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Es war noch im päpstlichen Rom, wo eines Abends vor dem Eingangstor eines der alten großen Paläste eine Menge müßiger Zuschauer stillstand, Arbeiter, Mädchen und Frauen, die von der Arbeit heimkehrten und offenbar hier etwas Sehenswertes zu erblicken hofften.
»Höre, Checco,« sagte eine schwarzäugige Dirne, die einen abgefärbten alten Schal nachlässig um die Schultern gezogen hatte, zu einem jungen Burschen, der neben ihr stand, »da ist heute wohl wieder eine große Versammlung da oben in der Arkadia, etwas Besonderes?«
»Das will ich meinen, Peppina,« erwiderte der Gefragte; »eine berühmte Improvisatrice wird sich hören lassen, sie soll prächtige Verse machen, so gleich frisch weg, wenn man ihr eine Aufgabe gibt. Ich habe immer gedacht, da müßte man viel studieren, um Verse zu machen, wie unser Ariosto und Tasso.«
»Ach was, ich kann's auch,« versetzte Peppina lachend; »da hör mal: Der Checco schwätzt dumme Sachen, die machen mich nur lachen.«
»Ei, wie artig! Nicht einmal solche Lumperei hätt' ich dir zugetraut,« versetzte Checco spöttisch.
»Ach, du bist ein Grobian,« sagte Peppina und machte ihm eine Grimasse; »aber sieh,« rief sie, als ein heranrollender Wagen ihre Aufmerksamkeit erregte, »wer kommt in der prächtigen Kutsche – hm, und die goldbesetzten Livreen der Diener, das muß was Großes sein!«
»Ja, das ist was Großes und was Schönes,« sagte der Bursch; »das ist die Herzogin Giulia von Santomara, die schönste Frau der Welt, das wollt ich meinen!«
»Und wer ist der schöne junge Blonde neben ihr?« fragte das Mädchen.
»Na, das ist ein deutscher Prinz, der den Winter hier zubringt; er wohnt im großen Hotel auf der Piazza di Spagna, wo ich am Morgen beschäftigt bin. Da seh ich ihn oft die[265] Treppe herunterkommen, auch seine zwei Begleiter, und mit dem Diener spreche ich oft, das heißt was man sprechen nennt, er kann kein Wort italienisch, ich kein Wort deutsch, ich zeig's ihm aber mit den Fingern, was ich meine, und er versteht's, und wir lachen dann zusammen. Er gibt mir auch manchmal ein Glas guten Weines zu trinken, denn er lebt wie ein Signore und hat Essen und Trinken die Fülle.«
Inzwischen war der Wagen herangerollt und fuhr eben, dicht an den zwei Schwatzenden vorüber, in den großen Torweg des Palastes ein.
»Ach, ist die hübsch, die Blonde! Die könnte mir gefallen,« sagte Checco, indem er auf ein junges Mädchen zeigte, das in einem neu heranrollenden Wagen neben einer älteren Frau saß.
Der Wagen hielt einen Augenblick still, weil zwei andere Kutschen, dem Wagen der Herzogin folgend, noch unter dem Torweg hielten, und eine Frau aus dem Volke trat rasch hervor und reichte dem jungen Mädchen im Wagen einen schönen Blumenstrauß, indem sie einige Worte dabei sagte, die dieses mit freundlichem Neigen des Kopfes und einem Dankeswort annahm.
»Wer ist denn die Signorina, Sora Vittoria?« fragte Peppina, sich an die Frau wendend, während der Wagen in den Torweg einfuhr.
»O, das ist ja die berühmte Improvisatrice,« entgegnete die Gefragte; »sie wohnt oben im Haus, wo ich unten meine Bottega habe, da kommt sie öfter zu mir herein, um Gemüse oder Obst zu kaufen und bleibt dann ein Weilchen, um von diesem oder jenem zu reden, und dabei lerne ich sie kennen. O, sie ist lieb und gut wie ein Engel aus dem Paradies.«
»Und die andere, ist das ihre Mutter?« fragte Peppina.
»Nein, ihre Mutter und ihr Vater sind tot; das ist eine alte Verwandte, glaub ich, die bei ihr lebt, weil sie zu jung ist, um so allein zu reisen.«[266]
»Ist die auch so gut?« fragte Checco; »sie sieht garstig aus, pfui!«
»Nein, die ist auch nicht gut, sie hat immer was zu zanken, besieht erst alle Ware, wirft sie dann hin und behauptet, sie wäre schlecht und ich habe doch nichts als gute zum Verkauf, nie klagen meine anderen Kunden. Und dabei tut sie so stolz, als ob sie etwas viel Besseres wäre wie unsereiner. Aber es ist spät, ich muß nach Haus, ich habe nur der lieben Signorina ein schönes Bukett bringen wollen.«
Mit diesen Worten, »buona sera« wünschend, ging sie eilig von dannen, und auch Peppina und Checco begaben sich, miteinander lachend und plaudernd, auf den Heimweg.
Unterdessen hatte sich oben in den Sälen der Arkadia eine zahlreiche Versammlung eingefunden. Viele Mitglieder der römischen Aristokratie, vornehme Prälaten und Kardinäle, eine große Anzahl geistlicher Herren, Gelehrte und viele Angehörige des römischen Bürgerstandes nahmen an den Sitzungen der Akademie, zu jener Zeit die einzige derartige literarische und wissenschaftliche gesellige Vereinigung in Rom, teil und die elegante Damenwelt machte es sich zur Aufgabe, die Abendunterhaltungen durch ihre Gegenwart zu verschönen, und viele hatten damals auch feinere Bildung und wirklichen Sinn für Poesie und Kunst. Zu diesen letzteren gehörte vor allem die Herzogin von Santomara, die den Glanz ihrer unvergleichlichen Schönheit durch den Zauber eines feinen, raschen Geistes und eines warmen, treffenden Verständnisses für alles Schöne und Große in Poesie und Kunst noch verdoppelte. An einen älteren, wenig liebenswerten Mann verheiratet, der voll eitlen Stolzes auf seinen Namen, der nur ein Aushängeschild für ein leeres Innere war, und voll heftiger Instinkte, unter denen besonders die Eifersucht sich zur Wut steigern konnte, hatte sie noch nicht Zeit gehabt, sich über dieses ihr aufgedrungene Band Rechenschaft zu geben. Sie schwamm in einem Meere von Jugendlust und gesättigter Eitelkeit, da ganz Rom ihr huldigend zu Füßen lag, von Befriedigung aller Wünsche, die Reichtum und Luxus ihr gewähren[267] konnten, und in dem Rausch der unausgesetzten Folge von Festen und Vergnügungen, die sie umgaben, erschien ihr die äußerlich feine, gentlemanlike scheinende, männlich schöne Gestalt des Gemahls wie der passende Rahmen für das wunderherrliche Bild, das sie selbst war. Ihr Palast war in kurzer Zeit der Sammelplatz all dessen geworden, was Rom damals an Eleganz, Reichtum, Schönheit und Bildung enthielt, und kein Fremder von einiger Bedeutung versäumte es, sich dort Zutritt zu verschaffen, was um so leichter war, als damals gerade mehrere der auswärtigen Gesandtschaften durch geistig hochbedeutende Männer ihres Volkes vertreten waren. So hatte der junge deutsche Fürstensohn, den wir neben ihr an jenem Abend im Wagen sahen, alsbald Aufnahme bei ihr gefunden und war in kurzer Zeit ein oft und gern gesehener Gast in ihrem Zirkel geworden.
An seinem Arm trat sie in den Saal, wo die Arkadia ihre Sitzungen hielt, ein und fand sich alsbald umringt von einer Menge Bekannter beiderlei Geschlechtes, die ihr huldigend zur Begrüßung nahten; denn auch die Frauen konnten trotz des Neides, den ihre siegreiche Schönheit erregte, ihr nicht ganz gram sein, weil ihre Anmut und liebenswürdige Güte ihr auch widerstrebende Herzen gewannen. Unter den vielen, die sich herbeidrängten, ragte besonders die hohe imponierende Gestalt des Kardinals Lombardi hervor, bei dessen Nahen die übrigen Besucher etwas zurückwichen, ihm ehrfurchtsvoll freien Raum lassend. Mit dem Lächeln eines vertrauten Bekannten schritt er auf die Herzogin zu und reichte ihr die Hand entgegen, die sie, sich anmutig verneigend, mit dem schönen Mund zum Kuß auf den würdeverleihenden Ring berührte.
»Ich fürchtete, wir würden heute abend des Glücks beraubt sein, die schönste Zierde unserer Akademie hier zu sehen,« sagte der Kardinal, »denn Don Camillo sagte mir gestern, daß ihn eine Einladung zu einer Jagdpartie heute fern von Rom halte.«
»So ist es auch,« versetzte die Herzogin; »aber seine Hoheit[268] Prinz Waldemar hatte die Güte, sich mir zum Begleiter anzubieten und ich nahm es dankbar an, denn ich versäume ungern einen dieser interessanten Abende, und gerade heute verspreche ich mir heiteren Genuß, man sagt viel Schönes von der jungen Improvisatrice.«
In dem Augenblick trat der Prinz, der mit den zwei Herren, die mit im Wagen gesessen hatten, seinen deutschen Begleitern, einige Worte gewechselt hatte, herzu und begrüßte den Kardinal, der ihn auf das verbindlichste empfing.
»Eminenz sehen, ich habe gleich von Ihrer großen Güte, mich hier einzuführen, Gebrauch gemacht und mir erlaubt, meine zwei Begleiter mitzubringen, die ich die Ehre habe, Ihnen vorzustellen.« Dabei winkte er die Herren herbei und sagte, indem er auf den älteren deutete: »Professor Holberg, mein teurer Lehrer und Erzieher, dem ich das beste danke, was ich weiß und bin, und,« indem er den zweiten bezeichnete, »Herr von Raden, der Kammerherr meiner Mutter, den sie aus übergroßer Sorge und Zärtlichkeit für mich mir abgetreten hat für diese Reise; ich bin auch überzeugt, käme der Fall, er würde wie ein zweiter Sankt Georg den furchtbarsten Lindwurm unfehlbar erlegen, drohte mir Gefahr, denn er ist ein Vorbild aller ritterlichen Tugenden; nicht wahr, Raden?« Und er reichte dem Befragten lachend die Hand.
Dieser, ein stattlicher Mann, über die erste Jugend hinaus, aber von angenehmem Äußern und feiner, eleganter Haltung, lachte auch und sagte: »Schon aus Ehrfurcht vor Ihrer erhabenen Mutter, mein Prinz, würde ich zehn Lindwürmer erlegen, drohte Ihnen Gefahr; aber gottlob, dergleichen ist in dieser unvergleichlichen Stadt und unter dem Schutze höchster Idealität, die hier regiert, nicht zu fürchten.« Dabei wandte er sich mit leichter Verbeugung dem Kardinal zu, was dieser mit wohlgefälligem Lächeln aufnahm, doch noch ehe der etwas erwidern konnte, sagte Prinz Waldemar: »Ich freue mich so sehr für mich und meine Freunde, daß wir gleich bei unserem ersten Besuch hier Zeugen des wunderbaren Talents des italienischen Volkes für die Improvisation sein[269] können, eine Begabung, die in unserem Norden etwas fast Unbekanntes ist.«
»Die sich aber sehr wohl erklären läßt,« versetzte der Professor, »aus den herrlichen Eindrücken, mit denen die Natur hier die Menschen von Kindheit auf umgibt und die ihnen gewiß unbewußt Keime der Poesie in die Seele legt, die dann ganz spontan hervorbrechen in geeigneter Form.«
»O, ich bitte, Herzogin, nehmen Sie Platz,« sagte der Kardinal, dem ein Herr eben eine Meldung hinterbracht hatte; »die Vorstellung soll beginnen, wie mir unser Direktor meldet, die junge Künstlerin wird gleich erscheinen.« Dabei geleitete er die Herzogin zu einem eleganten Sessel in der vorderen Reihe der aufgestellten Sitze, lud mit ausgesuchter Höflichkeit den Prinzen ein, neben ihr Platz zu nehmen und ließ sich selbst auf der anderen Seite der Dame nieder. Auf der etwas erhabenen Tribüne, auf der die Vortragenden in der Akademie ihren Sitz hatten, erschien in dem Augenblick ein junges Mädchen, von einem der Herren des Vorstandes, einem Monsignore, geführt, verbeugte sich einfach vor dem zahlreichen Publikum und ließ sich an dem für sie bereiteten Tisch nieder, auf dem eine zierliche Urne stand und eine Menge Papierstreifen lagen für die aufzuschreibenden Aufgaben zur Improvisation. Die ältere Dame, die wir im Wagen schon neben dem Mädchen gesehen hatten, trat auch herein, setzte sich aber etwas in den Hintergrund zu den Herren des Vorstandes, die dort ihre Sitze hatten.
»Sie ist anmutig, dieses junge Mädchen,« sagte die Herzogin, die ihre dunklen Glutaugen auf die eingetretene Künstlerin geheftet hatte; »aber es ist kein italienischer Typus, man könnte sie für eine Deutsche halten.«
»Sie ist auch halb deutsch,« versetzte der Kardinal; »ihr Vater war ein Deutscher, wie es scheint ein gelehrter Mann, der die Tochter selbst unterrichtete und ihre geistigen Fähigkeiten zu einem hohen Grad von Bildung entwickelte. Die Mutter aber war eine echte Italienerin, in den Bergen bei Pistoja heimisch, wo die Gabe der Improvisation ganz besonders[270] ihren Sitz hat. Und so haben wir hier das Produkt einer Mischehe, das nicht übel zu sein scheint,« setzte er mit schlauem Lächeln hinzu. Der Direktor des Vorstandes, der die Zeit über bei der jungen Künstlerin gestanden und mit ihr besprochen hatte, wie sie alles wünsche, trat in dem Augenblick vor und bat das Publikum, dem Fräulein Rosa Todei, die er die Ehre habe, hier vorzustellen, Aufgaben zu geben, an denen sie ihr wunderbares Talent betätigen könne. Zugleich kam er nun selbst mit einer Schale, auf der die Papierstreifen und Bleistifte lagen, verbeugte sich vor der Herzogin, vor dem Prinzen und dem Kardinal, und nachdem sie sich versehen hatten, übergab er einem der unteren Priester das Geschäft, das übrige Publikum zu versorgen und blieb bei dem Kardinal stehen, der ihn verschiedenes fragte, dann aber wandte sich der Prinz an ihn und sagte: »Ja, was schreibt man denn für solche Aufgaben? Ich bin ein Neuling in der Sache und weiß mich noch nicht zu benehmen; wo ist die junge Dame denn zu Hause? Es gäbe doch einige Anhaltspunkte, das zu wissen.«
»Sie ist in Venedig geboren und erzogen, ihr Vater war dort österreichischer Beamter und sie hat eine fanatische Liebe für das ganze Cadore, seine herrlichen Dolomiten und die großen Künstler, deren Heimat es war,« erwiderte der Direktor.
»O, danke sehr, das hilft schon,« sagte der Prinz lächelnd und schrieb etwas auf seinen Papierstreifen, den er zusammenfaltete und dem Direktor übergab, der ihn nebst denen der Herzogin und des Kardinals entgegennahm und an den Tisch der Improvisatrice trug, wohin inzwischen eine Menge anderer beschriebener Blätter gebracht worden waren.
Die junge Künstlerin, die wir fortan kurzweg mit dem Namen Rosa bezeichnen wollen, erhob sich jetzt von dem Sessel, auf dem sie sich niedergelassen hatte und richtete ihre Augen zum erstenmal ruhig und forschend auf das unbekannte Publikum, gleich als wollte sie sehen, wes Geistes Kind es sei und mit wem sie es zu tun habe. Erst nachdem[271] sie die größere Masse überschaut hatte, streifte ihr Blick die vordere Reihe, blieb einen Augenblick wie gefesselt auf der Herzogin haften, deren Augen auch an ihr voller Spannung hingen und folgte unwillkürlich der Wendung, die die Herzogin dem Prinzen zu machte, dem sie in ihrer lebhaften italienischen Art ziemlich laut sagte: »O, wirklich, sie ist ganz reizend, diese junge Dichterin, finden Sie nicht, Prinz?« Rosa hatte offenbar die Worte gehört, denn ein zartes Erröten flog über ihr Antlitz und unwillkürlich fiel ihr Blick nun auch auf den Prinzen und begegnete dessen sich nach den Worten der Herzogin zu ihr wendendem Auge, dessen freundlicher Ausdruck sie sympathisch berührte. Dies alles war jedoch nur der Vorgang einer Minute; nun, ernst und voll Würde sich zu ihrer Aufgabe wendend, stand die schlanke, feine, jugendliche Gestalt, in einfachem weißen Kleide, das sie nach damaliger Sitte noch in schönen Falten umschloß, etwas nach vorn gebeugt und schaute auf die Schale, gleich als ob sie das Schicksal bitten wollte, ihr eine günstige Aufgabe zuzuführen.
»Sie sieht aus wie eine Priesterin, wie eine Vestalin,« sagte der Prinz; »gewiß, ihre Seele hütet noch das heilige Feuer wahrer Idealität, so rein und edel ist der Ausdruck ihrer sanften, liebenswürdigen Züge.«
»O, Hoheit schwärmen schon vor der Leistung, was wird es nun erst nachher sein!« versetzte der Kardinal mit ironischem Lächeln.
»Ja, die Eroberung ist etwas schnell gegangen,« bemerkte die Herzogin nicht ohne einen Anflug von Gereiztheit, der ihr schönes Antlitz mit einer Wolke überzog. »Aber sehen wir, was sie uns zu hören geben wird, sie zieht eben einen Zettel hervor.«
Die Improvisatrice hatte einen Zettel aus den vielen herausgezogen, entfaltete ihn und las mit wohltönender Stimme laut und deutlich: »Tizian!«
»O, das ist meine Aufgabe,« sagte der Prinz; »ich dachte,[272] das Thema würde ihr wie verwandte Heimatluft sein, aber daß sie es gerade zuerst ziehen mußte, wie sonderbar!«
»Spiel des Zufalls, Hoheit,« versetzte der Kardinal immer mit seinem ironischen Lächeln; »sie hat geahnt, wen sie vor sich hatte;« dabei machte er eine kleine verbindliche Neigung des Kopfes zu dem Prinzen hin.
»Still, sie fängt an,« sagte die Herzogin, »ich bin voll Neugierde.«
Rosa hatte ein paar Augenblicke sinnend auf den Zettel geblickt, den sie in der Hand hielt, dann erhob sie ihre schönen, reinen, träumerischen Augen und wie in eine andere Welt schauend, begann sie mit derselben wohltönenden Stimme:
»Wie du so launisch bist, Natur, im Schaffen!
Wo ernste Riesenhäupter stolz sich heben,
Die schwarze Tanne kühn gen Himmel strebt,
Und ihr zu Füßen Alpenblumen blühen,
Der Schmetterling auf würz'ger Kräuter Spitzen
Sein kurzes Sein in heitrer Lust verbringt
Und alles Paradiesesfrische atmet –
Da trittst du ein in einer Hütte Raum
Und lässest drin ein Kind geboren werden,
Dem flüsterst du das göttliche Geheimnis
Der ew'gen Schönheit in die junge Seele,
Es schaffend einst im Bild zu offenbaren.
Zur Königin der Städte steigt er nieder
Und seiner Hand entblühen Wunderwerke.
Ihn grüßt die Welt mit staunendem Entzücken,
Im Reich der Farben Fürst von Gottes Gnaden,
Und den entfall'nen Pinsel ihm zu reichen
Bückt sich der Herrscher einer halben Welt,
Du aber wandelst heimlich lächelnd weiter,
Und schreitest kalt vorbei an den Palästen
Der stolzen Städte, an des Reichtums Prangen.
So in die Krippe legtest du Erlösung
Der Menschheit einst, um mahnend es zu künden,
Daß nie von dieser Welt dein Reich gewesen.«
Lebhafte Beifallsbezeigung erscholl, als sie schwieg.
Donna Giulia erhob sich und trat auf die Improvisatrice zu, ihr mit liebenswürdigen Worten ihre Anerkennung aussprechend.[273] Auch der Kardinal und der Prinz folgten ihrem Beispiel und der erstere, der sie bereits kannte, sagte, indem er auf den Prinzen deutete: »Sie haben gleich den Gedanken Seiner Hoheit ausgeführt; das Thema hatte er gegeben.«
»Ja, es freut mich, daß der Name Ihres großen Landsmannes Ihnen hat dienen können,« sagte der Prinz, der freundlich auf das anmutige Mädchen sah, deren vergeistigter Ausdruck der jugendlichen Erscheinung einen besonderen Zauber verlieh.
»Ich bin oft in dem kleinen Hause gewesen in Pieve di Cadore, wo er geboren wurde,« sagte Rosa, »und man begreift es dort, wie er zum Künstler werden mußte, inmitten der wunderbaren Bilder, die die Sonne und die Wolken und die verschiedenen Tageszeiten auf die herrliche Dolomitenwelt malen. Übrigens war er nur der größte von einer Reihe von Künstlern, alle seiner Familie angehörig.«
Der Direktor der Abendunterhaltung unterbrach das Gespräch, sich gegen die daran Beteiligten entschuldigend, indem er sagte: das Publikum verlange sehnlichst, die Künstlerin noch einmal zu hören, wenn diese so freundlich sein wolle, dem Wunsch zu willfahren. Mit anmutsvoller Verbeugung beurlaubte sich Rosa von den drei vornehmen Personen, die sie umstanden und zog aufs neue einen der beschriebenen Papierstreifen hervor. »Diesmal Reime, Reime!« rief man aus der Menge.
Rosa nickte lächelnd zustimmend. Zum Glück eignete sich das gezogene Thema zu einer launigen Behandlung, und fast mutwillig, wie es schien, in heiterster Stimmung, erging sich Rosa in scherzhaften Sestinen eine lange Weile und erntete ununterbrochenen Beifall, da man sah, daß es sich hier nicht um ein zufälliges Talent, mit Worten zu spielen, handle, sondern um eine wirkliche, allseitige, hohe dichterische Begabung, unterstützt und veredelt durch angeborne dichterische Grazie und feinste Bildung.
»Ah, die Kleine ist entzückend!« rief die Herzogin in ihrer lebhaften italienischen Weise, eilte auf Rosa zu, als diese geendet,[274] und lud sie ein, den folgenden Abend bei ihr zuzubringen. »Eminenz machen mir auch die Freude, das versteht sich,« sagte sie zu dem Kardinal, »wo Geist und Anmut sich vereinen, da dürfen Sie nicht fehlen.«
»Noch dazu, wenn solche Augen die Einladung unterstützen,« versetzte der Kardinal, indem sein Blick feurig über das strahlende Antlitz Donna Giulias glitt; seine Bewunderung für sie war bekannt, dabei war er ein intimer Freund des Herzogs und ein stets willkommener Gast dort im Palast.
»Und auch die Hoheit dürfen mir nicht fehlen,« sagte die Herzogin, nun sich zum Prinzen wendend, ihn mit einem jener Glutblicke anschauend, deren Wirkung kaum ein männliches Herz damals in der römischen Gesellschaft widerstand. »Es versteht sich, auch die beiden Herren machen mir die Freude,« fuhr sie fort, indem sie sich anmutsvoll zu den Begleitern des Prinzen wandte.
Am folgenden Morgen saßen der Professor Holberg und Herr von Raden zusammen beim Kaffee, der letztere gemütlich seine Zigarre rauchend, der erstere mit dem Lesen einer Zeitung beschäftigt, aus der er Raden dann und wann Mitteilungen machte. Endlich aber warf er sie unmutig auf den Tisch und sagte: »Nein, es ist doch zu arg, unter solch einem Gouvernement zu leben, keine ordentliche Zeitung bekommt man hier zu lesen, alle Ereignisse sind durch gefälschte Brillen angesehen oder ganz verschwiegen. Denken Sie sich, meine Schwester hatte mir aus London geschrieben, sie schicke mir den ›Punch‹, das englische Witzblatt, zur Erheiterung, und ich bekam es immer nicht, erkundigte mich endlich und höre nun, daß es auf dem Index steht und gar nicht hierher darf. Und gestern frag ich in der einzigen deutschen Buchhandlung nach Shelleys Gedichten: O, die sind erst recht verboten. Nun bitt ich Sie, was soll aus einem Volke werden, dem man die Hilfsmittel der Bildung und des freien Denkens so zumißt, während man es in den engen Kreis beschränkter Dogmen und[275] vernunftwidriger Vorstellungen einzwängt. Ah, da waren die alten Römer doch andere Leute. Die große Toleranz, die sie übten, was die religiösen Anschauungen der besiegten Völker betraf, und die Elemente allseitiger Bildung, die sie den Untertanen nicht verweigerten, das machte aus ihnen Menschen, die ein Weltreich gründen konnten. Es sind ja Menschen unter der oberen Geistlichkeit hier, die Verstand genug haben, um die Mängel des ganzen Regimes einzusehen, aber sie können sich nicht aus der engen Kette losreißen, die sie alle umschlingt und aus ihnen allerdings eine seltene Organisation macht, wie kaum je eine dagewesen und in der auch ihre Macht und zähe Widerstandsfähigkeit gegen alle aufklärenden Neuerungen liegt.«
»Ja,« sagte Raden, indem er ein Wölkchen Rauch von seiner Zigarre in die Luft blies, »es ist merkwürdig, wie klug und schlau viele sind, aber liebenswürdig und angenehm auch und frivol dazu. Haben Sie die Blicke des Kardinals bemerkt, die er auf Donna Giulia richtete? Ich saß hinter ihm und konnte ihn beobachten, es hat mich den ganzen Abend unterhalten. Nun freilich, man kann es den Herren nicht verdenken, denn sie sind auch Menschen trotz ihrer porpora und vom Chef des Staates, von Antonelli, ist es ja bekannt, daß er dem Amor einen besonderen Kultus weiht. Aber ein Land, das solche Frauen hervorbringt wie die Herzogin von Santomara, ist allerdings eine harte Prüfungsschule für die Keuschheit.«
»Na ja, Raden, das ist nun gleich wieder Ihre Auffassung von der Sache,« versetzte der Professor kopfschüttelnd; »ich aber machte eine andere Beobachtung, die mich näher angeht, nämlich, daß die Herzogin Blicke auf unseren Waldemar warf, die freilich geeignet waren, ein junges Herz in Flammen zu setzen. Ich habe es nicht ohne Besorgnis gesehen.«
»Ah, mein lieber Professor, so sind wir doch noch imstande, die Natur solcher Blicke zu unterscheiden,« sagte Raden lachend; »aber ich habe auch schon etwas der Art bemerkt, und wenn sich von dem Feuerwerk dieser göttlichen Augen ein[276] kleiner Brand im Herzen unseres Prinzen entzündete, sollte es mich nicht wundern. Er ist ja bis jetzt noch wie ein junges Mädchen, so unbefangen und rein, dank Ihrer idealistischen Erziehung, guter Professor, aber die Stunde wird doch auch kommen, wo sein junges Herz heißer klopfen wird beim Anblick der allerdings unglaublichen Macht weiblicher Schönheit, von der die Herzogin ein Exemplar ist, wie die Antike sie nicht vollkommener dargestellt hat.«
»Ja, ja, schon gut,« versetzte Holberg; »mir ist es aber zweifache Aufgabe, über ihn zu wachen, nicht nur um der wirklich väterlichen Zuneigung, die ich für ihn habe, auch um seiner edlen Mutter willen, die diesen Sohn vor allem liebt und ihn seiner zarten Gesundheit wegen so isolieren, von den Zerstreuungen des Hofes und der Ermüdung des Soldatenlebens fernhalten konnte in jenem wundervollen Bergschloß, wo ich jahrelang seine Erziehung geleitet habe. In das kräftigende Naturleben um ihn her und in die Welt großer Geister, in die ich ihn führte, kam doch kaum je ein Ton aus der Glanzwelt der Hauptstadt; nur wenn der ältere Bruder, der Erbprinz, kam, dann wurde erzählt und beschrieben, aber es weckte zum Glück noch keine Sehnsucht in Waldemars Herzen, und als wir nach vollendeten Studien, immer durch die Mutter erlangt, uns zur italienischen Reise rüsten durften, ohne vorher im eigentlichen Strudel des Hoflebens gewesen zu sein, in dem der Erbprinz bereits mit Wonne schwamm, da war in meines Zöglings Herzen nur freudige Ungeduld, dem Lande der Schönheit und der Kunst entgegenzuziehen. Sie begreifen also, Raden, wie es mir schmerzlich sein würde, die Harmonie dieser ganz idealistischen Jugend vielleicht durch eine große Leidenschaft gestört zu sehen.«
»Ja, lieber Professor, das verstehe ich schon,« meinte Raden; »indes ist ja bis jetzt auch gar keine Gefahr; der Prinz genießt all das Schöne, das ihn umgibt, das ist natürlich. Wenn etwas zu denken gäbe, so wäre es eher das sichtbare Wohlgefallen, das die Herzogin an dem edelschönen nordischen Jüngling nimmt, was man ihr auch nicht verdenken kann,[277] denn ihr Gemahl scheint mir ein unsympathischer Mensch, mit seinem hochmütigen Ausdruck und dem stechenden Blick der Augen, der vermuten läßt, daß er im gegebenen Fall gar nicht vor einer Coltellata oder einem geheimen Mordbefehl zurückweichen würde.«
Das Gespräch wurde unterbrochen durch die Rückkunft des Prinzen, der seinen Morgenritt in die Campagna gemacht hatte und nun voll heiterer Jugendlust den Gefährten entzückte Beschreibungen der Schönheit des Morgens in der Campagna machte und dann mit fröhlichem Lachen komische kleine Szenen erzählte, die er erlebt durch das Kauderwelsch des Dieners Heinrich, der ihn stets begleitete und der sich anmaßte, schon italienisch zu sprechen, was von den Bauern draußen natürlich nicht verstanden wurde und zu den possierlichsten Mißverständnissen Anlaß gab. Auch der Professor mußte lachen und alle Furcht schwand beim Anblick der unbefangenen, glücklichen Stimmung seines geliebten Zöglings.
An dem Abend des Tages versammelte sich eine auserwählte Gesellschaft in dem alten Palast des Herzogs von Santomara. Die prunkvollen Säle strahlten von Licht, in denen eine Anzahl der schönsten Frauen in reichem Schmuck, Kardinäle und Prälaten, auswärtige Gesandte, Künstler und Dichter durcheinanderwogten und mit Spannung die angekündigte Abendunterhaltung erwarteten. Die damalige aristokratische Gesellschaft war durchaus nicht so abgeschlossen, wie sie es nachher wurde, und besonders ließ es die Herzogin von Santomara sich angelegen sein, Leute, die sich durch Geist und Bildung auszeichneten, Dichter und Künstler, in ihren Kreis hereinzuziehen und der Geselligkeit in ihrem Hause dadurch einen höheren Reiz zu verleihen. Sie war selbst fein gebildet und voll geistiger Interessen, wie zu jener Zeit überhaupt viele römische Frauen der Aristokratie.
Prinz Waldemar mit seinen zwei Begleitern war eben erschienen und von Donna Giulia mit besonderer Liebenswürdigkeit,[278] vom Herzog mit kalter Höflichkeit empfangen worden. Erst seit kurzem in Rom, hatte er noch nicht Zeit gehabt, sich näher mit einzelnen Persönlichkeiten der Gesellschaft zu befreunden, und seine noch etwas schüchterne, fein prüfende Zurückhaltung war bis jetzt erst dem lebhaften Entgegenkommen der schönen Herzogin gewichen. Sie war jetzt zu sehr mit dem Empfang ihrer Gäste beschäftigt, um sich ihm besonders zu widmen, und so erging er sich, den Professor im Gespräch mit römischen Gelehrten und Raden in Unterhaltung mit einer schönen Mailänderin, die sehr gut deutsch sprach, zurücklassend, in den weitläufigen Prunkgemächern, in denen einzelne Kunstgegenstände seine Aufmerksamkeit fesselten. So kam er endlich an ein kleineres Zimmer, das ihm bereits als das eigentliche Boudoir oder besondere Lieblingszimmer der Donna Giulia bekannt war und in dem sich weniger Pracht als das Gepräge der feinen Bildung und des künstlerischen Sinnes der Bewohnerin zeigte. Er wollte vorübergehen, da sah er eine schlanke weibliche Gestalt in weißem Kleid, die in dem Dämmerlicht, das eine rosa Ampel, verbreitete, die von der Decke des Zimmers hing und die einzige Beleuchtung dieses auserlesen poetischen Raumes bildete, wie eine Feengestalt seiner Phantasie entstiegen schien. Er erkannte in ihr die junge Improvisatrice, deren holde Erscheinung ihm schon am Abend vorher einen so anmutigen Eindruck gemacht hatte. Ohne zu überlegen, trat er über die Schwelle des Kabinetts und begrüßte sie, indem er fragte, wie es komme, daß sie hier allein verweile. Zugleich bemerkte er, daß das junge Mädchen nicht allein war, sondern daß eine ältere Frau da war, die sich tief vor ihm verneigte.
»Dies ist die Signora Amadei, meine einzige lebende Verwandte und Begleiterin,« sagte Rosa und fuhr fort, während die andere sich fortwährend verbeugte und Anstalten machte, das Wort zu nehmen: »Ich bin hier auf den Wunsch der Herzogin, die dachte, es sei mir lieber, hier ruhig zu bleiben, bis die Gesellschaft sich versammelt habe und es möglich sei, Stille und Aufmerksamkeit zu erlangen.«[279]
»Würde es Sie dann stören, wenn ich ein wenig hier verweile, da es mir auch lieber ist, wenn sich dort das Gewoge ein wenig beruhigt« sagte der Prinz.
»Nein, gewiß nicht,« erwiderte Rosa mit ihrem anmutigen Lächeln; »es ist ja nichts Vorbereitetes in mir, wenn ich improvisiere, es ist das Resultat augenblicklicher Anregung und bedarf weiter keiner vorhergehenden Sammlung.«
»Wollen Hoheit nicht Platz nehmen?« fiel die Amadei ein, indem sie dem Prinzen einen Armstuhl hinschob. »Kind, du vergissest ganz, mit wem du die hohe Ehre hast, zu reden! Seine Hoheit der Prinz von Deutschland, wenn ich nicht irre,« setzte sie hinzu, indem sie sich abermals tief verbeugte.
»Ach ja, ich wußte nicht – ich sah so viele Menschen gestern abends – ich bitte um Vergebung ...« brachte Rosa verlegen hervor.
»O, seien Sie unbesorgt; ich bin hier ein einfacher Tourist, nichts anderes, und freue mich, wenn ich, aller Etikette ledig, einfach menschlich mit Menschen verkehren kann,« sagte der Prinz lachend. Er hatte neben Rosa Platz genommen und auch die Amadei mit freundlicher Handbewegung eingeladen, sich zu setzen. Er fragte nun mit großem Interesse nach der Art, wie und zu welcher Zeit sie sich ihrer großen Begabung bewußt geworden sei und ob sie viele Studien gemacht habe über Versifikation und die verschiedenen Formen des poetischen Ausdrucks, da das doch unmöglich auch angeboren sein könne.
»Mein Vater war ein Deutscher, ein hochgebildeter Mann, den nur äußerste Armut gezwungen hatte, ein kleines, dürftiges Amt in Venedig anzunehmen, wo er sich mit meiner Mutter verheiratet hatte und wo er bereits für die Existenz einer Familie zu sorgen hatte, denn es waren schon zwei Kinder vor mir da, die aber früh starben,« erzählte Rosa. »Ihn freute es so, als ich schon als kleines Mädchen bei jedem Anlaß meinen Ausdruck in gebundener Rede fand, kindisch, unvollkommen, aber doch ein inneres Bedürfnis und eine Begabung verratend. Nun fing er an, mich zu unterrichten und mir das Verständnis für alles zu geben, was meine natürliche[280] Anlage, die sonst immer unvollkommen geblieben wäre, unterstützen und veredeln konnte. Dann starb er, als ich kaum erwachsen war, gleich nach ihm auch die Mutter. Ich blieb mittellos und allein zurück, da kam diese Kusine meiner Mutter (auf die Amadei zeigend) und erbot sich mir zur Beschützerin und Begleiterin.«
»O ja, ich habe Mutterstelle an der armen Waise vertreten,« fiel ihr die Amadei ins Wort, »und auf den Rat mehrerer hochgestellter Männer in Venedig erfand ich nun, daß sie ihre Existenz auf ihr Talent baue, und das gelingt ja nun auch gottlob recht gut.«
Rosa, offenbar unangenehm von dieser Erklärung berührt, sah zur Erde und schwieg; der Prinz, mit zartem Verständnis, nahm das Wort und führte ein heiteres Gespräch herbei, dem Rosa sich mit Grazie und Verstand anschloß, und so verging eine kleine Weile in freundlichem Verkehr, von beiden Seiten jugendlich unbefangen und harmlos.
Unterbrochen wurde das Gespräch durch die Ankunft der Herzogin, die rasch in ihrer strahlenden Schönheit, in reicher geschmackvoller Kleidung wie eine Königin kam, ein friedliches Menschenidyll zu stören. Sie hielt den Ausruf des Erstaunens nicht zurück, als sie den Prinzen erblickte: »Sie hier, Hoheit!« rief sie. »Ich suchte Sie überall, weil die alte Herzogin von Torla, jetzt die tonangebende Dame der Gesellschaft, durchaus Ihre Bekanntschaft machen will. Ich habe sogar Herrn von Raden ausgeschickt, Sie zu suchen, und nun haben Sie am Ende sich hier privatim improvisieren lassen und uns die erste Frucht der Begeisterung unserer Dichterin vorweg genommen.«
Es klang etwas wie Spott und wie Gereiztheit in ihrer Stimme, aber Waldemar sagte ruhig: »Nein, so unbescheiden bin ich nicht; der Zufall führte mich hierher, und da ich das Fräulein hier fand, leistete ich ihr etwas Gesellschaft.«
»Nun, ich komme Sie zu holen, meine Liebe,« versetzte Donna Giulia, indem Sie sich zu Rosa wendete; »das Publikum ist versammelt und harrt des Augenblicks, Sie zu hören[281] und zu bewundern. Kommen Sie, mein Kind, und möge die Poesie ihre goldnen Flügel entfalten und Sie ins Wunderland führen.«
Der Prinz bot ihr den Arm, sie nahm Rosa bei der Hand, und so schritten sie dem großen Saale zu, wo die Gesellschaft Platz genommen hatte, gefolgt von der Amadei, die sich einen Sitz in der Menge suchte. Die Herzogin hatte mit künstlerischem Sinn einen von herrlichen Pflanzen umgebenen Platz für Rosa bereitet, wo sie, in ihrem weißen Kleid, wie eine Lichtfee aus einem Blumenmärchen stand und schon bei ihrem Erscheinen, von Donna Giulia selbst zum Platz geleitet, von einem beifälligen Gemurmel in dem glänzenden Kreis, dem sie sich gegenüber befand, empfangen wurde. Einen Augenblick lang standen die beiden weiblichen Wesen da nebeneinander, während die Herzogin die silberne Schale vom Tisch nahm, um sie dem Publikum mit zu beschreibenden Blättern zu reichen; es war eine Gruppe, wie sie das schaffende Genie des Künstlers kaum je hat träumen können: die Herzogin, das vollendete Weib, in einer Schönheit, die hinriß zu glühender, sinnbetörender Bewunderung; die andere das Bild der Jungfrau in reinster Natürlichkeit und unschuldsvoller Anmut, anziehend und fesselnd mit stillem Zauber.
Die Aufgaben, die Rosa zu lösen bekam, waren der verschiedensten Art und wurden von ihr, die in glücklichster Stimmung war, so überraschend gut gelöst, daß der Beifall, der ihr gezollt wurde, kein Ende nehmen wollte und sie alsbald zum Mittelpunkt der Gesellschaft machte. Sie wurde mit Einladungen überhäuft, die Amadei kam in Tätigkeit, um Namen und Adressen aufzuschreiben, und die Herzogin sagte lächelnd zu Waldemar: »Nun ist unsere junge Dichterin auf gutem Wege; morgen wird man von nichts anderem sprechen als von ihrem Talent und sie wird Mode sein. Aber sie ist ein anmutiges Geschöpf und verdient es, finden Sie nicht auch?« Dabei richtete sie einen jener Blicke aus den wundervollen dunklen Augen auf Waldemar, denen kaum ein Mann zu widerstehen vermochte und der sein Herz in eine ihm neue,[282] stürmische Bewegung brachte. Etwas verwirrt, zum erstenmal der feinen, ihm eigenen Gesellschaftsformen vergessend, sagte er rasch: »Sie ist wie ein freundliches Licht, das man vergißt, wenn die Sonne leuchtet,« und ergriff die Hand der Herzogin, zog sie an seine Lippen und drückte einen feurigen Kuß darauf.
»Und diese Sonne möchte nur Ihnen leuchten, immer – Waldemar,« flüsterte Giulia, indem ein bezauberndes Lächeln ihr Antlitz überflog. In dem Augenblick aber nahten verschiedene Personen, die sie zu ihren Pflichten als Wirtin zurückführten und sie ließ den Prinzen in einem Zustand von Aufregung zurück, die ihn selbst überraschte, und gewohnt, wie er es durch Holbergs Erziehung war, sich selbst Rechenschaft von seinen intimen Erlebnissen zu geben, drängte es ihn fort aus der gleichgültigen Menge; er mußte allein sein, und als er Raden gefunden hatte, eilte er nach Haus.
Am anderen Morgen, als der Prinz wie gewöhnlich seinen einsamen Morgenritt machte, kam Raden in das Zimmer des Professors, zu sehen, wie es ihm ging, da er leichten Unwohlseins halber am Abend zuvor nicht mit in der Gesellschaft gewesen war. Er fand ihn gemütlich im Lehnstuhl sitzend, die Brille auf der Nase und einen Haufen Klassiker vor sich auf dem Tisch, von denen er einen in der Hand hielt und darin las. Auf Radens Frage nach seinem Befinden erwiderte er, daß es ihm wieder gut gehe und fügte hinzu: »Ich habe den Abend mit meinen Klassikern verbracht und das hat mir wohlgetan. Ich sage Ihnen, Raden, es ist ein wahrer Genuß, den Horaz hier in Rom zu lesen; wie anders wirkt dann alles noch so an Ort und Stelle auf demselben Boden, wo diese Gefühle gefühlt, diese Gedanken empfangen wurden. Horaz hat recht: der Mensch als Einzelwesen bleibt immer derselbe, was er empfand, empfinden wir noch, nur die Phasen des Zusammenlebens erfahren die Veränderungen und bilden die Geschichte. Welch ein Abstand zwischen dem[283] römischen Reich und dem heutigen Kirchenstaat! Beide wollten ein Weltreich gründen und beherrschen, aber jenes realistisch, durch die Macht ungeheurer Kräfte und den Eroberungstrieb angehender Zivilisation, dieser durch eine beschränkte und beschränkende Idee.«
»Ja, wahrlich, wenn man den heutigen Kirchenstaat betrachtet,« versetzte Raden, »so kann man nichts mehr von einer großen, weltbewegenden Idee entdecken. Er ist eine Organisation einzig in ihrer Art und darin liegt noch seine Macht. Es hat ja wohl Momente gegeben, wo ein paar gewaltige Persönlichkeiten unter den Päpsten einen Traum von Weltherrschaft träumten, aber jetzt ist das alles ein kleines, meskines Treiben der Politik, wie überall, geworden. Ich habe gerade gestern abend bei der Herzogin wieder von wohlunterrichteten Leuten gehört, wie man hier die Politik betreibt; liberal tuend und liebäugelnd am Tag mit den Franzosen und der liberalen Partei und am Abend sarkastische Bemerkungen und bitteres Lächeln über dieselben im Kreise seiner reaktionären Verbündeten, der Österreicher. Und auch was die moralische Seite der beiden geschichtlichen Epochen betrifft, bleibt der Vorzug der heidnischen. Die Korruption im römischen Kaiserreich war haarsträubend, aber wenigstens ehrlich und offen, wie etwas zu der Tagesordnung Gehöriges, und die römischen Hetären gaben den griechischen vielleicht nur wenig nach, an deren Spitze eine Aspasia stand, die es wert war, von Perikles geliebt und verteidigt zu werden. Aber die Moral hier unter dem Szepter des Heiligen Vaters, mit dem ganzen Olymp der Kardinäle und Prälaten als Vorbilder, die doch eigentlich halbe Heilige sein sollten, und mit einer das ganze Leben regelnden Kirche – nein, lieber Professor, Sie haben keine Ahnung, was da alles vor sich geht. Und eben nicht offen und wild-natürlich wie im römischen Reich, sondern heuchlerisch bedeckt mit dem verführerischen Schein der Zivilisation und der Schönheit und im Schutze der alleinseligmachenden Kirche. Alle diese glänzenden, hinreißend verführerisch schönen Frauen haben ihren Amante, oft[284] auch nur nach materiellen Vorzügen, erwählt, neben sich, und manche beschränken sich nicht auf den einen. Man hat mir eben gestern wieder Geschichten erzählt, vor denen denn doch unsere deutsche Sitte erschreckt zurückfährt. Unter dem entsetzlich reaktionären Pontifikat Leos XII., des verstorbenen Papstes, der am liebsten alles in die Nacht des Mittelalters zurückgeführt hätte, was blieb der lebensfrohen Gesellschaft anderes übrig, als sich in eitlen Festen zu vergnügen? Ausgeschlossen von dem geistigen Weltverkehr, Journale verboten, Rom aufs neue die Stadt der Pilgerscharen zu kirchlichen Festen, weniger von Fremden besucht, hatte in der Gesellschaft das Vergnügen den Herrschersitz eingenommen. Jetzt, gottlob, nach dem Tode dieses della Genga, ein sonderbarer Typus übrigens, mischen sich wieder neue Elemente in dies äußerlich so glänzende, innerlich so verfaulte Bereich aller Schönheit, alles Luxus, aller Verderbtheit, und man darf hoffen, daß edlere Keime auch wieder neue edlere Blüten tragen werden. Was mich aber ungeheuer freut, das ist, daß unsere Herzogin von Santomara, diese Schönste der Schönen, ganz rein und unbefleckt in all der sie umgebenden, zum Teil sehr verdorbenen Gesellschaft dasteht. Ich habe es einstimmig von den verschiedenen Seiten versichern hören. Zwar fügt man hinzu, daß Don Camillo auch so eifersüchtig sei, daß er wie ein wahrer Cerberus den Weg zu ihr bewache und im gegebenen Falle vor keinem Mittel beleidigter Ehemänner zurückschrecken würde, aber man gesteht auch, daß Donna Giulia ihm bis jetzt nicht den geringsten Anlaß zum Verdacht gegeben hat, obgleich sich alle wundern, daß sie den hochmütigen, so viel älteren, anmaßend stolzen Gatten sollte lieben können. Sicher ist aber, daß sie bis jetzt noch keinen Amante hat.« Raden hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er zögernd fort: »Doch scheint es fast, als ob von ihrer Seite eine Gefahr der Art drohe, denn, denken Sie nur, gestern abend sagte mir einer der hervorragendsten unter den vornehmen jungen Leuten hier, dem sich wohl alle Schönen huldvoll neigen würden – Ihr Prinz, sagte er, hat schon viele[285] Neider; wir alle sind eifersüchtig auf ihn, denn er, ein Fremder, ein Ausländer, wird von der Herzogin von Santomara so ausgezeichnet, wie es noch niemandem widerfahren ist. Nun habe ich allerdings auch gestern abend bemerkt, daß sie, mit aller Natürlichkeit der südlichen Naturen, ihr Wohlgefallen an unserem Waldemar unverhohlen zeigt; ich beobachtete sie, als sie mit ihm in ein längeres Zwiegespräch vertieft war; nie habe ich ein solches Liebeswerben so wunderbarer Augen gesehen.«
Der Professor hatte bei der letzten Wendung der Rede Radens die Brille abgenommen, seinen Horaz auf den Tisch gelegt und starrte nun mit besorgter Miene in Radens Gesicht, ferneren Bericht erwartend.
»Nun, bis jetzt scheint mir der Prinz nur überrascht und geblendet und das ist wahrlich kein Wunder; ein alter Praktikus wie ich verlöre da die Besinnung und nun gar ein solcher idealistischer Neuling. Aber was mich sehr freut und beruhigt, ist, daß Waldemar, als echter deutscher Jüngling, sich fast mehr von der zarten jungfräulichen Improvisatrice angezogen fühlt. Ich sah ihn mehrere Male gestern abend auf sie zugehen und lange und freundlich mit ihr plaudern. Sie ist aber auch ein reizendes Geschöpf, so fein, so bescheiden und so voller Poesie; ein schönes Gemisch von italienisch und deutsch, wie sie es ja auch ihrer Geburt nach ist, und wenn der Prinz sie öfter sieht, so bin ich überzeugt, wird dieser liebliche Abendstern jener Glanzsonne das Gleichgewicht halten.«
»Na, Raden, Sie sind ein Beobachter wie wenige,« versetzte der Professor mit einem Seufzer der Erleichterung, »und es ist mir eine Beruhigung, Sie in dem geselligen Treiben in seiner Nähe zu wissen; denn da hört meine Tätigkeit auf. Ich war auch einmal jung, lebte aber da in so bescheidenen Verhältnissen, daß das, was ich von Gesellschaft sah, etwas ganz anderes war und nicht zu vergleichen ist mit dem glanzvollen Leben hier. Und selbst als ich daheim meinen Platz an der Universität errungen und dann, durch das Vertrauen der[286] Fürstin-Mutter, zum Lehrer dieses ihres Lieblingssohnes gewählt wurde, blieb ich dem eigentlichen Hof- und Gesellschaftsleben fern. Ich verstehe mich nicht auf diese Ansprache und wünsche nur das eine, daß keine unnütze leidenschaftliche Erregung das schöne Resultat wissenschaftlicher und künstlerischer Bildung störe, das ich von dieser Reise für ihn erhoffte.«
Die Herzogin von Santomara hatte recht gehabt: Rosa, die Improvisatrice, war geradezu Mode geworden. Diese vergnügungssüchtige römische Gesellschaft von damals, die aber doch den Reiz von Bildung und Poesie zu schätzen wußte, wenn er dem Vergnügen zu Hilfe kam, war wie bezaubert durch die seltene Gabe des jungen Mädchens, die durch die Grundlage einer sorgfältigen Erziehung und die Anmut der Erscheinung noch unterstützt wurde. Es gab keine Vereinigung, zu der sie nicht eingeladen worden wäre, die geselligen Abende der Arkadia waren gar nicht mehr denkbar ohne eine Improvisation von ihr, und die sonderbare Protektion, deren der geistvolle Kardinal Palombi sie würdigte, bannte auch den ganzen Kreis der vornehmen Prälaten, die einen Hauptteil der Gesellschaft bildeten, in ihren Zauberkreis. Eine minder edle und reine Natur wie die ihre würde unausbleiblich der Eitelkeit und der Koketterie anheimgefallen sein, denn es fehlte auch nicht an bloß persönlichen Huldigungen, die ihrem Liebreiz zuteil wurden, aber sie schwebte, beinahe wie in einer höheren Atmosphäre lebend, über dem allen. Und es war auch so, es war ein unbekanntes Etwas über sie gekommen, das sie sich selbst nicht erklären konnte, das sie aber mit Glück erfüllte und in ihrer Poesie ausströmte.
Sie hatte niemanden, der ihr nahestand, dem sie die tiefsten Erregungen ihrer Seele hätte mitteilen können, denn die Amadei war ihr innerlich völlig fremd, ja sie litt oft unter der Vulgarität dieser Natur, aber sie mußte sie dulden, denn sie konnte nach italienischer Sitte bei ihrer Jugend nicht allein[287] bleiben und sie überließ ihr die Besorgung ihrer materiellen Verhältnisse, der nicht unbedeutenden Einnahmen, die ihr mit ihrem wachsenden Ruhme reichlich zuflossen, die sie beinahe wie etwas Unedles, Beschämendes bedrückten, von der Amadei aber mit Eifer empfangen und verwaltet wurden. Durch die Erziehung ihres Vaters war sie an einsames Studium gewöhnt und ihr wissensdurstiger Geist trieb sie fortwährend, für sich zu arbeiten und ihre Bildung zu vervollständigen, somit auch, durch das immer vielseitiger werdende Wissen ihren Improvisationen reicheren Inhalt zu sichern. Aber nach liebevoller Teilnahme und natürlichem Verständnis des Gefühlslebens hatte sie oft tiefe Sehnsucht und es war ganz erklärlich, daß sich nach und nach ein herzliches Verhältnis zwischen ihr und einer Frau bildete, die nicht in ihren Lebenskreis gehörte, aber jenen Instinkt des Herzens besaß, der so oft in den einfachsten Naturen reichlich ersetzt, was höhere Lebensstellung und äußere Vorzüge ihnen versagten. Es war dies jene Vittoria, der wir zu Anfang dieser Erzählung begegneten, eine einfache Frau aus dem Volke, die einen Gemüse- und Fruchtladen unten in demselben Haus, in dem Rosa wohnte, besaß, dem sie allein vorstand, da sie Witwe und kinderlos war. Ihr Laden war, wie sie noch heute häufig sind und damals allgemein waren, ein nach der Straße zu offener kellerartiger Raum, an dessen Eingang die Umrahmung durch das geschmackvolle, fast künstlerische Aufhängen von Gemüsen, Früchten usw. einen überaus anmutigen Straßenschmuck bildet. Rosa kaufte die kleinen Bedürfnisse ihres Haushaltes bei der Witwe unten und diese ließ es sich nicht nehmen, die holde Dichterin mit schönen Blumen zu erfreuen. Sie hatte auch mehrmals Rosa kleine Dienstleistungen und Gefälligkeiten erwiesen und diese hatte Gelegenheit gehabt, den ehrenwerten Charakter der Witwe und ihr allem Schönen zugängliches Gemüt kennenzulernen, so daß sich nach und nach ein beinahe freundschaftliches Verhältnis zwischen ihnen gebildet hatte, das der Amadei oft Anlaß zu spöttischen Bemerkungen gab. Aber Rosa, mutterlos und ohne ein Herz, an das sie sich vertrauend[288] hätte legen können, fand in der einfachen Frau aus dem Volke ein so herzliches Verstehen, wie es oft in den reinen, nicht durch Fremdenverkehr verdorbenen Naturen des italienischen Volkes vorkommt, und so wie schon ihr Äußeres, ihr echt römischer ernster, schöner Typus, sie zur sympathischen Erscheinung machte, so war sie auch gerade für Rosa doppelt anziehend durch das lebendige spontane Empfinden für Poesie, was bei dem Volk in Italien nicht selten ist. Sie hatte mehrere Male Gelegenheit gehabt durch Rosas Vermittlung, diese improvisieren zu hören und empfand eine Begeisterung für das junge Mädchen, die sie zu jedem Opfer bereit gemacht hätte. Mit Stolz sah sie, wie Rosa geehrt und gefeiert wurde und nichts schien ihr zu gut für das vergötterte Wesen.
Aber ihre größte Seligkeit bestand darin, daß Rosa ihr erlaubte, ein Abendstündchen bei ihr zuzubringen, wenn sie zu Hause geblieben war, während die Amadei, immer gierig nach Zerstreuungen und Vergnügen haschend, allein in irgendein vulgäres Theater oder zu ähnlicher Unterhaltung gegangen war, und Rosa fühlte sich tausendmal wohler in der Gesellschaft dieser einfachen, edlen Natur, die sie mit der hingebenden Liebe und Sorge einer Mutter umgab, als bei dem nur seichten, oberflächlichen Dingen zugewendeten Geplauder ihrer Begleiterin.
So saßen sie auch eines Abends in Abwesenheit der Amadei zusammen und Viktoria half der Dichterin an einem Kleide nähen, das diese, an Sparsamkeit gewöhnt und sie bedürfend, sich selbst verfertigte. Die Rede kam auf die Herzogin von Santomara und ihre wunderbare Schönheit. »Ja, und dabei ist sie auch so liebenswürdig und klug,« sagte Rosa voll inniger Bewunderung.
»Und gut, wirklich sehr gut,« fügte Vittoria hinzu. »Ich weiß so viel von all dem Guten, das sie in der Stille tut, denn der Herzog ist kein freigebiger Mann und weist die Armut von der Tür; aber sie gibt gern und viel. Ich weiß das alles, weil mein Bruder Beppo amore macht mit der Marietta, der[289] Kammerjungfer der Herzogin. Die erzählt ihm alles aus dem Haus, und er kommt dann, es mir zu erzählen.«
»Ach, liebe Vittoria, sag doch nicht dies häßliche far amore,« sagte Rosa, »ich kann den Ausdruck in unserer sonst so poesiereichen Sprache nicht leiden. Far amore – es ist gerade, als ob man mit dem heiligsten der Gefühle Handel triebe, als ob die Liebe ein Produkt des Willens sei, das man beliebig hervorbringen und wieder abtun könne, während sie doch – so denk ich es mir, – die schönste, unmittelbarste Gabe des Himmels ist, ein Etwas aus unbekannten Regionen, das plötzlich bei einem bestimmten Gegenstand erwacht und unser Herz zu einem Tempel macht, den ein Bild in reiner Andacht ausfüllt.«
»Ja, so denken Sie, meine Signorina,« versetzte Vittoria, indem sie voll Rührung auf das Mädchen sah; »bei Ihnen ist alles anders, rein und schön, aber so im gewöhnlichen, bei unseren Burschen und Mädchen, da ist es fast wie ein Geschäft; im gegebenen Alter muß amore gemacht werden und wie es sich denn gerade trifft, so macht sich's, mit dem einen oder der einen, und ist die Sache nicht dauerhaft gewesen, wie meistenteils, so bricht man ab und fängt mit anderen an. Das hindert nicht, daß man sich deshalb unglücklich macht, sich Coltellaten gibt, sich umbringt und aus Kummer stirbt, wenn der eine oder andere untreu wird, denn es kommen ja auch tiefere Gefühle vor, die einen ernsteren Charakter haben; aber im ganzen ist es ein auf die untergeordneten natürlichen Triebe gegründetes willkürliches Verfahren, und daher mag denn auch der Ausdruck gekommen sein.«
»Es kann sein, daß du recht hast, Vittoria,« versetzte Rosa nachdenklich. »Was sagt denn aber die Marietta von der Herzogin? Mir scheint, daß eine so ausgezeichnete, schöne, liebenswürdige Frau den älteren, stolzen, immer kalt und spöttisch aussehenden Mann nicht lieben könne.«
»Ach nein, das tut sie auch gewiß nicht,« erwiderte Vittoria; »ganz jung ist sie so verheiratet worden, ohne zu wissen, was[290] es sei, und bisher hat sie so gelebt in Reichtum und Glanz, bewundert und gefeiert, aber geliebt hat sie wohl noch nicht; jetzt aber ...« Vittoria hielt inne.
»Was denn jetzt, gute Vittoria?« fragte Rosa rasch; »sag mir doch alles, ich liebe die Herzogin sehr und möchte, daß sie glücklich wäre.«
»Nun, die Marietta meint, ihr schiene, ihre Herrin habe eine heftige Neigung für den fremden jungen Prinzen gefaßt, der so viel in den Palazzo kommt; aber das kann auch nur dummes Geschwätz von der Marietta sein; solche Mädchen, die immer um die Herrin sind, sind neugierig, passen auf alles auf, wissen oft mehr, als die Dame ahnt, irren sich dann aber auch oft, weil sie die Dinge sich nach sich selbst auslegen und die Marietta ist leichtsinnig; und was sie selbst tun würde, traut sie auch den anderen zu.«
Rosa erwiderte nichts, sie war betroffen und fühlte ein unerklärtes Weh, das sie für den Augenblick stumm machte und in sich selbst blicken ließ, um die Ursache davon zu suchen. Auch wurde die Unterhaltung abgebrochen, denn die Amadei kam zurück und Vittoria verschwand augenblicklich.
An demselben Abend befand sich im Palast Santomara nur ein kleiner Kreis meist älterer Herren, unter denen der Kardinal Palombi und mehrere andere Prälaten, aber auch Prinz Waldemar mit seinen zwei Begleitern zugegen waren. Das Gespräch hatte einen beinahe politischen Charakter bekommen, indem einige der geistlichen Herren sehr günstig für Österreich, die anderen aber, besonders Kardinal Palombi, durchaus französisch liberal gestimmt waren. Es waren dies die zwei Strömungen, die die damalige römische Gesellschaft teilten. Der Wiener Kongreß 1815 hatte den von der Napoleonischen Zeit her überwiegenden französischen Einfluß gebrochen und Italien wieder dem finsteren Druck österreichischer Jesuitenherrschaft anheimgegeben. Dann, unter Papst Pius VII.,[291] hatte der edle Kardinal Consalvi eine Reihe kultureller Reformen angefangen, die aber abgeschnitten wurden durch die Wahl des Kardinals della Genga zum Papst unter dem Namen Leo XII. Er war von dem strengen Geiste des mittelalterlichen Papsttums erfüllt und hätte am liebsten den Kirchenstaat ein paar Jahrhunderte zurückgeführt und für immer jedem Licht der Aufklärung, des freien Gedankens, der fördernden Wissenschaft verschlossen. Sein Pontifikat dauerte zum Glück nur fünf Jahre, doch schon zu lange für den Zustand des römischen Staates, in dem nun geheim die ewig treibenden Kräfte des menschlichen Werdens gewaltsame Dinge vorbereiteten. Es war dies eine von den seltsamen Unterbrechungen des Fortschritts, in denen sich die Geschichte von Zeit zu Zeit gefällt, gleich als ob sie ein zu rasches Wachsen zum Vollkommeneren für schädlich hielte oder die Menschen an Geduld gewöhnen wollte. Nach dem Tode Leos XII., der geradezu zur Freude seines Volkes starb, das seinen finster reaktionären Tendenzen nicht zustimmte, fingen wieder freiere Ideen an, von Frankreich herüberzukommen, und ihnen günstige Prälaten bekannten sich offen dazu.
So hatte sich an jenem Abend der Kardinal Palombi, der noch ein Schüler Consalvis und für dessen Reformideen begeistert war, wieder im Lobe der Franzosen ergangen und dabei mehr als einen maliziösen Seitenblick auf einen der anwesenden Prälaten geworfen, dessen mageres, gelbes Gesicht durch die kleinen, stechenden schwarzen Augen und den wie in Bitterkeit fest geschlossenen Mund den möglichst unsympathischen Eindruck machte und eher einen fanatischen Anhänger Loyolas als einen edel humanen Nachfolger Christi vermuten ließ.
»Wir haben nie einen liebenswürdigeren und geistvolleren Gesandten hier gehabt als den Vicomte de Chateaubriand,« fuhr der Kardinal in seiner Lobrede fort. »Ich erinnere mich an ihn, als er zuerst hier war und sein Entzücken über Rom so ausdrückte: ›Es ist ein schönes Ding, dies Rom, um alles zu vergessen, alles zu verachten und um zu sterben.‹ Er hatte es[292] in einem Briefe geschrieben, nachdem er in der Cappella Sistina das ›Miserere‹ gehört hatte.«
»Wann war der Vicomte de Chateaubriand das letztemal hier?« fragte der Professor Holberg, der immer lebhaften Anteil an solchen Gesprächen nahm, um sich über Zustände und Gesinnungen in der damaligen römischen Welt zu unterrichten.
»Bei dem letzten Konklave kam er als außerordentlicher Gesandter, denn er war zurzeit Minister in Frankreich und ich erinnere mich immer mit hohem Interesse an die ausgezeichnete Rede, die er hielt, um seine Kredenzialen bei dem zum Konklave versammelten geistlichen Kolleg zu überreichen.«
»Fanden Eminenz das eine ausgezeichnete Rede?« hub jetzt der vorhin bezeichnete Prälat an, der sichtlich nur mit Mühe bisher den Ärger zurückgehalten hatte, den ihm die Lobpreisung der Franzosen verursachte. »War es eines christlichen Gesandten würdig und war es taktvoll, um das mildeste Wort zu sagen, den zu wählenden Papst, der natürlich einer aus der vor ihm versammelten Menge geistlicher Würdenträger sein mußte, daran zu erinnern, daß er sich nun bald auf dem Stuhle des heiligen Petrus niederlassen würde, unfern vom Kapitol, über dem Grabe jener Römer der Republik und des Kaiserreiches, die von der Idolatrie der Tugend zu der Idolatrie des Lasters übergingen, über jenen Katakomben, in denen die Überreste einer anderen Art von Römern ruhen? Wozu hat jene versunkene, verdammte heidnische Welt noch erwähnt zu werden, wenn es sich um die Kirche, um die katholische Religion, handelt, die sich siegend über jenen Trümmern einer gottlosen Gesellschaft erhob, die über alle menschliche Zivilisation und alle irdischen Revolutionen erhaben ist, durch die sie leiden, aber in alle Ewigkeit nicht unterdrückt werden kann?«
»Ich glaube nicht, Monsignore, daß diese Anknüpfung an die Vergangenheit taktlos war,« erwiderte der Kardinal, indem sein schönes Gesicht den Ausdruck überlegener Einsicht und vornehmer Autorität annahm; »ebenso wie eine Vergangenheit[293] vor der Erscheinung des Christentums auf Erden da war, so müssen die heiligen Dinge heutzutage von einem allgemeineren und höheren Standpunkt aus angesehen werden. Denn das Christentum, das die Gestalt der menschlichen Gesellschaft veränderte, hat dann doch auch diese, der es das Leben gab, sich wieder umändern sehen, und es ist gerade ein Zeichen seiner Ewigkeit, daß es mit der Zivilisation wächst, mit der Zeit fortschreitet, an dem Jahrhundert teilnimmt, ohne zu vergehen wie dieses.«
»Ah, Eminenz vergessen, daß es doch schon mehr als einmal nötig war, österreichische Waffen zur Hilfe anzurufen gegen den sogenannten Fortschritt der Zeit auch in kirchlichen Angelegenheiten,« bemerkte mit einem fast pfeifenden gereizten Ton der Monsignore, »und es könnte sich ereignen, daß diese Intervention aufs neue nötig würde, wenn die französischen Liebenswürdigkeiten ihre geheime Arbeit in der Romagna und den Marken weiter treiben.«
»Nein, nein, keine Intervention,« fiel ihm Don Camillo, der die ganze Zeit schweigend dem Gespräch mit gespanntem Interesse zugehört hatte, ins Wort, »der König von Frankreich hat, gottlob, erklärt, daß er keine Intervention anderer Staaten dulden würde.«
Die Herzogin, die schon seit einer Weile mit dem Prinzen, der neben ihr saß, geflüstert hatte, erhob sich in dem Augenblick und sagte lachend: »Ah, wenn es schon so weit kommt, daß wir bei der Intervention mit Waffen angelangt sind, da ziehe ich mich zurück in schönere, friedlichere Regionen. Ich habe heute herrliche Zeichnungen von unserem Camuccini erhalten, der doch jetzt mit Canova die Kunstatmosphäre beherrscht, und ich wünsche sie Seiner Hoheit dem Prinzen, der ein so feines Kunstverständnis hat, zu zeigen. Ich überlasse Sie daher eine Weile Ihren schlimmen Diskussionen und komme wieder, um den Frieden zu proklamieren.« Mit einer schalkhaften Verbeugung gegen die Gesellschaft nahm sie den Arm des Prinzen, den er ihr anbot, und verließ mit ihm den Saal. Über Don Camillos Antlitz zog eine Wolke, und ein[294] Blick des Verständnisses flog zu dem Kardinal hinüber und wurde von diesem mit seinem feinen sarkastischen Lächeln beantwortet.
Donna Giulia aber durchschritt mehrere der anstoßenden Säle, bis sie zu dem schon erwähnten kleineren Raum gelangten, der ihr ganz privater und ihr Lieblingszimmer war. Hier ließ sie sich auf einem Ruhesitz nieder und lud den Prinzen ein, neben ihr Platz zu nehmen.
Sie ergriff einige Blätter mit Zeichnungen, die auf einem Tisch an ihrer Seite lagen und zeigte dem Prinzen einige, indem sie mit feinem Verständnis über die neue Richtung der Kunst zum Klassizismus in der Kunstsphäre sprach, deren hervorragendste Vertreter in Rom eben Canova in der Skulptur und Camuccini in der Malerei waren.
Der Prinz, ergriffen von der zauberischen Nähe dieser Frau, die neue, bis dahin ungeahnte Seiten seines Wesens in ihm erweckte, brach in einen Ausruf glühender Bewunderung über ihr Kunstverständnis aus, hinter dem sich seine tiefere Gefühlserregung nur halb verbarg. Die Herzogin fühlte es sehr wohl, und selbst noch mehr erregt als er, sagte sie seufzend: »Ach, und wenn Sie ahnen könnten, welche tiefe Leere dennoch in meinem Leben bleibt, trotz all dem, was Reichtum, Rang, Huldigung der Welt und überdem Geist und Kunst mir geben! Mir fehlt das eine, das Höchste: eine große, allmächtige Liebe, ohne die das Leben doch nur ein glänzendes Nichts ist. Ich könnte ja, wie die meisten Frauen unserer Gesellschaft, mir ein Verhältnis schaffen mit einem zufällig Bevorzugten der vielen, die mich umschwärmen und nur danach trachten; aber ich bin zu stolz dazu. Allmächtig, das ganze Leben beherrschend, so muß die Liebe sein, die mein Dasein ausfüllen soll, und nur einem Höchsten, der ebenso fühlt, kann ich diese höchste Krone reichen.«
Sie schwieg wie erschrocken von diesem Ausbruch ihrer geheimsten Empfindungen, aber ihr Auge sandte einen Blick zu Waldemar hin, der sein Herz erzittern machte, und in überwältigender[295] Aufregung, unfähig, ein Wort zu sagen, ergriff er ihre Hand und drückte einen heißen Kuß darauf.
»Bist du mein Freund, Waldemar?« frug Giulia leise mit bebender Stimme.
Aber noch ehe der Prinz antworten konnte, entzog sie ihm ihre Hand, erhob sich rasch und flüsterte: »Mein Peiniger kommt, schon ist sein Verdacht rege, suchen wir ihm ruhig zu begegnen.«
In der Tat hörte man nun Schritte und Stimmen, die sich dem Kabinett näherten, und die Herzogin hatte nur eben Zeit, an den Tisch hinzutreten und die zerstreut liegenden Zeichnungen scheinbar in Ordnung zu bringen, als Don Camillo mit dem Professor und Raden eintrat.
»Alle unsere anderen Gäste sind geschieden und lassen sich dir empfehlen, Giulia, und nun komme ich, diesen Herren auch die Zeichnungen unseres Camuccini zu zeigen,« sagte der Herzog. »Haben sie ihren Beifall, Hoheit?« fragte er, sich rasch zum Prinzen wendend und ihn mit einem durchbohrenden Blick seiner schwarzen Augen treffend; aber schon hatte Giulia mit der Raschheit ihres südlichen Temperaments ihre Selbstbeherrschung völlig wiedergewonnen und versetzte blitzschnell, scheinbar in heiterer Unbefangenheit: »Hoheit sind ganz erstaunt über die klassische Vollendung in diesen Zeichnungen, die man hier noch mehr bewundern kann als in seinen Gemälden. Auch wußte der Prinz nicht, wie sehr er schon anerkannt und bewundert ist, wie fremde Potentaten ihn ehren und ihm Aufträge geben, wie Seine Heiligkeit der verstorbene Papst und unser gegenwärtiger Heiliger Vater sich sogar rühmten, seine Freunde zu sein, und wie sich schon eine zahlreiche Schule nach ihm gebildet hat, die dieser Kunstepoche den Charakter des Klassizismus aufdrückt und ja auch unter den Franzosen glänzende Namen zählt, wie David, Vernet, de la Roche und andere. Sehen Sie, Herr Professor, überzeugen Sie sich selbst.«
Sie hatte mit ihrem langen Sprechen, ihrer immer ruhiger werdenden Stimme und ihrer feinen Art, die Zeichnungen vorzulegen,[296] scheinbar das Gleichgewicht in der Stimmung hergestellt und dem Prinzen Zeit gegeben, sich zu fassen und jetzt mit seinen Begleitern Abschied zu nehmen und den Palast zu verlassen. Waldemar sagte diesen, sobald sie in ihrem Hotel angekommen waren, alsbald gute Nacht, Kopfweh vorschützend, und begab sich in sein Zimmer. Hier aber wanderte er ruhelos auf und ab und suchte der Aufregung Herr zu werden, die jetzt schon beinahe völlig Besitz von ihm genommen hatte. Die unverhohlene Leidenschaft, die ihm von der Herzogin entgegenkam mit einer seinem deutschen Empfinden fremdartigen Offenheit, hatte sein Wesen in eine noch nie gefühlte Aufregung gebracht, und unerfahren, wie seine so wohlbehütete Jugend gewesen war, fragte er sich fast voll Angst, ob dies die Liebe sei, die nun endlich siegreich in sein Herz einzog. Aber was dann? Zwar sah er mit Erstaunen in der römischen Gesellschaft, in der er sich befand, wie wenig das legitime Band illegitime Verhältnisse hinderte; er aber bebte davor zurück, indem sich ihm auch augenblicklich alles entgegenstellte, was man in der Heimat, bei seiner Stellung am Hofe als wahrscheinlicher Thronerbe, da sein älterer Bruder sehr kränklich war, und was besonders seine fromme, tugendhafte Mutter, die ihn so liebte, zu solcher Verirrung, denn so würde man es milde nennen, sagen würde.
Ein peinlicher Kampf entspann sich in seinem Innern, denn er konnte nicht leugnen, daß ihn der hinreißende Zauber von Giulias Schönheit und lieben dem Entgegenkommen bereits mit einem Wonnegefühl erfüllte, vor dem seine klare Einsicht und seine strengen Grundsätze zu schwanken begannen. Endlich aber forderte die Natur ihr Recht und er fiel in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst spät erwachte. Am Morgen brachte ihm der Diener einen Brief, der ihm, wie er sagte, von einem jungen Burschen eingehändigt worden sei, mit der strengen Mahnung, ihn nur in des Prinzen eigene Hände und wenn dieser allein sei, abzugeben. Voller Ahnung und klopfenden Herzens, öffnete er den Brief und las: »Waldemar, Du weißt es jetzt, hast es gefühlt, wie sich mein Herz unwiderstehlich[297] zu Dir hingezogen fühlt. Du bist der erste Mann, der mir der allmächtigen Liebe und der Hingabe des ganzen Lebens einer Frau wert scheint. Also Dir anzugehören, ist von nun an der Zweck meines Lebens, denn ich fühle es, daß auch Du mich liebst. Im Augenblick nur müssen wir uns leider trennen. Mein Mann kam gestern abend, als ihr fort waret, mit der Nachricht, daß wir gleich heute fort müßten nach Perugia, wo die Hochzeit seiner Schwester nun endlich festgesetzt sei und wo man uns mit Ungeduld zu all den Festen, die damit verbunden seien, erwarte. Ich konnte nichts dagegen einwenden, wiewohl es grausam ist, gerade wenn das selige Bekenntnis meiner Liebe Dir offenbar geworden, Dich nicht zu sehen. Schreiben darfst Du mir nicht, denn Camillos Eifer sucht umgibt mich mit tausend Späheraugen, aber ich kann vielleicht durch meine treue Jungfer und deren Liebhaber, einen jungen Burschen, der auch diesen Brief besorgt, Nachricht zu Dir gelangen lassen. Denn in all den Festen, an denen ich teilnehmen muß, wird nur ein Gedanke mich erfüllen, nur ein Bild mich umschweben, das des einzigen, dem jetzt mein Leben gehört. Giulia.«
Aufs neue verwirrt und bestürzt, fühlte Waldemar doch eine Art von Erleichterung bei dem Gedanken, daß die Herzogin fort sei und ihm Zeit bleibe, sich zu fassen, zu beruhigen und imstande zu sein, zu überlegen und einen Entschluß zu fassen, ohne durch den Zauber ihrer Nähe immer machtlos zu werden. Er vermochte es, ziemlich unbefangen bei seinen Begleitern zu erscheinen und gleichgültig zu bleiben, als Raden von der plötzlichen Abreise der Santomara sprach und sein Bedauern ausdrückte, daß der Gesellschaft für einige Zeit dieser Stern fehlen werde. Der Professor ließ sich durch die anscheinende Ruhe Waldemars täuschen und atmete erleichtert auf, und selbst der erfahrene Raden wurde zweifelnd, ob es nicht eben bloß die Aufregung der unmittelbaren Gegenwart der schönen Frau gewesen sei, die er an dem Prinzen bemerkt hatte, und nicht ein tieferes Gefühl. Zugleich aber brachte er dem Prinzen die dringende Bitte einer der römischen[298] Fürstinnen, ihre Abendunterhaltung an diesem Tag nicht zu vergessen. »Ich glaube, die liebenswürdige Improvisatrice wird dort sein und ihr Talent ausüben,« sagte Raden.
»Ach, es ist wahr,« versetzte Waldemar; »gewiß werde ich hingehen und ich freue mich auch, die junge Poetin wieder zu sehen, die ich schon einige Zeit nicht sah.«
Alles war ihm willkommen jetzt, was ihn von dem quälenden Aufruhr in seinem Innern abziehen konnte, und am Abend begab er sich mit Raden – der Professor hatte gebeten, zu Hause bleiben zu können – in die glänzenden Salons der Fürstin, wo wieder alles versammelt war, was Rom an Eleganz, Schönheit und Reichtum besaß. Inmitten des Gefunkels von goldenem Schmuck, Diamanten und Edelsteinen aller Art erschien denn auch die Lichtgestalt Rosas, wie immer ganz weiß gekleidet und alsbald von einer Menge huldigender Verehrer umgeben, zwischen denen sie ruhig und einfach-freundlich wie ein reines Licht hervorschien.
Sobald Waldemar ihrer ansichtig wurde, eilte er auf sie zu und begrüßte sie mit herzlichen Worten.
Ein sanftes Erröten flog über ihr Gesicht und sie sagte ihm, wie sie ihn schon bei mehreren ihrer letzten Improvisationen vermißt habe.
»Aber es war gut, daß Sie nicht gegenwärtig waren, Prinz,« setzte sie hinzu, »denn ich war gar nicht aufgelegt die letzten Male und habe, glaube ich, recht schlecht improvisiert.« Und wieder flog ein leises Erröten über ihr Antlitz, nachdem ihr dies unschuldige Geständnis entschlüpft war. Sie vertieften sich nun in ein anmutiges Geplauder, der Prinz hatte neben ihr Platz genommen, und so sehr fesselte ihn die sinnvolle, feine Art der Anschauungen Rosas, ihre treffende Kritik der sie umgebenden Welt, ohne Bosheit, aber doch scharf und verständig, und endlich ihr begeistertes Gefühl für Poesie, daß er völlig vergaß, wo er sich befand, bis Raden herbeieilte[299] und ihm sagte, daß die Hausfrau sowohl wie mehrere der anwesenden Damen sich empfindlich gezeigt hätten, ihn so ganz ausschließlich beschäftigt zu sehen. Waldemar erhob sich, heiter lächelnd, und sagte: »Nun, so tun wir denn unsere gesellschaftliche Pflicht! Da ich aber jetzt weiß, daß Sie unimprovisierte Gedichte zu Hause geschrieben haben, so nehme ich mir die Erlaubnis, Sie morgen zu besuchen, und bringe auch meine schwachen Versuche mit, sie Ihrer Kritik zu unterwerfen.« Rosa lächelte voll unverhohlener Freude, und Raden sah mit Befriedigung, in welch glücklicher Stimmung der Prinz sich befand.
Am folgenden Tag eilte sie früh zu Vittoria hinunter, um sie zu bitten, ihr recht schöne Blumen zu besorgen, denn sie wollte ihre Wohnung für den versprochenen Besuch nur mit dem Lieblichsten schmücken, was die Natur dort so reichlich gibt, und verwarf all den banalen Schmuck, den die Amadei anbringen wollte. Nicht daß es sie gedemütigt hätte, den Prinzen in ihrer bescheidenen Wohnung zu empfangen, dazu war sie zu einfach und natürlich, aber sie wollte den, der als Dichter zur Dichterin kam, nur mit dem begrüßen, was von jeher mit der Poesie verwandt ist. Sie hörte auch kaum auf die Ermahnungen und vulgären Anstandsregeln, die die Amadei vorbrachte; der schwindelte der Kopf vor Aufregung über die Ehre, einen Prinzen zu empfangen, und allerlei Hoffnungen ehrgeiziger und unmoralischer Art zogen durch ihr Gehirn. Aber das alles tönte nur wie ein unharmonisches Summen an Rosas Ohr, während eine selige Melodie in ihrer Seele erklang und sie mit lauter Freude erfüllte. Wohl schlug ihr Herz schneller, als die Stunde nahte, für die der Prinz sich angemeldet hatte, aber sie dachte nur an das Glück, ihn zu sehen, und durchaus nicht an ihre eigene Erscheinung und die Wirkung, die diese haben konnte, während die Amadei jeden Augenblick vor den Spiegel trat, um ihre falschen Locken zu ordnen und ihre mächtige Spitzenhaube zurechtzurücken.
Kurz vor der bestimmten Stunde kam Vittoria und brachte eine Fülle schöner Blumen, die sie eben, Rosa zuliebe, frisch[300] aus ihrem weit entlegenen Gartenland geholt hatte. Sie half Rosa das Zimmer in sinniger Weise schmücken. Als alles fertig war und Rosa in ihr Zimmer ging, sich anzukleiden, sagte die Amadei, die untertänig und servil vor Höhergestellten und hochmütig mit denen, die sie unter sich glaubte, war: »So, Vittoria, nun können Sie gehen. Seine Hoheit wird gleich kommen, und da dürfen doch nur Leute von Rang da sein. Ich möchte, daß er einen recht guten Eindruck hier hätte, denn die Kleine scheint ihm zu behagen und wer weiß, was sich für vorteilhafte Folgen daran knüpfen können mit Geld die Hülle und Fülle, so daß man als Signora leben kann, wie es sich gehört.« Das zweideutige Lächeln, das diese Worte begleitete, ließ keinen Zweifel übrig, was damit gemeint war, und Vittorias ernste Züge wurden noch ernster und strenger als gewöhnlich, und als Rosa wieder hereintrat, reichte sie dieser die Hand und sagte: »Addio, cara Signorina, die heilige Jungfrau beschütze Sie.«
»Dank, Dank für die schönen Blumen!« rief ihr Rosa fröhlich nach.
Nun fuhr der Wagen des Prinzen vor. »Rosa, Rosa!« schrie die Amadei, die am Fenster darauf gewartet hatte. »Rasch, nehmen Sie im Zimmer eine bescheidene Stellung ein, wie es sich vor dem hohen Herrn gehört, ich eile, ihn an der Treppe zu empfangen.«
Aber sie hatte keine Zeit, all die untertänigen Redensarten, die sie sich ausgedacht hatte, anzubringen; denn der Prinz, der ohne seine Begleiter kam, eilte nach einer kurzen Verbeugung gegen sie auf Rosa zu, die lächelnd und errötend in der Tür des Zimmers stand, begrüßte sie mit herzlichen Worten und trat mit ihr ein. Bitter gekränkt, hielt die Amadei es doch für eine Pflicht des Anstands, mit in das Zimmer zu kommen, und versuchte abermals, ihre Weltbildung zu zeigen, indem sie eine banale Phrase vorbrachte, die entschuldigen sollte, daß sie den hohen Besuch in dem armen Zimmer empfangen müßten. »Aber mein Gott, wie soll man es machen?« setzte sie mit einem tiefen Seufzer hinzu. »Das arme Kind und ich tun das[301] Möglichste, um uns eine anständige Existenz zu schaffen; aber wenn wir auch eine etwas glänzendere Lage verdienten ...«
Rosa errötete vor tiefem Unwillen, und der Prinz unterbrach die Rede, indem er rasch sagte: »Beunruhigen Sie sich nicht, Madame; ich kam, um das Fräulein zu sehen, die ich hochschätze, in welcher Umgebung sie sich immer befindet. Übrigens ist es ja hier wie in einem Blumengarten,« setzte er, sich umsehend, freundlich hinzu, wendete sich zu Rosa und wollte sagen: »und die schönste Rose darin,« da das Mädchen wirklich wie eine eben erblühte Rose aussah, aber er hielt aus Zartgefühl jedes gewöhnliche Kompliment zurück, um die Sympathie, die er in dem Herzen Rosas für sich erriet, nicht zu verletzen. Ohne die Aufforderung der Amadei abzuwarten, ließ er sich auf dem Sofa nieder und lud Rosa ein, sich zu ihm zu setzen, was diese einfach tat. Nun hielt die Amadei es für geraten, ihre Taktik zu ändern und die jungen Leute allein zu lassen, indem sie berechnete, daß dies vielleicht schneller zu dem von ihr gewünschten Ziele führen könne, und unter dem Vorwand, sehen zu wollen, ob dem draußen wartenden »Herrn Kammerdiener« nichts fehle, verließ sie das Zimmer.
Ein Lächeln der Befriedigung umspielte Waldemars Lippen und sich zu Rosa wendend, sagte er heiter: »Und nun, meine junge Muse, dürfen Sie mir das Versprochene nicht vorenthalten und müssen mir zeigen, was Sie schriftlich dichten. Auch ich habe Wort gehalten, obgleich ich nur ein Novize am Fuße des Parnaß bin. Aber es ist wenigstens alles aufrichtig, in der Tiefe des Gemüts entsprungen und hat bis jetzt noch keinen Vertrauten gehabt. Sie sind die erste, der ich es zeige, denn Sie sind lieb und gut und jung und werden es mit mir fühlen, ohne sich an den Mängeln zu stoßen und nur zu kritisieren.«
Ein leuchtender Blick Rosas dankte ihm für seine Worte, ihr Herz war zu voll von Glück, um etwas erwidern zu können. Er las ihr nur einige Gedichte vor; Ergüsse einer edlen Jünglingsseele, einer innerlich vornehmen Natur. Die Tränen tiefer Rührung, zärtlicher Bewunderung, die in Rosas Augen[302] traten, sagten ihm ein schöneres Lob, als Worte es vermocht hätten. Endlich aber hörte er auf und sagte lachend: »So, das ist genug für heute, jetzt kommt die Reihe an Sie.«
Aber Rosa hatte nun einiges hervorzuheben, was ihr am meisten gefallen, sie am tiefsten gerührt hatte, auch allerlei zu fragen, was sie zum Verständnis brauchte, und so entspann sich ein vertrauliches Geplauder, als hätten sie sich jahrelang gekannt. Er erzählte ihr aus seinem Leben und enthüllte ihr dabei die schönen Jugendträume seiner Seele. Sie horchte versunken in eine Welt seliger Gefühle und ihre Augen hingen unverwandt mit dem Ausdruck reinen kindlichen Glücks an seinen Lippen, in völliger Vergessenheit ihrer selbst und der Welt um sich her. Endlich aber sagte er: »Wir vergessen die Zeit und ich habe noch nichts von Ihren Gedichten gesehen.«
Rosa sprang auf, ganz zutraulich wie mit einem Freunde, sagte, sie wolle das Beste holen, was sie habe und was sie immer nachts bei sich behalte zu etwaigem neuen Einfall und eilte in ihr Schlafzimmer. Der Prinz blätterte indes in einem Buche, das auf dem Tische lag, und als ein Blättchen Papier herausfiel, bückte er sich, es aufzuheben, und sah, daß Verse darauf standen, und zwar ein Sonett, das er alsbald ohne weitere Überlegung las; es lautete:
»So war's! So dacht' ich mir den Königssohn,
So edel stolz, die schönste Jugendfülle,
Von schönrer Seele nur die schöne Hülle,
Die reine Stirne des Gedankens Thron.
Der blauen Augen seelenvoller Blick,
Der's deutlich kündet, was in dem Gemüte
Von milder Liebe wohnt, von seltner Güte –
Ja – er ist auserlesen vom Geschick,
Sein hohes Amt in Würde zu verwalten,
Verschwendrisch segnend, wie der Sonne Strahlen,
Sein Volk zu edlem Menschentum zu heben,
Sich das Gemeine ewig fernzuhalten
Und mit der Krone höchsten Werts zu zahlen
Für jene Krone, die ihm Gott gegeben.«
[303]
Darunter stand das Datum jenes Tages, wo Rosa zum erstenmal bei der Herzogin improvisiert und mit dem Prinzen länger gesprochen hatte. Er konnte demnach nicht zweifeln, daß die Worte ihm galten. Es rührte ihn tief, das unschuldige Geheimnis dieses Mädchenherzens entdeckt zu haben, und erhöhte die Sympathie, die ihn sanft und innig zu ihr hinzog. Noch ehe er sich besinnen konnte, ob er ihr den Fund anzeigen oder verschweigen sollte, trat sie leichten Schrittes ein, mit einer Menge beschriebener Blätter in der Hand und sagte unbefangen: »Da habe ich zusammengetan, was allenfalls wert ist, gelesen zu werden«, – doch ehe sie aussprechen konnte, fiel ihr Blick auf das Blatt, das Waldemar in der Hand hielt, und Purpurglut überzog ihr Gesicht. Sie stand einen Augenblick fassungslos, sah aber in ihrer Bestürzung so liebenswürdig aus, daß Waldemar, indem er ihre Hand ergriff, gerührt sagte: »Verzeihen Sie mir, meine liebe junge Freundin, diese anscheinende Indiskretion: ich blätterte in dem Buche hier und da fiel dieses Blatt heraus, und als ich sah, daß es Verse waren, nahm ich mir die Erlaubnis, sie zu lesen. Sie sind mir deshalb nicht böse, nicht wahr?« Rosa hob die gesenkten Augenlider, sah ihn mit einem unschuldvollen Blick an und sagte leise: »Ich vergaß, das Blatt aus dem Buche zu nehmen.«
»Und so ward mir Gelegenheit, zu sehen, wie hoch und edel Sie von mir denken,« versetzte Waldemar, »denn ich muß wohl, dem Datum nach zu urteilen, so eitel sein, zu glauben, daß Sie ein wenig an mich gedacht haben, als Sie Ihr Ideal eines Fürstensohnes schilderten. Wie gern möchte ich dem Bild gleichen! Und glauben Sie mir, daß der Wunsch danach in meiner Seele lebt, wenn ich es auch nicht von fern erreicht habe. Mir graut oft vor der gewaltigen Aufgabe, an der auch der edelste Wille nur zu oft scheitert. Es scheint so einfach, wenn man große Macht in Händen hat, Glück und Segen zu spenden und das Wohl von Tausenden zum Guten zu wenden, aber wieviel Hindernisse, wieviel Verwicklungen, wieviel böser Wille stehen einem da entgegen und lähmen die[304] Tatkraft. Ach, es ist nicht leicht, auf dem Thron ein wahrhaft großer und guter Mensch zu sein.«
Er sprach noch länger über dies Thema, um Rosa Zeit zu geben, ihre Unbefangenheit von früher wiederzugewinnen; es gelang ihm auch; der Ausdruck von Bestürzung schwand aus ihren Zügen, ihre sanften, ernsten Augen ruhten wieder sinnend in den seinen und das Interesse an dem, was er sagte, hatte wieder jedes persönliche Empfinden überwogen. Sie erzählte ihm nun auch, wie sie schon als Kind, wo sie in den Bergen von Cadore die elenden Lebensbedingungen einer ganzen Bevölkerung gesehen habe, sich gewünscht hätte, eine Prinzessin oder Königin zu sein, um das Geld mit vollen Händen auszustreuen, so daß keiner mehr zu frieren und zu hungern brauche. »Und als ich älter wurde,« fuhr sie fort, »und selbst erfuhr, welches Glück Unterricht und Bücher gewähren, da dachte ich, wenn ich König wäre, würde ich vor allem dafür sorgen, daß allen geistige Nahrung so gut wie leibliche zuteil würde, daß alle sich freuen könnten an schönen Büchern, an erhabenen Gedanken, an dem Edlen, was die Kunst geschaffen, so daß es nicht mehr möglich wäre, rohe, gemeine und böse Menschen zu finden, und dazu dachte ich mir immer einen König, der selbst das Vorbild aller Vollkommenheit wäre und dem alle sich bestreben würden nachzuahmen.«
Endlich erinnerte sich der Prinz, daß es Zeit sei, zu gehen. Er bat, die Gedichte mitnehmen zu dürfen, um sie zu Hause in Ruhe zu lesen und nahm dann Abschied, indem er sagte, er werde sie selbst wiederbringen. So wohltätig bewegt fühlte er sich nach diesem Besuch, daß er sich sagte, welches Glück es für ihn sein würde, wenn er später in seiner Sphäre einem weiblichen Wesen begegnen könnte, das diesem zarten, tiefempfindenden, geistig hochbegabten Mädchen ähnlich wäre; und als neben diesem sanften, lieblichen Bild plötzlich das der Herzogin vor ihm auftauchte, erschrak er fast vor der Erinnerung an die dämonische Gewalt, die ihre alles überstrahlende Schönheit über ihn hatte und der er in ihrer Gegenwart immer[305] unterlag. So friedlich beglückend war ihm das Zusammensein mit Rosa, wo keine leidenschaftliche Erregung das stille Weben reiner Sympathie von Herz zu Herzen störte, so sehr fühlte er sich danach wieder in die frühere Harmonie seines Wesens zurückversetzt, daß es ihn beinahe jeden Tag zu ihr führte. Der Austausch ihrer Gedichte gab unaufhörlichen Stoff zu Gesprächen, die sie in alle Sphären des intellektuellen Lebens führten, wobei er immer neue Seiten der auserwählten edlen Natur der jungen Dichterin kennenlernte. Die sanfte Freude, die ihr Antlitz verklärte, wenn er erschien, war ihm, ohne daß er es sich ganz gestand, eine unschuldige Befriedigung auch seiner Eigenliebe, denn es fehlte ihr nicht an Huldigungen aller Art, die ihrem Talent und ihrer Holdseligkeit in der Gesellschaft entgegenkamen, die aber unbemerkt an ihr abglitten. Dieser Umstand stimmte ihn so heiterliebenswürdig, daß Raden sich vergnügt die Hände rieb und zu Holberg sagte: »Bester Professor, wir sind gerettet.«
Auch die Signora Amadei baute täglich kühnere Pläne auf die Besuche des Prinzen und sah schon in Gedanken Rosa als dessen anerkannte Mätresse in einem Palast der deutschen Hauptstadt, von Luxus und Überfluß umgeben, und sich dabei als Gesellschaftsdame in kostbaren Kleidern und Schmuck, ein ununterbrochenes Wohlleben führend. Doch hütete sie sich wohl, Rosa ihre ehrgeizigen Pläne ahnen zu lassen, da sie befürchten mußte, daß diese aus der seligen Höhe, in der ihre reine Seele schwebte, herabgestürzt, den Verkehr mit dem Prinzen abbrechen und fliehen würde.
Die einzige, die diesem häufigen, vertrauten Verkehr mit Besorgnis zusah, war die einfache Frau aus dem Volke, Vittoria, die, wie gesagt, eine wahre Begeisterung für die junge Improvisatrice empfand, deren Inspirationen sie mit Entzücken und Verständnis erfüllten, obgleich sie weder lesen noch schreiben konnte. Aber sie hatte jene spontane Empfindung für das Schöne, die dem italienischen Volke angeboren[306] ist und nur durch eine falsche Zivilisation in den Klassen der Gesellschaft, die von dieser beherrscht werden, sich in ihr vulgäres Gegenteil verkehrt. Jemehr sie aber die Dichterin verehrte und liebte, jemehr fürchtete sie für deren Ruhe und Ruhm von den häufigen Besuchen des schönen jungen Fürsten. Sie beurteilte diesen nach der Art der jungen, vornehmen Römer und argwöhnte, daß der Umgang mit dem reizenden jungen Mädchen nur ein für diese gefährlicher Zeitvertreib für ihn sei. Rosa, jemehr sie sich von ihrer Begleiterin abgestoßen fühlte, als ihr allmählich deren niedriger Sinn immer mehr offenbar wurde, schloß sich auch ihrerseits immer zutraulicher der einfachen Frau an, deren natürliches, vornehmes Gefühl ihr verwandt war. Sie ging nie aus dem Haus, ohne wenigstens mit einem Gruß bei Vittoria im Laden vorzusprechen, und diese benützte jeden Augenblick, wenn sie die Amadei hatte ausgehen sehen, um hinaufzueilen und wenigstens kurze Zeit mit Rosa zu verplaudern. Mit dem angeborenen Zartgefühl edler Naturen aber hatte sie noch nicht gewagt, einer Warnung Ausdruck zu geben, da sie sehr wohl aus Rosas Äußerungen erriet, wie stark ihr Glaube an den edlen Sinn des Prinzen sei und daher nicht den Argwohn in ihrem reinen Herzen wecken wollte.
Der Prinz erschrak fast, als er nach Verlauf einiger Wochen plötzlich ein Billett von Giulia erhielt, worin sie ihm ihre Rückkehr meldete und ihn beschwor, am Abend zu ihr zu kommen; sie sei allein, da der Herzog noch etwas in Perugia zurückgeblieben wäre. Sie fügte hinzu, er dürfe ihr nicht fehlen, denn sie sei krank vor Sehnsucht, ihn wiederzusehen. Nun hatte er aber Rosa versprochen, an dem Abend in die Gesellschaft bei einer vornehmen Engländerin zu kommen, wo sie improvisieren sollte. Er war in dieser Zeit stets zugegen gewesen, wenn sie improvisierte, und das Glück, ihn unter ihren Zuhörern zu wissen, begeisterte sie so, daß sie sich mit ihren Inspirationen zu einer Höhe erhob, die selbst die strengsten Kritiker zur Bewunderung hinriß. Es wurde ihr eine solche Fülle von Huldigungen zuteil, daß jede minder[307] reine und ideale Natur der Eitelkeit und dem Übermut unabweislich anheimgefallen wäre, während Rosa sich nur darüber freute, weil es sie gewiß machte, daß sie auch Waldemars Beifall verdient habe. Er wußte, es würde sie bitter schmerzen, wenn er nicht in die Gesellschaft käme, und es kostete ihn einen Kampf, sie zu enttäuschen, aber das Billett Giulias brachte ihm ihre bezaubernde Persönlichkeit plötzlich wieder nahe, ihre unverhohlene Liebe entzündete seinen Wunsch, sie wiederzusehen, er sagte sich, es würde undankbar von ihm sein, sie warten zu lassen, und er versprach sich aufs neue, sich nicht hinreißen zu lassen und die Grenzen warmer, ergebener Freundschaft nicht zu überschreiten. Er beauftragte Raden, die Gesellschaft zu beehren und Rosa zu sagen, er werde sie am folgenden Tag besuchen. Raden erschrak etwas, als der Prinz, nicht ohne einige Verlegenheit, ihm die Rückkehr der Herzogin ankündigte und ihm sagte, daß sie ihn gebeten habe, sie am Abend zu besuchen; aber er sah ein, daß sich für den Augenblick nichts weiter machen ließe.
Die Herzogin empfing den Prinzen in ihrem besonderen Lieblingszimmer, in dem schon erwähnten zauberhaft geschmückten Raum, in dem exotische Gewächse einen feinen, bestrickenden Duft ausströmten und mit rosa Schleiern verhüllte Lampen ein magisches Licht verbreiteten. Sie war in einem Überwurf von indischem Musselin, reich mit Spitzen verziert, dessen weite Ärmel die schönen Arme freiließen und dessen zarter Stoff die edlen Formen der königlichen Gestalt in weichen Falten umfloß. Die Freude, die auf ihrem Angesicht erglänzte, als Waldemar eintrat, die glutvolle Zärtlichkeit, mit der sie ihn empfing, die ganze Atmosphäre von Eleganz, Feinheit und vornehmer Grazie, die in dem Raum herrschte, alles das wirkte schon wieder wie ein Zaubertrank auf ihn, der seine Sinne gefangennahm und sein Blut heißer zum Herzen strömen ließ. Dennoch gewann er es über sich, ruhig freundlich, beinahe kühl, in den Grenzen der feinsten Umgangsformen zu bleiben, aber Giulias erfahrenes Auge erblickte hinter der mühsamen Zurückhaltung das emporflammende[308] Feuer, und die ihr angeborne Kunst der Koketterie ließ sie den Weg finden, der ihr zum Sieg verhelfen mußte. Nach dem unverhohlenen Ausdruck des zärtlichsten Glücks, ihn zu sehen, schien sie wie beschämt über ihre Hingerissenheit und wurde auch zurückhaltend und traurig, so daß Waldemar, mehr und mehr von dem berauschenden Zauber ihrer Nähe erregt, anfing, inniger zu werden, und als sie sich seufzend abwendete und mit Tränen zu kämpfen schien, ergriff er mit überwallendem Gefühl ihre Hand und sagte: »Meine herrliche Freundin, Sie haben mir das Recht gegeben, Sie so zu nennen, Sie sind unglücklich, Sie haben neuen Kummer, darf ich ihn nicht teilen? Darf ich das Recht des Freundes nicht in Anspruch nehmen? Ist nicht mein Herz da, in das Sie Ihr Leid ausschütten können, damit Ihre Last leichter werde, indem ich mein Teil davon nehme?«
Giulia erhob langsam ihren Blick zu ihm und in dem Feuer dieser wunderbaren Augen lag eine solche Welt von Liebe, Leidenschaft und Schmerz, daß abermals all seine Vorsätze wie in Duft zerflossen. Er führte Giulias Hand, die er noch hielt, an seine Lippen, drückte einen heißen Kuß darauf und flüsterte: »Giulia, reden Sie, vertrauen Sie mir ganz.«
»Ach, mein Freund,« erwiderte sie, »was soll ich noch sagen? Erklärt sich nicht alles aus dem einen: Gefesselt zu sein an einen ungeliebten Mann und zum erstenmal dem zu begegnen, in dem sich unser Ideal verwirklicht, in dem sich Jugend, Schönheit, Geist und Liebe zu einem entzückenden Traum vereinigen?« Sie ließ, erschöpft, ihr Haupt auf Waldemars Schulter sinken, und er, seiner nicht mehr mächtig, umschlang sie und bedeckte ihr Antlitz mit feurigen Küssen.
Als er spät von ihr schied, war er ein veränderter Mensch, nicht mehr der in hohen Idealen lebende Jüngling. Er war erwacht zu der Wirklichkeit des Lebens und schien sich selbst um vieles älter geworden. Noch umfloß ihn der Wonnerausch, den er genossen, aber in seinem tiefsten Herzen war es ihm, als sei etwas in ihm gestorben. Es rang sich ein geheimes Weh aus seiner Brust empor, als der Kammerdiener, der[309] ihn erwartete, meldete, der Herr Professor sei noch auf und warte auf die Rückkehr Seiner Hoheit. Er trug dem Diener auf, dem Professor zu sagen, er sei zu müde und könne ihn nicht mehr empfangen. Um nichts in der Welt hätte er jetzt dem redlichen Lehrer in die Augen sehen mögen. Über das Vorgefallene zu reden, verboten ihm sein eigenes Zartgefühl und die Schonung für Giulia, aber des Professors treuen Augen hätte der Zustand tiefer Erregung, in dem er sich befand, doch nicht entgehen können, und er wünschte jetzt überhaupt ein näheres Zusammensein zu vermeiden.
Rosa war klopfenden Herzens und sehnsuchtsvoll in die Gesellschaft geeilt, wo sie den Prinzen zu finden hoffte. Um so tiefer war ihre Enttäuschung, als Raden ihr dessen Auftrag ausrichtete und als sie erfuhr, wo er den Abend zubringe. Der bittere Schmerz, den sie empfand, malte sich so deutlich auf ihrem reinen, der Verstellung ungewohnten Antlitz, daß es Raden tief rührte und er sich fast wie schuldig ihr gegenüber fühlte, weil er sich der Hinneigung des Prinzen für sie gefreut hatte, um diesen vor der gefährlicheren Nähe zu behüten.
Wie schnell ists doch geschehen, dachte er, daß so ein armes junges Herz von der uralten süßen Täuschung gefangen wird und sich auf Rosenwolken in Paradiese gehoben fühlt, um plötzlich, wenn der Schleier zerreißt, in eine Nacht der Schmerzen und der Qual zu versinken. Ja, wir Männer sind doch grausame Egoisten! Weil es uns ein momentaner Genuß ist, dem wir gar keine Zukunft zumessen, fällt es uns nicht ein, daran zu denken, ob in einem solchen unschuldigen, noch nie gerührten Herzen die Neigung tiefe Wurzeln schlagen und tiefes Weh zurücklassen könne. Mit erfahrenen Frauen wie der Herzogin ist es anders; das sind auflodernde Flammen, die versengen, was ihnen nahekommt, doch ohne Schaden für sie selbst. Da ist es der Prinz, der gerettet werden muß. Aber wird er es? Ich fürchte, eine Lehrmeisterin wie Donna Giulia läßt ihren Zögling nicht los. Ich könnte ihn beneiden, denn sie ist ein göttliches Weib und wir sind[310] ebenbürtige Kämpfer, aber er – er wird auch lange daran zu leiden haben, ebenso wie ein junges, unerfahrenes Mädchen. Holberg hat ihn zu lange in einer phantastischidealen Welt gehalten, in der Hoffnung, einst unserem Volke eine ideale Zukunft zu bereiten mit solch einem Herrscher. Aber der gute Professor, der selbst in einer abstrakt vollkommenen Welt lebt, hat nicht mit den Gewalten gerechnet, die uns Sterbliche – und Fürstensöhne vor allem – umgeben. Mephistopheles ist immer da, uns den Trank zu brauen, mit dem im Leibe wir bald Helenen in jedem Weibe schauen.
Inzwischen hatte man Rosa aufgefordert, zu improvisieren und ihr bereits eine Menge Zettel in die dazu aufgestellte Urne geworfen.
»Sie sieht heute nicht so freudig begeistert aus wie die letzten Male,« sagte Holberg zu Raden, »es muß ihr etwas Unangenehmes begegnet sein. Ich bin gespannt, zu sehen, ob ihre Fähigkeit darunter leidet oder ob der geistige Prozeß die Oberhand gewinnt und in gleicher Weise funktioniert.«
»Ich fürchte, hier spielt das Herz dem Genie einen Streich,« versetzte Raden.
»Wieso? Was meinen Sie?« fragte Holberg. »Nun, ich meine, es ist die Abwesenheit unseres Waldemar, die sie verstimmt,« erwiderte Raden.
»Ach, mein Gott, da hätten wir ja ein Unglück angestiftet, indem wir hofften, eines zu verhüten,« sagte der Professor ganz bekümmert.
»Nun, hoffentlich ist es nicht so schlimm,« meinte Raden. »Der Verkehr zwischen den beiden war allerdings etwas zu eifrig geworden. Es ist seltsam, wie sich der Prinz gleich hinreißen läßt, wenn etwas seine ideale Natur anregt; dann erfüllt's ihn gleich ausschließlich und es scheint ihm, als fände er all seine schönen Träume in dem Gegenstand verwirklicht, der ihn gerade anzieht, während es doch nur seine eigene, alles verklärende Natur ist, die ihr Licht ausstrahlt.«
»Das ist wohl die Natur aller Idealisten,« bemerkte der Professor nachdenklich.[311]
»Ja, darum werden sie ebenso gefährlich – wenn nicht noch mehr – wie die sinnlichen Don Juans,« sagte Raden, »denn sie wenden sich nur an edle Wesen, und die Wunden, die sie schlagen, heilen schwerer, weil sie nicht das Vergängliche, wie beim Sinnenrausch, sondern das Edelste, Beste, das Herz und den Geist zugleich treffen.«
»Sie sind ein tieferer Psychologe, als ich gedacht habe, Raden,« versetzte Holberg und sah den Gefährten voll Teilnahme an.
»Ach, lieber Professor, ich habe viel beobachtet und – viel erlebt,« erwiderte Raden mit einem Seufzer; »ich war wohl etwas Don Juan in meiner ersten Jugend, aber ich glaube doch, ich habe mir keinen ernsten Vorwurf zu machen. Was ich verließ, hat sich bald getröstet; das waren keine sentimentalen Beziehungen, keine, bei denen auf ewige Dauer gerechnet wurde und, glauben Sie mir, Holberg, das sind die schlechteren nicht; es ist keine geistige Erhebung dabei, aber auch keine Treulosigkeit, kein gebrochenes Herz, weil man von beiden Seiten weiß, daß es sich nicht um Dauer handelt – keine Gemeinheit – nein – Gemeinheit nicht ...«
»Nun, aber fühlen Sie keine Öde, keine Leere im Leben?« fragte der Professor, der trotz ihrer Verschiedenheit für Raden Sympathie empfand.
»Warum heiraten Sie nicht, um all dem Schwanken und Treiben in einer glücklichen, befriedigten Ehe ein Ende zu machen?«
»Ja, mein Bester, das ist schwer zu erklären,« antwortete Raden; »sehen Sie, es ging mir, wie es den meisten jungen Leuten heutzutage geht: ohne großes Vermögen, gut aufgenommen von der eleganten Gesellschaft, besonders von den Frauen, genoß ich, was mir mit Leichtigkeit zufiel und umgab mich dabei mit all den Annehmlichkeiten der Eleganz und des Luxus, zu welchen meine Mittel mir, als dem einzelnen Mann, ausreichten. Als dann das reifere Mannesalter kam, war ich zu verwöhnt, um dem allen zu entsagen und mich mit einer bescheidenen häuslichen Existenz zu begnügen. Nur[312] nach Geld zu heiraten, widerstrebte mir, und – ich gestehe es – meine Unabhängigkeit war mir endlich zu wert geworden, denn auch die beste Ehe ist doch schließlich noch immer eine Fessel. Meine Stellung am Hofe legte mir ja schon ohnehin manche Fessel an. So war es auch halb Bequemlichkeit, halb Furcht vor einer Neuerung, die mich Junggeselle bleiben ließ. Wenn mich dann in einsamen Stunden eine zu mächtige Sehnsucht nach einem nie besessenen traulichen Familienleben ergreifen will, dann nehme ich rasch meine Trösterin – eine Havanna – zu Hilfe, blase Sehnsucht und jedes unnütze sentimentale Bedauern mit den duftenden kleinen Wölkchen hinweg und sage mir, daß es ja auch etwas ist, a perfect gentleman zu sein und nichts Böses zu tun. Aber um Gotteswillen, in was für Bekenntnisse vertiefen wir uns hier in diesem glänzenden Salon und bleiben ungerührt, wo so viel Schönheit und Grazie sich um uns bewegen! Und, sehen Sie nur, da schleppt man die arme Kleine hin, um sie improvisieren zu hören! Die Sklaverei des Talents als Seitenstück der Ehe! Kommen Sie, Holberg, wir wollen uns nahe zu ihr stellen, damit sie einen magnetischen Strom wahrer Teilnahme fühle; ich bin überzeugt, sie hat das heute nötig.«
Rosa war ungewöhnlich ernst und blaß, als sie, in Erwartung der Themata, die man ihr aufgeben würde, dem Publikum gegenüberstand und es schien ihr wirklich ein Trost zu sein, wie Raden es vermutet hatte, als ihr Blick auf die zwei Herren fiel, die sich in ihre Nähe stellten, denn ein freundliches Rot überflog ihr blasses Gesicht. Inzwischen hatte der Hausherr eine Schale mit Zetteln gebracht und mit verbindlichem Lächeln gesagt, wie sehr er wünsche, daß sie ein Thema finde, das ihr angenehm sei. Sie griff in die Schale, zog ein zusammengefaltetes Papier heraus und las laut: »Ein Abend auf dem Lande.«
»Das ist etwas trivial,« bemerkte Raden zu Holberg, »wie wird sie sich da herauswinden?« Rosa stand länger als gewöhnlich in Nachdenken versunken; plötzlich zuckte es über ihre Züge, als ginge ihr ein tiefes Erkennen auf, als sähe sie etwas,[313] was nur sie sehen konnte, und mit sichtbar ungewöhnlicher Ergriffenheit begann sie:
»Auf der Höhe
Steht ein Haus,
Darin wohnen gute Menschen,
Nacht ist's nun,
Die munteren Kinder
Schlummern schon.
Vom Garten tönt
Harmloses Geplauder
Älterer, verständiger Leute.
Ich stehe allein auf der Terrasse,
Blicke über das Tal,
Das Olivenhügel umkränzen,
Wo der Fluß silbern zum Meer hinabzieht,
Und die liebliche Stadt,
Welcher unsterbliche Geister
Erhabene Werke der Schönheit
Zum Gedächtnis gelassen,
Weithin sich breitet.
Kein Ton dringt herauf,
Nur schimmernde Lichter
Zeigen, daß unten man lebt.
Ringsum schweben
Reine Düfte würz'ger Blumen.
Strahlende Sterne
Stehen am Himmelszelt,
Und durch die Stille
Ziehn mit Demantgefunkel
Leuchtende Käfer,
Gleich glücklichen Seelen,
Die, ohne Begierde,
Der eigenen Anmut sich freuen.
Mir aber dringt aus dem Herzen
Ein wehmutvolles Gedenken
An einen,
Der unten
Im heißen Kampfe der Sinne
Die edle Jugend dahingibt.
Stark und stärker erfaßt mich
Die fromme, liebende Sorge,
Wird zum Gebet,
Das, gleichwie ein Aar,[314]
Mit weit entfalteten Schwingen
Zur Sonne emporsteigt,
Aufwärts schwebt
Zu der waltenden Urmacht,
Die, blöden Augen verborgen,
Den inbrünstigen Bitten
Reiner, liebender Seelen
Gnädig sich zeigt.
Immer höher
Steigt mir die innige Empfindung:
Rettet ihn, ewige Mächte,
Rettet den Geistgebornen
Aus dem Taumel des Wahns
Zu der Schöne männlicher Tugend!
Gebet die Ruhe des Siegs
Ins verwundete junge Herz ihm,
Lehrt ihn, daß überwinden
Höher sei als Genuß!«
Nach einer kurzen Pause, offenbar uneingedenk, wo sie war, die Augen in Begeisterung nach oben gewendet, fuhr Rosa fort:
»Wie Sinfonien tönt es
Rings in der nächt'gen Stille,
Und von göttlichem Hoffen
Freudig im Herzen bewegt,
Schaut nun mein Auge nach oben!
Freundliche Gewohnheit,
Über sich suchen,
Was das All füllt
Und den einzelnen Busen
Gleich allmächtig bewegt!
Und – siehe da –
Zur selbigen Stunde
Kehrte unten
Siegreich der Kämpfende heim!«
Sie hatte geendet. Der begeisterte Ausdruck, der während des Rezitierens in immer höherem Maße ihr Angesicht verklärt hatte, so daß es schien, als wüchsen ihr Flügel, sie von der Erde zu erheben, war gewichen. Erschöpft sank sie auf einen neben ihr stehenden Stuhl und bedeckte einen Augenblick das[315] Gesicht mit beiden Händen, als wollte sie nicht zu schnell in die sie umgebende Wirklichkeit zurück. Das Publikum spendete zwar Beifall, war aber verwundert und kühler wie sonst, denn es verstand nicht recht, was der Dichterin bei diesem Bild vorgeschwebt haben mochte. Raden und der Professor sahen sich betroffen an, und Raden sagte: »Die Liebe hat sie zur Prophetin gemacht; Gott gebe, daß sie recht behalte.«
»Das arme Kind!« versetzte der Professor; »ja, diese Eingebung konnte nur aus einem tief bewegten Herzen kommen. Da stehen wir nun zwischen zwei Klippen, deren eine jede gefahrbringend ist, die eine für ihn, die andere für dies unschuldige, liebe Wesen. Was sollen wir tun?«
»Zunächst zu ihr gehen und ihr warme Sympathie zeigen,« erwiderte Raden und schritt auf Rosa zu. Der Professor folgte ihm. Die Dame des Hauses war inzwischen schon zu ihr gegangen, besorgt, daß sie sich zu sehr angestrengt habe und sich unwohl fühle, aber Rosa hatte sich gewaltsam gefaßt, versichert, sie sei nur ein wenig müde und ziehe es vor, gleich nach Hause zu gehen, um zu ruhen. Sie verabschiedete sich von der Dame, als Raden und Holberg zu ihr traten. Raden bot ihr den Arm, sie hinauszuführen, und sagte: »Ihre Improvisation hat mich wunderbar ergriffen! Es war, als ob Ihnen ein besonderes Schicksal, etwas Erlebtes, vorschwebte.« Er sah sie an und bemerkte, wie es in ihren Augen feucht wurde; sie schlug sie nieder und sagte leise, mit etwas zitternder Stimme: »Ich weiß nicht mehr, was ich sagte; es geht mir ja immer so: die Eingebung kommt und nachher ist das Bewußtsein davon verschwunden. Nie kann ich eine Improvisation aufschreiben.«
»Aber Ihr reines Gebet wird gewiß zum Schutze des in Versuchung Geratenen werden,« flüsterte Raden und drückte die kleine Hand, die sie ihm zum Abschied reichte, mit warmem Gefühl. Sie sah ihn an, ein zartes Erröten überflog ihr bleiches Gesicht; sie fühlte sich erraten, aber das reine Wohlwollen, das aus Radens Zügen sprach, beruhigte sie, und ihr Blick gab ihm die stumme Antwort des Vertrauens. »Soll[316] ich dem Prinzen einen Gruß bringen?« fragte er leise. Sie neigte bejahend ihr Haupt und eilte mit ihrer Begleiterin, den Wagen zu besteigen.
»Da bereitet sich ein Drama vor,« dachte Raden, als er ihr nachsah; »gebe der Himmel, daß dieses liebe Wesen nicht das Opfer sei!«
Am anderen Morgen früh, noch ehe der Prinz sich entschlossen hatte, seine Begleiter zu begrüßen, brachte ihm der Kammerdiener einen Brief, den ein junger Bursch gebracht habe, ohne sagen zu können, woher er komme, aber mit der Weisung, ihn nur in des Prinzen eigene Hände abzugeben. Waldemar zuckte zusammen, als er die Aufschrift sah, dann aber, sich schnell fassend, sagte er: »Schon gut – ich weiß – es ist wegen einer Unterstützung« und winkte dem Kammerdiener zu gehen.
Allein, öffnete der Prinz hastig den Brief und las:
»Seele meiner Seele! Holdes, kaum gefundenes Glück!
Du hattest mich eben verlassen, als der Herzog in mein Zimmer trat. Er war unvermutet am Abend angekommen, hatte gehört, daß Du bei mir seist und befohlen, mir seine Ankunft nicht zu melden, da er mich überraschen wolle. Noch saß ich versunken in dem Nachgenuß der erlebten Wonne, noch glühte mein Antlitz von dem Glück Deiner Nähe, und ihn ferne wähnend träumte ich von den kommenden Tagen, die uns noch selige Stunden bringen würden – da stand er plötzlich vor mir und seine durchdringenden Augen fest auf mich gerichtet, fragte er, wie es komme, daß ich so spät noch auf sei. Ich war im ersten Augenblick meiner Verwirrung nicht Herr geworden, aber als ich in seinen finsteren Zügen den Argwohn las, erhob ich mich stolz und sagte, ich habe Besuch gehabt. Zum erstenmal in unserer Ehe standen wir uns offen feindlich gegenüber; wir fühlten beide, daß die lang verschobene Krisis in unserem Leben gekommen sei, doch noch bezwang er sich und sagte mit jener heimtückischen Freundlichkeit, die[317] mir verhaßter ist als sein Zorn, er wünsche, daß ich in seiner Abwesenheit nicht junge Männer so spät allein empfange, da dies ein falsches Licht auf meinen Ruf werfen könne, den sein Name vor jedem Angriff schützen müsse. Darauf wollte er mir mit einer Umarmung nahen, ich aber, von einem Schauder ergriffen, stieß ihn zurück, eilte in mein Zimmer und verschloß die Tür. Hier sitze ich nun und schreibe Dir, damit es meine vertraute Zofe morgen früh durch ihren Liebhaber, einen zuverlässigen Burschen, Dir zustellen läßt. Wir dürfen uns morgen bei mir nicht sehen, so schwer es mir fällt, dem zu entsagen, aber ich muß ihm erst mit stolzer Fassung entgegentreten, seinen Argwohn zerstreuen und dann auf Mittel sinnen, seine Eifersucht zu täuschen. Morgen abend sehen wir uns bei der Marchesa Finora und finden wohl Gelegenheit, uns ein Wort zuzuflüstern, denn schon leb ich nicht mehr, wenn ich Dich nicht sehe, nicht höre, nicht nahe weiß. O, welch ein Leben wäre das, immer mit Dir vereint zu sein, von Deinen Lippen zugleich die Worte berauschender Poesie und das feurige Siegel der Liebe zu empfangen! Göttlicher Traum! Und kann er nicht wahr werden? Ist es nicht das Ziel, jedes Strebens, jedes Opfers wert? Fühlst Du wie ich, so werden wir es erreichen. Leb wohl, Licht meines Lebens, auf ewig Deine Giulia.«
Waldemar hielt das Blatt einen Augenblick lang in der Hand, während die heftigsten, widerstreitendsten Gefühle in ihm auf- und abwogten. Er sah sich plötzlich in eine Kette von Verwicklungen gezogen, die ihm keinen Ausweg übrig zu lassen schienen. Auf der einen Seite stand die entfachte Leidenschaft mit ihren Sophismen und mit dem Verlangen, der bedrängten Frau ein Retter und Beschützer zu sein; auf der anderen Seite erhob sich die Mahnung an seine Zukunft, an seine Stellung in der Welt, an die Pflichten, die sie ihm auferlegte und an seine bisher so hoch gehaltenen Ideale und schließlich der Widerwille, dem Herzog in dieser Weise als ein Schuldiger gegenüberzustehen. Endlich mußte er sich aber doch, obgleich mit sich selbst uneins und von den widerstreitenden[318] Gefühlen bewegt, entschließen, sich zu seinen Gefährten zu begeben.
Diese hatten sich das Wort gegeben, so unbefangen wie immer zu scheinen und nur im stillen zu beobachten, um womöglich Schlimmes zu verhüten. Raden ergriff sogleich das Wort in natürlichster Weise und erzählte von dem vorigen Abend und der Improvisation Rosas. Als er den Inhalt wiederzugeben versuchte, überflog ein helles Rot das Angesicht des Prinzen, und er fiel schnell dem Erzähler ins Wort, wie um seine Verlegenheit zu verbergen, und sagte: »Ja, es ist eine seltsame Begabung, dies Talent der Improvisation! Es muß doch dabei eigentlich aus dem Nichts geschaffen werden; hätte man zum Beispiel einen Abend auf dem Lande erlebt, so wäre die Situation dagewesen, und aus ihr heraus hätte sich dichterischer Inhalt entsponnen. So aber, im Augenblick auf ein bloßes Wort hin eine ganze Situation zu erschaffen und zu beleben, dazu gehört eine Schnelligkeit der Erfindung und eine Beherrschung der Form, die eine ganz besondere Anlage der Verstandesfähigkeiten voraussetzt. Daß wir diese Begabung so viel mehr im Süden finden als im Norden, mag wohl seinen Grund darin haben, daß hier die Natur, wie in ihrer äußeren Erscheinung, so auch im Menschen, eine raschere Tätigkeit bekundet. Gerade wie hier alles schnell ins Leben drängt, wie jeder Sonnenstrahl alsbald Knospen weckt, wie die erste Frühlingswärme gleich schwellendes Leben aus jeder Steinritze hervorruft, so mag auch der geistige Schaffenstrieb hier eine viel schnellere Betätigung besitzen; und was den Rhythmus betrifft, so ist er im Süden gewiß angeboren, wie es mir schon die rhythmischen Tänze zu beweisen scheinen, die so ganz anders als im Norden in den Bewegungen des ganzen Körpers die angeborene Freude am Rhythmus beweisen, dessen Ausdruck sie sind.«
»Ja, das ist gewiß so,« sagte der Professor, »und dabei stehen ihnen so viel mannigfaltigere Vorstellungen zu Gebote wie dem Nordländer, was Naturszenen betrifft, und mit ihren lyrischen Empfindungen mag es auch einen rascheren Verlauf[319] haben, wie es die Aufwallungen ihres feurigen Temperaments im Zorn sowohl wie in der Liebe beweisen.«
»Aber dafür kennen sie die Sehnsucht und die weicheren Gefühlstöne nicht,« bemerkte Raden, »und das ist eben so seltsam bei unserer Improvisatrice, daß sie die auch hat, und zwar besonders hat noch über den anderen.«
»Nun, ihr Vater war ein Deutscher,« versetzte der Prinz, »und dazu kommt ihre große Jugend und ihr reines, noch von keiner Leidenschaft berührtes Gemüt.«
»Ach, möge es ihr doch so bleiben,« meinte Raden; »mir kommt sie vor wie eine zarte Blüte, die der Sturm der Leidenschaft knicken würde, wenn er sie ergriffe. Übrigens hofft sie bestimmt auf Ihren Besuch, Prinz; ich habe ihn ihr verheißen.«
»Ja, ich werde hingehen,« sagte Waldemar, dem es lieb war, seinen Gefährten zu entgehen und die Zeit, die er nicht bei Giulia verbringen konnte, mit etwas auszufüllen, was ihn von den quälenden Gedanken, die sich in ihm jagten, befreien könnte.
Rosa saß traurig in ihrem Zimmer und fragte sich selbst, warum ihr plötzlich das Leben so öde und freudlos schien und was das sehnsuchtsvolle Weh sei, das an ihrem Herzen nagte. Vergebens wollte sie sich einreden, es sei nur die Sorge um des Prinzen Wohl, daß er sich nicht in eine unheilvolle Leidenschaft verstricke, seinen hohen Idealen untreu werde – sie mußte sich endlich gestehen, es sei auch ein persönliches Gefühl dabei, die Sehnsucht nach seiner Gegenwart sei nur die Verkündigerin der Liebe, die in ihrem Herzen wie eine Blüte der Poesie aufgekeimt war und ihr jetzt erst an dem Weh, das sie fühlte, zur Erkenntnis kam. Ihre Begleiterin war ausgegangen, sie hatte versucht, sich durch Arbeit zu zerstreuen, aber unwillkürlich hatte sie wieder nach des Prinzen Gedichten gegriffen und las ein Blatt nach dem anderen mit solch zärtlicher Aufmerksamkeit, als hätte sie sie noch nie gelesen,[320] und doch kannte sie sie beinahe auswendig. Da klopfte es an die Tür und in der Meinung, daß es Vittoria sei, rief sie »Herein!« ohne nur den Kopf zu bewegen, da sie schnell die losen Blätter wieder in die Mappe legen wollte. Mit einem kurzen Aufschrei aber fuhr sie empor, als sie den Prinzen neben sich erblickte. Ein süßer Schreck durchbebte ihre Gestalt und hohe Purpurröte übergoß ihre Wangen.
»Ich habe Sie erschreckt, liebes Kind,« sagte Waldemar freundlich und reichte ihr die Hand, »ich wollte Ihnen nur sagen, wie leid es mir getan hat, Ihre Improvisation gestern nicht gehört zu haben.«
Rosas Hand zitterte in der des Prinzen, aber in ihrem Herzen wurde es wieder selig helle, denn wie er da vor ihr stand mit dem tiefen liebevollen Blick der schönen blauen Augen und dem freundlichen Lächeln eines unschuldigen Kindes, da wußte sie wieder, er sei das Ideal alles männlich Edlen und der volle Glaube an ihn kehrte siegend in ihr Gemüt zurück.
»Setzen wir uns ein wenig draußen auf die Veranda,« sagte er, »da ist's schön kühl und liebliche Frühlingsluft, da läßt sich's besser plaudern.« Und immer ihre Hand haltend, zog er sie mit sich auf die Veranda, eine Galerie, die im Innern des Hauses, in echt altrömischer Weise, um den viereckigen Hof herumlief und auf welche die Türen der Wohnung hinausgingen. Unten im Hof war ein Brunnen aus einem antiken Sarkophag gebildet: aus einem marmornen Löwenkopf rann plätschernd das Wasser und verbreitete liebliche Frische, die von dem mit großen Quadern gepflasterten Boden des Hofes nach oben drang. Neben dem Brunnen stand ein Orangenbaum, dessen Blüten süßen Duft ausströmten. An der Veranda zogen sich Schlingpflanzen hinauf und hingen in langen Kränzen von dem Geflecht, das das Dach derselben bildete, hernieder. Einige Blumentöpfe standen umher, in denen rote Nelken, die vorzugsweise gepflegte Blume der römischen Mädchen aus dem Volke, wuchsen, und zwischen ihnen standen Stühle, die Rosa dort hingebracht hatte, weil sie gern dort saß und arbeitete. Auch Waldemar[321] kannte den Platz schon gut, der ihn, seines echt römischen Charakters und seiner primitiven, sympathischen Einfachheit und Ruhe wegen, sehr anlockte. Allen konventionellen Zwang hatte er längst im Umgang mit Rosa abgelegt; er war ein liebenswürdiger, natürlicher Mensch im Verkehr mit diesem holden, einfachen Wesen und beiden entschwand stets, wenn sie zusammen waren, der Gedanke an die weite Kluft, die sie in der Welt trennte. Sie setzten sich vertraulich wie immer nebeneinander und in der Stille dieses sympathischen Raumes, die nur durch das Plätschern des Wassers im Brunnen unterbrochen wurde, ward es ihnen beiden wieder innig wohl. Rosa war aufs neue ganz Glaube, ganz Vertrauen. Die Welt, die ihr noch kurz vorher so öde und kalt erschienen, war nun erfüllt von dem Glanz, den des Geliebten Gegenwart über alles verbreitete. Wer, der je geliebt hat, wüßte es nicht, daß die Liebe den engsten Raum zum Tempel weitet, daß jede große Liebe in dem einen alles liebt, was atmet, lebt und leidet, daß in solchen Augenblicken keine andere Furcht mehr im Herzen ist als die um die Vergänglichkeit des Daseins und daß man zum Augenblick sagen möchte: »Verweile doch, du bist so schön.«
Die Fülle der Ewigkeit ist im Herzen und der Schmerz liegt nur darin, daß die entfliehende Zeit uns mahnt, daß wir im Bereich des Endlichen weilen. »Sagen Sie mir, liebe Freundin,« bemerkte Waldemar endlich nach längerem, heiterem Geplauder, »was hat Sie gestern zu der eigentümlichen Improvisation gebracht, von der mir Raden erzählte? Wie ist Ihnen das Bild erstanden, zu dem das gegebene Thema doch keine direkte Veranlassung bot?« Rosa schlug die Augen nieder und sagte mit sichtbarer Bewegung: »Ich weiß ja nie, wie das kommt, ich erinnere mich kaum an etwas davon, nur daß mir plötzlich das Bild eines Abends bei einem Landhaus in Florenz auftauchte, aber was sich sonst noch darein gemischt hat ...«
»Bezog sich das auf dort Erlebtes?« fragte Waldemar.
»Nein, nein,« sagte sie hastig und erschrak dann, daß sie[322] diesmal verraten hatte, sich des Gesagten zu erinnern. »Ich weiß nicht recht, was mir da dazwischen gekommen ist,« fuhr sie fort und errötete, weil es nicht die Wahrheit war; »ich glaube aber an die Intuition,« setzte sie hinzu. »Ich glaube, daß in manchen Seelen, die ein sehr bewegtes inneres Leben haben, es Augenblicke gibt, wo es ist, als ob ein Schleier zerrisse und sich etwas zeige, was in Wirklichkeit noch gar nicht da ist, was aber unfehlbar kommt, und das wirkt dann ebenso, als wär es schon da, regt Stürme im Herzen auf oder Fluten des Mitleids, der Sehnsucht, zu helfen, zu retten« – sie hielt inne in tiefster Erregung und Verwirrung, so viel gesagt zu haben. Angstvoll sah sie zu Waldemar auf und fragte: »Sie lächeln wohl über mich, halten mich für eine Schwärmerin, nennen das Aberglauben ...«
»Nein, gewiß nicht, meine liebe, holde Freundin,« sagte er gerührt und ergriff ihre Hand; »auch ich glaube an diese ungeklärte Geisterwelt, in der magnetische Strömungen Dinge möglich machen, innere Erlebnisse, die der Rationalist in das Bereich wesenloser Träume verweist. Aber ich hoffe, Ihre Vision wird in Erfüllung gehen und Ihr Gebet wird dem in Versuchung Geratenen den Sieg erflehen.«
Durch seine Stimme klang ein tiefer, innerlichster Ton. Rosa erhob die Augen zu ihm und aus ihnen brach ein solches Leuchten reinster Begeisterung, heiligsten Glaubens, daß Waldemar in dem Augenblick sich jedes Opfers fähig fühlte und ganz wieder er selbst war: der den höchsten Idealen zustrebende Mensch.
Wie ein schriller Mißton ertönte da eben die Stimme der Signora Amadei, die, zurückgekehrt, die Zimmer leer gefunden hatte und Rosas Namen rief. Waldemar erhob sich rasch und sagte: »Nein, jetzt keine Berührung mit der Vulgarität,« beugte sich zu Rosa nieder, küßte sie sanft auf die Stirn und entfernte sich raschen Schrittes, ehe die Amadei heraustrat. Rosa saß mit auf den Knien gefalteten Händen wie träumend da. Ihr war, als hätten lichte Wolken sie emporgetragen, als zöge sie fernen Eilanden voll Seligkeit zu, in[323] denen die Liebe, losgebunden von irdischem Verlangen, wie ein himmlischer Tau das Herz tränkt und zur Vollendung leitet.
Wie von einem giftigen Schlangenbiß berührt, fuhr sie aber auf, als die Amadei neben ihr stand und mit bedeutungsvollem Lächeln sagte: »So, so, hier find ich mein Täubchen? Wer ging denn eben weg? Was für ein Stelldichein habe ich da gestört? Bedaure, mein Herzchen! Aber ich sehe, die Sache geht ihren Gang, die Besuche werden immer vertraulicher! Schon gut, schon gut! Bravo, Liebchen, du hast Glück!« Rosa warf ihr einen Blick voll unsäglichen Widerwillens zu und ging, ohne ein Wort zu erwidern, an ihr vorüber in ihr Zimmer.
Am Abend war die von der Herzogin erwähnte Gesellschaft bei einer der vornehmen Damen Roms, wo sich wieder alles zusammenfand, was die römische Gesellschaft der Epoche an Geist, Bedeutung, Liebenswürdigkeit und Grazie vereinte.
Auch Rosa war wieder eingeladen, denn es war so sehr Mode geworden, sie improvisieren zu hören, daß sich beinahe keine gesellige Zusammenkunft mehr denken ließ, bei der sie nicht gegenwärtig gewesen wäre. Der Nachklang der seligen Morgenstunde verklärte sie am Abend mit besonderem Liebreiz, und als Prinz Waldemar mit seinen Gefährten eintrat und sie mit freundlich strahlendem Blick grüßte, während die Dame des Hauses und andere Bekannte ihn in Anspruch nahmen, da fühlte sie, wie es in ihr wogte von dichterischem Können und wie die Begeisterung in ihr die Flügel schwang, um sie in das Reich der Poesie zu tragen.
Jetzt erschien auch die Herzogin, in Schönheit strahlend wie eine Göttin, am Arm ihres Gemahls. Es lag ein besonderer Glanz auf ihrem Angesicht, eine stolze Überlegenheit und anscheinend tiefe Ruhe; aber wer schärfer beobachtete, konnte sehen, wie in den dunklen Glutaugen ein mehr als gewöhnliches Feuer brannte und wie sie suchend umherschweiften,[324] während sie huldvoll die Begrüßungen erwiderte, die sich ihr entgegendrängten. Endlich nahte sich auch Waldemar mit erzwungener Fassung, sie und den Herzog zu begrüßen, der nicht von ihrer Seite wich. Ein kurzes Aufleuchten in Giulias Blicken sagte ihm ihren wahren Gruß, während sie sich kühl und förmlich vor ihm verbeugte.
Der Herzog knüpfte alsbald ein Gespräch mit dem Prinzen an und setzte es mit dem größten Eifer fort, so daß Waldemar gezwungen war, bei ihm zu verweilen, wiewohl er sich in der peinlichsten Stimmung ihm gegenüber befand und schon wieder unter dem Bann der unwiderstehlichen Schönheit Giulias ungeduldig danach verlangte, ein paar vertraute Worte mit ihr wechseln zu können. Sie aber vermied ihn offenbar, entfernte sich immer weiter von dem Ort, wo er mit dem Herzog stand, plauderte, scherzte und lachte mit anderen Bekannten und schien in der heitersten und unbefangensten Stimmung. Die Augen des Herzogs folgten ihr, während er mit dem Prinzen sprach und richteten sich dann wieder forschend auf diesen, was dessen peinlichen Zustand noch vermehrte.
Inzwischen hatte sich Giulia mit dem Kardinal in ein Gespräch eingelassen, das, wie immer zwischen ihnen, in einem Kreuzfeuer mutwilliger, geistvoller Scherze bestand. Endlich sagte die Herzogin, deren Blicke inzwischen am fernen Ende des Saales den Herzog mit dem Prinzen auf demselben Fleck gefunden hatten: »O, Eminenz, seinen Sie so überaus gütig und erlösen Sie den unglücklichen deutschen Prinzen aus der Gefangenschaft, in der ihn Camillo hält. Sie wissen, wenn der Herzog anfängt, über Pferde, Jagd oder derlei interessante Gegenstände zu sprechen, ist kein Ende abzusehen. Der junge Mann steht da, wie ein armer Sünder vor dem Beichtstuhl.«
»Er hatte vielleicht auch einiges an Don Camillo zu beichten und Absolution von ihm zu erbitten,« versetzte der Kardinal, indem er die schöne Frau mit bedeutungsvollem Lächeln ansah.
»Nun, dann lieber von Ihnen. Sie würden sie ihm gewiß nicht verweigern; nicht so, Eminenz?« erwiderte Donna[325] Giulia, indem sie auch den Kardinal voll bezaubernder Anmut, gemischt mit feinster Ironie, ansah.
»Ja, wenn das Vergehen nicht gegen das zehnte Gebot verstößt,« sagte der Kardinal und schüttelte mit scheinbarem Bedenken, aber innerlich voll Mutwillen, den Kopf.
»O, Eminenz, was für ein Gedanke!« rief die Herzogin, die ein wenig errötete und etwas rascher mit dem Fächer spielte. »Nun aber wirklich, ich bitte jetzt um Erlösung für den armen Gefangenen.«
»Ah! Dann muß ich ihn ja wohl in eine andere, freilich süßere Gefangenschaft führen,« versetzte der Kardinal, indem er wie voll Ergebung seufzte und nach einem lächelnden Seitenblick auf die Herzogin, den diese ebenso erwiderte, sich auf den Weg machte, um jenes Zwiegespräch zu unterbrechen.
Inzwischen hatten die Blicke der Herzogin Rosa entdeckt, und längst des kleinen Anflugs von Eifersucht nicht mehr gedenkend, ging sie in der seligen Gewißheit ihres Sieges auf diese zu und sagte voll Herzlichkeit: »Sieh da, die junge Dichterin! Ich habe Sie schon lange nicht mehr gesehen, denn ich war abwesend von Rom. Ich höre aber, wie sehr man Sie bewundert, alle Welt ist in Sie verliebt – in Ihre Anmut ebenso wie in Ihr Talent. Sie haben eine Legion Anbeter, mein Kind! Nun, und Sie? Ist Ihnen die Liebe noch ein Rätsel oder hat das kleine Herz seine Offenbarung gehabt?«
Sie sah Rosa mit ihrem reizend schelmischen Lächeln an. Diese, zuerst hingerissen von dem Zauber, den die Schönheit und Grazie Giulias auch auf Frauen übte, wurde bei dem direkten Angriff auf ihr heiligstes Geheimnis so betroffen, so verletzt, daß sie keine Antwort fand, zu Boden blickte, erst errötete, dann erbleichte.
»Nun, nun, mein Kind,« sagte die Herzogin lachend, »erschrecken Sie nicht, es ist ja keine Sünde! Sie hatten es damals noch nicht erfahren, und wenn die Flammensprache der Liebe Sie nun belehrt hat, so ist das ja ganz natürlich und das Schicksal jedes Herzens. Ah, Baron von Raden!« rief[326] sie diesem, der sich eben nahte, um sie zu begrüßen, entgegen: »Helfen Sie mir doch, von dieser unserer holden Muse zu erfahren, ob sie noch immer derselben Ansicht über die Liebe ist, wie sie es vor einigen Wochen war. Sie gehören ja auch zu ihren Anbetern; sehen Sie nur, wie hübsch sie ist!«
»Wie der Abendstern neben der Sonne,« versetzte Raden, indem er erst das Mädchen liebevoll und dann die Herzogin mit feuriger Bewunderung ansah.
»O, Baron, Ihr Vergleich hinkt!« rief die Herzogin in vollem Lachen; »wie kämen Abendstern und Sonne nebeneinander?«
»Ja, ich gestehe, ich habe mich etwas unastronomisch ausgedrückt,« erwiderte Raden, auch lachend; »aber die Schönheit wirkt solche Wunder, daß sie auch die Naturgesetze bisweilen aufhebt,« fügte er hinzu, indem er sich in glühender Bewunderung vor der Herzogin verbeugte.
»Da bringe ich den Gefangenen,« sagte der Kardinal, der eben mit dem Prinzen hinzutrat. »Don Camillo war gerade dabei, ihm einen Plan zur Austrocknung sumpfiger Strecken auf seinen Gütern zu entwickeln. Ich habe aber Seine Hoheit aus diesem Sumpf gerettet,« fügte er lachend hinzu, »und nun überliefere ich sie der schöneren Hälfte Don Camillos, die die ausgetrockneten Sümpfe mit Blumen überpflanzt.«
»Der Kardinal und ich haben Sie bedauert, Hoheit,« sagte Giulia und richtete die leuchtenden Augen auf ihn; »mein Mann ist furchtbar, wenn er auf seine Lieblingsthemen gerät.«
»O, ich lasse mich gern belehren,« meinte Waldemar, obwohl er innerlich frohlockte, der peinlichen Unterhaltung entflohen zu sein.
Die Dame des Hauses erschien in dem Augenblick und bat die Herzogin, den Kardinal und den Prinzen, auf drei großen, eigens für sie bestimmten Lehnstühlen Platz zu nehmen. Dann sich zu Rosa wendend, die stumm und ernst dem ganzen Vorgang beigewohnt hatte, ersuchte sie diese, jetzt die Versammelten mit ihrem Talent zu erfreuen. Rosa war so erregt und[327] verletzt durch die Reden der Herzogin, so schmerzlich betroffen, den Prinzen wieder in der gefährlichen Nähe zu sehen, daß sie fürchtete, nicht improvisieren zu können. Die Dame aber wollte nichts davon wissen, da sie ihre Gesellschaft auf diesen Genuß hin eingeladen habe, und Rosa fügte sich mit schwerem Herzen und sagte sich mit bitterer Empfindung, daß sie nur deshalb hier sei und den Frondienst des Talents vollziehen müsse. Ein Seitenblick zeigte ihr den Prinzen an der Seite der Herzogin sitzend, an deren anderer Seite sich der Kardinal befand. Sie sah, wie die Herzogin, von einem Feuer erglühend, das ihre Schönheit fast überwältigend machte, ihre Nachbarn offenbar durch ihren Zauber beherrschte, was sich bei dem Kardinal durch sein feines, befriedigtes Lächeln ohne Ironie, bei dem Prinzen durch eine nicht zu verkennende, alles andere vergessende Hingerissenheit kundgab. Schmerzlich zuckte es durch Rosas herz und es war ihr, als müsse sie sterben, während man die Papierstreifen herumreichte, auf denen ihr Themen aufgeschrieben werden sollten. Der Herzog hatte sich jetzt auch genähert und neben dem Kardinal Platz genommen; scheinbar teilnehmend an der lebhaften Unterhaltung, deren Seele seine Frau war, hatte er sich dieser ganz zugewendet, so daß er zugleich sie und den Prinzen unverwandt im Auge hatte und jede ihrer Bewegungen beobachten konnte. Jetzt kam man, um der Gruppe Papierstreifen zum Schreiben anzubieten. Der Herzog wies diese mit einer Handbewegung zurück; der Kardinal wollte das gleiche tun, aber die Herzogin rief:
»Nein, Eminenz, Sie müssen etwas Schönes für unsere kleine Muse schreiben. Sie sind ja auf dem Parnaß zu Hause und wissen, was sich für Musen paßt. Und Sie auch, Prinz, schreiben Sie, damit wir jedenfalls etwas recht Schönes zu hören bekommen. So,« fuhr sie lebhaft fort und nahm den beschriebenen Zettel aus des Kardinals Händen: »hier ist die Aufgabe der Eminenz, nehmen Sie sie, bitte, Prinz, und tragen Sie sie mit der Ihren zu der Improvisatrice hin; hoffentlich zieht sie eine der beiden.« Sie beugte sich bei diesen[328] Worten etwas vor nach dem Prinzen hin, so daß ihr Gemahl weder ihre Hand, die das Papier gab, noch ihr Gesicht sehen konnte; der Prinz aber fühlte ein doppeltes Papier in seiner Hand und zugleich sagten ihm ihre flüsternden Lippen: »Für dich.«
Waldemar erhob sich bestürzt und verwirrt, an solches Tun nicht gewöhnt. Er wußte, daß die durchbohrenden Augen Don Camillos jeder seiner Bewegungen folgten, und die Papiere in der Hand zusammenpressend, ging er auf den Tisch zu, an dem Rosa stand, um die Zettel in die Schale zu werfen. Rosa sah ihn kommen; ihr Herz klopfte so heftig, daß es ihr fast den Atem benahm und als er vor ihr stand, sah sie ihn mit einem so traurigen, so vorwurfsvollen Blick an, daß Waldemar von einem Gefühl der Reue, der Beschämung ergriffen ward und, augenblicklich wieder die Stimme seines besseren Selbst, die stets durch sie erklang, hörend, ganz vergaß, die Papiere zu trennen, sie achtlos in die Schale fallen ließ, während er sich etwas zu Rosa niederbeugte und flüsterte: »Mein Schutzgeist, wachen Sie über mir.«
Ein seliges Lächeln flog über Rosas Züge und der Ausdruck von Trauer schwand. Rasch ergriff sie eine Blüte von den Blumen, mit denen man ihren Tisch geschmückt hatte, reichte sie ihm und flüsterte ebenfalls: »Ein Talisman!« Er nahm die Blüte, drückte sie an seine Lippen, und eine Sekunde ruhten ihre Blicke verloren ineinander. Das alles ging so schnell vor sich, daß niemand den kleinen Vorgang bemerkt hatte. Dann sah Waldemar Holberg und Raden, die fern von der Herzogin nebeneinander Platz genommen hatten, und ohne sich nach der Seite, wo Giulia saß, umzuwenden, ging er auf seine Kavaliere zu und setzte sich zu ihnen. Rosas Herz jubelte; sie griff voll Freude in die Schale, um ein Papier zu ziehen, entfaltete eines und las: »Bleibe mir fern heut abend, der Herzog beobachtet uns; morgen früh erhältst du Botschaft.« Betroffen bis ins Herz hinein, das sich krampfhaft in physischem Schmerz zusammenzog, starrte sie das Blättchen an; es mußte Waldemars Hand entfallen sein[329] und es ward ihr alsbald klar, woher es gekommen. Sie verbarg es schnell unter den Blumen, nahm das nächstliegende und las: »Der Schutzgeist.« Es war Waldemars Handschrift. Was in ihrer Seele vorging, sie hätte es selbst kaum sagen können. Es gibt solche Augenblicke im Leben, wo das Herz sich plötzlich mündig fühlt, wo das sanfteste Wesen zum Heldentum erstarkt, wo eine zwingende Kraft aus den Tiefen der Seele heraufsteigt, die unser Tun bestimmt und unser Schicksal wird. So fühlte Rosa mit einemmal, daß sie die heilige Aufgabe habe: den Jüngling, in dem sich ihr das Ideal zum erstenmal verkörperte, das ihre Seele von früh auf wie eine lichte Ahnung in sich getragen hatte, zu retten, den Kampf um ihn aufzunehmen mit einer gefährlichen, ihr bis jetzt überlegenen Macht, in Wahrheit sein Schutzgeist zu sein, nicht um ihrer selbst willen – nein, sie dachte nicht an sich – um seinetwillen, um keinen Flecken auf dem reinen Bilde zu sehen, als das er ihr erschien. Das alles ging mit Blitzesschnelle durch ihren Sinn, und während sie es noch wenige Augenblicke vorher wie eine fast unüberwindliche Pein empfunden hatte, improvisieren zu müssen, drängten sich nun die Worte auf ihre Lippen, als spräche sie mit ihrer eigenen Seele und als wäre keiner da, sie zu hören. Er selbst hatte ihr ja das Thema gegeben, sie dazu aufgerufen und mit einer Energie, wie sie sie nie gefühlt, begann sie:
»Ich rette dich, und wär's in Sturmeswüten
Auf wildem Meer.
Richt soll mein Mut, nicht soll mein Arm ermüden,
Dir Schutz und Wehr.
Ich rette dich, und hüllten sich die Sterne
In grause Nacht,
Mein Herz errät es, was dir droht von ferne,
Hält liebend Wacht.
Ich rette dich, und bärg' sich unter Rosen
Die Schlange dicht,
Und ahntest du, im schmeichlerischen Kosen
Den Gifthauch nicht.
[330]
Ich rette dich, ob du dich selbst verlassen
Im dunklen Wahn,
Und noch vom Abgrund führ' ich im Umfassen
Dich himmelan.«
Als sie schwieg, rief erst der laute Beifall, den man ihr zu spenden gewohnt war, sie zum Bewußtsein der Welt, in der sie sich befand, zurück. Aber es berührte sie kaum; sie kam sich wie losgelöst vom Leben vor, denn sie sah nur ein ganz unpersönliches Ziel vor Augen und es war ihr, als würde dann alles zu Ende sein, was sie auf Erden zu tun habe.
»Sonderbare Auffassungen hat dieses junge Mädchen,« sagte die Herzogin zum Kardinal; »aber sie hat Begabung und es ist ein Hauch von Begeisterung in ihr, der mich anzieht. Auch ist sie sehr hübsch und voller Grazie; findest du nicht, Camillo?« setzte sie hinzu, sich an ihren Gemahl wendend und nachlässig mit ihrem Fächer spielend, innerlich aber belustigt, daß seine Eifersucht eine Niederlage erlitten hatte; denn sie hielt des Prinzen Entfernung für eine Folge ihrer geschriebenen Worte.
»Ja, in der Tat, auffallend hübsch; mehr als das: reizend,« versetzte Don Camillo mit einem höhnischen Lächeln um die dünnen Lippen; »unsere Männerwelt ist ja auch ganz toll verliebt in sie, die Einheimischen und die Fremden. Unter anderem sagt man, daß Seine Durchlaucht Prinz Waldemar ihr in aller Form den Hof macht und sie stundenlang besucht.« Er streifte seine Frau mit einem flüchtigen Blick und sah, er hatte richtig getroffen. Trotz ihrer Selbstbeherrschung konnten die Züge der Herzogin im ersten Augenblick den Eindruck nicht verbergen, den diese Worte auf sie machten; sie fand kein Wort der Erwiderung und nur der Busen, der sich rascher hob und senkte, verriet, wie heftig es in ihr aufbrauste. Der Kardinal, zwischen den Gatten sitzend, verstand sehr wohl, was die kleine Szene zu bedeuten hatte und beeilte sich, begütigend einzuschreiten. »Der Prinz ist ein Freund der Dichtkunst,« sagte er, »und da wird ihn wohl diese Begabung, die auch für einen Nordländer eher neu sein mag, interessieren.[331] Sonst scheint er aber ein junger Mann von strengen Grundsätzen zu sein und ist von seiner sehr frommen Mutter in den Lehren der alleinseligmachenden Kirche erzogen.«
Waldemar war inzwischen zu Rosa getreten, offenbar in peinlicher Verlegenheit, und während diese noch sich zu den andrängenden Personen, die ihr huldigten, wenden mußte, wühlte er mit der Hand in den beschriebenen Papierstreifen in der Schale, scheinbar wie gleichgültig einen nach dem anderen hervorziehend und lesend und wieder hinwerfend, jedoch mit großer Unruhe auf dem Gesicht. Endlich wurde Rosa frei und sagte auf deutsch, damit keiner der Umstehenden es verstehe: »Sie suchen etwas, Prinz?«
»Ja, in der Tat,« erwiderte er verlegen und zögernd, »ich glaube, ich habe vorhin ein Papier hier hineinfallen lassen, das nicht hierfür bestimmt war – eine flüchtige Notiz ...«
Er vollendete nicht, sondern errötete. Rosa zog das Papier unter den Blumen hervor, hielt es ihm hin und sagte ernst: »Hier ist es; es war das erste, das ich zog.«
»Sie haben es gelesen?« fragte er, und sein Auge blitzte.
»Ja,« sagte sie fest, »ich glaubte, es sei eine Aufgabe für mich, für Ihren Schutzgeist,« setzte sie leise hinzu; »Sie haben mich ja dazu ernannt.«
»Und Sie haben es ebenso energisch gesagt, daß Sie mich retten wollen, sogar vor mir selbst,« sagte er fast spöttisch, wie um seinem gereizten Gefühl vor sich selbst recht zu geben.
Sie sah ihn an mit jenem ernsten, tiefen Blick, der immer sein Innerstes traf. Er reichte ihr gerührt die Hand und sagte: »Gute Nacht, Rosa; ich weiß es, Sie würden mich retten, wenn ich in Gefahr wäre, und ich würde Sie dann rufen. Aber ich bin es noch nicht, seien Sie unbesorgt.«
Freundlich grüßend, wendete er sich nach der Seite, wo die Herzogin gesessen hatte. Sie, ihr Gemahl und der Kardinal waren verschwunden, hatten bereits die Gesellschaft verlassen; Giulia hatte selbst den Herzog gebeten, nach Hause zurückzukehren, indem sie vorgab, müde zu sein, und so hatte[332] sie auch das längere Verweilen des Prinzen bei Rosa nicht bemerkt.
Wenn die Menschen, die in glänzenden Toiletten, in eleganten Räumen sich zu geselligen Vergnügungen zusammenfinden, immer wüßten, wieviele intime Dramen sich in dieser bunten Menge abspielen, wieviel Unruhe, Neid, Leidenschaft und Schuld, wieviel gekränkte Liebe und enttäuschtes Hoffen sich unter der Maske geselliger Liebenswürdigkeit und heiteren Frohsinns verbergen, sie würden vielleicht manchmal erschrecken über die Frivolität dieser sogenannten »großen Welt«, dieses sogenannten »guten Tones«, dieser mit oft unwürdigen Opfern erstrebten Eleganz und erzwungenen Heiterkeit. So kehrten auch an jenem Abend die Personen, mit denen wir uns beschäftigen, äußerlich so glänzend, liebenswürdig, heiter, von dem Fest in der innerlich erregtesten, von den verschiedenartigsten Empfindungen bewegten Stimmung zurück, und keine von ihnen fand in der Nacht die Ruhe des Schlafes.
Rosa war nicht die mindest bewegte; sie war noch so reinen Herzens, so unerfahren in der Welt, daß ihr die Beziehung der Herzogin zu dem Prinzen wie etwas Ungeheuerliches, Unerhörtes, wie eine dunkle Gefahr, die ihm drohte, erschien. Sie fühlte sich berufen, ihn zu retten, zu schützen, und sie war dazu jetzt entschlossen, wenn auch der Zweifel, wie er sich zu der Leidenschaft, die ihm entgegengebracht wurde, verhalte, sie mit Bangen und quälender Ungewißheit erfüllte und sie oft mit Schmerz überwältigen wollte, so daß sie heiße Tränen in der Stille der Nacht in ihrem Bette weinte. Dann aber erhob sie sich wieder zu dem Ideal, das sie von ihm im Herzen trug und gelobte sich, dieses Ideal zu retten, koste es, was es wolle. Nur wie? Sie entschloß sich endlich, sich des Mittels zu bedienen, das ihr durch Vittorias Nachrichten gegeben war, vorerst alle Schritte der Herzogin in Beziehung auf den[333] Prinzen zu erkunden, indem sie hoffte, das weitere werde sich dann ergeben.
Früh am Morgen eilte sie zu Vittoria hinunter, die eben ihr Gewölbe mit frischen Erzeugnissen des Feldes und Gartens gefüllt hatte. Diese kam ihr mit frohem Morgengruß entgegen, blieb aber betroffen stehen, als sie auf Rosas bleiches Antlitz sah: »Liebe Signorina, was ist Ihnen?« rief sie aus, »haben Sie schlecht geschlafen, sind Sie krank, oder – ist Ihnen etwas Unangenehmes begegnet? Doch nicht gestern abend?«
»Ach, liebe Vittoria, sieh, ich hab niemand als dich, zu dem ich frei reden und alles sagen kann, was mein Herz bedrückt,« sagte Rosa; »du gibst mir Rat, du hilfst mir ...« Sie stockte.
»Ja, liebe, teure Signorina, alles, alles tue ich für Sie,« beteuerte die Römerin, »was in meinen geringen Kräften steht; aber was ist's, worin soll ich helfen?« setzte sie bekümmert hinzu, denn eine Ahnung sagte ihr schon, daß es sich um den Prinzen handle, der zu ihrem Kummer, wie sie längst durchschaut hatte, in Rosas Herzen lebte.
»Ach, Vittoria, du weißt – du selbst hast es mir gesagt ...« hub Rosa wieder an und stockte aufs neue, während Purpurglut ihr vorher so bleiches Gesicht überzog; »ja, jene schöne Frau – die Herzogin, sie wird ihn – den Prinzen meine ich – aus seiner Bahn reißen; sie redet ihn heimlich mit du an, sie sendet ihm heimliche Botschaft, sie warnt ihn vor ihres Mannes Argwohn.«
»Wie wissen Sie denn das, liebe Signorina?« fragte Vittoria angstvoll, denn sie sah an Rosas Erregtheit, wie nahe ihr die Sache ging.
Rosa erzählte nun den Vorgang mit dem Papierstreifen und wie der Prinz sie gebeten habe, sein Schutzgeist zu sein. »Und ich will und muß ihn retten,« setzte sie mit leidenschaftlicher Ekstase hinzu. »Hilf mir, gute Vittoria! Dein Bruder muß durch die Marietta erfahren, ob der Prinz wieder zu ihr kommt oder ob sie ihm schreibt ...«[334]
»Nun, das weiß ich schon,« sagte Vittoria, die dachte, es sei am klügsten, auf die Sache einzugehen, um Rosa vor unbedachten Schritten zu behüten und sie vielleicht auch so am ersten abzukühlen. »Als der Beppo gestern abend nach Hause kam, erzählte er mir, die Marietta habe ihm am Morgen – er läuft nämlich jeden Tag, wenn er früh zur Arbeit geht, am Palazzo vorüber, in der Hoffnung, seine Geliebte, wenn auch nur flüchtig, zu sehen – ein Briefchen gegeben, das er ganz geheim in das Hotel, wo der Prinz wohnt, habe tragen und dem Kammerdiener übergeben müssen, damit dieser es, wenn der Prinz allein sei, in dessen eigene Hände gebe. Und dann habe die Marietta erzählt, daß heftige Szenen zwischen dem Herzog und seiner Frau gewesen seien an dem Abend, als der Herzog von der Reise gekommen war und gehört habe, der Prinz sei bis spät bei der Herzogin gewesen.«
»Ah, Vittoria,« sagte Rosa und hielt sich erbebend an einem Stuhle, »dann ist es ja wohl schon schlimm.«
»Nein, nein – warum denn? Es ist ja hier so bei den vornehmen Damen, daß die Besuche spät kommen und lange bleiben,« versetzte Vittoria begütigend, obgleich sie anders dachte.
»Ja, aber Vittoria, heute morgen will sie ihm wieder Botschaft senden – wenn wir wissen könnten – ob Beppo wieder dort gewesen – ob die Marietta ihm etwas gesagt.«
»Nun, heute abend, wenn der Beppo nach Hause kommt, da erzählt er es mir schon,« versetzte Vittoria, die Rosa gern auf andere Gedanken gebracht hätte.
»Ach, bis heute abend – das ist so schrecklich lange,« seufzte Rosa, »bis dahin kann ihm Unheil drohen – ach, wenn ich wissen könnte, was sie ihm geschrieben – doch das ist unmöglich – könntest du die Marietta nicht sprechen, gute Vittoria?«
»Nein, Cara, das geht nicht; ich kenne die Marietta kaum, und sie würde sehr böse werden, wenn sie erführe, daß der Beppo hier erzählt, was sie ihm anvertraut. Wollen wir mehr wissen, müssen wir sehr vorsichtig sein.«[335]
»Ja, du hast recht, – aber könntest du nur den Beppo jetzt sprechen, vielleicht daß er etwas Wichtiges wüßte, wonach zu handeln nottäte; ich werde sonst den ganzen Tag in tödlicher Angst sein.«
»Nun, nun, Carissima,« sagte Vittoria, »was tut man Ihnen nicht zuliebe? Ich will sehen; wenn die Domenicunia hier neben etwas auf das Geschäft achten will, so lauf ich eben nach San Giuseppe hinauf, wo der Beppo arbeitet, und sehe zu, wie ich ihn zum Sprechen kriege und ob er was weiß.«
»Ach, liebe, gute Vittoria!« rief Rosa voll Freude und fiel der Gemüsehändlerin um den Hals. »Du bist wahrhaft gut; du hilfst nicht nur mit Worten, du handelst. Verständ' ich nur den Handel, ich wollte gern indes dir das Geschäft besorgen.«
»Ach, gute Signorina, das wär was Schönes, wenn man die gefeierte Künstlerin, der ganz Rom huldigt, plötzlich hier Gemüse verkaufen säh',« sagte Vittoria lachend, »und ich glaube, meine ganze Bottega würde in einer halben Stunde ausverkauft, alle die schönsten Herren von Rom würden kommen; ich weiß auch eigentlich gar nicht, warum Sie so an dem einen, dem Fremden, halten, wenn Sie doch die Wahl haben unter den besten Römern.«
»Ach, Vittoria, ich weiß es auch nicht, wie es kommt,« versetzte Rosa, in holder Scham erglühend, und schlug die Augen nieder. »Siehst du, die sind mir alle so gleichgültig, so fern, keiner wandelt durch meine Träume, weder im Schlaf noch im Wachen; nur der eine war es fast von Anfang an, dessen Nähe mir ein Glück im Herzen weckte, von dem ich bis dahin keine Ahnung gehabt. Ich will dir auch sagen, ich glaube, er ist besser als alle anderen, vielleicht der beste aller Menschen; ich kenne alle seine Gedanken, seine Jünglingsträume, habe sie gelesen in seinen Gedichten, sie von ihm gehört. So denken und fühlen gewiß nur wenige Menschen.«
»Aber – er ist ein Prinz und wird ein König,« sagte Vittoria nachdenklich und dachte dabei: wohin soll diese Liebe führen?[336]
»Ich weiß,« versetzte Rosa, und eine Träne trat in ihr Auge. »Zuerst dacht' ich nicht daran; da meinte ich, daß er einer von jenen Prinzen sei, wie sie in den deutschen Märchen vorkommen, die meine Mutter mir erzählt hat, die so schön und gut sind und auch ...«
»Nun was?« frug Vittoria.
»Ja, und auch zu ganz armen Mädchen kommen, um sie zu erlösen und sie zu Königinnen zu machen,« erwiderte Rosa etwas verlegen; »aber, liebe Vittoria, du wolltest ja gehen und ich schwatze dir dummes Zeug vor und die Zeit vergeht; siehst du, gerade weil er ein Königssohn ist und eine so hohe Aufgabe im Leben hat, will und muß ich ihn retten.«
Vittoria rief die Stellvertreterin herbei und ging fort, den Bruder aufzusuchen. Als sie zurückkam, eilte Rosa wieder hinunter zu ihr, da sie bei sich die Neugier der Amadei fürchtete. »Nun, Vittoria?« fragte sie hastig.
Diese berichtete, daß die Marietta allerdings dem Bruder am Morgen wieder ein Billett auf dieselbe Weise wie das vorige zu überbringen gegeben habe und daß man ihn jedesmal reichlich lohnte.
»Und weiter war es nichts?« fragte Rosa enttäuscht; »sagte Marietta weiter nichts?«
»Ja,« begann Vittoria zögernd.
»Ach, bitte, du weißt noch etwas, sag mir alles,« bat Rosa.
Vittoria, immer in der Hoffnung, die volle Wahrheit werde die erregten Gefühle Rosas abkühlen, sagte:
»Ja, die Marietta hat ihm rasch erzählt, daß die Herzogin am Abend nach der Gesellschaft gleich in ihr Zimmer gegangen sei, und da habe sie sie gefragt, ob sie auf ihre Treue rechnen könne, und als Marietta dies beteuert, habe sie gesagt, sie wolle ihr ganz vertrauen, denn Marietta müsse ihr beistehen und es solle auch ihr Schade nicht sein. Darauf habe sie gestanden, daß sie den Prinzen glühend liebe und den Herzog hasse und nur an eines denke, wie sie sich diesem entziehen und sich mit dem Prinzen vereinigen könne. Noch sei ihr Plan nicht reif, aber sie werde mit dem Prinzen darüber[337] reden und werde ihn deshalb auf den folgenden Tag in aller Frühe in die Kirche San Giovanni e Paolo bestellen, wohin Marietta sie als wie zur Frühmesse begleiten solle. Dort sind einsame Wege ringsherum, die in so früher Stunde niemand als etwa ein Arbeiter betritt, da könne sie ungestört mit dem Prinzen sprechen; der Herzog schlafe lange, und wenn er beim Erwachen nach ihr frage, werde man ihm eine andere Kirche nennen, in die sie zur Morgenandacht gegangen sei. Marietta müsse dann Wacht halten, daß kein Unberufener sich nahe. Es ist unglaublich leichtsinnig von der Marietta,« schloß Vittoria ihren Bericht, »dies alles, was doch höchstes Geheimnis sein soll, dem Beppo zu vertrauen. Doch tut sie es in der Freude ihres Herzens, denn sie sagt: ›Beppo, wenn ich meiner Herrin helfe, so wird sie es mir fürstlich lohnen und dann sind wir reich und können heiraten!‹ Und so erzählt's der Beppo mir nur, weil ich ihm oft gesagt habe, er solle nicht amore machen mit dem Mädchen, da er zu arm sei, um sie zu heiraten.«
Rosa war während der Erzählung bald blaß, bald rot geworden und hatte häufig mit der Hand nach dem Herzen gegriffen, wie um sein heftiges Klopfen zu stillen. Als Vittoria schwieg, rief sie plötzlich: »Ich gehe auch hin.«
»Aber Signorina,« sagte Vittoria erschrocken, »wie soll das gehen, man wird Ihnen ausweichen!«
»Ah, sei ruhig, sie sollen mich nicht sehen; ich muß über ihm wachen, er hat es selbst verlangt; und ist es nicht des Schutzgeistes Aufgabe, wenn der Mensch sich in Gefahr begibt, für ihn zu wachen und ihn zu behüten? O, die Gefahr ist ja noch größer als ich dachte, und gehandelt muß werden.«
»Dann geh ich mit Ihnen. Sie können nicht so allein hin früh am Morgen,« versetzte Vittoria.
»Nein, nein, zu zweien kann man schon schwerer unbemerkt bleiben. Sei unbesorgt; die Amadei schläft lange, bis die aufsteht, bin ich zurück. Es wird mir nichts begegnen, ich habe Mut; ein solches heiliges Ziel macht uns furchtlos und[338] solch ein Unternehmen steht im Schutz der ewigen Mächte, die doch am Guten mehr Gefallen haben als am Bösen.«
Vittoria fühlte sich immer von einer ehrfurchtsvollen Scheu befallen, wenn das junge Mädchen so sprach. »Sie ist dann ganz wie eine Heilige,« sagte sie, als sie ihrem Bruder einmal von der Signorina erzählte; »sie sieht dann aus, wie wenn sie gen Himmel fahren würde.«
Waldemar hatte den Brief der Herzogin erhalten, in dem sie ihm die Zusammenkunft in San Giovanni e Paolo bot.
Daß er hingehen müsse, war ihm zweifellos, nur wußte er nicht, wie es einzurichten sei, ohne daß seine Begleiter aus der ungewohnten Stunde Verdacht schöpften. Er hatte sich schon herabgelassen, seinen Kammerdiener soweit ins Vertrauen zu ziehen, daß dieser ihm die Briefe, die Beppo brachte, in sein Schlafzimmer bringen mußte, wenn er allein war, indem er vorgab, es sei wegen eines Geheimnisses, das ihm allein anvertraut sei und von dem auch die Herren nichts wissen dürften. Der Diener hatte sich diskret gläubig gezeigt, war auch wohl, wie es die Natur solcher Leute ist, froh, zum Vertrauten da gemacht zu werden, wo sogar der Professor es nicht war. Es kostete Waldemars reinem und stolzem Sinne eine Überwindung, zur Lüge und zur Verstellung seine Zuflucht nehmen zu müssen, aber er glaubte Giulia alles schuldig zu sein, und die erwachte Leidenschaft zog ihn von Konzession zu Konzession den Abhang hinunter, zu Schritten, die er noch vor kurzem als unmöglich von sich gewiesen hätte.
Endlich beschloß er, den Herren am Morgen durch den Diener sagen zu lassen, er habe schlecht geschlafen und sei, um sich zu erfrischen, zu frühem Morgenspaziergang in die Luft gegangen. In erster Morgenfrühe, noch ehe seine Begleiter aufgestanden waren, verließ er das Hotel, einen breitkrempigen Hut tief ins Gesicht gedrückt und einen dunklen Mantel umgeschlagen, so daß er eher einem römischen Landmann als einem vornehmen Kavalier glich. Er konnte übrigens[339] auch gewiß sein, daß er um diese Stunde keinem Bekannten begegnen würde. Raschen Schrittes eilte er dem Kolosseum zu, hinter dem sich die bezeichnete Kirche befindet, denn er wollte keinen Wagen nehmen, was schon einer möglichen Nachforschung hätte auf die Spur helfen können.
Als er in die Kirche trat, schien sie ihm zuerst menschenleer; indem er aber dem Hochaltar zuschritt, bemerkte er in dem Seitenschiff im Schatten einer Säule eine Frau, wie es schien aus dem Volke, mit einem bunten Tuch über dem Kopf, den sie tief auf die gefalteten Hände, die auf dem Betstuhl ruhten, gesenkt hielt, anscheinend im Gebet versunken und achtlos dessen, was um sie vorging. Ein Laienbruder des Klosters war beschäftigt, eine Seitenkapelle auszukehren, sonst war kein lebendes Wesen da und es herrschte lautlose Stille. Waldemar stand einige Augenblicke und sah das Bild über dem Hochaltar an, ein modernes Gemälde, auf dem der Stifter des Ordens der Passionisten dargestellt ist, wie er in vollem Ornat zum Himmel fliegt, wo Christus ihn mit offenen Armen empfängt.
Ungeachtet der stürmischen Gedanken, die ihn beschäftigten, mußte er doch die Achseln zucken über den plumpen Realismus der auf dem Bilde dargestellten Himmelfahrt und sich sagen:
»Ist das nicht der Ausdruck dessen, was die Kirche geworden ist im Lauf der Zeit? Aus der idealen Gemeinschaft von Wesen, verbunden durch brüderliche Liebe, edle Sittlichkeit und geistiges Streben, herabgesunken zu der materiellsten Deutung hoher Probleme, zum erbitterten Streit um irdisches Gut, zu einem Kampfplatz der Parteien.« Er hatte nicht Zeit, es auszudenken, denn hinter ihm ertönten Schritte und das Rauschen eines Frauengewandes, und als er sich rasch umwendete, stand eine hohe Frauengestalt vor ihm, den Kopf und das Antlitz so dicht von einem schwarzen Schleier bedeckt, daß man die Züge des Angesichts nicht unterscheiden konnte, nur das Funkeln dunkler Augensterne drang auch selbst durch die[340] dichte Hülle, eine Hand streckte sich ihm entgegen und eine wohlbekannte Stimme flüsterte: »Waldemar.«
»Giulia,« sagte er und zog die dargereichte Hand an seine Lippen, »wagen Sie nicht zu viel? Wenn man uns hier träfe, ich bin voll Angst für Sie.«
»Sei unbesorgt, Geliebter,« erwiderte die Herzogin; »Marietta ist draußen vor der Kirche und benachrichtigt uns, wenn etwas Gefahrbringendes naht. Komm in das Seitenschiff, aus übergroßer Vorsicht, dort können wir ruhig reden, ich habe dir soviel zu sagen.«
Sie betraten das Seitenschiff, in dem die Beterin in unveränderter Versunkenheit kniete. »Sieh, da ist jemand,« sagte Giulia.
»O, das ist ein armes Weib, das schon hier kniete, als ich kam,« versetzte der Prinz, »die ist so versunken, ihre Gebete herzusagen, daß sie uns nicht hört und sieht. Dort drüben im anderen Seitenschiff ist der Laienbruder, der könnte eher auf uns achten.«
Giulia schlug den Schleier zurück und in der anmutigen Umrahmung der Spitzen erschien das schöne Antlitz mit neuem Reiz begabt. Sie heftete einen langen, feurigen Blick auf Waldemar und sagte halblaut, doch so, daß ihre Worte in der tiefen Stille ringsum von der Beterin, deren Gegenwart sie nicht mehr beachtete, gehört werden konnten: »Waldemar, meine Liebe zu dir ist so groß, daß ich ihr alles opfere, Ehre, Namen, Stellung; ich kenne nur noch ein Glück: mit dir vereint zu sein, dir ganz und für immer anzugehören. Die Liebe ist das supreme Gesetz des Lebens, vor ihr sinkt alles in Staub, ist nichtig, wertlos. Die Eifersucht des Herzogs wird täglich größer, jemehr er fühlt, daß mein Herz unrettbar sich von ihm entfernt. Er bewacht jeden meiner Schritte und ich habe mich heute nur entfernen können, weil ich ging, als er und beinah das ganze Haus noch schlief und ich, falls er fragen sollte, beim Portier zurückließ, ich sei zur Frühmesse nach Maria del Popolo.«
Sie waren das Seitenschiff entlanggegangen, so daß die[341] Beterin nicht mehr verstand, was sie redeten, aber jetzt kamen sie zurück und sie vernahm wieder, daß die Herzogin sagte:
»Ich bin entschlossen, bist du es auch, Waldemar?«
»Wie wäre ich soviel Liebe wert, wenn ich nicht auch alles vergäße, um dich aus unwürdigen Banden zu erlösen und dir das Glück der Liebe zu bereiten, das du ersehnst,« erwiderte der Prinz; »ich werde auch einen harten Kampf zu kämpfen haben; das traurige Los meines Bruders, eine Ehe aus Politik eingehen zu müssen, stand auch mir bevor; du rettest mich davor, aber zu Hause wird man sich dagegen auflehnen, wird mir die Staatspflichten entgegenhalten, denen man das Herz opfern muß, wird alle Vorurteile ins Feld bringen, um mich zu bekämpfen.«
»Und bin ich es nicht wert, eine Krone zu tragen?« fragte die Herzogin, indem sie den schönen Kopf stolz zurückwarf, so daß ein Sonnenstrahl, der durch das Kirchenfenster schien, sie wie eine Glorie umgab.
»Keine Krone hat je ein schöneres Haupt geziert,« rief Waldemar voll Feuer; »o, meine Königin, ich folge dir, wohin es sei.« Sie entfernten sich wieder, so daß der weitere Verlauf ihres Gespräches unhörbar wurde. Noch eine Weile blieben sie im Grunde des Seitenschiffes nahe aneinandergeschmiegt und flüsternd stehen, dann riß sich die Herzogin los, verhüllte das Antlitz wieder mit dem Schleier und schritt dem Ausgang zu, an dem Marietta sich zeigte, um zu mahnen, daß die Stunde schon vorgeschritten sei und daß sich schon Menschen in der Gegend zeigten. Auf Umwegen eilten sie zur Stadt zurück, wo sie einen Wagen nahmen, um in den Palast zurückzufahren.
Waldemar blieb noch einige Augenblicke in der Kirche, um ihnen Zeit zu geben, sich zu entfernen. Ein Sturm tobte in ihm, denn wenn er in Gegenwart der Herzogin, hingerissen von ihrer Schönheit, von der Gewalt der ersten Leidenschaft und berauscht von der Glut, mit der sie ihn umfing, alles gelobte und alles zu wagen bereit war, so türmten sich, sobald sie schied und er zur Besinnung kam, die Schwierigkeiten so[342] riesengroß vor ihm auf, daß ihn schwindelte und er fast bereute, so weit gegangen zu sein. Indes zurück konnte er nicht, das hätte ihm der schändlichste Verrat an Giulia geschienen, und dann lockte ihn auch wieder ein jugendliches Wagen, für dessen Ausgang er dem Schicksal vertrauen wollte. Endlich schritt auch er langsam das Seitenschiff entlang, der Kirchentür zu; da fiel ihm die Beterin auf, die noch immer unbeweglich an ihrem Platze kniete. Es schien ihm jetzt, als höre er sie leise schluchzen. Voll Mitleid blieb er stehen und dachte: sie hat wohl einen großen Schmerz oder gar eine große Schuld, die sie hier so trostlos im Gebet zu stillen oder zu sühnen sucht. Schon griff seine Hand in die Tasche, um Geld hervorzulangen und neben sie zu legen, wenn vielleicht Mangel sie bedrückte, doch sah er nun, daß sie nicht so gar ärmlich gekleidet war, wie er anfangs gemeint hatte, und so unterließ er es; aber ohne zu überlegen, nahm er den Veilchenstrauß, den ihm Giulia gegeben hatte, legte ihn still auf das Betpult, auf dem der Kopf der Beterin, das Gesicht in die Hände vergraben, ruhte, und verließ die Kirche.
Vittoria ging unruhig in ihrer Bottega hin und her, trat öfter auf die Straße hinaus und schaute aufmerksam in die Ferne, als erwarte sie jemand, und kehrte dann immer mit dem Ausdruck der Enttäuschung auf dem Gesicht in den Laden zurück, antwortete einigen frühen Käufern, die sich mit frischer Ware versehen wollten, ganz verkehrt, so daß diese sie auslachten, und war offenbar nicht in ihrer gewöhnlichen, ruhigen Stimmung. Endlich schien sie das Ersehnte zu erspähen, sie ging ein paar Schritte aus dem Laden der Nahenden entgegen und sagte: »Die heilige Jungfrau sei gelobt, da sind Sie.«
»Ist die Amadei schon auf? Sonst komm mit in mein Zimmer, daß ich dir alles sage, dir, meiner einzigen Vertrauten,« lispelte Rosa mit halberstickter Stimme, lehnte sich erschöpft an die Mauer und riß das bunte Kopftuch ab, das sie in der Kirche unerkannt gemacht hatte. Sie hielt einen[343] Veilchenstrauß in der Hand und preßte ihn mit einer heftigen Bewegung ans Herz. Ihr Atem ging schnell und stoßweise und tödliche Blässe bedeckte ihr Gesicht.
»Ach, liebe Signorina, Sie werden sich töten, und weshalb? für wen? Was können Sie tun? Wenn die Herzogin ihn liebt und er sie, wie wollen Sie es hindern?« fragte Vittoria, indem sie liebevoll mit einem Tuch die Schweißtropfen von Rosas Stirn trocknete.
»Und haben Sie denn etwas gesehen und gehört?« fragte sie weiter, als Rosa noch immer nicht reden konnte.
»Wohl, wohl habe ich gesehen und gehört,« sagte Rosa endlich, »und mehr als je weiß ich, daß ich ihn für seine Ideale retten muß. Und wenn es nicht gelingt und ich dabei untergehe, so ist das gut, denn ich habe dann um einen edlen Preis gekämpft, ohne den das Leben wertlos ist. Aber komm, komm mit mir, daß ich dir alles sage.«
Vittoria rief die Nachbarin, daß sie das Geschäft einen Augenblick besorge, und folgte Rosa in ihr Zimmer. Die Amadei schlief noch und ihr lautes Schnarchen verkündete, daß der Morgenschlaf noch tief sei. Rosa berichtete nun das Erlebte und sagte zum Schluß: »Sag selbst, wie soll das werden, wenn er mit ihr entflieht, wie trostlos werden die Seinen, wird sein Land sein, die in ihm einen idealen Herrscher erhofften? – Sie sagte: Die Liebe ist das stärkste Gesetz, neben ihr ist alles wertlos, nichtig, gilt keine Pflicht – ich glaube es nicht; ich glaube, das ist die egoistische Liebe, die nur an sich denkt; es gibt aber auch eine andere Liebe, die edler ist, die sich opfern kann für den Geliebten, für ihn sterben kann, wenn es sein muß, ihm entsagen kann, um ihn seiner höchsten Bestimmung zu retten, und das ist die wahre Liebe. O, Vittoria, ich war ein unerfahrenes Kind bis hierher, jetzt bin ich gereift und das Leben ist mir klar geworden. Ich weiß es jetzt, es kommt für einen jeden die Stunde, wo er wählen muß zwischen dem Egoismus, der nur sich selbst als Endziel hat, und dem Ideal, das uns möglicherweise Entsagung und das Opfer unseres Selbst auferlegt. Und ich[344] habe gewählt in dieser Morgenstunde; während sie den Traum der egoistischen Liebe zusammen träumten, habe ich mein Herz zum Opfer dargebracht für ihn.«
Vittoria verstand nur halb den ganzen Sinn der Rede, aber sie stand wieder in andächtiger Bewunderung und Ehrfurcht vor dem jungen Mädchen, das ihr abermals wie eine Heilige erschien, dem nur die Flügel fehlten, um sich von der Erde, die seiner nicht wert sei, zu erheben. Sie faltete unwillkürlich die Hände und Tränen der Rührung rannen über ihre Wangen, während sie das liebliche durchgeistigte Antlitz Rosas betrachtete. Als diese schwieg, schüttelte sie leise das Haupt und sagte wie für sich: »cara, cara!« Und dann sich an Rosa wendend, fragte sie ganz zaghaft: »Aber was wollen Sie tun? Wenn er – der Prinz – doch selbst einwilligt?«
»Ihn an seine Ideale mahnen,« sagte Rosa; »auch er muß entsagen, muß opfern lernen, auch er muß wählen, und wenn er fern von ihr ist, wird er seinen Schutzgeist segnen, der über ihm wachte und ihn für seine höhere Aufgabe rettete. Ich könnte ja seine Freunde benachrichtigen und warnen, aber das sähe aus, als hätte ich spioniert, und er würde mich vielleicht verachten und an der Reinheit meiner Motive zweifeln, und dann wär es auch nicht seine freie Wahl, und er würde denen zürnen, die ihn zum Aufgeben zwangen, und mit Verlangen an das Aufgegebene zurückdenken. Aber wenn er aus sich den Sieg erringt, so wird er im Opfer selbst seinen Lohn finden. Sorge du nur, daß Beppo uns von allem unterrichtet, was er von Marietta erfährt, denn da sie im Vertrauen von der – ihrer Dame ist, so wird sie es wissen, wenn ein entscheidender Schritt geschieht.«
Der Prinz war indessen mehrere Stunden umhergeirrt, einem qualvollen Zwiespalt in sich zur Beute. Er war entschlossen, alles Weltliche für Giulia hinzuwerfen und zu wagen, und hierzu trieb ihn nicht nur die entfachte Leidenschaft, sondern es schien ihm auch, als fordere es die Ehre von ihm,[345] dieser Frau, die sich ihm vertrauend in die Arme warf, Wort zu halten und nicht weniger großmütig zu sein als sie, die doch auch jede weltliche Rücksicht hingab um der Liebe willen. Aber nun, so nah vor einer endlichen Entscheidung, die seiner ganzen Jugend eine veränderte Richtung geben müßte, die sogar seine Zukunft ernstlich gefährden könnte, trat alles, was sich schon früher Giulias Anziehungskraft in ihm widersetzt hatte, mit verdoppelter Stärke hervor; und er fühlte sich hin- und hergetrieben von gleichstarken Gewalten, die, welcher auch der Sieg gehören mochte, ihm zugleich eine schmerzliche Niederlage und lange, tiefe Reue zu hinterlassen drohten. Zunächst machte ihm auch der Gedanke an seine Begleiter Angst und Sorge. Es fiel ihm erst jetzt ein, welche schwere Verantwortung sie treffen würde, wenn er entflohen sei, und welcher Schmerz es für den alten Lehrer sein würde, den geliebten Zögling so gegen die von ihm gepflegten Grundsätze handeln zu sehen, obgleich Waldemar es sich durchaus nicht eingestand, daß Tadelnswertes in seinem Vorhaben sei.
»Es sind nur andere als unsere Begriffe im Norden; es ist das allmächtige Recht der Liebe, das im Süden herrscht wie das allmächtige Recht der Sonne,« sagte er zu sich selbst; »es ist die schöne Freiheit der Natur, anstatt des uns im Norden künstlich auferlegten Gesetzes pflichtgemäßer Beschränkung, so sagt Giulia, und hat sie nicht recht? Haben nicht die schönsten Blütezeiten der Menschheit dieses Vorrecht der freien Natur gerechtfertigt, Griechenland, Rom, ja auch die Renaissance? Lähmt nicht das traurige Entsagen die freudige schöpferische Kraft in uns, die uns erst zu ganzen Menschen macht?«
Aber trotz dieser und ähnlicher Sophismen beruhigte sich sein Gemüt nicht, und jemehr er sich seinem Hotel näherte, desto langsamer wurde sein Schritt, wie um den peinlichen Moment des Zusammentreffens mit den Begleitern hinauszuschieben. Endlich aber mußte es doch sein, und er traf sie sichtlich beunruhigt über sein langes Ausbleiben.
»Hätte ich es nur geahnt, daß Sie einen so frühen Ausgang[346] beabsichtigten, Prinz, ich wäre ja mit tausend Freuden bereit und zu Ihrem Befehl gewesen,« sagte Raden.
»Ich wollte Sie Morpheus' Armen nicht entreißen, lieber Raden; ich weiß, Sie lieben diesen Freund, namentlich morgens,« versetzte der Prinz und versuchte sich durch Scherz ein möglichst unbefangenes Äußeres zu geben. Des Professors Antlitz aber heiterte sich nicht auf, sondern nachdem er sich hatte versichern lassen, daß der Prinz sich wieder ganz wohl fühle und erfrischt durch Luft und Gehen, hub er an: »Aber ich habe Ihnen leider eine betrübende Mitteilung zu machen; ich bekam heute früh Briefe aus der Heimat und erfuhr, daß Ihre durchlauchtige Mutter erkrankt ist.«
»Meine Mutter? Doch nicht bedenklich?« rief Waldemar voll Schreck, indem nun die ganze verhaltene Aufregung sich ohne Zwang auf seinem Gesicht malte.
»Leider scheint es ziemlich ernst zu sein,« fuhr der Professor fort; »der Hofmarschall, der mir schreibt, meldet mir sogar, daß man möglicherweise Ihre schleunige Rückkehr wünschen könne.«
»Mein Gott, mein Gott, wär's möglich! Meine Mutter – und jetzt von hier gehen!« rief Waldemar aus und erschrak über die letzten ihm in der Angst entschlüpften Worte, da sich ihm augenblicklich Giulias Plan und sein ihr gegebenes Wort vor die Seele stellte. Er schritt im Zimmer auf und ab, unfähig, sich zu fassen. Raden und der Professor hatten einen raschen Blick miteinander gewechselt; die Nachricht von der Erkrankung der Mutter war zwar wahr, aber die Vorbereitung auf eine mögliche Zurückberufung war infolge eines Briefes Holbergs an den Vater Waldemars erfolgt. Der Professor, der regelmäßig seine Berichte über den Verlauf der Reise und alles, was den Prinzen betraf, einschicken mußte, hatte es nach reiflicher Überlegung und mit Zustimmung Radens doch für seine Pflicht gehalten, den alten Fürsten auf die Leidenschaft des Sohnes für eine hochgestellte verheiratete Frau aufmerksam zu machen, deren wachsende Stärke den Augen der beiden Herren nicht entgehen könne und gegen die[347] bereits ihr Einfluß ohnmächtig sei. Diese Verhandlung blieb natürlich Geheimnis zwischen dem Fürsten, Holberg und Raden, und deshalb erwähnte der Professor nicht, daß es ein Schreiben des Fürsten selbst sei, das er empfangen habe und worin ihm dieser auftrug, den Sohn auf eine möglichst schnelle Rückkehr in der schonendsten Weise vorzubereiten.
Nach einer kleinen Pause, während Waldemar völlig fassungslos im Zimmer auf und ab ging und endlich am Fenster stehen blieb, den Rücken nach seinen Gefährten gewandt, hub der Professor wieder an: »Beunruhigen Sie sich nicht zu sehr, lieber Prinz; hoffen wir das beste; jedenfalls ist vorläufig nichts zu tun, als die nächsten Nachrichten abzuwarten und daher alle Ausflüge, zu denen allerdings jetzt die Zeit gewesen wäre, bis auf weiteres zu verschieben. Nachrichten werden sehr bald kommen, ich habe auch bereits geschrieben und gebeten, daß man umgehend wieder schreibt.«
»Ja, ich will auch gleich schreiben,« versetzte Waldemar hastig und eilte in sein Zimmer, wie erleichtert, durch irgendeine bestimmte Handlung der Qual der Gedanken zu entgehen, die auf ihn einstürmten.
»Es ist eine radikale Kur, aber sie wird helfen,« sagte Raden, als er mit Holberg allein war; »es ist wirklich, glaube ich, höchste Zeit, denn ich will Ihnen noch etwas neues sagen, lieber Professor. Ich glaube, es geht da ein geheimer Briefwechsel vor sich; denken Sie nur, vorhin trete ich aus dem Lesezimmer unten auf den etwas dunklen Korridor hinaus und sehe in einer Ecke, hinter der Tür, die in den Hof führt, den Kammerdiener im Gespräch mit jemand, den ich nicht sehen konnte, weil ihn die Tür verbarg. Aus Scherz, denkend, ich ertappe ihn da auf einem verliebten Zwiegespräch mit einer der hübschen Zofen im Hotel, gehe ich leise hinter ihn und sage: ›Sie, Friedrich, was machen Sie denn hier?‹ Er fährt zusammen, als hätte man ihn auf einem Diebstahl ertappt, steckt eilig einen Brief, den er in der Hand hielt, in die Tasche und sprach verlegen: ›Ah, Herr Baron, ich sprach da nur ein wenig mit dem Burschen, um mich in der italienischen[348] Sprache zu üben.‹ Ich sah nun, daß es allerdings ein echt italienischer, schwarzäugiger Bursch war, mit dem er sprach, aber die auffallende Verlegenheit Friedrichs und das rasche Verbergen des Briefes waren mir etwas verdächtig, ebenso wie die abgelegene Ecke, in der die Verhandlung geführt wurde; auch schien mir, was ich rasch mit einem Blick bemerkte, der Brief zu zierlich und fein zu sein, um ihn an Friedrich gerichtet zu glauben. Ich ging natürlich weg, um keinen Argwohn zu zeigen, und sagte nur lachend: Wählen Sie sich doch einen helleren Ort zu Ihren Studien.«
»Das wäre allerdings schlimm, wenn es schon so weit gekommen wäre, daß Waldemar sich herabläßt, mit dem Diener solche Dinge zu betreiben,« sagte Holberg und schüttelte traurig den Kopf. »Ich kann's nicht glauben.«
»Ach, lieber Holberg, wohin bringt eine solche Sirene mit solchen Augen nicht ein junges, zum erstenmal entflammtes Herz!« versetzte Raden seufzend. »Für mich sind es tempi passati, aber begreifen tue ich alles bei einer Frau wie Giulia.«
Wirklich hatte auch der Prinz kaum sein Zimmer betreten, als der Diener erschien und mit geheimnisvoller Miene wieder einen Brief überreichte, sich natürlich wohl hütend, etwas von dem Zusammentreffen mit Raden zu erwähnen, da es ihn hätte darum bringen können, Mitwisser eines Geheimnisses zu sein, worauf er doch sehr stolz war. Waldemar fühlte sich stets innerlich gedemütigt, wenn er die Briefe aus der Hand des Dieners nehmen mußte, in der Aufregung aber, in der er sich jetzt befand, war es ihm peinlicher denn je, und er empfand es fast unmutig, daß Giulia schon wieder schrieb, ihn schon wieder den Vermutungen einer Bedientenseele aussetzte, nachdem sie doch vor wenigen Stunden zusammen gesprochen hatten. Rasch riß er das duftende Kuvert auf; der Brief enthielt folgendes:
»Geliebter meiner Seele, die Entscheidung naht schneller, als ich dachte, und deshalb muß ich gleich schreiben, obwohl ich noch umfangen bin vom Zauber Deiner Gegenwart. Ich[349] weiß nicht, ob der Herzog doch Verdacht geschöpft hatte wegen meines Morgenausgangs, aber kaum war ich zurück, so trat er bei mir ein mit jenem Ausdruck eisiger Ruhe, den er annimmt, wenn er besonders aufgeregt ist und einen unwiderruflichen Vorsatz gefaßt hat. Ich kenne diesen Ausdruck, und sobald ich ihn sehe, regt sich in mir schon der Geist des Widerspruchs, denn ich will mich keiner despotischen Gewalt unterwerfen. Jetzt erklärte er mir, er finde mich seit einiger Zeit so aufgeregt, schlecht aussehend, befürchte eine Krankheit und habe deshalb aus zärtlicher Fürsorge beschlossen, mich auf einige Zeit nach Sizilien zu meiner Schwester zu führen, die bei Palermo auf einer herrlichen Villa mit einer zahlreichen Familie wohnt. Das werde mir gut tun, sagte er, die Luftveränderung und der Familienkreis. Ich erwiderte, ich bedürfe das nicht, ich fühle mich vollkommen wohl und ich wünsche zu bleiben. Nein, sagte er, es sei schon alles vorbereitet, er habe bereits an meine Schwester geschrieben und uns angemeldet, den Dienern schon alle Befehle gegeben, er lasse mir den folgenden Tag, um meine Anordnungen zu machen, um Marietta packen zu lassen, und übermorgen früh würden wir abreisen; unwiderruflich, setzte er hinzu, mit einem Blick, der zaghaftere Naturen als mich mit Schrecken erfüllen müßte; er sei verantwortlich für mein leibliches und geistiges Wohl, und für gewisse moralische Krankheiten gebe es kein sichereres Mittel als Entfernung, Wechsel der Szenerie und der Umgebung. Mit milderem Ton sagte er dann noch, mein Bestes sei seine teuerste Sorge und ihm ebenso teuer wie seine Ehre. Mit diesem sehr betonten Wort, dessen versteckte Bedeutung nicht zu verkennen war, verließ er mich. Ich schwieg stolz und verächtlich. Sein Entschluß ist unwiderruflich, der meine auch; der Krieg ist zwischen uns erklärt, wir wollen sehen, wer Sieger bleibt. Jetzt hoffe ich auf Dich, Geliebter, Du hältst mir Wort. Übermorgen früh will mich der Herzog fortführen, morgen abend entfliehen wir. Du führst mich in irgendeinen glückseligen Schlupfwinkel, wo wir die Welt vergessen im überschwenglichen Glück. Ich bereite[350] alles hier vor; morgen abend ist das große Fest bei den Colonna.
Der Herzog hat fest versprochen, dort zu sein. Im letzten Augenblick erkläre ich wegen starken Kopfwehs nicht mitzukönnen, da ich am andern Morgen reisen solle, denn ich bin scheinbar in seinen Plan ergeben. Du mußt auch dort sein, damit Deine Abwesenheit keinen Verdacht erregt. Unbemerkt verschwindest Du von dort und lenkst mit einem Wagen in die kleine dunkle Seitengasse neben meinem Palast, um Mitternacht, wenn die Dienerschaft zum größten Teil schon schläft. Dort finde ich Dich. Der Herzog wird mich schlafend wähnen, wenn er zurückkommt, und mein Zimmer nicht mehr betreten, und wenn er mich am Morgen sucht, sind wir weit. Wegen Deiner Begleiter haben wir ja schon alles besprochen und so bleibt nichts übrig, als uns dem Schutze des Gottes zu empfehlen, der Liebende zusammenführt und beschützt, denn legitim ist nur die Liebe, und was sie tut, ist wohlgetan. Ich bin voll frohen Mutes, es wird gelingen, und mein Herz eilt schon auf Flügeln der Hoffnung der Seligkeit entgegen, Dein zu sein auf ewig.
Giulia.«
Waldemar ließ das Blatt fallen, sank in einen Sessel und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Was in seinem Herzen vorging, grenzte an Verzweiflung und war gewiß weit von dem, was die Herzogin nach Empfang ihres Briefes von ihm erwarten durfte, denn sie ahnte nicht, daß nur in ihrer Gegenwart ihre Zauber allmächtig waren, daß aber fern von ihr alles, was gegen sie stritt, hervortrat, nun noch vermehrt durch die Nachricht von der Erkrankung der Mutter. Endlich ging ihm eine Möglichkeit auf, alles zu vereinen, denn der Herzogin sein Wort nicht zu halten, schien ihm unmöglich. Um mit raschem Entschluß sein Gemüt zu beruhigen und die zum Handeln nötige Kraft zu gewinnen, schrieb er einen Brief an Holberg, den er zurücklassen wollte, der seine Flucht erklären und dessen und Radens Verfahren bestimmen sollte. Er[351] wollte mit Giulia in einen kleinen Ort im Venetianischen, nahe der Grenze, flüchten und dort der Nachrichten aus der Heimat harren; die beiden Herren sollten ebenfalls gleich von Rom aufbrechen, hier die Nachricht verbreiten, der Prinz habe eilig in die Heimat zurückgemußt, und voraneilen, um die Eltern auf das Geschehene vorzubereiten und milde zu stimmen. Er beschwor den Lehrer, ihm nicht zu zürnen, berief sich auf die Allgewalt der Liebe und schilderte die Leiden der Ehe Giulias und ihre unbesiegbare Liebe zu ihm mit so glühenden Farben, daß er hoffte, des Professors Herz dadurch zu rühren, ja, er fügte hinzu, daß er bereit sei, um Giulias willen seinen Ansprüchen auf den Thron zu entsagen, wenn sie sich nicht mit dieser Liebe vereinen ließen. Er schrieb lange Zeit an diesem Brief und fühlte sich danach etwas ruhiger, wie es immer zu gehen pflegt, wenn in verwickelten Lagen endlich ein Entschluß gefaßt ist. Er dachte dann nur daran, die nötigen Vorbereitungen im geheimen zu treffen, wobei allerdings der Diener wieder der Vertraute sein mußte, und dann zwang er sich, mit seinen Begleitern so unbefangen als möglich den Rest des Tages hinzubringen, die seine ernste Stimmung diesmal in vollem Vertrauen für eine Folge der Nachrichten aus der Heimat nahmen. So kam der Tag der Entscheidung. Waldemar hatte alle Vorbereitungen mit Hilfe des Dieners getroffen und begab sich am Abend anscheinend ruhig, aber innerlich in tiefer Erregung, mit den Begleitern zu dem Fest der Fürstin Colonna.
Die herrlichen Räume des Palastes waren von einem Lichtmeer erhellt, und durch die Fenstertüren des letzten großen, zweiundachtzig Meter langen Saales, zu denen man einige Stufen hinaufsteigt, sah man in den von bunten Lampen magisch erleuchteten Garten, wohin man auf Brücken, die über die Straße gehen, gelangt. Die ganze vornehme, elegante, gebildete Gesellschaft Roms bewegte sich in den glänzenden Gemächern und bildete mit ihnen einen Anblick von solcher Pracht und Schönheit, daß jedes unbefangene Gemüt sich daran hätte erfreuen müssen. Aber Waldemar hatte in seiner[352] Aufregung keinen Sinn für die poetische Pracht des Festes; seine Augen suchten unruhig nach der einen, deren Schicksal sich in dieser Nacht noch mit dem seinen in folgenschwerem Bund vereinen sollte, denn er besorgte, daß sie ihren Plan, vom Fest fernzubleiben, nicht habe ausführen können. Mit einer nicht zu sagenden Mischung von Widerwillen, innerem Vorwurf und voll Beschämung sah er sich daher plötzlich dem Herzog gegenüber, der mit einem an ihm ganz ungewöhnlichen Lächeln auf ihn zukam und ihn auf das höflichste begrüßte. »Es freut mich, Hoheit, Sie hier zu finden,« sagte der Herzog; »so kann ich mich hier von Ihnen verabschieden; wir reisen morgen nach Sizilien; Donna Giulia bedarf der Erholung, wir gehen zu ihrer Schwester für einige Zeit.«
»Die Herzogin ist hier heute abend?« brachte der Prinz mühsam hervor, nicht fähig, dem Sturm in seinem Innern zu gebieten.
Um die Lippen des Herzogs spielte ein ironisches Zucken, doch versetzte er mit völliger Ruhe: »Nein, sie wurde durch heftiges Kopfweh verhindert, zu kommen, und wird es sehr bedauern, Ihnen, Prinz, nicht Lebewohl gesagt zu haben; ich hoffe aber, wir finden Sie bei unserer Rückkehr noch hier.«
In dem Augenblick trat der Kardinal auf die beiden zu und nachdem er den Prinzen begrüßt hatte, sagte er, zum Herzog gewendet: »Aber, lieber Herzog, wo ist Donna Giulia? Trotz aller Lichter hier scheint es dunkel, wenn die Sterne ihrer Augen fehlen.«
»Giulia hat recht; sie sagt immer, daß Eminenz ein Dichter sind,« versetzte der Herzog lächelnd; »sie war leidend heute abend und da wir morgen früh reisen, wollte sie sich ausruhen.«
Es entstand eine Bewegung unter den Gästen, und aller Augen richteten sich nach der Estrade im Grunde des Saales, von der aus man in den Garten gelangt und auf der eben eine zarte Erscheinung in weißem Gewand allein hervortrat.
»Ah, sieh da, unsere Improvisatrice!« rief der Kardinal; »es kann ja kein Fest mehr in Rom sein, wo das holde Geschöpf[353] fehlt. Man trägt sie förmlich auf den Händen. Ich sehe es noch kommen, daß wir sie auf dem Kapitol werden krönen müssen wie Corilla Olympica im vorigen Jahrhundert, obgleich sie zu mädchenhaft zart und schüchtern für öffentliche Ehren ist.«
»Ich will ihr heute ein Thema geben,« sagte der Herzog; »man gibt ihr immer nur so weichliche Gefühlssachen: heute soll sie mal zeigen, ob sie größere tragische Themen zu behandeln versteht.«
Raden kam eben, um den Prinzen von seiten der Hausherrin auf den Ehrenplatz in der vordersten Reihe zu holen; den beiden anderen Herren wurden gleichfalls dort Ehrenplätze angewiesen. Waldemar konnte nicht umhin, rasch zu Rosa hinzutreten und sie zu begrüßen. Sie erwiderte den Gruß nur mit einer Neigung des Hauptes.
»Sind Sie krank, liebe Freundin? Sie sind so bleich!« sagte er besorgt. Sie sah in der Tat geisterhaft bleich aus.
»Nein,« sagte sie leise, »ich bin nicht krank, aber –« dabei erhob sie den gesenkten Blick zu ihm und dieser Blick traf ihn wie ein brennender Schmerz im Herzen. Doch sie konnte nichts hinzufügen, denn der Herzog trat auf sie zu und sagte, sich vor ihr verneigend: »Sie erlauben mir, Madamigella, Ihnen heute das Thema zu geben; unsere gütige Wirtin hat mich autorisiert, es zu tun.«
Rosa verneigte sich stumm.
»Ich gebe Ihnen als Thema: die Erinnyen. Diese, die Ihnen nie werden nahen können, werden uns durch die Allmacht Ihrer Phantasie hier erscheinen und alle schuldbewußten Herzen in Schrecken versetzen.«
»Ah, Sie werden es hoffentlich nicht zu grauenvoll machen, holde Muse,« sagte die Fürstin Colonna, die eben herzutrat, lächelnd; »wenn auch keine schuldbewußten Herzen hier sind, wie ich hoffe, so möchten die unheimlichen Gäste doch den Scherz und die Freude vertreiben, die nach meinem Wunsch hier herrschen sollen. Herzog, Herzog, warum wollen Sie[354] uns so erschrecken? Möchten Sie nicht noch wechseln und ein lieblicheres Thema wählen?«
»Nein, ich bestehe darauf,« versetzte der Herzog, »ich möchte das Talent der Dichterin gerade in dieser Probe sehen. Sie nehmen mein Thema an, Madamigella?« fragte er Rosa.
»Ja, ich bin bereit,« erwiderte diese, und ihre sonst so sanften Augen hatten einen dunklen Glanz; »ich bitte um einen Augenblick Nachdenken.«
Die Fürstin lud die Herren ein, zu ihren Sitzen zurückzukehren, und Rosa stand einige Augenblicke in sich versunken; dann richtete sie sich empor; noch tieferer Ernst wie gewöhnlich lag auf ihrem Angesicht. »Sie sieht aus wie der Erzengel Michael, der kommt, Gericht zu halten, es fehlt ihr nur das Schwert,« flüsterte Raden dem Prinzen zu, hinter dessen Stuhl er stand; er hatte die Aufgabe des Herzogs gehört. Rosa begann:
Die Erinnyen.
Immer noch schreiten
Zur Nachtzeit
Jene Dunkelen
Über die Erde,
Die ein ehernes Fatum
An die Taten sterblicher Menschen
Mit rächender Vollmacht gebunden.
Aber nicht Schlangenhaar schüttelnd,
Furchtbares Grausen erregend,
Wie sie des Muttermörders
Blutige Spur einst verfolgten,
Nahen sie mehr.
Traurig gesenkten Hauptes,
In graue Schleier gehüllt,
Gleitet lautlos ihr Fuß
Über die nächtige Welt.
Während droben im Äther
In heiterer Klarheit
Ewige Sterne
Freundlich schimmernd glänzen
Gleich den seligen Göttern
Unbekümmert[355]
Um das tränenvolle
Leid der Erdgebornen.
Auch die Menschen,
Die müden,
Hören die Wandelnden nicht;
Nur im Schlaf scheint es ihnen
Wie ein klagendes Rauschen,
Als wenn der Nachtwind
Durch Pinienzweige hindurchfährt.
Aber dem Wissenden,
Der in den Nächten
Einsamen Grames
Mit Geistern verkehren gelernt hat,
Ihm ertönen deutlich vernehmbar
Die klagenden Weisen,
Die jene singen;
Mischen sich traurig
Mit Seufzern der Wehmut,
Die aus dem Herzen
Selber ihm dringen:
»Wehe,« so singen sie,
»Weh den Betörten,
Die götterentfremdet
In dem Vergänglichen
Ängstlich sich mühn,
Von der wahrhaftigen
Ewigen Liebe
Tollkühn sich wenden,
Um im Taumel der Sinne,
Oder in weichlichen,
Unklaren Träumen
Schatten zu haschen.
Wehe dem Dasein,
Wo die heimlichen Tränen
Verwundeter Neigung
Ungesehn fließen;
Wo heilige Opfer
Vergeblich sich bringen
Und wo am Kreuze,
Nicht nur auf Golgatha,
Großmüt'ge Herzen
Langsam verbluten;
Wo an eherner Kette
Tat und Folge sich halten[356]
Und aus schuldigem Tun
Schuldige Frucht sich erzeugt.
Wehe, wehe der Welt!
Götter starben
Vergeblich für sie,
Ohnmächtig, sie zu erlösen;
Tempel, von der Begeistrung erschaffen,
Stürzten in Trümmer;
Über zerstörte Ideale
Schritt die Zeit
Achtlos hinweg.
Rettung gibt's nimmer,
Denn der furchtbare Gott,
Der sich hier kund gibt,
Knüpft an seine Erscheinung
Ewig die Schuld.
Wir aber, wir müssen es
Traurig vollenden,
Und die Qual, die das Herz nagt,
Ist unser Werk.«
Sie sangen's!
Fern und ferner
Verhallte das Lied,
Verschwebten die Schatten.
Doch oben glänzten
Immer noch Sterne
In heiterer Klarheit.
Mir aber rannen
Vom Auge die Tränen
Endlosen Erbarmens,
Wenn auch der, dem über der Menge
Göttern ähnlich zu thronen bestimmt ward
Und statt vergänglichem Kranz
Erhabner Taten Strahlenkrone zu tragen –
Wenn auch der, unterliegend irdischer Schwäche,
Euch, den dunkelen rächenden Schwestern
Schuldig verfiel.
Die Gesellschaft war unheimlich berührt von dem düstern Gesang, und der Beifall, den man der Dichterin spendete, war mehr ein Tribut für den Ruhm, den sie sich bereits erworben, als eine Bewunderung des eben Gehörten, und kühler denn sonst.[357]
»Sehr gut, sehr gut,« sagte der Herzog und schritt auf Rosa zu, ihr seine Anerkennung auszusprechen. Diese aber war so geisterhaft bleich geworden, daß Raden erschrocken rief: »Mein Gott, das arme Kind wird ohnmächtig werden!« und vorwärtssprang, um sie zu stützen. Auch die Fürstin Colonna war aufgesprungen und eilte auf die Estrade, aber allen zuvor erschien Waldemar neben Rosa und indem er zu den übrigen sagte: »Ich bin überzeugt, sie muß in die frische Luft hinaus, da wird sie sich erholen!« wendete er sich zu der Colonna und fügte hinzu: »Sie erlauben, Fürstin.« Er bot Rosa den Arm, den diese annahm, und führte sie über die Brücke in den gegenüberliegenden, von bunten Lampen magisch erleuchteten Garten.
»Sie fühlen sich besser in der frischen Nachtluft, Rosa, nicht wahr?« sagte er. »Ich muß Sie sprechen,« fuhr er fort, »Sie haben nichts dagegen, daß wir uns in einen der dunkleren Gänge des Gartens begeben, wo wir ungestört reden können?«
»Nein, auch ich wünschte Sie zu sprechen,« sagte sie leise und ihr Arm bebte auf dem seinigen.
In einem wenig erleuchteten Laubgang hinter einem Lorbeergebüsch fand sich eine Steinbank, die, ganz im Dunkel, die darauf Sitzenden den Blicken der Vorübergehenden entzog. Dicht daneben rauschte ein Brunnen in ein marmornes Becken, dessen Rand von Veilchen eingefaßt war, die einen bezaubernden Duft in die Nacht hinaussandten.
»Hier lassen Sie uns niedersitzen, Rosa,« sagte der Prinz; »doch Sie sind leicht gekleidet und drinnen war es warm, wird Ihnen die Kühle nicht schaden?«
»Nein, nein, sie tut mir gut,« erwiderte sie, obgleich ein leichter Schauder durch den dünnen Stoff des Kleides ihre Gestalt überflog; sie ließ sich auf der Steinbank nieder und Waldemar setzte sich neben sie und langsam, mit einer Stimme, in der eine leidenschaftliche Erregung zitterte, sagte er:
»Rosa, Sie sind mir wert; Sie müssen es wissen, ich achte Sie hoch und an Ihrer Meinung ist mir gelegen. Ich müßte[358] lügen, wenn ich leugnen wollte, daß ich in Ihren letzten Improvisationen eine Anspielung auf mich fühlte, freilich nur mir verständlich, aber mir auch deutlich genug. Diesen Abend waren Sie sogar drohend, Sie weissagten Reue und sahen mich dem Arm der Rachegöttinnen verfallen. Wie kommen Sie zu diesen Befürchtungen? Was meinen Sie damit? Ich verlange Offenheit, wenn ich mich nicht gekränkt fühlen soll.«
Statt der Antwort legte Rosa etwas in seine Hand, das er nicht gleich unterschied, aber bei dem schwachen Schimmer, der von den Lampen durch das Gebüsch drang, erkannte er, daß es ein verwelkter Veilchenstrauß war. Erstaunt betrachtete er diesen einen Moment lang, ohne zu wissen, was das bedeute; dann aber blitzte es in seinem Geist auf und betroffen sagte er: »Gott, wär's möglich? Jene Beterin in der Morgenfrühe in San Giovanni e Paolo – Rosa, Sie?« Er konnte nicht vollenden.
»War ich,« sagte sie leise.
»Und Sie erkannten mich?« fragte er angstvoll.
»Sie und die – die Sie dort trafen,« fuhr sie leise fort; »ich weiß alles, weiß, daß Sie am Rande eines Abgrundes stehen, daß Sie zum Verräter an Ihren Idealen werden wollen, daß Sie, anstatt Ihrem Volke vorzuleuchten als ein Beispiel hoher männlicher Tugend, ihm den Weg zeigen zum freien Spiel der Willkür und der Leidenschaft, die, über alles Gesetz und jede Schranke hinwegschreitend, nur tut, was ihr gefällt.«
»Rosa,« fuhr er auf, »Mädchen, wie können Sie so sprechen? Was wissen Sie von der Welt, was von der Macht der Gefühle, die ebenso heilig sind, ja vielleicht heiliger als die geschriebenen Gesetze einer verderbten Gesellschaft!«
»So dachten Sie früher nicht,« fiel sie ihm ins Wort und obwohl sie leiser sprach, wurde ihre Stimme immer fester; »hier ist nicht die Rede von eitler, konventioneller Regel, nach der gewöhnliche Menschen handeln; hier ist die Rede von einem Ideal, dem ein hoher, ein auserwählter Mensch nachstrebt, und das war für Sie: makellos, vorwurfsfrei auf einen[359] Thron zu steigen und der Menschheit ein Vorbild reinster Größe zu sein, ein Held, nicht auf blutigen Schlachtfeldern, sondern im Kampf mit den Dämonen, die in der eigenen Brust den Halbgott zu zerstören trachten, der zu sein Sie berufen waren. Sie mußten siegen! Sie retteten sich und auch – jene andere!«
»Rosa, spricht nicht aus Ihnen Eifersucht?« sagte er gereizt.
Rosa zuckte zusammen und schwieg eine Minute lang, dann aber sagte sie voll Würde: »Wäre das so, dann hätten Sie ein Recht, mich zu verachten; aber weil dem nicht so ist, darf ich sagen, was ich jetzt bekennen werde. Ja, vom ersten Augenblick an, wo ich Sie sah, hat Ihnen mein Herz einen heiligen Kultus gewidmet; ich sah mein Ideal in Ihnen verkörpert, und erst als der Schmerz der Entsagung mir mit der Erkenntnis der Wirklichkeit klar wurde, verstand ich, daß das, was mein Herz fühlte, die Liebe sei.«
»Rosa,« rief der Prinz erschüttert und wollte sie umfassen.
Sie wehrte ihm sanft und fuhr fort: »Nein, nicht so! Wir sehen uns heute zum letztenmal. Nach dem, was ich gesagt habe, darf ich Sie nicht wieder sehen. Aber um so mehr darf ich als Schutzgeist Sie umschweben, darf ich in Ihrem Leben sein, was Sie ›himmelan‹ führt und vor den »Erinnyen« bewahrt. Lassen Sie mir das Glück, lassen Sie mich glauben, daß, wenn einst tausende segnend zu Ihnen als dem Vorbild aller Tugenden aufsehen, ein Teil dieses Segens auch im stillen auf mein Haupt zurückfällt.« Sie schwieg, von innerer Bewegung überwältigt.
Waldemar aber rief: »Ach, Rosa, Sie zerreißen mir das Herz! Ich fühle es, ich weiß es: Sie haben recht: ich hätte widerstehen, hätte dem Zauber, der meine Sinne gefangennahm, Einhalt tun müssen, ich war es meinen Idealen, ich war es den tausenden schuldig, die dereinst von mir ein Beispiel fordern, aber – jetzt bin ich den Erinnyen verfallen, ich kann nicht mehr zurück – in einer Stunde muß ich fort mit ihr, die mir alles opfert – sie jetzt verlassen, hieße auch einen Treubruch begehen, hieße ein Herz brechen, das sich mir ergeben,[360] es zurückstoßen in entwürdigende Verhältnisse, es vielleicht einer grausamen Rache preisgeben – hieße mein Wort brechen. Meine Ehre fordert, daß ich es halte ...«
»Nein, nein, das ist ein falscher Begriff,« fiel ihm Rosa ins Wort; »ich bin jung und kenne die Welt noch wenig, aber mein Herz sagt es mir: es ist ein Wahn, die größere Schuld auf sich nehmen, um eine kleinere von sich abzuwenden. O, lassen Sie mich in diesem letzten heiligen Augenblick die eitle Konvenienz der Welt von mir werfen: Waldemar ... hören Sie das Wort eines Wesens, das der Schmerz zur Seherin gemacht hat, der plötzlich alles klar ist: Nein, Sie retten auch jene Frau, wenn Sie ihr entsagen. Sie ist eine Verlorene in der Welt, der sie angehört, wenn sie mit Ihnen flieht und vielleicht wird dann die Rache eines beleidigten Gatten sie ereilen. Kann sie um Ihretwillen, um Sie Ihrer hohen Bestimmung zu erhalten, ihrer egoistischen Liebe nicht entsagen, dann ist sie Ihrer nicht wert und Sie dürfen sie ohne Vorwurf verlassen. Ist sie aber ein echtes, großes Frauenherz, so wird sie auch in der letzten Stunde umkehren, sobald sie einsieht, um was es sich handelt, und Sie freigeben. Sie behält die Achtung der Welt, die Achtung ihres Gatten und vor allem die Achtung vor sich selbst. Ist das nichts? Es ist viel.«
»Für ein Herz, das glühend liebt?« sagte Waldemar zweifelnd.
»Ein Herz, das so liebt, ist zu egoistisch, um zu verbluten,« sagte Rosa schmerzlich. »Jetzt gehen Sie, noch ist es Zeit, noch können Sie alles wenden. Wollen Sie es, Waldemar?« setzte sie mit tiefer Innigkeit hinzu. »Wählen Sie, o wählen Sie und – bleiben Sie Sieger.«
»Rosa, wenn es noch möglich wäre – Sie sprechen wie mein besseres Selbst, – wie mein Schutzgeist. Teure, liebe Rosa, wäre ich nur Ihnen allein hier begegnet.«
»Die Zeit drängt,« fiel sie ihm ins Wort. »Waldemar, es ist die Stunde am Ölberg, die für jeden kommt; entscheiden Sie.«[361]
»Sie siegen, Rosa – ich will's versuchen, ob ich – sie bewegen kann, zu entsagen – sie wird mich der Schwäche zeihen – mich verachten.«
»Besser das, als wenn Sie sich selbst verachten müßten,« erwiderte Rosa; »und ist sie edel, so wird sie sich selbst besiegen und es verstehen. Aber Heil Ihnen, Prinz, daß Sie so entschieden; nun darf ich mein Ideal in Ihnen lieben für ewig, und nun – leben Sie wohl! ....« setzte sie mit brechender Stimme hinzu.
»Rosa, teures Wesen, ich sehe Sie wieder,« rief Waldemar und ergriff ihre Hand.
»Nein, nein,« hauchte sie kaum hörbar und entzog ihm sanft die Hand; »morgen bin ich fern von hier, eilen Sie.«
Waldemar wollte schmerzergriffen noch einmal sich ihr nähern; sie wehrte ihm mit der Hand, ohne reden zu können, und er verließ sie und den Palast, ohne von jemandem bemerkt zu werden.
Als sie allein war, sank Rosa nieder auf die Bank und griff mit der Hand nach dem Herzen, das in heftigen Zuckungen schmerzvoll erbebte. Wie groß die Anstrengung gewesen war, ihre Kraft zusammenzuhalten während der vorhergehenden Augenblicke, jetzt war diese zu Ende. Ein vernichtender Schmerz überflutete ihre Seele, denn so hoch es sie beglückte, daß er den Willen hatte, das Verhängnis abzuwenden, so beschlich sie doch der grausame Zweifel, ob er die Kraft haben würde, zu widerstehen, wenn die Herzogin, wie sie vermutete, nicht ablassen würde von ihrem Sinn. Sie achtete der feuchten Nachtluft nicht, die durch die leichte Kleidung erkältend auf sie eindrang, sie hatte den Ort vergessen, wo sie sich befand, und die Zeit, die verstrich; die Dunkelheit und die Einsamkeit, die sie umfingen, waren ihr willkommen; in ihrem Leben war es auch dunkel geworden und eine ewige Nacht schien sich über die Welt gebreitet zu haben. Plötzlich fuhr sie empor, denn es schlugen Stimmen an ihr Ohr und dicht vor ihr, nur durch das Lorbeergebüsch getrennt, hielten zwei Personen, wie sie nach den Stimmen vermuten mußte,[362] still. Sie vernahm Waldemars Namen und das machte sie aufhorchen, und bald war der Inhalt des Gespräches, das zwar halblaut geführt wurde, ihr aber ganz vernehmlich war, derart, daß sie den Atem anhielt und keine Bewegung machte, um ihre Gegenwart nicht zu verraten.
»Ist's möglich, so weit war es gekommen, sie wollte mit ihm fliehen?« sagte die eine Stimme, in der Rosa die des Kardinals erkannte; »aber sind Sie auch recht berichtet, Herzog? Und wie erfuhren Sie es?«
»Ich hatte längst die wachsende Leidenschaft Giulias für den jungen Prinzen bemerkt, die ja auch Ihnen, Eminentissimo, nicht ganz entgangen war, wie Sie mir mitteilten,« versetzte der Herzog; »natürlich beobachtete ich in der Stille, führte sie nach Perugia, weil ich dachte, die Entfernung werde helfen; aber sie verließ Perugia vor mir, wohl in der Hoffnung, hier mit dem Prinzen allein zu sein. Ich folgte ihr auf dem Fuß und fand abends bei meiner Ankunft, daß der junge Mann bei ihr war und lange blieb. Nachher ging ich zu ihr und an ihrer Aufregung, der Entrüstung, mit der sie mich behandelte und mich verließ, sah ich, daß ich zu energischen Mitteln greifen müsse, um das Äußerste zu verhüten. Ich wußte, daß sie völliges Vertrauen in ihr Kammermädchen setzte, daß diese aber ein leichtfertiges Kind sei und bestechlich, auch daß sie einen Liebhaber habe und gern heiraten möchte. Nun, die gewann ich, obwohl sie erst nichts davon wissen wollte, ihrer Herrin untreu zu werden. Als ich ihr aber eine reichliche Aussteuer und ihrem Geliebten eine gute Anstellung auf meinen Gütern verhieß, ging sie zu mir über und berichtete mir treulich, was vorging. So erfuhr ich, daß Briefe gewechselt wurden, und endlich, daß eine Zusammenkunft stattfand am frühen Morgen in einer einsamen Kirche, wo die Möglichkeit einer gemeinsamen Flucht verabredet wurde; jetzt durfte ich nicht länger zögern; ich bereitete alles zur Reise nach Sizilien vor und ging, ihr dies in schonender Weise, ihre Gesundheit als Vorwand nehmend, anzukündigen. Sie protestierte anfangs, schien aber dann einzuwilligen. Doch[363] erhielt ich Nachricht durch die Zofe, daß ein Brief eilig an den Prinzen abgeschickt sei und daß der Fluchtplan diese Nacht zur Ausführung kommen solle. Natürlich habe ich rasch meine Maßregeln getroffen. Wenn die Herzogin zur bestimmten Stunde den Palast verlassen will, hoffend, dies unbemerkt durch eine Hintertür aus ihren Gemächern und eine Seitentreppe, die in die enge Gasse neben dem Palast führt, tun zu können, so findet sie jeden Ausgang verschlossen und zwar so, daß keine Möglichkeit ist, zu öffnen. Hilfe herbeizurufen, wird sie kaum wagen, da dies die Sache öffentlich machen würde; doch sollte sie es versuchen, so ist auch dafür gesorgt. Morgen in der Früh komme ich, sie in den Wagen zu führen, der uns fortbringt nach Neapel und von da geht's aufs Schiff. Ich weiß, welche Ausbrüche der Leidenschaft, ja des Hasses mich erwarten; ich muß das über mich ergehen lassen; aber ich kenne Giulia; sie ist eine heftige, leidenschaftliche, aber auch eine stolze Natur und wenn sie erst unter dem Einfluß der Schwester und der Freunde eine Zeitlang lebt, wird sie es mir danken, ihren Ruf vor der Welt gewahrt zu haben, und daß sie als Herzogin von Santomara wieder ein erster Stern der Gesellschaft sein kann, anstatt als Mätresse eines jungen Prinzen, bald von diesem verlassen und von der Welt ausgestoßen zu sein.«
»Schön, schön,« sagte der Kardinal, »das ist schon alles gut eingerichtet, aber was machen Sie mit dem Prinzen?«
»Nun, eine kleine Lektion kann dem jungen Herrn nichts schaden,« erwiderte der Herzog mit einem kurzen, spöttischen Auflachen; »wenn er mit dem Wagen kommt, wie ihm befohlen ist, so findet er niemanden und kann eine kleine Nachtwache im Wagen halten; sollte er aber irgendeinen gewaltsamen Versuch machen, so sind ein paar handfeste Leute in der Nähe, die, ohne zu wissen, wer er ist, ihm ein kleines Gedenkzeichen geben werden, natürlich leicht heilbar, so daß das Muttersöhnchen in Frieden zu seinem deutschen Hof zurückkehren kann, mit dem Vorsatz, künftig unsere schönen Frauen in Ruhe zu lassen.«[364]
»Hm! Das Ganze kann dann als ein nächtliches Straßenabenteuer angesehen werden, für das niemand verantwortlich ist,« sagte der Kardinal.
»Natürlich, und die deutschen Herren werden die ersten sein, die sich bemühen werden, nichts davon verlauten zu lassen. Aber ich habe Eminenz jetzt schon zu lange hier draußen aufgehalten; ich suchte nur den einsamen Ort, um unbelauscht sprechen zu können. Ich eile jetzt nach Hause, alles zu überwachen und bitte nur, daß Sie, als mein altbewährter Freund, in der Gesellschaft die Notwendigkeit unserer plötzlichen Reise um Giulias Gesundheit willen ver treten, damit keine andere Vermutung aufkommen könne.«
Als die beiden sich entfernt hatten, sprang Rosa auf. Eine tödliche Angst vor der ihm drohenden Gefahr verdrängte jeden Gedanken an sich selbst und sie fühlte nur eines: sie mußte hin, ihn warnen, retten oder sein Schicksal teilen. Sie achtete des Schauders nicht, der ihren zarten Körper durchrieselte und eilte geflügelten Schrittes durch den Garten in den Palast zurück. Auf der Brücke, die in diesen führt, stieß sie auf Raden.
»Ah, gut, daß ich Sie finde, Signorina!« rief Raden. »Wissen Sie, wo der Prinz ist? Ich sah Sie vorhin mit ihm in den Garten gehen; nun such ich ihn und kann ihn nicht finden!«
»Fort ist er! Eilen Sie nach Haus; wenn er noch dort ist, lassen Sie ihn nicht weg oder bleiben Sie bei ihm, ihm droht Gefahr,« flüsterte Rosa und wollte vorübereilen.
»Um Gottes willen, was sagen Sie? Was ist geschehen?« fragte Raden erschreckt und ergriff ihre Hand, sie aufzuhalten. »Wo ist er hin? Wo eilen Sie hin?«
»Ach, rasch, rasch, auch ich eile ihm nach, ihn zu warnen«, und lief fort.
»Was bedeutet das?« sagte Raden zu sich selbst und sah ihr einen Augenblick betroffen nach.
»Hat die Liebe diesem Kind den Kopf verdreht oder droht[365] wirklich dem Prinzen ein Unheil? Aber wie? Woher? Wie weiß sie es? Jedenfalls will ich ihr folgen und nach Hause eilen. Der Professor ist schon zurück, um zu sehen, ob Nachrichten aus der Heimat da sind. Das wollt' ich Waldemar gerade sagen.«
Rosa eilte indes raschen Schrittes durch die Säle dem Ausgang zu, ohne nur an ihre Begleiterin zu denken, die sich am Büfett bei Süßigkeiten und Gefrorenem gütlich tat. Mehrere der jungen Kavaliere, die Rosa immer huldigend umschwärmten, wollten sich ihr nahen, ihr Erfrischungen anzubieten oder Schmeicheleien zu sagen; sie flog aber an ihnen vorüber, ohne auf sie zu achten und verschwand im Vorzimmer. Mit spöttischem Lächeln sagte einer von ihnen, als mehrere ihre Verwunderung über dies Benehmen äußerten: »Nun, die kleine Diva wird wohl eine aufregende Szene mit ihrem Anbeter, dem deutschen Prinzen, gehabt haben; ich sah sie vorhin an seinem Arm in den Zaubergärten der Armida draußen verschwinden. Wer weiß, was sich da begeben hat?« Die Bemerkung erregte allgemeine Heiterkeit; und froh, eine Bresche in der keuschen Zurückhaltung der jungen Dichterin zu ahnen, verlor sich die Gruppe der jungen Kavaliere wieder unter der übrigen Gesellschaft.
Rosa indessen ergriff aufs Geratewohl einen dunklen Mantel aus den im Vorsaal befindlichen Kleidungsstücken der Gäste, warf ihn um und eilte hinaus in die Nacht durch die schlecht erleuchteten Straßen, ohne zu bedenken, was für Widerwärtigkeiten ihr begegnen könnten, ohne der feuchten Kälte zu achten, die ihren Körper bereits ergriffen hatte. Nur ein Gedanke beherrschte sie: den Prinzen zu finden, ihm zu sagen, wie sein Vorhaben scheitern müsse an den Veranstaltungen des Herzogs und ihn zu retten vor einem Angriff, der leicht gefährlich werden konnte, selbst wenn dies nicht die Absicht des Herzogs war. Sie schritt, so rasch sie konnte, dem Palast des letzteren zu, denn dort mußte sie den Prinzen jedenfalls finden, da es ganz nahe an Mitternacht war und er vorher einen Versuch hatte machen wollen, die Herzogin zu[366] sprechen, um sie zu bewegen, vom äußersten Schritt zurückzutreten. Atemlos und mit heftig pochendem Herzen nach dem raschen Lauf kam sie bei dem Palast an, der anscheinend in tiefer Stille und nächtlicher Ruhe dalag. Kein menschliches Wesen war bei diesem zu sehen. Rosa betrat die enge Nebengasse, in der absolute Finsternis herrschte. Auch hier war alles tiefe Stille, aber dessenungeachtet und trotz der Finsternis, die sie umgab, war es Rosa, als spüre sie die Nähe eines menschlichen Wesens und es überkam sie ein schauderndes Gefühl der Furcht. Fast wäre sie zurückgeeilt, um dem unheimlichen Ort zu entfliehen, aber der Gedanke an Waldemar ließ sie beharren.
Sie machte noch einige Schritte vorwärts und plötzlich stieß sie an etwas, das an der Mauer des Palastes lehnte und offenbar eine menschliche Gestalt war. Es entfuhr ihr ein kleiner Ruf des Schreckens und in diesem Augenblick fragte eine gedämpfte Stimme: »Wer ist da?«
Trotz der verstellten Stimme durchzuckte es Rosa freudig und sie sagte ganz leise: »Waldemar?«
»Giulia – du bist es?« flüsterte der Prinz. »Ich suchte zu dir zu gelangen, ich mußte dich sprechen – wollte dir noch einmal alles vorstellen, was du wagst, was du aufs Spiel setzest – noch wäre es Zeit gewesen – noch könntest du ruhig bleiben, ohne daß jemand deinen Vorsatz geahnt hätte ...«
Rosas Herz stürmte von überfließender Wonne, dies zu hören; denn es zeigte ihr, daß er seinem Worte hatte treu bleiben wollen und sie hielt an sich, ohne ihn zu unterbrechen. Er fuhr fort: »Die Diener wiesen mich ab mit der Weisung, du habest dich bereits niedergelegt und streng befohlen, niemanden vorzulassen. Ich forschte nach Marietta unter dem Vorwand, nach deinem Befinden fragen zu wollen; man sagte mir, sie sei in deinem Zimmer und man dürfe sie nicht rufen, um dich nicht zu stören. Ich konnte nicht mehr fordern, um keinen Verdacht zu erwecken; was blieb mir übrig, als hier zu warten, denn die Stunde ist da, wo mein Diener kommen und mir das Zeichen geben muß, daß der Wagen[367] in der nächsten Straße uns erwartet. Aber noch ist es Zeit, o Giulia, einem geträumten überschwenglichen Glück zu entsagen um der kalten, aber der höheren Pflicht willen. Du bleibst die anbetungswürdigste der Frauen, der höchsten Ehren wert; ich frevle nicht an meiner Bestimmung; uns bleibt für alle Zeit die Erinnerung an ein seliges, zu kurzes, aber vorwurfsloses Leben und darin der Lohn für das bittere Entsagen. Sprich, Giulia – entscheide – was in diesem Augenblick in mir vorgeht, du kannst es nicht ahnen – in deinen Händen ruht mein Geschick.«
Alles dies war in Hast, flüsternd hervorgestoßen, mit einer Stimme, an deren Beben man die namenlose Erregung des Redenden erriet und hatte nur wenige Sekunden gedauert. Nun mußte auch Rosa ihr Schweigen eilig brechen, denn die Zeit drängte und ihre Angst erwachte mit doppelter Gewalt. Sie unterbrach ihn und flüsterte ebenfalls: »Nicht Giulia, Rosa ist es, die hier steht, die in diesem Augenblick im höchsten Leid das höchste Glück genießt, denn Sie wollen siegen. Doch jetzt schleunigst fort; ich eilte her, um Sie zu retten. Ihrem edlen Willen kommt alles zu Hilfe.« Und nun erzählte sie mit fliegendem Atem, was sie gehört, wie die Herzogin verhindert wurde, zu kommen, wie ihm Enttäuschung in vergeblichem Warten, Gefahr bei irgendeinem kühnen Versuch drohe; sie beschwor ihn, schleunigst zurückzukehren, damit kein Beauftragter des Herzogs ihn hier finde. Waldemar war außer sich, sein Stolz empörte sich dagegen, Giulia hilflos zu lassen und so von dem Herzog überlistet zu sein und doch sah er ein, daß alles, was er wagen könne, die Sache nur öffentlich machen und die Herzogin bloßstellen würde. Der Gedanke, wie sie ihn beurteilen und daß sie ihn für treulos und verachtungswert halten würde, wenn sie glauben müßte, er habe ihr aus Feigheit nicht Wort gehalten, blitzte ebenfalls durch seinen Sinn. Aber kam nicht wirklich das Schicksal hier mit der rechten Entscheidung ihm zu Hilfe und würde nicht selbst ein so bitteres Verkennen dem Stolz der Herzogin helfen, die gekränkte Leidenschaft zu überwinden?[368] Denn was er immer instinktiv gefühlt hatte, jetzt wurde es ihm klar: Giulia liebte ihn mit der rasch auflodernden sinnlichen Glut des Südens und solche Glut kann erlöschen vor dem Stolz, vor dem beleidigten Selbstgefühl; aber die wahre, die selbstlose, die reine Liebe, sie stand jetzt neben ihm in Gestalt des jungen Mädchens, das in völligster Entsagung um seinetwillen alles wagte. Und wie sich diese Gedanken in ihm jagten, rief er mit überquellendem Gefühl: »Rosa, Rosa, mein teurer Schutzgeist, muß ich dir wieder folgen?« Und mit Ungestüm umschlang er sie und drückte sie an sein Herz. Sie ließ es diesmal geschehen und einen Augenblick ruhten seine Lippen fest auf den ihrigen in einem langen, innigen Kuß; jetzt durfte sie diese letzte heilige Wonne von ihm, dem Sieger, empfangen als ein Pfand für die Ewigkeit, die in dem Augenblick wie eine Lichtvision durch ihre Seele leuchtete.
Da erscholl ein kurzer Pfiff und Waldemar fuhr empor. »Das ist mein Diener,« sagte er, »der mit dem Wagen da ist; komm, teure Rosa, ich kann dich hier nicht allein lassen, ich will dich geleiten; Gott sei mit der armen Giulia!«
Aber eilige Schritte nahten sich und Rosa flüsterte: »Nein, ich geh allein, nicht unter Menschen ...«
»Friedrich, bist du es?« fragte Waldemar leise.
»Der Wagen ist bereit, Hoheit,« sagte der Diener; »aber ich glaube, daß der Herr Baron gleich hier sein wird. Die Herren sind in größter Aufregung; der Herr Professor hat den für ihn zurückgelassenen Brief bereits gefunden und ich hörte den Herrn Baron sagen: ich eile zu dem Palast Santomara; hoffentlich ist es noch Zeit; der Prinz muß es wissen, daß der Brief da ist, der ihn auf der Stelle zurückruft an das Sterbebett der Mutter ...«
»O Gott, das auch noch!« rief Waldemar schmerzvoll. »Ja, Rosa, doppelt und dreifach bist du mein Schutzgeist, daß du mich zurückhieltest, sonst hätte ich jetzt auch meine Sohnespflicht versäumt.«[369]
In dem Augenblick ertönten Schritte und Stimmen von der Seite der Straße her, wo der Wagen wartete.
»Das sind die Herren!« sagte der Diener.
»Leb wohl, Rosa, leb wohl! Du wirst von mir hören; ich eile zu den Gefährten, damit hier im Palast nichts gehört werde. Glück und Segen über dich!«
Mit diesen Worten eilte der Prinz seinen Begleitern entgegen und der Diener folgte, indem er zu sich selbst sagte: »Er fängt gut an, mein junger Herr! Mit der einen wollte er fliehen, mit der anderen steht er hier in dunkler Nacht zusammen! Na, da hat der Herr Professor auch vergeb'ne Müh' gehabt! 's ist ja auch dummes Zeug! Warum sollte sich so ein Jüngster nicht vergnügen? Er hat ja Geld genug dazu!«
Rosa hörte die Tritte und Stimmen sich entfernen und darauf das Rollen eines Wagens und dann war wieder die tiefe Stille in der Finsternis wie vorher. Zu Tode erschöpft, wollte nun auch sie gehen und ihre Wohnung zu gewinnen suchen. Sie machte einige Schritte vorwärts, da fühlte sie sich plötzlich von einer starken Hand ergriffen und eine rauhe Stimme sagte: »Aha, da ist auch eine von der Bande, die im Dunkeln schleicht! Da, nimm das zum Andenken und versuchs nicht wieder, hier Böses auszuführen.«
In dem Augenblick drang eine kalte, schneidige Spitze in ihren Arm; ein furchtbarer Schmerz durchzuckte sie; mit einem kurzen Aufschrei sank sie zu Boden und die Sinne entschwanden ihr.
Der Morgen graute noch kaum, ein fahles Dämmerlicht verbreitete sich in den Straßen Roms, aber in den engen Gassen war es noch ganz finster. Da kam der junge Beppo, der Bruder Vittorias, als das erste lebende Wesen des Weges und umschlich den Palast. Die Marietta hatte ihm gesagt, sie würde in der ersten Morgenfrühe mit ihrer Gebieterin und dem Herzog Rom für einige Wochen verlassen[370] und er solle noch bei nächtlicher Weile herbeikommen, damit sie unbemerkt herausspringen und Abschied von ihm nehmen könne. Er betrat die dunkle Seitengasse, denn da war die Tür, an der Marietta zu erscheinen pflegte, um ihm am Fuße der Hintertreppe, die zu den Räumen der Dienerschaft führte, ihre kurzen Stelldichein zu geben. Kaum hatte er einige Schritte gemacht, so stieß sein Fuß an etwas auf dem Boden. Er bückte sich, es aufzuheben, fühlte mit Entsetzen, daß es ein menschlicher Körper war und wollte im ersten Augenblick entfliehen, um nicht etwa in eine schlimme Angelegenheit verwickelt zu werden. Aber er warf sich das alsbald als Unrecht vor – denn konnte hier nicht bloß ein Unfall gewesen und noch Hilfe möglich sein? Oder war es nicht auch Pflicht, ein Verbrechen, wenn ein solches vorlag, aufzudecken?
Er tastete an dem vor ihm liegenden Körper umher und es schien ihm, als seien es Frauenkleider, die er fasse; er griff nach der Seite des Herzens und fühlte dessen leises Schlagen. Nun besann er sich nicht lange; mit kräftigen Armen hob er den Körper empor und trug ihn nach vorn, wo inzwischen die Helle soweit vorgerückt war, daß er erkennen konnte, er halte ein Weib in den Armen. Vorsichtig legte er sie hier nieder und bemerkte an dunklen Flecken auf einem weißen Gewand, daß Blut vergossen worden sei. War es nun durch die Bewegung oder durch die frischere Luft in der offenen Straße angeregt: die anscheinend Leblose stieß einen tiefen Seufzer aus und machte eine Bewegung mit der Hand, und jetzt ließ die zunehmende Helle den Burschen auch die Gesichtszüge der vor ihm Liegenden, neben der er niedergekniet war, unterscheiden.
»Jesus Maria, irre ich nicht – das ist ja die Signorina meiner Schwester,« sagte er beinahe laut; »ist's möglich? – Was kann ihr widerfahren sein – wie schrecklich – was wird Vittoria sagen! – Aber sie lebt noch, es muß rasch Hilfe geschafft werden – unser Haus ist ja nahe – ich trage sie zu der Schwester, die wird Rat schaffen.«[371]
Alle diese Gedanken gingen mit Blitzesschnelle durch Beppos Kopf, und sein gutes Herz vergaß des Abschieds von Marietta, um der Hilfsbedürftigen beizustehen. Er hob sie abermals in seinen Armen auf und da er jung und kräftig war, konnte er mit seiner Bürde durch die zum Glück noch völlig menschenleeren Straßen ungestört vorwärts schreiten bis zu dem am äußersten Ende einer der ärmeren Gassen gelegenen Häuschen, in dem er mit der Schwester wohnte.
Vittoria war noch im Bett, als der Bruder die Tür ihrer Kammer öffnete, mit seiner Last auf den Armen eintrat und sie beim Namen rief. Vittoria fuhr empor und starrte noch schlaftrunken auf die Erscheinung, die sie sich nicht gleich zu deuten wußte.
»Beppo, um aller Heiligen willen, was bringst du da?« rief sie dann entsetzt, als sie das blutbefleckte Kleid sah.
»Schnell, Schwester, steh auf, gib Raum auf deinem Bett für diese Verwundete, deine Signorina,« sagte Beppo.
»Meine Signorina? O heilige Mutter Gottes, ist's möglich?« schrie Vittoria und sprang aus dem Bett, auf das jetzt Beppo seine Bürde legte. »Sie ist's, ewige Barmherzigkeit, sie ist's!« rief sie, als sie sich über das Angesicht der vor ihr Liegenden gebeugt hatte. »O, Beppo, was ist geschehen? Wo hast du sie gefunden?«
»Ach, nachher erzähl ich dir alles; jetzt schaff nur Hilfe; sie lebt noch – rasch – rasch, du weißt ja, was man tun muß,« sagte Beppo.
»Ja, du hast recht,« rief Vittoria, warf sich schnell ein Tuch um und fing an, Rosas Kleider zu lösen. »Sieh, hier ist eine Wunde am Arm, daher das viele Blut. O welche Missetat – meine holde Signorina!« rief sie schmerzvoll; aber entschlossen und verständig, wie sie war, verlor sie keinen Augenblick mit unnützen Klagen. Sie hieß den Bruder in der frühen Stunde alles im kleinen Haushalt bereiten und machte sich daran, die Wunde an Rosas Arm, die mit geronnenem Blut bedeckt war, zu waschen und zu verbinden, Rosa in warme Decken zu hüllen und auf ihrem Lager sorglich zu[372] betten. Nach einiger Zeit fing die rückkehrende Wärme an, das todähnliche Gesicht etwas zu beleben; Rosa schlug die Augen auf, sah matt umher, schloß sie aber gleich wieder und gab kein Zeichen des Bewußtseins.
Der Tag war inzwischen vollends angebrochen; Vittoria schickte den Bruder, die Signora Amadei zu benachrichtigen, andere Kleider für Rosa herbeizuschaffen und einen Arzt zu rufen. Sie blieb bei der Verwundeten und endlich gelang es ihren Bemühungen, diese vollends erwachen und zum Bewußtsein zurückkehren zu sehen. Doch nur nach und nach besann sich Rosa auf das Erlebte und fand sich mit ihren Gedanken in ihrer Umgebung zurecht. Ein matter Strahl von Freude flog über ihr Antlitz, als sie sich in Vittorias Händen fand und bald genug stellte es sich heraus, daß sie dort vorerst werde bleiben müssen; denn als der Arzt erschien, erklärte er sie für sehr krank; das heftigste Fieber stellte sich ein, und sie zu transportieren wäre Gefahr für sie geworden. Zudem erschien die Signora Amadei in voller Entrüstung über die »Streiche Rosas«, wie sie es nannte, in der Nacht fortzurennen, ohne sie zu benachrichtigen und wer weiß was zu beginnen, einem fremden Prinzen nachzulaufen. Sie habe es immer gesagt, daß diese Vertraulichkeit schlimm enden werde; nun sei Rosas Ruf auf immer verloren und sie müsse sich schämen, ihre Beschützerin gewesen zu sein. Aber sie werde es auch laut erklären, daß sie sich von der leichtsinnigen Person lossage; schon fange man an, darüber zu reden, daß Rosa die Geliebte des Prinzen gewesen und in der Nacht zu ihm gelaufen sei, weil der Prinz eilig Rom habe verlassen müssen, um in seine Heimat zurückzukehren. Alles dies schrie sie hervor in häßlichstem Zorn, vor Rosas Bett stehend, die in furchtbarer Qual die Augen schloß und ihrem Eifer nicht wehren konnte, bis Vittoria, die aus dem Zimmer gewesen war, eintrat und die Wütende ohne weiteres zum Zimmer hinausschob, indem sie in gerechter Entrüstung ihr Betragen tadelte. Die Amadei höhnte sie, daß eine Popolana es wage, ihr Verweise zu geben und eilte weg. Der Eindruck, den[373] dieser Vorgang und die Gewißheit trauriger Verleumdung auf Rosa gemacht hatten, zeigte sich bald in erhöhtem Fieber, das in Delirium ausartete und sie wochenlang zwischen Leben und Tod erhielt. Vittorias aufopfernde Liebe wachte über ihr mit mütterlicher Sorgfalt; sie hatte ihr kleines Heim für Rosa eingerichtet, so gut es gehen wollte, sie schlief neben ihr auf der Erde, um sie auch in der Nacht keinen Augenblick zu verlassen.
Beppo mußte den Laden und das Geschäft besorgen. Die Amadei war fort mit dem größten Teil der Einnahmen, die Rosa gehörten. In Rom sprach man einige Tage lang von nichts anderem als von der plötzlichen Abreise des Prinzen und dem rätselhaften Verschwinden der Improvisatrice, das man damit in Verbindung brachte. Einige behaupteten, er habe sie mitgenommen, andere sagten, sie habe sich getötet aus Schmerz über sein Fortgehen. Daß auch die schöne Herzogin gleichzeitig mit dem Gemahl abgereist war, erregte zuerst einiges Bedenken, wurde aber durch des Kardinals Fürsorge in ganz natürlicher Weise erklärt und weiter nicht beachtet. Bald verfiel jedoch das alles der Vergessenheit, wie es zu gehen pflegt, und neue Vorkommnisse beschäftigten die müßige Neugier und das skandalsüchtige Publikum.
Es war wieder Frühling in Rom. Seit jenen Ereignissen waren mehrere Jahre verflossen. Vittoria war noch immer die schöne, ernste, tätige Frau, als die wir sie früher gekannt haben. Ja, sie hatte ihre Tätigkeit verdoppelt und ihre Bottega wurde vom Morgen bis zum Abend nicht leer von Kaufenden, da ihre Ware immer die frischeste und beste im ganzen Stadtviertel war. Die Nachbarn, die Ähnliches feilboten, sagten oft: »Die Vittoria muß bald reich sein, die bekommt Quattrini!« – Aber niemand neidete es ihr, denn sie war die rechtschaffenste Frau ihres Gewerbes und dabei[374] gern hilfreich und erbarmungsvoll gegen fremde Not. Viele Männer hatten Wohlgefallen an der stattlichen Witwe gefunden und versucht, sich ihr zum Ersatz für den früh verlorenen Gatten anzubieten; doch hatte sie alle derartigen Versuche freundlich, aber bestimmt abgewiesen, und wenn man sie fragte, warum sie es vorziehe, allein zu bleiben, und scherzend hinzusetzte, was sie denn mit all ihren Quattrinis anfange, da antwortete sie jedesmal, sie sei nicht allein und habe schon jemanden, für den sie sorgen müsse. Da sie aber streng zurückhaltend in ihrem Benehmen war und nie jemanden aufforderte, in ihre Wohnung zu kommen, so wußte man nicht recht, was es damit für eine Bewandtnis habe, und nach und nach ließ man sie in Ruhe und bekümmerte sich nicht mehr darum.
Sie aber, wenn sie gegen Abend ihre Bottega schloß, ging nie nach Hause zurück, ohne irgend etwas einzukaufen, das nicht bestimmt schien, einem Bedürfnis abzuhelfen, sondern eher als etwas Überflüssiges, aber Angenehmes Freude zu machen: ein Buch oder hübsches Schreibpapier und dergleichen oder auch nur ein Stück feine Seife, eine kleine Näscherei usw. Kam sie dann nach Hause, so gab sie ihrem Gesicht den freundlichsten Ausdruck, obwohl ihr Sorge tief im Herzen saß; sie trat in ihr früheres Zimmerchen ein, das sie so freundlich wie möglich eingerichtet hatte und in dem jetzt eine Ordnung und Reinlichkeit, ja eine einfache Anmut herrschten, die darauf deuteten, daß hier nicht die beschäftigte Frau des mühsamen Erwerbes, sondern eine feineren, ästhetischen Bedürfnissen zugewandte Existenz vorwaltete. An der offenen Fenstertür, die auf eine kleine Loggia führte, von der man ins Freie, auf die melancholische Schönheit der Campagna und die in blauen Duft gehüllte Linie des Gebirges sah, saß denn auch an einem mit Papieren und Büchern bedeckten Schreibtisch eine zarte weibliche Gestalt, wie es schien in tiefes Nachsinnen verloren, wohl über den Inhalt des Buches, das aufgeschlagen vor ihr lag. Sie hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und die Stirn ruhte in ihrer feinen wachsbleichen Hand, und so tief schien sie in Gedanken[375] versunken, daß sie Vittorias Eintreten nicht eher bemerkte, bis diese neben ihr stand und sagte:
»Guten Abend, meine liebe Signorina, wie geht es heute, wie ist der Tag gewesen? Haben Sie auch nicht zuviel studiert?«
Die Angeredete erhob den Kopf und ein freundliches Lächeln überflog das bleiche, vergeistigte Gesicht, das trotz der unverkennbaren Spuren des Leidens doch eine fast noch rührendere Lieblichkeit zeigte als in vergangenen Tagen.
»Gute Vittoria, ich danke dir, es geht mir immer gut in dieser traulichen Heimat, die du mir bereitest mit dem Blick auf die Campagna und die Berge, die ich liebe, und mit meinen Freunden hier« – dabei zeigte sie auf die Bücher; »wie sollte es mir nicht wohl sein in Gesellschaft der erhabensten Geister, die je gelebt? Mit Plato, mit Dante und solchen Auserwählten umzugehen, das ist ein Vorgeschmack des Paradieses.«
»Ach, aber so einsam, meine teure Signorina, und noch so jung,« wendete Vittoria ein.
»Laß doch das Signorina weg, du Gute; ich muß es dir immer wieder sagen, nenne mich Rosa,« sagte diese, sie unterbrechend. »Du, die mehr wie eine Mutter für mich ist, meine Wohltäterin, die mir das Leben erhielt, die mich ernährt und für mich arbeitet. – Ach, Vittoria, es ist zuviel, was du für mich tust; ich kann es nicht vergelten, ich armes, hilfloses Geschöpf; aber da, wo die stille, verborgene Tugend belohnt wird, da wird dein Name heller glänzen als der der vielen, die die Welt preist.« Sie ergriff die von der Arbeit rauhe Hand Vittorias und führte sie an ihre Lippen, während Tränen ihre Augen füllten.
»Aber meine Signo – meine Rosa,« versetzte Vittoria, indem sie rasch ihre Hand zurückzog und sich bemühte, ihre eigene Rührung zu verbergen. »Was tue ich denn? Ihre Gegenwart macht mich glücklich; daß ich es bin, die die gefeiertste Dichterin Roms beherbergen darf; daß niemand außer mir weiß, daß sie überhaupt lebt, und wo – ist das[376] nicht wert, daß ich das Wenige, was ich erwerbe, mit ihr teile?«
»Ach, Liebste, sprich nicht mehr von der Dichterin,« sagte Rosa und senkte das Haupt, während eine Träne langsam über ihre Wange rollte und auf das vor ihr liegende Buch fiel; »die Dichterin, die Improvisatrice, ist lange tot, nie fließen ihr mehr melodische Bilder und Formen zu, wie einst; ja, wenn das noch wäre, dann könnte sie dir vergelten.« Tränen erstickten ihre Stimme.
»Liebe, teure – Rosa,« rief Vittoria und umschlang zärtlich ihren Hals, »um aller Heiligen willen, weinen Sie nicht, regen Sie sich nicht auf. Sie wissen, wie der Doktor jede Gemütsbewegung verboten hat, die dem armen, kranken Herzen schaden kann. Es wird schon wieder kommen, das herrliche Dichten, und was Sie da jetzt alles schreiben, das ist gewiß ebenso schön, wenn ich es auch nicht so gut verstehe. Wenn wir es nur erst einmal gedruckt hätten.«
»Ja, das ist es eben, es ist nicht nach dem Geschmack der Leute und deshalb wird es nie gedruckt werden,« sagte Rosa.
»Es wird schon alles kommen,« tröstete Vittoria, »und da habe ich einstweilen Gedichte eines anderen mitgebracht; der Buchhändler sagt, sie seien so schön.«
»O, Leopardi,« rief Rosa erfreut, als sie den Titel des Buches sah, das Vittoria ihr reichte, »den habe ich mir schon lange gewünscht; ich kenne erst einzelne Gedichte von ihm; das ist der Sänger des Schmerzes, der das Leiden und die Hoffnungslosigkeit so verklärt, mit so ergebener Schönheit überkleidet, daß man sich schämen muß, kleinmütig und verzagt zu sein. Wie danke ich dir, Vittoria, für diese neue Gabe, aber – nun hast du dich wieder beraubt – dir irgend etwas versagt ...«
»Nein, nein,« sagte Vittoria lachend, »ich habe nichts nötig; ich bin gesund und jemehr ich arbeite, je besser ist's mir, und tun Sie denn nicht auch etwas? Ist etwa nicht das Haus in Ordnung und so schön rein und lieblich, wenn ich abends nach Hause komme? Und steht nicht das Abendbrot schon zubereitet[377] auf dem Tisch? Ist nicht mein Leben dadurch auch viel leichter? Und dann den guten Einfluß, den Sie auf den Beppo haben! Seit er die Marietta verließ, nachdem er erfahren hatte, auf welche Weise sie die gute Stellung und die reiche Mitgift, die sie ihm anbot, erhalten hatte und seitdem Sie hier im Hause sind, ist der Beppo ein ganz anderer geworden, ein braver, ernster Mensch, auf den ich stolz bin.«
»Der gute Beppo!« sagte Rosa; »ja, es war schön von ihm, daß er seine Liebe zur Marietta bezwang, als er hörte, daß sie ihre Herrin verraten hatte, um den doppelten Gewinn zu haben. Und – hätte sie es nicht getan, wie anders wäre wohl alles gekommen! Was die Herzogin gewollt hatte, wäre gelungen, und welche Folgen ...«
»Ach, denken wir der Vergangenheit nicht mehr,« unterbrach sie Vittoria, die die Wirkung der Erinnerungen auf Rosa fürchtete und stets, wenn sie das Gespräch dahin wendete, etwas zu erfinden wußte, was schnell davon ablenkte, denn sie wußte es nur zu wohl, daß sich bei Rosa infolge der Gemütsbewegungen und der langen heftigen Krankheit ein Herzleiden entwickelt hatte, das keine Heilung zuließ, besonders auch weil die Mittel nicht hinreichten, alles das zur Genesung zu tun, was sie vielleicht hätte herbeiführen können. Aber selbst wäre dies möglich gewesen, so hätten doch die Folgen des Schlages, der so früh die Blüten ihres jungen Herzenslebens geknickt hatte, langsam zehrend ihr Dasein vernichtet. Was vorzüglich in der Tiefe ihrer Seele dem Schmerz um das Verlorene immer neue Nahrung gab, obgleich sie sich darüber nie aussprach, war der Gedanke, daß Waldemar nicht geschrieben, nicht Erkundigungen nach ihr eingezogen hatte. Aber sie wußte nicht, wie eifrig das in der ersten Zeit geschehen war. Da man indes im Hause, wo Rosa gewohnt hatte, nur antwortete: die Damen seien fort und man wisse nicht, wohin sie sich gewendet, da auch der Kardinal, an den der Prinz selbst schrieb, berichtete, man wisse nicht, was aus der Improvisatrice geworden, und mit feiner Ironie andeutete, man glaube allgemein, sie sei einem Stern, den sie[378] im Norden erblickt habe, nachgezogen, nachdem endlich auf die Anfrage nach einer berühmten Improvisatrice in verschiedenen Städten Italiens keine Auskunft gekommen war, – hatten die Nachforschungen allmählich aufgehört. Daß es so war und daß auch sie nichts mehr wußte von dem, dessen Bild noch immer wie eine fern leuchtende Sonne in ihrer Seele stand, war ein heimlich nagendes Weh, das auch ihre größten Anstrengungen nicht zu überwinden vermochten. Doch kam, wie gesagt, nie ein Wort über ihre Lippen. Sie hatte es selbst gewünscht, in der Welt für tot zu gelten, denn nicht nur, daß ihr körperliches Leiden ihr jede Anstrengung und Aufregung unmöglich und schädlich machte, es war auch seit der schweren Krankheit die Gabe des Improvisierens absolut verschwunden. Vittoria hatte oft den Versuch gemacht, um sie zu zerstreuen und der Schwermut zu entreißen, die sich ihrer zuweilen bemächtigte, ihr ein Thema vorzuschlagen, wobei sie scherzend sich und den Bruder als genießendes Publikum nannte, aber Rosa schüttelte nur immer leise und wehmutsvoll den Kopf, denn die Quelle war versiegt und keine Anstrengung vermochte sie wieder zu öffnen. Sie hatte Vittorias liebevolles Anerbieten, bei ihr zu bleiben, angenommen, da sie keine andere Zuflucht in der Welt besaß, und der Einblick, den sie während ihrer kurzen Laufbahn in der Gesellschaft in diese getan hatte, ließ sie die hingebende Liebe und Aufopferung dieser einfachen, reinen, redlichen Natur doppelt hochschätzen. Was sie tun konnte bei ihrer körperlichen Schwäche, um Vittoria zu vergelten, tat sie, indem sie sich der Pflege des kleinen Hauswesens annahm und in den Stunden des Zusammenseins den beiden Geschwistern aus dem Schatze ihres Wissens und ihres fortwährenden Studiums mitteilte, was deren Sinn und Verständnis zugänglich war und die angeborenen edlen Gefühle der rechtschaffenen Menschen noch verstärkte und verfeinerte.
Denn nicht minder als Vittoria verehrte Beppo die Signorina. Von dem Augenblick an, als er sie in seinen Armen wie eine Leblose zur Schwester trug, hatte er ihr einen ehrfurchtsvollen[379] Kultus in seinem Herzen geweiht, der, seit sie mit ihm unter einem Dache lebte und er sie täglich sah und sprach, zu einer stillen, anbetenden Liebe geworden war, vor der das Bild der leichtsinnigen, unedlen Marietta bis auf den Grund erlosch. Aber diese Liebe in des ehrlichen Burschen Herz war die Liebe zu einer Heiligen, der man in Demut und Hingebung naht und die nur der Gedanke im Gebet in den Himmelshöhen erreichen kann, denen sie zuschwebt. Immer zu ihrem Dienste bereit, vergaß er sogar oft die Arbeitszeit bei seinem Meister, wenn sie gerade irgendeinen Wunsch hatte, den zu erfüllen sein höchstes Glück war. Als dann der Meister unzufrieden wurde über die häufige Versäumnis, sagte er sich von diesem los, richtete sich eine eigene kleine Schreinerwerkstatt in dem Hause, in dem sie wohnten, ein, wo er zugleich immer wachsam sein konnte, daß es Rosa an nichts fehle, und außer den Arbeiten, die zum Verdienst und Beitrag zum Haushalt nötig waren, fand er noch Zeit, manches, was zu Rosas Bequemlichkeit dienen oder ihr kleines Zimmer wohnlicher machen konnte, anzufertigen. So lebten die zwei Geschwister in unbegrenzter Hingebung für ihren holden Gast und hielten sich überreich belohnt für ihre Treue, wenn ein stilles Lächeln Rosas Antlitz erheiterte und ein flüchtiges Rot auf den bleichen Wangen erschien. Und Rosas engelhaftes Gemüt ließ sie mit zarter Sorgfalt vermeiden, was den Geschwistern Kummer machen konnte. Sie schien ganz glücklich und heiter in dem stillen, anspruchslosen Leben, und nie erfuhren es Bruder und Schwester, wie manche stille Träne ungesehen floß und wie tief oft die Sehnsucht nach einer, ach zu kurz gekannten Seligkeit ihr krankes Herz füllte.
So verging die Zeit; da kam eines Mittags Beppo und brachte einen Strauß schöner Blumen und ein deutsches Zeitungsblatt. »Das hat mir ein Herr von der deutschen Gesandtschaft gegeben, um mein Werkzeug darin einzuschlagen; ich hatte bei ihm Reparaturen gemacht. Vielleicht freut es Sie, liebe Signorina, es zu lesen, da Sie die deutsche Sprache[380] so gut kennen. Ach, wie ich Sie beneide um das viele Wissen,« setzte Beppo seufzend hinzu.
»Du beneidest mich, Beppo, das hätte ich nicht von dir geglaubt,« sagte Rosa scherzend und lächelte.
»O nein, so mein' ich's nicht,« rief der ehrliche Bursche ganz erschrocken. »Bei der heiligen Mutter Gottes, ich wollte, der Himmel schüttete alles Glück auf Sie nieder, das er seinen Engeln gibt. Ich meine nur, es muß so herrlich sein, soviel zu wissen, und ein großer Trost.«
»Das ist es auch, guter Beppo,« sagte Rosa; »es ist ein Glück, mit großen Geistern zu verkehren, aber höher noch als alles Wissen ist ein Herz wie das Vittorias und das deine, glaub es mir, Beppo; solche Herzen kommen unmittelbar von dem Urquell der Liebe, von Gott; das Wissen muß erst erworben werden und führt erst langsam zu Gott zurück.«
Beppo hörte immer, gerade wie seine Schwester, mit gefalteten Händen und in andächtiger Ekstase zu, wenn seine »Heilige« so sprach, und wenn er sie auch nicht immer ganz verstand, so fühlte er doch etwas in seinem Gemüt vor sich gehen, wie wenn Weihrauchwolken in einem Heiligtum nach oben steigen und vom Altarbild eine Madonna Raffaels mit holdselig verklärtem Lächeln auf uns niederschaut. Tränen in den Augen und in geweihter Stimmung ging er still aus dem Zimmer, um sich an seine Arbeit zu begeben. Rosa sah ihm freundlich nach und dachte: »Ja, im Reiche Gottes werden solche Herzen Ehrenkleider tragen, während der Purpur und die Kronen der Erde als Staub des Vergänglichen verweht sind.«
Da fiel ihr Blick auf die deutsche Zeitung, die Beppo ihr gebracht; halb mechanisch nahm sie diese und warf einen Blick hinein. Bald aber fing ihre Hand an zu zittern, über ihr Antlitz verbreitete sich der Ausdruck unsäglichen Schmerzes und ihr Auge folgte unverwandt den verhängnisvollen Worten, die ihr entgegenstarrten wie lauter Speere, deren ein jeder ihr Herz mit tötender Schärfe traf. Sie las:
»Noch ist unser ganzes Land unter dem Eindruck der tiefen[381] Bestürzung und namenlosen Trauer, die das unerwartete, schreckliche Ende des allgemein geliebten Kronprinzen und Thronfolgers Waldemar hervorgerufen hat. Der Eindruck ist um so tiefer und erschütternder, als die schreckliche Katastrophe durch die edle, großmütige Selbstaufopferung und den hochherzigen Mut dieses seltenen Fürstensohnes herbeigeführt worden ist. Er war hingeeilt, um den durch die furchtbaren Überschwemmungen dieses Frühjahrs in tiefes Elend geratenen Bevölkerungen Hilfe und Trost zu bringen. Da, wo die Wasser sich schon verlaufen hatten, war sein Erscheinen wie ein erster belebender Hoffnungsschimmer für die Betroffenen. Aber es blieben Distrikte, wo noch alles unter Wasser stand und die reißenden Fluten unbarmherzig nicht nur die Hoffnungen des Landmannes auf den schon bestellten Fluren, seine geringe Habe und sein Obdach vernichteten, sondern auch schon mehrere Menschenleben zum Opfer verlangt hatten. Als Prinz Waldemar ankam, war ein ganzes Dorf in dem tobenden Meer versunken und die Bewohner desselben hatten mit verzweifelnder Angst ihr Hab und Gut untergehen gesehen und nichts als das nackte Leben gerettet. Nur ein Häuschen stand noch auf einer kleinen Anhöhe inmitten der Wogen, die aber bereits bis zum Fuße des schwachen Bauwerks gelangt waren und höher zu steigen drohten, um es mit in den Strudel hinabzureißen. Da erhob sich plötzlich ein lauter, einstimmiger Weheruf der am Ufer versammelten Unglücklichen, die bisher wie erstarrt in stummer Verzweiflung dem Werk der Vernichtung zugeschaut hatten. Auf dem Dach des bedrohten Häuschens erschien ein Weib, in jedem Arm ein kleines Kind, und mit verzweifelnden Gebärden hilfeflehend nach den Geretteten schauend.
›Heiliger Gott, das ist die Margaret!‹ riefen mehrere Stimmen auf einmal: ›sie war draußen auf dem Feld, ihre Ziege heimzutreiben, als die Wasser ankamen, und stürzte ins Haus, um ihre Kleinen zu holen, die darin im Schlafe lagen. Inzwischen sind die Wasser so schnell gestiegen, daß sie nicht fortkonnte.‹[382]
›Wer rettet, wer rettet sie?‹ So schrie man durcheinander. Die Frauen rangen die Hände, die Männer sahen sich untereinander bestürzt an, aber keiner wagte sich hervor, sich zum Retter anzubieten.
Prinz Waldemar trat vor und rief: ›Ist denn ihr Mann nicht da, der das Leben für sie wagt?‹
›Sie ist Witwe, Herr – die bravste Frau vom ganzen Dorf – die rüstigste Arbeiterin von Morgen bis Abend, um ihren Kindern Brot zu schaffen – ja – ja, das ist wahr,‹ so tönte es von allen Seiten.
›Wer wagt es, sie zu retten?‹ rief der Prinz; ›hier ist Geld, es wird sein Lohn sein und noch mehr!‹ Dabei hielt er einen gefüllten Beutel in die Höhe. Aber niemand rührte sich, keiner der Bauern hatte den Mut, sich auf das tobende Element zu wagen.
›Ein Boot her!‹ befahl der Prinz und als man es brachte, rief er: ›Wer wagt mit mir die Fahrt?‹
Ein Schauer der Ehrfurcht und Bewunderung durchlief die Menge, aber die kleine Liebe zum Leben und die Furcht waren größer als die Bewunderung des Heldenmutes, und keiner trat hervor. Der Begleiter des Prinzen, Baron Raden, stürzte auf ihn zu und bat und beschwor ihn, sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen. Der Prinz blieb unerschütterlich; schon stieg die Flut bereits bis zur Haustür hinan. ›Es ist kein Augenblick zu verlieren,‹ rief er, machte sich von dem ihn umklammernden Kammerherrn los und sprang in das Boot.
›Mit Ihnen denn, wenn es sein muß, in den Tod!‹ rief Raden und sprang ihm nach.
›Nein, mit Gott, dem Allmächtigen, er wird helfen!‹ schrie die Menge.
›Memmen, Memmen!‹ schalten die Weiber die Männer, die betroffen und beschämt dastanden.
›Seht, das ist einer! Juchhe, wenn der unser König wird!‹ jauchzten die Weiber, plötzlich durch den Anblick der wunderbar schönen Heldentat des Jünglings dem Gedanken an ihr[383] Elend entrückt; ›seht, wie kräftig die die Ruder führen, als hätten sie ihr Lebtag nichts anderes getan als rudern. Schämt euch, ihr anderen, die ihr nichts könnt, als hinter dem Pflug hergehen – seht – seht – jetzt sind sie dem Hause nah – das Boot schwankt auf und ab von den Wellenstößen – jetzt sind sie dran – sie winken der Margaret – Heiliger Gott! Sie wirft ihnen den ältesten Buben hin unter – sie haben ihn – sie haben ihn! Nun auch den kleinen – ewige Barmherzigkeit! Auch der ist im Boot! Der Prinz hat ihn im Arm gefangen und legt ihn ins Boot! Hu! wie die Wasser toben – wie das Boot schwankt! Die Margaret zögert – winkt ihnen, fortzufahren, nun die Kinder gerettet sind – der Prinz will nicht, befiehlt ihr, herabzuspringen – da – sie springt – Allmächtiger! Die Erschütterung ist zu groß – das Boot ist umgekippt – alle im Wasser ... Hu, ich mag nicht mehr hinsehen!‹ rufen einige. ›Doch – doch – seht, sie erscheinen wieder!‹ rufen andere. Sie schwimmen – der Prinz hat ein Kind erfaßt und hält es schwimmend fest, der andere Herr auch – Gott! wie sie kämpfen müssen mit der mächtigen Flut – die Wogen bedecken sie fast – da – da kommt der Kammerherr wieder zum Vorschein mit dem Kind – der Prinz auch ...
›Aber was ist's denn? Was hängt so schwer an ihm, daß er gar nicht weiter kann? Gott, es ist die Margaret, die den Prinzen in ihrer Todesangst umklammert hat ... Himmel, hilf – seht – da stürzt das Haus in die Flut; ha! der Herr mit dem Kind ist glücklich auf dem trockenen Land – gerettet – gelobt sei Gott! Aber wo ist der andere – der Prinz? Allmächtiger! Das zu große Gewicht der Frau hat ihn hinabgezogen – kommt er nicht wieder zum Vorschein? Erbarmer, nein! Das Wellengrab hat sich über ihm geschlossen ... wehe ... wehe! ...‹ Der Baron, halb tot schon von der eigenen Anstrengung, schaut händeringend auf die Wasser, die sich über dem anderen geschlossen ... ›Leute! herbei mit Booten, mit Stangen, mit Stricken ... es gilt, einen König, den herrlichsten der Menschen zu retten, mir[384] nach ... ich muß ihn wiederfinden.‹ Mit diesen Worten stürzt er aufs neue in die Wassermenge, und – auch ihn sieht man nicht wieder. Nach drei Tagen, als die Wasser gesunken waren, fand man die Leichen des Prinzen, des Barons, der Mutter und des Kindes. Die Sprache hat keine Worte, um den Schmerz der königlichen Familie und des ganzen Landes zu beschreiben, das in diesem jungen Fürstensohn die Hoffnung auf eine ideale Zukunft untergehen sieht, denn in ihm vereinigte sich alles, was den Menschen befähigt, wie ein leuchtendes Vorbild jeder Tugend, würdig zu sein, eine Krone zu tragen.«
Das Blatt entfiel Rosas Hand; sie saß eine Weile regungslos, tränenlos; ihr Herz schien stillzustehen und die Welt schien ihr zu versinken in das Chaos, in die planlose Urnacht, wo alles Empfinden, alles geistige Werden im Schoß des elementaren Lebens verschwunden ist. Erst nach und nach erwachte das Bewußtsein, und das Ungeheure, Tragische, ergriff sie mit unerschütterlicher Gewalt: Das Tragische, das ja eben darin besteht, daß das Elementare, sei es im Menschen oder in den äußeren Umständen, sich auflehnt gegen das Ideale, Geisterzeugte und ihm im titanischen Kampf den Untergang bereitet. Wie aber aus der Tragik selbst der Trost hervorwächst, der uns mit dem Schmerz versöhnt, indem das dem Vergänglichen noch Untergebene, befreit von den Fesseln der Endlichkeit, aufsteigt in eine höhere Region, wo es nun als leuchtendes Gestirn in unsterblicher Schöne glänzt und uns in Liebe nachzieht – so erhob sich für Rosa aus den dunkeln Wogen des Schmerzes die verklärte Gestalt des Freundes, der sein Leben mit einer idealen Tat besiegelt hatte. Eine immer höher steigende Ekstase erfüllte sie fast mit Wonne. Mit Erstaunen sahen die Geschwister sie an, als sie sich am Abend zusammenfanden; sie schien ihnen wie verklärt, von neuem Leben durchdrungen, so daß Vittoria ganz fröhlich sagte: »Oh, meine teure Rosa, Sie sehen heute so gut aus;[385] ich bin überzeugt, der Frühling bringt Ihnen die volle Gesundheit wieder.«
Rosa antwortete nur mit einem sanften Lächeln. Kein Wort von dem, was sie erfahren, kam über ihre Lippen; es wäre ihr unmöglich gewesen, hätte ihr wie Entweihung geschienen, davon zu sprechen. Sie war nur noch liebevoller als gewöhnlich mit den treuen Menschen und lohnte ihnen durch Blicke und Lächeln für ihre hingebende Neigung. Aber ihr Herz schlug heftiger und heftiger und in ihrem Geist bewegte sich ein Leuchten, wie sie es seit langem nicht gefühlt. Endlich wurde es ihr zu eng im Zimmer und sie wollte auf die Loggia. Vittoria bat sie, es nicht zu tun, denn sie scheine ihr so erregt und draußen sei es dunkel und kühl. Aber Rosa lächelte nur und sagte: »Es ist ja Frühling, und ich sehne mich, auch neu aufzuleben wie die Natur, es kann mir nichts schaden.« Sie trat hinaus. Die geschäftige Vittoria räumte indes im Zimmer auf, Beppo aber stand hinter der geöffneten Tür der Loggia, denn er wagte nicht, mit hinauszutreten, um die Gedanken, die Rosa beschäftigen mochten, nicht zu stören, aber es war ihm, als müsse er wachen, daß ihr nichts Übles begegne. Da hörte er plötzlich ihre Stimme, die sprach:
»Dunkel ruht die Nacht;
Freudlose Stille
Liegt auf der schlummernden Erde.
Hier und da blitzen
Lichtchen herauf
Aus der feuchten Tiefe,
Wie ein ängstliches Fürchten
Beschränkter Menschen
Vor dem grausigen Dunkel.
Ich aber trete
Furchtlos hinaus,
Müde des ewigen Truges,
Den, in des Tages
Täuschender Helle,
Sinnesbetört
Immer von neuem
Das Herz am Herzen begeht[386]
Heilige Nacht!
Du nur bist Wahrheit;
In dir verschwindet
Der gleißende Prunk,
Den die Maja verleiht.
Frei, in unsterblicher Schöne,
Schwebt die enteilende Seele
Aus der verwelkenden Hülle
In den Kreis vollendeter Freude,
Wo die heilige Liebe,
Frei von irdischer Lust,
Wie ein leuchtender Ärher
Still um Selige fließt.
Da aus himmlischem Dunkel
Tritt ein strahlender Stern;
Ja, Symbol nur
Ist die sichtbare Welt!
Schon verwehen die Nebel!
Schon versiegen die Schmerzen!
Auf, entfaltet euch, Schwingen,
Tragt mich hinauf in das Licht.«
»Vittoria, sie improvisiert wieder, sie ist gerettet,« flüsterte Beppo der Schwester zu, die nun auch horchend stillstand; da hörten sie ein kurzes Ach und sahen Rosa wanken. Vittoria sprang herzu und fing sie in ihren Armen auf. Rosas brechendes Auge grüßte sie mit einem letzten Blick und ihren Mund umschwebte ein himmlisches Lächeln. Ein Herzschlag hatte sie getötet; Vittoria legte sie auf das Bett, wo sie wie eine zum seligsten Leben Erlöste in unbeschreiblicher Anmut ruhte. Die Geschwister, von ehrfurchtsvoller Rührung ergriffen, die jeden lauten Ausbruch des Schmerzes fernhielt, knieten beim Lager nieder und beteten zu ihrer Heiligen, daß sie ihnen Kraft gebe, weiterzuleben.
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»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
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