auf ihrem Schemel gesessen[711] haben, denn der Heilige Vater erkundigte sich eben erst nach dem Befinden ihres Gatten des Marchese von Pescara. »Die Seitenwunde von Pavia macht sich nicht mehr fühlbar?« sagte er.

»Der Marchese ist völlig geheilt«, erwiderte Victoria unschuldig. »Die Seitenwunde ist vernarbt sowie auch die schlimmere Stirnwunde. Er wird Eure Heiligkeit begrüßen, wenn er den Urlaub antritt, den ihm die Gnade des Kaisers zugesagt hat und der uns Glückselige« – sie sprach es mit jubelnden Augen – »auf unserer Meeresinsel vereinigen wird. Aber er selbst verweigert sich denselben für einmal noch, weniger des politischen Horizontes wegen, der nicht heller noch trüber sei als sonst – so schreibt er – sondern weil er gerade jetzt das Heer ungern verlasse. Der Mörder«, sagte sie lächelnd, »beschäftigt sich nämlich mit einer vervollkommneten Feuerwaffe und einem neuen Manöver. Das brächte er nun gerne erst zu einem Ergebnis. So hat er mich, die er anfänglich hier in Rom überraschen wollte, in sein Feldlager nach Novara beschieden und ich reise morgen, nicht im Schneckenhaus meiner Sänfte, sondern im Sattel meines hitzigen türkischen Pferdchens. Hätte ich Flügel! mich verlangt nach den Narben meines Herrn, dessen Antlitz ich nicht gesehen seit jener berühmten Schlacht, die ihn unsterblich gemacht hat. Und so bin ich zu der Heiligkeit geeilt in der Freude meines Herzens, um mich bei Ihr zu beurlauben: denn das ist der Zweck meines Besuches.« So redete Victoria aufwallend und überquellend wie ein römischer Brunnen.

Ihre aufrichtigen Worte belehrten den Heiligen Vater, daß Pescara sein Tun und Lassen in dasselbe Zwielicht stelle, welches auch er liebte. Nur mit dem Unterschiede, daß der junge Pescara im entscheidenden Augenblicke wie ein Blitz aus seiner Wolke hervorsprang, während Clemens unentschlossen, über sich selbst zornig, in der seinigen verborgen blieb, weil er aus greisenhafter Überklugheit den Moment zu ergreifen versäumte. Er schärfte, in einem andern Bilde gesprochen, den Stift so lange, bis zu seinem Ärger die allzu feine Spitze abbrach. Jetzt trat er leise und tastete.

»Einen Urlaub hat der Marchese verlangt?« verwunderte er sich. »Ich dächte, seinen Abschied? Achilles zürnt im Zelte, so hörte ich.«

»Davon weiß ich nichts und das glaube ich nicht, Heiliger Vater«, entgegnete Victoria und warf mit einer stolzen Gebärde das Haupt zurück. »Warum seinen Abschied?«[712]

»Nicht wegen einer rosigen Briseis, Madonna«, antwortete Clemens ärgerlich mit einem frostigen Scherze, »sondern geprellt um einen erbeuteten König und um die Türme von Sora und Carpi.«

Damit spielte der Papst auf zwei bekannte Tatsachen an. Der Vizekönig von Neapel hatte bei Pavia, Pescara zuvorkommend, den Degen des französischen Königs in Empfang und damit die Ehre vorweggenommen, die erlauchte Beute nach Spanien führen zu dürfen. Und dann hatte der Kaiser Sora und Carpi den begehrlichen Colonnen, den eigenen Verwandten der Victoria geschenkt, nicht seinem großen Feldherrn, welcher ebenfalls einen Blick danach geworfen.

Victoria errötete unwillig. »Heiliger Vater, Ihr denkt gering von meinem Gemahl. Ihr stellet Euch einen kleinlichen Pescara vor: gebet mir Urlaub, damit ich reise und mich überzeuge, daß Euer Pescara nicht mein Pescara ist. Ich habe Eile vor den wahren zu treten.«

Sie erhob sich und stand groß vor dem Papste, aber schon verbeugte sie sich wieder tief mit demütiger Gebärde, um seinen Segen flehend. Da bat er sie, sich wiederum zu setzen, und sie gehorchte. Clemens durfte sich die Gelegenheit nicht entrinnen lassen, Pescara durch den geliebten Mund seines Weibes zum Abfalle zu bereden. Daß aber mit Anspielungen und Vorbereitungen bei der Colonna, wie er sie vor sich sah, nichts getan wäre, begriff er leicht: entweder würde sie sich gegen das Zweideutige aufbäumen, oder es als etwas Unverständliches und Nichtiges unbesehen in den Winkel werfen. Er mußte dieser wahren und auf Wahrheit dringenden Natur die Sache in klaren Umrissen vorzeichnen und in ein volles Licht stellen, damit sie dieselbe ihres Blickes würdige. Das ging ihm gegen seine Art, und er tat einen schweren Seufzer.

Da fand er eine Auskunft, die nicht ohne Geist und List war. Er fragte Victoria mit einer harmlosen Miene, während er die Hand mit dem Fischerring auf ein in blauen Sammet gebundenes Buch mit vergoldeten Schlössern legte: »Spinnst du wieder etwas Poetisches, geliebte Tochter? Wahrlich, ich bin ein Verehrer deiner Muse, weil sie sich mit dem Guten und Heiligen beschäftigt. Und ich liebe sie insbesondere, wo sie moralische Fragen stellt und beantwortet. Aber das schwerste sittliche Problem hast du noch in keinem deiner Sonette behandelt. Weißt du, welches ich meine, Victoria Colonna?«[713]

Diese wunderte sich nicht über den plötzlichen Einfall des Heiligen Vaters, weil sie hier auf dem eigenen Boden stand und, bei ihrem schon gefeierten Namen, Gelehrte und Laien wohl nicht selten ähnliche Fragen an sie richten mochten. Sie fühlte sich und erhob den schlanken Leib kampflustig, während sich ihre Augen mit Licht füllten. »Der größte sittliche Streit«, sagte sie ohne Besinnen, »ist der zwischen zwei höchsten Pflichten.«

Jetzt hatte der Heilige Vater Fahrwasser gewonnen. »So ist es«, bekräftigte er mit theologischem Ernste. »Das heißt: scheinbar höchsten, denn eine der beiden ist immer die höhere, sonst gäbe es keine sittliche Weltordnung. Ich flehe zu Gott und seinen Heiligen, daß sie dir beistehen und dich die höhere Pflicht erkennen lassen, damit du sie der geringern vorziehest, du und dein Gatte, denn siehe, dieser große und schwere Kampf wird an euch beide herantreten.«

Victoria erblaßte, da ihr die akademische Frage plötzlich in das lebendige Fleisch schnitt, der Heilige Vater aber redete feierlich: »Höre mich, meine Tochter! Alles, was ich dir jetzt zu sagen habe, ist auch dem Marchese gesagt, den meine Worte durch dich erreichen. Vernimm es: der Heilige Stuhl trennt sich zu dieser Stunde von der Kaiserlichen Majestät und bietet ihr die Spitze. Ich handle so als Fürst und als Hirte. Als Fürst: weil heute die Schicksalsstunde Italiens ist. Lassen wir sie verrinnen, so verfallen wir italienischen Fürsten alle auf Jahrhunderte hinaus dem spanischen Joche. Frage, wen du willst: so urteilen alle Einsichtigen. Aber auch als höchster Hirte. Ersteht in jenem rätselhaften Jüngling, der Völker in seinem Blut und auf seinem Haupte Kronen vereinigt, der alte Kaisergedanke, so ist die ganze leidenvolle Arbeit meiner heiligen Vorgänger umsonst gewesen, und die Kirche wird durch die neue Staatskunst enger gefesselt und tiefer gedemütigt, als von den eisernen Fäusten jener fabelhaften germanischen Ungetüme, der Salier und der Staufen. So steht es. Blieb dir fremd, was Italien mit Furcht und Hoffnung erfüllt?«

»Der Marchese will es nicht glauben«, sagte Victoria mit einem schnellen Erröten. Der Heilige Vater lächelte. »Heiligkeit vergesse nicht«, lächelte sie ebenfalls, »ich bin eine Colonna, das ist eine Ghibellinin.«

»Du bist eine Römerin, meine Tochter, und eine Christin«, wies sie Clemens zurecht.

Es entstand eine Pause. Dann fragte sie: »Und Pescara?«[714]

»Pescara«, antwortete der Papst und dämpfte die Stimme, »ist eher mein Untertan als derjenige des Kaisers. Denn er ist ein Neapolitaner, und ich bin der Lehensherr von Neapel. Glaube nicht, Victoria, daß ich leichthin rede. Wie dürfte ich es, da ich das Gewissen der Welt bin? Wahrlich, ich sage dir: in schlaflosen Nächten und bekümmerten Frühstunden habe ich mein Recht auf Pescara geprüft. Meiner politischen Vernunft mißtrauend, habe ich die zwei größten Rechtsgelehrten Italiens zu Rate gezogen, Accolti und ... hm ... den zweiten.«

Der Papst zerdrückte den Namen klüglich auf der Zunge, da ihm noch zur rechten Zeit einfiel, dieser zweite Rechtsgelehrte, der Bischof von Cervia, genieße des Rufes der schamlosesten Käuflichkeit. »Beide« – Clemens klopfte mit dem Fischerring auf das blaue Buch – »stimmen zusammen, daß Pescara, nach strengem Rechte betrachtet, viel mehr mein Mann sei als der des Kaisers, und beide erinnern mich daran, daß ich überdies, kraft meines Schlüsselamtes, jetzt da der Kaiser mein Feind wird, die Macht besitze, den Marchese eines Eides zu entbinden, den er einem Feinde des Heiligen Stuhles geschworen hat.«

Der Papst hatte sich langsam erhoben. »Und so tue ich!« sagte er priesterlich. »Ich löse Ferdinand Avalos vom Kaiser und zerbreche seine Treue. Ich ernenne den Marchese von Pescara zum Gonfaloniere der Kirche und zum Feldherrn der Liga, welche die heilige heißt, weil Christus in der Person seines Nachfolgers an ihrer Spitze steht.« Der Papst hielt inne.

Jetzt hob er die rechte und die linke Hand in gleicher Höhe, als hielten sie eine Krone über dem Haupte der Colonna, die, von Staunen überwältigt, auf die Kniee sank, und sprach mit lauter Stimme: »Die Verdienste meines Gonfaloniere um mich und die heilige Kirche voraus belohnend, kröne ich Ferdinand Avalos Marchese von Pescara zum Könige von Neapel!« Die junge Königin erbebte vor Freude. Sie glaubte eine Krone zu verdienen. Sprachlos, mit brennenden Wangen empfing sie den Segen. Dann stand sie auf und ging, in gemessenen, aber eiligen Schritten, als könne sie es nicht erwarten, dem erhöhten Gemahl seine Krone zu bringen.

Der Heilige Vater, selbst aufgeregt, folgte ihr so hastig, daß er beinahe einen Pantoffel verloren hätte. An der Schwelle erreichte er sie und wollte ihr den Band von blauem Sammet bieten. »Für den Marchese«, sagte er.

Da erblickte er hinter ihr Guicciardin mit Morone, die viel[715] leicht ein bißchen an der Türe gehorcht hatten. Victoria mit strahlenden Augen voll glühender Wonne erschien dem Kanzler als ein solches Wunder, daß er fast von Besinnung kam. Rasch gesammelt aber flehte er den Papst an: »Die Heiligkeit mache mich Unheiligen bekannt mit der himmlischen Victoria!« worauf Clemens ihm einen kleinen Klaps auf die Schulter gab und ihn mit den Worten vorstellte: »Der Kanzler von Malland, ein Weltkind, auf das sich der Heilige Geist herabzulassen beginnt!« Dann wisperte er Victorien ins Ohr: »Morone, Buffone.«

Diese verschwand in der Verwirrung ihres Glückes, während der Papst in der seinigen das wichtige blaue Buch zurückbehielt, denn er war noch ganz berauscht von der kühnen symbolischen Tat, zu welcher ihn der Anblick der schönen Frau hingerissen hatte. Nun fühlte er doch, daß er das Gleichgewicht verloren; er wies mit einer Handbewegung den Besuch des Florentiners und des Lombarden ab und trat in die raffaelische Kammer zurück.

Die beiden nicht Empfangenen sahen sich einen Augenblick an, dann ergriff Guicciardin lachend den Arm des Kanzlers und zog ihn sanftgestufte Treppen hinunter, in die vatikanischen Gärten, deren Schattengänge sie nicht aufzusuchen brauchten, denn der Himmel hatte sich mit schwarzen Wolken bedeckt.

»Eigentlich«, plauderte Guicciardin, »mag ich den Alten leiden. So fein er spinnt und so bedacht er redet, ist er doch innerlich ein leidenschaftlicher, ein zorniger Mensch wie ich, und jetzt höchst aufgeregt, weil er der Colonna unsere gefährliche Heimlichkeit geoffenbart hat. Du in deiner Verzückung hast es freilich nicht gesehen, wie er ihr die Gutachten des Accolti und des Angelo de Cesis in die Hand drücken wollte. Zwei käufliche Schurken, die den Meineid mit Bibelstellen belegen! Übrigens ist es ein starkes Ding, daß Clemens in seinen alten Tagen so Kühnes und Folgenschweres unternimmt, und noch mehr, er unternimmt es mit tiefem Mißtrauen gegen sich selbst, ohne Glauben an seinen Stern, denn er hält sich heimlich für einen Pechvogel. Das ist schlimm. Da war denn doch der Leo ein anderer, immer strahlend und triumphierend, und darum immer glücklich, während die gegenwärtige Heiligkeit, wie sie mir neulich im Tone des Jeremias prophezeite, die Ewige Stadt schon geplündert und aus diesen Dächern« – er wies auf den Vatikan – »Rauch und Flamme steigen sieht. Dennoch beginnt er den Kampf gegen den Kaiser, und das rechne ich ihm hoch an, ob es ihm auch zuerst um sein Florenz zu tun ist. Er hat noch Blut in den Adern und[716] knirscht die Zähne, soviel ihm geblieben sind, wenn er den hochmütigen spanischen Adel auf dem Kapitole stolzieren sieht wie in Neapel oder Brüssel. Aber wohin träumst du, Kanzler? von dem Weibe? Natürlich.«

»Ich will zu der Römerin reden wie ein alter Römer!« rief der Kanzler.

»Schön! Nur hüte dich, daß du in der Begeisterung nicht deinen klassischen Bocksfuß unter der Toga hervorstreckest. Sei züchtig, mache große Worte und packe sie fest an ihrer Eitelkeit!«

»An ihrem Herzen will ich sie packen!«

»Das heißt, an ihrer Tintenflasche, denn die Herzen schreibender Weiber sind mit Tinte gefüllt«, lästerte der schmähsüchtige Florentiner. »Aber weißt du, Kanzler« – und Guicciardin kniff ihn kräftig in den Arm – »daß es nicht der Heilige Vater allein ist, den unsere Unternehmung schlaflos macht. Auch ich habe in dieser Woche noch kein Auge geschlossen. Immer muß ich mir diesen Pescara zurechtdenken. Auf seinen Groll gegen den Kaiser gebe ich nichts: sie können sich über Nacht versöhnen. Ebensowenig auf den Einfluß des Weibes. Sie wird ihm die Botschaft des Papstes ausrichten dürfen: weiter wird er nicht auf sie hören. Aber ich glaube auch nicht an seine feudale Treue. Pescara ist kein Cid Campeador, oder wie die Spanier ihren loyalen Helden nennen, dafür ist er zu sehr ein Sohn Italiens und des Jahrhunderts. Er glaubt nur an die Macht und an die einzige Pflicht der großen Menschen, ihren vollen Wuchs zu erreichen mit den Mitteln und an den Aufgaben der Zeit. So ist er und so paßt er uns. Unfehlbar, er wird unsere Beute und wir die seinige. Dennoch ... lache mich aus, Morone ... etwas umhaucht mich: ich wittere Verborgenes oder Geheimgehaltenes, etwas Wesentliches oder auch etwas Zufälliges, etwas Körperliches oder einen Zug seiner Seele, kurz, ein unbekanntes Hindernis, das uns den Weg vertritt und unsere genaue Rechnung fälscht und vereitelt.«

»Aber«, sagte Morone nachdenklich werdend, »wenn er so ist, wie du ihn nimmst, und wenn die Tatsachen liegen, wie wir sie kennen, aus welcher Geisterquelle sollte denn jenes Feindselige aufsteigen?«

»Ich weiß es nicht! Nur – von diesem Pescara geht der Ruf, er verstehe es, einen stürmenden Feind alle Höhen erklimmen zu lassen, um ihm dann plötzlich einen letzten mit Feuerschlünden besetzten und ihn zerschmetternden Wall entgegenzustellen. Wenn in seinem Innern ein solcher Wall gegen uns emporstiege,[717] gerade im Augenblicke da wir glauben seine Seele bewältigt zu haben? Doch weg mit dem Spuk, der nichts ist als die Schwüle vor dem Gewitter, die natürliche Angst und Ungewißheit, die jedem großen und gefährlichen Unternehmen vorangeht.«

Ein Blitz flammte über den Vatikan. Er stand in weißem Feuer und zeigte die schönen Verhältnisse der neuen Baukunst. Unter dem Rollen des Donners verloren sich die zweie zwischen den Säulen eines Portikus, Guicciardin betroffen und sich fragend, was das Omen bedeute, der Kanzler unbekümmert um den Himmel und seine Zeichen, denn er sah sich schon zu den Füßen der Colonna.

Diese hatte im Taumel ihrer Begeisterung den Vatikan über die nächste seiner zahlreichen Treppen und durch eines seiner Nebentore verlassen. Sänfte und Gefolge, welche sie an der Hauptpforte vergeblich erwarteten, hatte sie vergessen und wandelte, mehr von ihrem ehrgeizigen Traume getragen als von dem aufziehenden Gewitter gejagt, mit bewegten Gewanden nach ihrem Palast am Apostelplatze zurück. Sie schritt mit einer geraubten Krone wie die erste Tullia, nicht über den Leichnam des Vaters, sondern über die gemeuchelte Staatstreue; denn die Tochter des Fabricius Colonna und die Gattin Pescaras war eine Neapolitanerin und die Untertanin Karls des Fünften, des Königs von Neapel.

Die krönende Gebärde des Papstes hatte sie überwältigt. Gewöhnung und Umgebung, der Glaube der Jahrhunderte und die überlieferten Formen der Frömmigkeit ließen sie in dem Haupte der Kirche, so entartet diese sein mochte, immer noch eine Werkstätte des göttlichen Willens und ein Gefäß der höchsten Ratschlüsse erblicken – und wie hätte das eigene Selbstgefühl und mehr noch der Stolz auf den Wert ihres Gatten sie zweifeln lassen an dem päpstlichen Rechte, auf das würdigste Haupt eine Krone zu setzen? So konnte ihr die anmaßende Handlung des Mediceers trotz der veränderten Zeiten als ein Ausspruch der Gottheit erscheinen.

Die neue Königin ohne Gefolge hatte den Borgo durcheilt, die Engelsbrücke überschritten und ging nun schon durch die »gerade Gasse«, wie sie hieß, im Gelärme der Menge. Diese gab der Colonna ehrerbietig Raum, ohne zu erstaunen über den unbegleiteten Gang und die eilenden Füße der erlauchten Frau, welche jetzt der dem Gewitter vorangehende Sturm beflügelte. Nach und nach aber verlangsamten sich ihre Schritte in dem dichter[718] werdenden Gewühle der nicht breiten Straße, obwohl der schmale Himmel darüber immer dunkler und drohender wurde.

Da erblickte sie über die Menge hinweg eine Kavalkade Herren der spanischen Gesandtschaft begleiteten, wohl zu einer Audienz im Vatikan, den dritten kaiserlichen Feldherrn in der Lombardei, Leyva. Dieser vormalige Stallmeister, der Sohn eines Schenkwirts und einer Dirne, den ein knechtischer Ehrgeiz und ein eiserner Wille emporgebracht, hatte einen plumpen Körper und das Gesicht eines Bullenbeißers, denn Stirn, Nase und Lippe waren ihm von demselben Schwerthiebe gespaltet. Neben ihm auf einem herrlichen andalusischen Vollblute ritt, in einen weißen Mantel gehüllt, ein vornehmer Mann mit braunem Kopf und energischen Zügen, welcher jetzt mit einer devoten Verbeugung Victorien zu grüßen schien; aber er hatte sich nur vor den steinernen Heiligen einer nahen Kirche verneigt.

War es die grelle Gewitterbeleuchtung, oder die gemessen feindselige Haltung der Herren in einer Stadt, von deren dreigekröntem Gebieter sie ihren König insgeheim verraten wußten, oder war es Victorias erregte Einbildungskraft, sie sah und fühlte in der Grandezza der Reiter und Rosse, den in die Hüfte gesetzten Armen, den verächtlich halb über die Schulter auf die Romulussöhne niedergleitenden Blicken und bis in die steifen Bartspitzen den Hohn und die Beleidigung der beginnenden spanischen Weltherrschaft, sie empfand Grauen und Ekel und ein tödlicher Haß regte sich in ihrem römischen Busen gegen diese fremden Räuber und hochfahrenden Abenteurer, welche die neue und die alte Erde zusammen erbeuteten. Warum war der junge Kaiser zugleich der König dieser ruchlosen Nation, in deren Adern maurisches Blut floß und die Italien mit ihren Borjas vergiftet hatte?

Sonst hätte sie wohl der uralte Familiengeist ihres ghibellinischen Geschlechtes, das Jahrhunderte lang seinen Vorteil darin gefunden hatte, der kaiserlichen Sache ohne Gehorsam zu dienen, an Karl gefesselt, aber nein, nicht an diesen Kaiser, auch wenn er kein Spanier gewesen wäre. Sie konnte sich nichts machen aus dem undeutlichen Knaben, den sie nie von Angesicht gesehen, weder sie noch irgendwer in Italien, das jener zu betreten zögerte.

Einen Brief freilich hatte er an sie geschrieben nach dem Siege von Pavia, um sie zu beglückwünschen, daß sie die Gattin Pescaras sei. Aber gerade in diesen kargen Zeilen schien sich ein[719] kümmerliches Gemüt zu spiegeln, und was der großgesinnten Frau am meisten mißfiel, war die in ihren Augen ängstliche und frömmelnde Demut, mit welcher der junge Kaiser Gott und seinen Heiligen die ganze Ehre des Sieges gab. Obwohl selbst dem Himmel dankbar, schätzte Victoria solche Demut gering an einem Manne und an einem Herrscher. War hier nicht das Geständnis, daß der begeisternde Sieg den Fernstehenden kühl gelassen hatte, ja, war hier nicht die kleinliche Absicht, den Lorbeer Pescaras zu schmälern? Darum mußte der Himmel alles getan haben. Victoria aber war brennend eifersüchtig auf den Ruhm ihres Gatten. Und wie ungroßmütig hatte sich Karl erwiesen! Er hatte es über sich gebracht, dem Feldherrn, welchem er Italien verdankte, zwei armselige italienische Städtchen zu verweigern! Nein, einen so kleinen Menschen konnte man gar nicht verraten, man konnte höchstens von ihm abfallen und ihn fahrenlassen.

Jetzt blendete sie ein gewaltiger Blitz, derselbe, der den Kanzler und Guicciardin unter die Dächer des Vatikans zurückgetrieben, und eben da der Regen zu stürzen begann, erreichte sie, rechts durch ein Seitengäßchen biegend, die dunkeln Stufen des Pantheon und seine erhabene – Vorhalle. Ohne das Innere des machtvollen Tempels zu betreten, lehnte sie, die entstehende Kühle einatmend, an eine der enge zusammengerückten gewaltigen Säulen, und unter dem Vordache des alten Bauwerkes kehrte ihr Geist in ein noch früheres Altertum zurück, dessen Tugenden die flüssige Bildkraft des Jahrhunderts verherrlichte, ohne sie zu besitzen oder auch nur begreifen zu können in ihrer eintönigen Starrheit und strengen Wirklichkeit.

Jene tugendhaften Lucretien und Cornelien traten ihr wie Schwestern vor das altertumstrunkene Auge, trug sie doch zwei Namen, die beide so römisch als möglich klangen, und war ihr doch wie jenen hohen Frauen das weiblich Böse unbekannt. Jene schlichten und stolzen Geschöpfe hatten die Eroberer der Welt geboren, Virgils großartiges »Tu regere imperio«, das sie sich wie oft: schon vorgesagt hatte, überwältigte sie jetzt bis zu den Tränen. Sie betrat den Tempel und warf sich nieder in der Mitte desselben unter der wetterleuchtenden Wölbung und rang die Hände und flehte, daß Rom und Italien nicht versinke in das Grab der Knechtschaft. Sie flehte in den christlichen Himmel hinauf und nicht minder zu dem Olympier, der über ihr donnerte, zu alledem, was da rettet und Macht hat, mit der wunderlichen[720] und doch so natürlichen Göttermischung der Übergangszeiten.

Da sie das Pantheon verließ – wie lange sie auf den Knieen gelegen, wußte sie nicht – heiterte sich der italienische Himmel eben wieder auf, und in ihrem gewöhnlichen Wandel, leicht und gemessen, beendigte sie den Weg nach ihrem Palaste. Jetzt kehrten ihre Gedanken zu Pescara zurück. Nicht diese ihre Frauenhände Konnten den Spanier verjagen, sondern nur er vermochte es, welcher in jeder der seinigen einen Sieg hielt, wenn sie und die Umstände ihn dazu überredeten. Durfte sie es hoffen? Hatte sie solche Gewalt über ihn? Und Victoria mußte sich sagen, daß sie trotz ihrer langen und trauten Ehe den innersten Pescara nicht kenne. Sie wußte sein Angesicht, seine Gebärde, die kleinste seiner Gewohnheiten auswendig. Daß der Enthaltsame ihr treu sei, glaubte sie und täuschte sich nicht. Daß er sie anbetete und als sein höchstes Gut mit der äußersten Liebe und Sorgfalt hegte, zärtlich und verehrungsvoll zugleich, darauf war sie stolz. In den seligen Stunden ihres kurzen, stets wieder von Feldzug und Lager aufgehobenen Zusammenseins warf er Pläne und Karten und seinen Livius weg, um sein Weib und gemeinsam mit ihr Meerbläue und wandernde Segel zu betrachten. Er spielte mit ihr Schach und sie gewann. Er bat sie, die Laute zu schlagen, schloß die Augen und lauschte. Er gab ihr für ihre Sonette spitzfindige Themata auf und verschärfte zuweilen den Umriß ihrer allgemeinen Gedanken und weiten Wendungen, denn er selbst hatte früher, in der unfreiwilligen Muße einer Gefangenschaft – und wahrhaftig gar nicht übel für einen Geharnischten – zur Verherrlichung Victorias einen »Triumph der Liebe« gedichtet.

Seine Siege aber erzählte er, jung wie er war und größerer gewärtig, seinem Weibe niemals, da er sie, wie er sagte, weder langweilen noch mit Blut bespritzen wolle, denn ein Feldzug sei eine lange Geduldsprobe, die zu der roten Lache einer Schlachtbank führe. Von Politik sprach er ihr nur gar nicht, weder von Vergangenem noch von Schwebendem, obwohl ihm einmal das Wort entschlüpfte, Menschen und Dinge mit unsichtbaren Händen zu lenken, sei das Feinste des Lebens, und wer das einmal kenne, möge von nichts anderem mehr kosten. Doch gewöhnlich meinte er, Politik sei ein schmutziger Markt und sein Weib dürfe nicht einmal die helle Spitze ihres Fußes in den ekeln Sumpf tauchen.

So gestand sich Victoria, daß ihr der alles untäuschbar durchblickende[721] Pescara undurchdringlich und sein Denken und Glauben verschlossen sei.

War das recht? Durfte es für sie verbotene Türen und verschlossene Kammern geben in der Seele ihres Mannes? Nach den Plänen des Feldherrn und den Ränken des Staatsmannes war sie nicht begierig, aber sie verlangte eingeweiht zu werden in seinen Ehrgeiz und in sein Gewissen. Und jetzt da Pescara vor einer ungeheuren Entscheidung stand, nein, jetzt ließ sie sich nicht abschütteln von seinem kämpfenden Herzen, nicht abspeisen mit einer Liebkosung oder einem Scherze, jetzt wollte sie mitraten und mithandeln. Hatte sie ihm nicht eine frische Seele und eine reine Jugend gebracht? War sie nicht eine Colonna? Brachte sie nicht heute eine Krone? Ob er diese zurückweise, ob er sie aus ihren Händen nehme und sie sich aufs Haupt setze, hier wollte sie seine Mitschuldige oder seine Mitentsagende sein, ein bewußter Teil seiner verschwiegenen Seele. Wäre sie schon bei Pescara! Herz und Sohlen brannten ihr vor Ungeduld, und schon durchschritt sie den Apostelplatz, wo ihr ein geharnischter Jüngling entgegentrat, der unter dem Tor ihres Palastes auf sie gewartet hatte.

»Ich war um Euch in Sorge, erlauchte Frau«, begrüßte er sie, »da Eure Sänfte und Eure Leute ohne Euch aus dem Vatikan zurückgekehrt sind. Nun, da seid Ihr ja, Patin, wenn ich Euch so nennen darf, wie ich von jung an gewohnt war und es auch mein gutes Recht ist.« Ohne Antwort zu geben, stieg sie mit ihm die Treppen hinan, kaum auf seinen dargebotenen Arm sich lehnend.

Diesen gewöhnlichen Dienst von ihm anzunehmen durfte sie sich nicht weigern, was sie auch gegen ihn haben mochte. Denn Del Guasto – so hieß der Jüngling – war der Neffe Pescaras und wie er ein Avalos. Der fünfzehnjährige Pescara und die gleichaltrige Victoria hatten den Knaben gemeinsam aus der Taufe gehoben. So hatte es der Vater Victorias, der Feldherr Fabricius Colonna, veranstaltet, um seine zwei Lieblinge, den jungen Krieger und sein aufgeblühtes Kind, zusammen vor einen Taufstein zu stellen und die beiden Gesichter und Gestalten sich einander erblicken zu lassen.

Später nahm Victoria den wohlgebildeten und feurigen Knaben, der in seinem kostbaren Taufhäubchen ihre Ehe mit Pescara gestiftet und dem die Eltern früh wegstarben, an Kindes Statt. Wäre er nur ein Knabe geblieben! Mit der Weichheit seiner[722] Züge aber verlor er auch die Liebenswürdigkeit seiner Seele. Das schöne Profil bekam einen Geierblick und den immer schärfer sich biegenden Umriß eines Raubvogels, und die sich offenbarende Unbarmherzigkeit begann Victoria zu befremden und abzustoßen. Pescara hatte ihn dann in den Krieg entführt, und in der einzigen Schule des von ihm vergötterten Feldherrn war er zu dem verwegenen Soldaten erwachsen, der in der Schlacht von Pavia durch Niederlegung der Parkmauer den Sieg begann, aber auch zu dem harten, grausamen Menschen, der auf dem vorjährigen schnellen Rückzug aus der Provence ein Haus, in dessen Keller ein Dutzend seiner Leute sich verspätet hatten, ohne mit der Wimper zu zucken, anzünden und in Flammen aufgehen ließ.

Doch Victoria hatte ihm Schlimmeres vorzuwerfen, einen Frevel, der die Frau in ihr empörte, und davon sollte er nun hören, jetzt da er zum ersten Male seit diesem jüngsten Verbrechen vor ihr stand. Sie erkundigte sich, ob er von Pescara komme und was er bringe. Er antwortete, daß er da sei, um die Herrin nach Novara zu geleiten. Er glaube zu wissen, daß sein Anblick der Herrin mißfalle, habe aber den Auftrag des Feldherrn nicht ablehnen dürfen, der die Marchesa nur dem sichersten Schwerte anvertrauen wolle. Denn die Straße werde ebenso unsicher wie die Weltlage, und er müsse die Marchesa ersuchen, sich morgen in der Frühe bereitzuhalten, er brenne ins Lager zurückzukehren, wo jeder nächste Moment den Krieg bringen könne, und da dürfe er nicht fehlen. Der Mailänder, Venedig, die Heiligkeit beteuern in die Wette ihre friedlichen Gesinnungen: also stehe der Kampf bevor. »Das wissen wir lange schon, es ist nur eine Frage des günstigen Augenblickes. Aber« – er trat einen Schritt zurück – »etwas anderes, etwas Neues, etwas Ungeheures habe ich auf meiner Reise durch Mittelitalien gehört, und ich brauchte nicht einmal zu lauschen. In Städten und Herbergen rauschte es öffentlich wie die Brunnen auf den Plätzen. Freilich reiste ich unter fremdem Namen und mit nur einem Diener.« Er hielt inne und blickte mit brennenden Augen, als verfolge er die spannende Wendung einer Jagd oder einen in Monddämmerung kriechenden Hinterhalt.

»Redet, Don Juan«, flüsterte Victoria.

»Für Euch, Madonna, die aus dem Vatikan zurückkehrt, gibt es kein Geheimnis, und es ist nicht einmal eines, sondern, wie ich sagte, ein öffentliches Geflüster, ein schadenfrohes, rachsüchtiges[723] Gekicher, ein kaum unterdrückter italienischer Jubel, eine allgemeine patriotische Rede und Ermunterung, von der ich die größte Eile habe den Feldherrn zu unterrichten. Denn noch weiß er nichts davon. Wie ich meine«, fügte er argwöhnisch bei.

Victoria erbleichte. »Was wird geflüstert«, fragte sie beklommen, »und über wen? doch nicht über Pescara?«

»Von ihm. Er ist überall. Sie sagen« – er dämpfte die Stimme – »der Feldherr löse sich vom Kaiser und unterhandle mit der Heiligkeit und den italienischen Mächten.«

Victoria erschrak über den glühend sinnlichen Ausdruck seines Gesichtes. »Und Pescara ...« sagte sie undeutlich.

»Wie ich den Feldherrn beneide!« träumte Don Juan. »Welche Aufregungen, welche Genüsse! Italia wirft sich ihm in die Arme ... er wird sie liebkosen, unterjochen und wegwerfen ... oh, er wird mit ihr spielen wie die Katze mit der Maus!« und er machte mit der Rechten eine haschende Gebärde.

Ein flammender Zorn übermochte die Colonna. »Verworfener«, rief sie, »habe ich dich gefragt, wie Pescara tun würde? Bist du der Mensch, es zu wissen? Habe ich dir erlaubt, an ihm herumzudeuten? . . . Wie die Katze mit der Maus ... abscheulich! So hast du mit Julien gespielt, Ehrloser!«

Diese Julia stammte aus einem edeln novaresischen Geschlechte und war die Enkelin des gelehrten Arztes Messer Numa Dati, welcher die Speerwunde Pescaras geheilt hatte. Del Guasto, der im Hause des Arztes Quartier genommen, hatte das Mädchen mißleitet und die Wohnung gewechselt. Die Preisgegebene war dann, von Scham vernichtet, vor dem arglosen Antlitz ihres Großvaters von Novara weit weg in ein römisches Kloster geflohen und hatte die mächtige Colonna auf den Knieen angefleht, sich ihrer zu erbarmen und ihre Ehre herzustellen.

Da ihn Victoria einen Ehrlosen hieß, biß sich Don Juan die Lippe. »Sachte, Herrin«, sagte er, »wäget Eure Worte. Ich bin kein Ehrloser, sondern ich wäre es, wenn ich Julien nicht verlassen hätte. Ich rede nicht von dem Unterschiede des Blutes eines Avalos und einer Dati, sondern einfach davon, daß mir wie jedem Manne keine Gefallene, sondern eine Unschuldige zur Braut geziemt.«

Victorias menschliches Herz empörte sich. »Du bist es, der die Ärmste mit deinen Liebkosungen und Beteurungen, ja vielleicht gar mit falschen Gelübden und Eiden zu Falle gebracht! Bist du es nicht? Kannst du es leugnen?«[724]

Er erwiderte: »Ich leugne es nicht, aber es war mein Kriegsrecht, denn Krieg ist zwischen dem männlichen Willen und der weiblichen Unschuld. Ich versuchte sie, ja. Warum widerstand sie nicht? Warum gab sie sich? Warum beschuldigt Ihr mich, daß sie schwach war und daß ich sie jetzt verachte und verschmähe?«

Victoria erstarrte vor Entsetzen. »Ruchloser!« stöhnte sie.

»Madonna«, kürzte der Jüngling das Gespräch, »das ist eine peinliche Unterhaltung, und Ihr tut mir leid dabei. Ich schlage Euch ein Tribunal vor. In Novara angelangt, treten wir vor den Feldherrn und Ihr verklaget mich. Ich werde mich rechtfertigen, und der Feldherr, der die Welt und ihre Ordnungen kennt, wird mich freisprechen, wie ich denke. Jetzt verlasse ich Euch. Ich habe noch Leute zu werben, denn ohne eine starke Bedeckung wage ich in diesen unruhigen Zeiten nicht für Euch zu haften.« Er verbeugte sich und verließ sie hohen Hauptes.

Victoria wendete sich unwillig und wählte den entgegengesetzten Ausgang. Sie bedurfte Kühlung und stieg in den Garten hinab. Mit dem letzten Tageslichte betrat sie den hinter dem Palaste liegenden Raum, welcher von hohen Mauern eingehüllt, voller Lorbeer und Myrte war und den der nachtröpfelnde Regen erfrischte. Ihre Schritte suchten das den Garten abschließende Kasino.

Die Helle genügte noch, wenn auch mit Mühe die Lettern zu unterscheiden in dem Evangelienbuche, welches sie im Vorbeigehen aus der Bibliothek genommen und vor das sie sich gesetzt hatte, die heiße Stirne in den gefalteten Händen. Ganz erfüllt von dem Schicksale Juliens und dem größern Pescaras, durchlief sie mit den Augen gedankenlos die aufgeschlagene Seite und atmete in vollen Zügen die erfrischte Luft. Nach einer Weile wurde sie sich dessen bewußt, was sie las: es war die dreimalige Versuchung des Herrn durch den Dämon in der Wüste. Sie las weniger mit dem leiblichen als dem geistigen Auge, was sie von Kind an auswendig wußte.

Sie sah den Dämon vor den Heiland treten, welcher das einfache Worte der Treue und des Gehorsams den Sophismen des Versuchers entgegenhielt. Als der Versucher heftiger drängte, deutete des Menschen Sohn auf die Stelle seiner künftigen Speerwunde ... Da wandelte sich das weiße Kleid in einen hellen Harnisch und die friedfertige Rechte bepanzerte sich. Nun war es Pescara, der die Hand über seine durchschimmernde Wunde legte, während der Dämon jetzt einen langen schwarzen Juristenrock[725] trug und sich wie ein Gaukler gebärdete. So sah es die Colonna auf dem vor ihr liegenden Bibelblatte. Ärgerlich über das Spiel ihrer Sinne, tat sie sich Gewalt an und blickte auf.

»Wer bist du und was willst du?« rief sie erstaunt, und eine vor ihr stehende dunkle Gestalt antwortete: »Ich bin Girolamo Morone und komme zu reden mit Victoria Colonna.« Victoria erinnerte sich, wen ihr heute der Papst gezeigt hatte, und gewahrte jetzt auch den einführenden Diener. Dieser entflammte die über der Herrin schwebende Ampel, rückte dem Kanzler einen Schemel und entfernte sich, während die Marchesa in der entstehenden Helle das häßliche, aber mächtige Gesicht ihres nächtlichen Gastes betrachtete, das ihr keinen Widerwillen einflößte.

»Zu später Stunde«, sagte sie, »suchet Ihr mich; doch Ihr bringet mir wohl einen Auftrag an meinen Herrn, zu welchem ich morgen in der Frühe verreise.«

»Vor Pescara denke ich bald selbst zu stehen«, erwiderte Morone, »und nicht von ihm werde ich Euch reden, sondern allein von Victoria Colonna, welche ich mit ganz Italien verehre und anbete wie eine Gottheit, der ich aber zürne und gegen die ich Klage erhebe.«

Wer seid Ihr, um so mit mir zu sprechen? lag es auf den Lippen der Marchesa, doch sie fragte rasch und warmblütig: »Wessen klaget Ihr mich an? Was ist meine Schuld, Morone?«

»Daß Ihr Euer helles und begeisterndes Antlitz in Rollen und Bücher vergrabet und unter Schatten und Fabeln lebet! Daß Ihr den ersten Cäsar verabscheut und dem neuesten huldigt, daß Ihr Troja beweinet und Euer Volk vergesset, daß Euch Prometheus! Bande drücken und die Fesseln Italiens nicht schmerzen! Drei Frauen haben sie geschmiedet!«

»Welche dreie?« fragte sie.

»Die erste war Beatrix Este. Wann ihr alternder Gemahl der Mohr sie auf den schwellenden Mund küßte, flüsterte sie, daß ihren blonden Flechten ein Diadem anstünde, der kluge Mohr verstrickte sich in die blonden Flechten und vergiftete seinen Neffen den Erben von Mailand.«

»Die Schändliche!«

»Der welkende Knabe hatte ein stolzes und feuriges Weib, die Aragonesin Isabelle, die Beatrix tödlich hafte und mit ihren jungen kräftigen Armen den siechen Knaben ihren Gemahl auf den vorenthaltenen Thron heben wollte, sie beschwor und bestürmte[726] ihren Vater den König von Neapel, bis dieser den Mohren bedrohte.«

»Ärmste!«

»Der Mohr war sicher, solange der Gebieter von Florenz, der junge Medici, dazwischenstand. Dieser war das Spielzeug seines schönen Weibes, der hochmütigen Alfonsine Orsini, und das Weib übermochte ihn, daß der Tor dem Mohren Freundschaft und Bündnis kündigte. Da rief der Mohr den Fremden.«

»Unselige!«

»Dreie haben Italien gefesselt. Die vierte, die Ihr seid, muß es erlösen!«

»Kanzler, ich bin nicht das Weib eines Greises, noch eines Knaben, noch eines Toren, noch eines andern von denen, die sich vom Weibe berücken lassen, und ... ich begehre keine Krone.« Sie errötete und wurde wie Purpur.

»Herrin«, sagte der Kanzler, »die Krone begehrt Euch. Erbarmt Euch Eures Volkes und vertretet es bei Pescara! Ich sage nicht: liebkoset, umgarnet, verleitet ihn! Ich verschwöre mich nicht mit Euch, ich verabrede keine Rollenteilung, ich lasse Euch reisen, ich laufe mit Euch in die Wette, wer ihn zuerst erreiche. Und seid Ihr die erste, so umfanget seine Kniee und redet aus der Fülle Eures Herzens und flehet: Pescara! Ich bin Italien und liege zu deinen Füßen: erhebe mich und nimm mich an deine Brust!«

Victoria war gerührt und auch der Kanzler vergoß Tränen.

»Erlauchte Frau«, sagte er, »wer bin ich, der so zu Euch reden darf! Ich bin nicht wert, daß ich den Saum Eures Gewandes küsse. Ludwig der Mohr, mein allergütigster Herr, hat mich in Mailand von der Gasse aufgelesen und wie einen drolligen kleinen Pudel zu seinen Füßen spielen lassen. Da habe ich meine Erziehung genossen und an seinem Hofe und später in seinem Dienste das Gesicht und die Gebärde meiner Zeit, den ganzen ausgelassenen Triumphzug des Jahrhunderts betrachtet.

Der arme Mohr! Sein Unstern und die Franzosen entführten ihn nach Loches, wo er zehn lange Jahre im Kerker schmachtete. In seinem letzten habe ich ihn dort wiedergesehen; denn damals, durch die Macht der Umstände, befand ich mich in französischem Dienste, und mich verlangte nach dem Antlitz meines Wohltäters. Da ich ihn erblickte, erschrak ich und hatte Mühe ihn zu kennen. Er sah wie ein Geist: Kerker und Elend hatten seine Miene seltsam veredelt. Erst da er den Mund öffnete, fand ich mich wieder in ihm zurecht. Er lächelte und sagte in seiner[727] unvergleichlich feinen Weise: ›Bist du es, Girolamo? Es ist hübsch von dir, daß du mich besuchest. Ich verarge dir nicht, wenn du in den Dienst meines Feindes getreten bist. Die Umstände zwingen, und wie ich dich kenne, wirst du meinen Söhnen noch ein treuer Freund und Berater sein, wenn das Rad der Fortuna sich wiederum gedreht haben wird. Du bist nun ein gereifter Diplomat geworden und verrätst keine schlechte Schule. Weißt du noch, wie ich dir untersagte, dein komisches Gesicht wegzulegen und dein Gebärdenspiel zu mäßigen, mit welchen du dir jetzt deine neuen Freunde gewonnen hast?‹

So scherzte er eine Weile großmütig, dann aber redete er ernst und sagte: ›Weißt du, Girolamo, was mich hier in meiner Muße beschäftigt? Nicht mein Los, sondern Italien und immer wieder Italien. Ich betraure als die Qual meiner Seele, daß ich, vom Weibe verlockt, den Fremden gerufen habe, mit dem ihr jetzt rechnen müßt und der ein zerstörender Teil eures Körpers zu werden droht. Ich aber sinne, wie ihr wieder euer werdet. Da war der Valentino, jener Cäsar Borgia, der versuchte es mit dem reinen Bösen. Aber, Girolamo mein Söhnchen, das Böse darf nur in kleinen Portionen und mit Vorsicht gebraucht werden, sonst bringt es um. Da ist jetzt der Rovere, dieser Papst Julius, der auf einer Donnerwolke gegen den Fremden fährt, welchen er selbst gerufen hat nicht minder als ich. Aber der Greis verzehrt sich, seine gewalttätige Seele wird bald in den Hades schweben, und nach ihm bleibt der gewöhnliche Hohepriester, der zu schwach ist, Italien zu gründen, doch gerade stark genug, um jeden andern an dem Heilswerke zu hindern.

Girolamo mein Liebling: ich glaube nicht, daß mein Italien untergeht, denn es trägt Unsterblichkeit in sich; aber ich möchte ihm das Fegefeuer der Knechtschaft ersparen. Gib acht, Söhnchen: ich lese zwischen deinen Augen, daß du noch eine Rolle spielen wirst in dem rasenden Reigen von Ereignissen, der über meinen lombardischen Boden hinwegfegt. Tritt eines Tages aus diesen wechselnden Bildungen eine Macht und aus diesen flüchtigen Gestalten eine Person, aber weder ein Frevler, noch ein Priester, sondern ein Feldherr, der den Sieg an seine eiserne Sohle fesselt, wer und wessen Stammes er sei, nur kein Fremder, dem gib du dich, mit Leib und Seele! Was an List und Lüge notwendig ist – denn anders gründet sich kein Reich – das übernimm du, mein Söhnchen, er aber bleibe makellos!‹«

Der Kanzler war aufgesprungen. Seine begeisterte Rede riß[728] ihn, ohne daß er es merkte – und auch die ergriffene Victoria merkte es nicht – weit über die Grenze der Wahrheit. »Diesem Erkorenen«, rief er aus, »stehe das schönste und reinste Weib zur Seite! Italien will die Tugend leiblich einherschreiten sehen, um ihr nachzuleben. Unser Verderben ist die Entfesselung aus der Sitte, der zerrissene Gürtel der Zucht. Hier ist ein Sieg davonzutragen, größer als der auf dem Schlachtfelde, und ein Zauberstab zu schwingen, mächtiger als der Feldherrnstab. Ich sehe sie vor mir, diese Königin der Tugend, die Priesterin, die das heilige Feuer hütet, die Erhalterin der Herrschaft, und, hosianna! ganz Italien wandelt hinter ihren Schritten, lobpreisend und frohlockend!« Der Kanzler machte Miene, Victorien huldigend zu Füßen zu stürzen, doch er trat zurück und flüsterte verschämt. »So sprach Ludwig der Mohr in seinem Kerker.«

Victoria senkte die Augen, denn sie fühlte, daß sie voller Wonne waren und brannten wie zwei Sonnen.

Da sagte der Kanzler: »Ich habe Euch ermüdet, edle Frau, die Augen fallen Euch zu. Ihr müsset morgen frühe auf und seid schwer von Schlummer.« Und der Listige trat in die Nacht zurück, die sich inzwischen auf die Ewige Stadt gesenkt hatte.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1968, S. 711-729.
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