I. Landschaftliche Reize usw.

[102] Selten wissen Engländer oder Franzosen, wo Prag liegt, – denn sie haben, wie es in der Bibel steht, den besseren Teil erwählt.

Auf tschechisch heißt Prag: Prr – aha. Und nicht mit Unrecht.

Die Nebbich, die im südlichen Böhmen entspringt und sich schließlich doch in die Elbe ergießt, fließt klugerweise rasch an der Stadt vorüber.

Dem harmlosen Fremdling erscheint sie auf den ersten Blick mächtig wie der Mississippi, sie ist aber nur vier Millimeter tief und mit Blutegeln angefüllt.

Allerdings im März, wenn der Tauwind weht, gelingt es ihr, anzuschwellen, und sie gibt dann regelmäßig dem ruhmbedeckten Artilleristen, der auf dem »Hradschin« wohnt und Tag und Nacht die Stadt vor den Preußen beschirmt, willkommenen Anlaß, mit den Kanonen zu schießen.

Warnungsschüsse natürlich!

Als aber in neuerer Zeit bewilligt wurde, daß jeden Tag um die Mittagsstunde auch geschossen werden dürfe, war damit der letzte haltbare Grund gefallen,[102] die Regulierung der Nebbich länger aufzuschieben. –

Wieviel Monde noch, und man wird Prag sogar per Schiff verlassen können! –

Über die Nebbich führen sechs Brücken, darunter die alte berühmte »steinerne« Brücke, bei deren Bau bekanntlich als Bindemittel Eiweiß verwandt wurde.

Oder irre ich vielleicht? – Dann war es Bleiweiß.

Die Schweden wollten im Dreißigjährigen Krieg über diese Brücke von der Kleinseite her in die Stadt dringen, sind schließlich aber doch zurückgeschreckt.

Angeblich zerfällt Prag in mehrere Teile, – das ist aber nur so ein leeres Versprechen.

Von Süden, Osten und Norden ist es leicht zu erreichen, im Westen wird dies jedoch durch die böhmische Westbahn erfolgreich gehindert.

Wer sich aber darauf kapriziert, kann ganz gut von Furth i.W. aus zu Fuß gehen. – Ach Gott, die Wege sind ja gar nicht so schlecht. –

Übrigens soll sich jeder selber kümmern, der Prag einmal besuchen oder ansehen will.

Der »Verein zur Behebung des Femdenverkehrs« in der Ferdinandstraße vis-à-vis »Platteis«, schräg gegenüber dem Friseur Gürtler, das elfte Haus von Norden, numero conscriptionis 7814478189b gibt auf alle Fragen bereitwilligst Antwort. In böhmischer Sprache natürlich.

Quelle:
Gustav Meyrink: Gesammelte Werke, Band 4, Teil 2, München 1913, S. 102-103.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Deutschen Spiessers Wunderhorn
Das Wildschwein Veronika. Die 20 frechsten Geschichten aus
Des deutschen Spießers Wunderhorn
Des deutschen Spiessers Wunderhorn
Des deutschen Spießers Wunderhorn: Novellen in 3 Bänden