Zwölftes Kapitel

[540] Es war Hochsommer und die Mittagssonne brannte in den Straßen von Mailand. Im Halbdunkel einer Halle, welche von den feinen Wasserstrahlen eines Marmorbeckens gekühlt wurde, saßen sich zwei Staatsmänner gegenüber, die offenbar eine wichtige Verhandlung führten. Eine von vier vergoldeten Greifen getragene große Mosaikplatte war überlegt mit Protokollen und Vertragsentwürfen in verschiedenen Sprachen und Formaten. Über diesen kühlen Tisch, darauf sie sich lehnten, streckte bald der eine bald der andere die nachdruckgebende Rechte aus, in halblauter Wechselrede vorsichtig einen Standpunkt angreifend oder behauptend.

Der eine, in Scharlach gekleidet und von gewaltigem Wuchs, hielt jetzt ein Papier in der Hand, das er mit finstern Blicken durchflog und worauf über der kleinern Schrift, die es bedeckte, mit großen verschnörkelten, aus einer sorgfältigen Kanzlei hervorgegangenen Buchstaben


Progetto ossia Idea


geschrieben stand.[540]

Dies Projekt aber, oder diese Idee leuchtete dem Lesenden nicht ein, sondern erregte seinen Unwillen; denn zuweilen zuckte es wie Schmerz und Hohn durch seine Züge und die kräftige, mit großen Siegelringen geschmückte Hand schien das Papier zerknittern zu wollen. Doch las er zu Ende, bevor er es mit kaum beherrschter Ungeduld auf den Tisch zurückwarf.

Der andere, ein hagerer vornehmer Sechziger, beobachtete ihn gelassen. Die Haltung dieses Edelmannes war aus italienischer Urbanität und spanischer Grandezza gemischt, aber nicht zu gleichen Teilen, denn wenn der Herzog Serbelloni von seinem berühmten Ahn, dem Feldherrn Karls V., die imposante Adlernase und die diplomatische Geschicklichkeit ererbt hatte, so war ihm dessen elastische italienische Menschenbehandlung nicht zuteil geworden. Seine Mutter, die eine Mendoza war, hatte ihm mit ihrem Blute – neben dem rötlichen Haar und der hellen Hautfarbe – einen Zug von spanischer Hochfahrt und Unnahbarkeit gegeben, den er zu verbergen wußte, der aber insgeheim sein ganzes Wesen durchdrang.

Der Herzog hielt es unter seiner Würde und Weisheit, der erste zu sein das Wort zu ergreifen, und erwartete mit unbeweglichen Zügen und geschlossenen Augen eine Äußerung des Lesers über den empfangenen Eindruck. Da dieser aber die Arme über die Brust verschränkte und schwieg, so ließ er sich endlich vernehmen:

»Was dünkt Eure Gnade, Sennor Jenatsch?«

Georg Jenatsch lachte bitter auf.

»Eure Herrlichkeit«, sagte er, »hält mich für einen müßigen Liebhaber der Staatskunst, sonst würde sie den Ernst meiner fast zur Reife gediehenen Geschäfte nicht mit einem komischen Intermezzo unterbrechen. – Der Witz ist würdig eines Grazioso: Üppige Länder sollen wir vertauschen an ein paar verfallene Rheinstädtchen, wie Lauffenburg, Säckingen und andere, die zwei Tagritte und zwei fremde Nachtlager von uns entfernt sind und die morgen ihre vermorschten Tore öffnen, wenn der Herzog Bernhard von Weimar in seinem Elsaß einen Trompeter aufsitzen läßt und gegen sie ausschickt! . . . Fürwahr, ein Scherz ohne Salz, den ich der Hofkanzlei von Wien kaum zutrauen kann! – Ich bitte, Herrlichkeit, kehren wir zu Gesichtspunkten zurück, die unser würdig sind.«

Wenn auch der Herzog den naiven, oder doch für naive Leute bestimmten Vorschlag des Hofes von Wien nur angewendet und[541] benützt hätte, um Zeit zu gewinnen, so fühlte er sich immerhin verletzt durch die rasche und rücksichtslose Zurückweisung desselben. Aber seine Empfindlichkeit fand kaum in einer etwas steifern Haltung Ausdruck.

»Eure Gnade«, sagte er, »hat es der eigenen Hartnäckigkeit zuzuschreiben, wenn die Verhandlung stockt und nach neuen Auskünften und Abfindungen gesucht wird, um die Herren Grisonen zufriedenzustellen.«

»Zufriedenzustellen?« wiederholte der Bündner befremdet. »Doch nicht anders als durch die volle Zurückgabe unsers Eigentums?«

»Zufriedenzustellen«, betonte der Herzog langsam, »auf billige Weise.«

»Meine durch die edle Donna Lucretia gestellte Bedingung«, versetzte der Bündner gereizt, »lautet auf völlige Zurückgabe unsrer Länder, auf die Herstellung des status ante. Diese Forderung versprach Eure Herrlichkeit zu befriedigen.«

»Nicht wörtlich diese Forderung, sondern die Herren Grisonen überhaupt zu befriedigen«, versetzte der Herzog mit Würde.

Georg Jenatsch warf einen prüfenden Blick auf die kleine List, ob sich darunter eine Gefahr berge. Dann blitzte er den Herzog mit ausgelassenen und mutwilligen Augen an.

»Ein sinnvolles Silbenstechen, zu dem sich Eure Herrlichkeit herabläßt«, sagte er heiter. »Damals im Drange der Gefahr klügelte ich nicht über ein Wort, auf das ich, wie die Dinge liegen, auch jetzt keinen Wert setze. Größern dagegen – weil wir es einmal mit der Vieldeutigkeit der Worte zu tun haben, lege ich auf einen andern Ausdruck, der freilich auch nur aus Silben und Buchstaben besteht. Nicht ›ewiger Friede zwischen Spanien – Österreich und Bünden‹ soll über dem endgültigen Dokumente, das wir beraten, stehen, sondern – wenn ich etwas dabei zu sagen habe – ›Vertrag oder Bündnis‹.«

»Friede ist ein schönes Wort«, bemerkte der Herzog mit heiliger Miene.

»Zu schön für uns friedlose Sterbliche«, erwiderte der Bündner bitter. Dann fuhr er lächelnd fort: »Schreibt doch der heilige Augustinus, wie Eure Herrlichkeit weiß, der Krieg sei nur der Vorläufer, oder die Eingangshalle des Friedens und jener diene nur dazu, um zu diesem zu führen. – Wie dem sei, die beiden Gottheiten sind allzu nahe verwandt, als daß wir der einen gegen[542] die andere trauen dürften! – Also: Vertrag oder Bündnis! Ein bescheidenes Wort für eine irdische Sache!«

Er setzte ernst werdend hinzu: »Der Gewissensskrupel Eures Gebieters, der katholischen Majestät, der ihr – wie mir Eure Herrlichkeit mitteilte – verbot, mit einer unkatholischen Macht ein Bündnis zu schließen, ist jetzt ohnedies gehoben.«

»Wie das?« fragte der Herzog mißtrauisch.

»Dieses Mal kann Bünden als katholische Macht gelten«, behauptete Jenatsch kalt, »da, die italienischen Herrschaften mitgezählt, die Mehrzahl seiner Bewohner und das unterhandelnde Staatsoberhaupt selber diesen Glauben bekennen.«

»Eure Gnade hat den Schritt getan«, bemerkte Serbelloni unangenehm berührt. »Ich freue mich als guter Christ unendlich darüber und beglückwünsche Eure Gnade aufs aufrichtigste.« Und er warf ihm einen Blick grenzenloser Verachtung zu. »Es mag Euch hart angekommen sein.«

Jenatsch hatte ein leichtfertiges Wort auf der Zunge, aber plötzlich wurde sein Gesicht zorndunkel und er rief trotzig: »Leicht oder hart – genug – es ist getan!«

Seine Heftigkeit schien ihm selbst aufzufallen, er nahm sich zusammen und fuhr flüsternd fort: »Ich vernehme, daß die katholische Majestät meiner Sinnesänderung Beifall zollt. Diesseits der Pyrenäen aber hat mich dieser reuige Schritt zu meinem freudigen Erstaunen mit dem Pater Joseph ausgesöhnt. Er schrieb mir neulich neben andern guten Nachrichten, sein Gönner, der Kardinal Richelieu, finde den Bericht des Herzogs Rohan über die Märzereignisse in Chur lückenhaft und wünsche eine vollständige Darstellung derselben von meiner Hand.«

Es entstand ein Stillschweigen.

»Bei ruhiger Betrachtung der Dinge, Sennor«, sagte dann Serbelloni, der sein Erschrecken mit bewundernswürdiger Kaltblütigkeit beherrschte, »und maßvoller Verteilung der Dinge sind wir nicht so weit auseinander, als es einem Unkundigen scheinen möchte. Zwei Punkte nur, zwei Punkte sind bestritten. Spanien verlangt, wie ich Eurer Gnade eröffnet habe und sie nun selbst billigen wird, für das Valtelin unsern katholischen Glauben als Staatsreligion – dies das Wichtigere. Daneben während der Dauer des Krieges freien Paß für die Truppen der katholischen Majestät über den Stelvio.«

»Was den größern Punkt betrifft«, erwiderte Jenatsch ohne Zögern, »so bin ich der Fanatiker meiner jungen Jahre nicht[543] mehr. Das Veltlin bleibe katholisch, da die größere, ja die volle Zahl seiner Bewohner unsern Glauben bekennt. Wir Bündner beurlauben nach demselben Grundsatze die Kapuziner des untern Engadins, wo neun Reformierte gegen einen katholischen Christen stehn. – Gestehet, Herr, ich bin willfährig und entgegenkommend! Haltet mir Gegenrecht – verzichtet auf den Paß.« Und er reichte dem Herzog eines der auf dem Tische liegenden Papiere zur Unterzeichnung.

Dieser aber weigerte sich mit einer bedauernden Handbewegung:

»Noch nicht. Keine Überstürzung! Spanien muß den Paß besitzen.«

Ein unheimliches Feuer fuhr aus den Augen des Bündners und es war, als ob sich seine Haare trotzig sträubten über der eisernen Stirne.

»Ich kann den Paß; nicht in Eure Hände geben«, rief er mit mühsam gemäßigter Stimme, »will ich mein Bünden in redlichem Frieden halten zwischen Frankreich und Spanien. – Ihr erstickt uns! – Gebt Raum, daß wir atmen können zwischen zwei Riesen, die sich noch lange bekriegen werden!«

Und der Bündner warf seine gewaltigen Arme wie ein Schwimmer auseinander, als machte er Platz für die Ströme seiner Heimat.

Der Herzog fühlte sich von dieser alle Form verletzenden Gebärde peinlich berührt. Sie erinnerte ihn daran, welcher Mann vor ihm saß. Er dachte an das von ihm selbst begünstigte Attentat des Obersten gegen die Freiheit des guten Herzogs und er ärgerte sich zu dieser Stunde, daß dieser rohe Emporkömmling an einem fürstlichen Manne, an einem seinesgleichen Gewalt geübt habe.

Er richtete sich in stolzer Steifheit empor und hohnlächelte: »Will Eure Gnade mir die Hand zwingen? Ich bin kein Herzog Rohan! Und nicht in Chur sind wir, sondern in Mailand.«

Das war ein unzeitiges Wort.

Der unvermutet ausgesprochene, dem Bündner einst so teure Name des von ihm Verratenen verwundete ihn wie eine persönliche Beleidigung, oder es starrte ihn das Medusenhaupt seiner unblutigen, aber schlimmsten Tat an. Er erbleichte und verlor die Fassung.

»Der Paß ist eine Unmöglichkeit!« schrie er den Herzog an. »Macht ein Ende und unterzeichnet!«[544]

»Sennor«, sagte dieser kalt, »ich muß mich fragen, wen ich vor mir habe. Eure Gnade unterscheidet sich von ihren Landsleuten nicht zu ihrem Vorteil. Ich habe oft mit Bündnern, auch von der protestantischen Partei, unterhandelt und erfand sie stets als weise, mäßige, tugendhafte Männer, die sich und die Stellung ihres kleinen Landes niemals mißkannten. – Wie Eure Gnade sich eben ausdrückte, spricht nur ein Welteroberer wie Alexander, oder – ein Rasender.«

Georg Jenatsch war von seinem Sitze aufgesprungen. Mit brennenden Augen und geisterhaft verfärbtem Haupte stand er vor dem Herzog.

»Wen Eure Herrlichkeit vor sich hat? . . . Keinen weisen tugendhaften Mann, nein, wahrhaftig nicht! . . . Sondern einen Menschen, der sein Vaterland ganz und völlig retten wird – koste es, was es wolle! Das ist mein Schicksal und ich will es erfüllen.

Hört mich, Herzog: Als ich Bünden hieherkommend verließ, strömte im Dorfe Splügen das Volk zusammen und flehte mich unter Tränen an, ihm den Frieden heimzubringen. Und ›mich jammerte des Volkes‹, wie geschrieben stehet. Da kam ein alter Prädikant mit langem weißen Haar und Barte hergewankt – er glich meinem Vater, Herzog – und warnte mich mit beweglichen Worten vor der spanischen Hinterlist. Ich aber hob mich in den Bügeln, reckte vor allem Volke die drei Eidfinger aus und schwur, daß es durch das Gebirge tönte: ›Ich rette Bünden, so wahr mir Gott helfe! Und müßte ich Spanien und Frankreich wie zwei Rüden aneinanderhetzen, bis sie sich zerfleischt haben!‹ ... Und ... Herrlichkeit ...« sagte er sich besinnend, »so werde ich tun, wenn Ihr nicht heute, nicht in dieser Stunde meinen Vertrag unterzeichnet!«

Und wieder erhob Georg Jenatsch die drei Schwurfinger.

»So wahr diese Hand«, rief er, und sein Dämon trieb ihn, »den Pompejus Planta erschlagen und dieser Mund den guten Herzog betrogen hat!«

Serbelloni betrachtete den Maßlosen aufmerksam. Dieser Ausbruch ungezähmter Wildheit hätte den Bündner in seinen Augen auf die Stufe eines Ungefürchteten hinuntergesetzt, wenn ihm Georg Jenatsch im Laufe der Unterhandlung nicht tägliche Proben eines durchdringenden Verstandes und einer wildgewachsenen, aber der seinigen mindestens ebenbürtigen Staatskunst gegeben hätte. So erregte diese überreizte Tatkraft eher seine Besorgnis und im Interesse seiner eigenen Stellung fing er an zu[545] wünschen, diesen auf eine gefährliche Weise außerhalb aller Regeln Fechtenden ohne Schaden loszuwerden.

Inzwischen hatte sich Jenatsch wieder völlig gefaßt und der Herzog sah einen Krieger und Staatsmann sich gegenübersitzen, der seine scharfe und besonnene Rede an ihn richtete.

Der Oberst suchte Serbelloni zu überzeugen und überzeugte ihn auch wirklich, daß ein erneutes Bündnis mit dem getäuschten Frankreich durchaus nicht zu den Unmöglichkeiten gehöre, sondern trotz seiner Abenteuerlichkeit in der Lage der Dinge begründet wäre.

»Die französische Eminenz ist ein großer Geist«, sagte er, »und wird, was sie Persönliches gegen mich hat, um der Dinge willen verwinden. Sie wird mir bereitwillig den Rücken decken, wenn ich mein Bünden wieder in den französischen Interessenkreis ziehe. Anderseits soll es an mir nicht fehlen. Die Festungen des Veltlins sind schon in meiner Hand. In wenig Tagen ist unser ganzes, noch nicht abgerüstetes Heer hinübergeworfen und ich lasse die stets bereitwilligen Veltliner ihren bündnerischen Patronen schwören, ohne mich um irgendeinen Einspruch so viel zu kümmern!« Und er blies leicht über die Fläche seiner Hand hin.

»Gerade jetzt«, fuhr er fort, »da die launische Bellona auf dem deutschen Kriegstheater Spanien – Österreich wieder spröder sich erzeigt, müßte diese rasche Wendung der Bündnerdinge die Interessen der katholischen Majestät empfindlich schädigen. Bedenkt, ob der unwiederbringlich versäumte Augenblick der Unterzeichnung meines Vertrages nicht auch die persönliche Beziehung Eurer Herrlichkeit zum Hofe von Madrid einigermaßen erkälten könnte! . . . Ohne Vergleichung – es ist Euch bekannt, wie gänzlich der edle Herzog Rohan durch seine Unkenntnis unserer bündnerischen Art und Natur seinen staatsmännischen Ruhm zerstört hat. Das darf Euch nicht begegnen. – Für mich laßt Euch nicht bangen. Ich würde mich bei der katholischen Majestät zu rechtfertigen wissen und dieselbe von dem notwendigen Verlauf der Dinge unterrichten lassen.«

Der Oberst neigte sich geheimnisvoll gegen den Gubernatore und flüsterte etwas von einem durch seine Bekehrung ihm geöffneten geistlichen Weg und Zugange zum Ohre der Majestät von Spanien.

Serbelloni sah sich im Netze. Es wuchs in ihm ein tödlicher Haß gegen den Tollkühnen und Hinterlistigen, den er am liebsten[546] gleich hier in Mailand aufgehoben und vernichtet hätte. Das lag in seiner Macht; aber seine Klugheit und sein Stolz verbot ihm diesen Mißbrauch derselben. Ihm geziemte, den völkerrechtlich unverletzlichen Gesandten ungefährdet heimziehen zu lassen.

Mit ununterschriebenem Vertrage?

Nein. Er traute es diesem Menschen zu, daß er seine Drohung verwirkliche, und in diesem Falle stand ihm selbst die königliche Ungnade in sicherer Aussicht.

Was aber seine Tatkraft dem Bündner gegenüber am meisten lähmte, war der geistliche Einfluß, den der Niederträchtige durch seinen Übertritt auf die gottesfürchtige Seele Philipps IV. gewonnen zu haben schien; denn dieser entzog sich jeder Berechnung.

»Beruhigt Euch, Sennor«, sagte er majestätisch. »Eure Gnade hat sich unnötig erhitzt und ist der Ermüdung einer eingehenden, umständlichen Staatsverhandlung ungewohnt. Bedient Euch mit einer Limonade. Wir werden überlegen, wir werden eine ruhige Stunde abwarten.«

Der Bündner hatte den Vertrag, wie er in seinem Sinne und von seinem Schreiber verfaßt war, wieder zwischen den Papieren, die den Tisch bedeckten, hervorgezogen und legte ihn dem Herzog zum andern Male vor.

»Alles Heutige«, sagte er, »ging ja nur von dem leichtfertigen Vorschlage Österreichs aus und war nur ein Übungsspiel und Turnier der Geisteskräfte, über die Tatsachen hingefahren, ohne sie zu ändern ... Laßt uns, Herrlichkeit, diese selbst ohne Flitter und Zutat ins Auge fassen. – So liegen sie und diese Lösung verlangen sie. – Macht ein gutes Ende«, bat Georg Jenatsch herzlich, »und ich werde Eure große und weise Politik zu rühmen wissen.«

Sei es, daß der Herzog dieser Schmeichelei recht geben, sei es, daß er den Anblick eines Menschen, der ihm gedroht hatte, nicht langer ertragen wollte, er langte, während er mit hochgezogenen Brauen die Punkte des Vertrags noch einmal langsam durchging, mechanisch nach der Feder.

Jenatsch ergriff sie, tunkte sie ein und überreichte sie mit einer liebenswürdigen Verbeugung und einem Anfluge seiner alten Unwiderstehlichkeit dem spanischen Staatsmanne.

Als die Unterzeichnung vollzogen war, wandte sich der Herzog zu dem bündnerischen Bevollmächtigten und ersuchte denselben, ihm wenigstens noch ein paar Tage zu schenken, um die bei[547] einem Vertragsabschlusse üblichen Gaben und Gnadenketten in Empfang zu nehmen. Dann geleitete er ihn bis an die Schwelle des Gemaches.

Mit langsamen Schritten zurückkommend, blieb er in der Mitte der Halle stehen:

»Dieser Mensch ist mir zu nahe getreten«, sprach er zu sich. »Er darf nicht leben bleiben.«

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1968, S. 540-548.
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