XXX
Der Uli

[406] Gelassen schreitet dort im Ackerfeld

Ein rüst'ger Mann, der späte Saat bestellt.


Schön ist ein jedes Werk das Jahr entlang,

Am liebsten doch ist mir des Säers Gang...


Mein wackrer Albrecht Dürer, mal mir heue

Den lieben Heiland, wie er Körner streut,


Mit einem deutschen Himmel frisch und klar

Und deutscher Landschaft – für den Fronaltar...


Als ich mit Zwingli jüngst am Mahle saß,

Erzählt' er etwas, das ich nicht vergaß.


Er sprach: »Das wilde Tal, das mich gebar,

Bringt weder Wein noch Frucht im wärmsten Jahr.


So kam's, daß ich gelebt der Jahre zehn,

Bevor ich Egge, Pflug und Saat gesehn.


Da nahm der Vater mich zu Tale mit,

Die Säer drunten zählten Schritt um Schritt


Und streuten edeln Wurfs, geheimen Winks

Die wundersamen Körner rechts und links.


Ich schaute die Gebärden allesamt,

Streng und gemessen, wie beim heil'gen Amt,


Und endlich frug ich mit erstauntem Wort:

›Vater! Was tun die Männer Frommes dort?‹


Er lachte. ›Solches sahst du nie zu Haus!

Sie streun das Brot des lieben Gottes aus.
[406]

Was ist dir, Uli? Weinst du? Schäme dich!‹

›Ei, Vater, es ist gar so feierlich.‹«

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 406-407.
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Huttens letzte Tage, Engelberg