Neunter Gesang.

[199] Nicht kündet mein Gesang mehr jene Zeit,

Wo Gott, wo sel'ge Wesen mit dem Menschen,

Gleich einem Freunde, holden Umgang pflogen,

Und traulich bei ihm sitzend an dem Mahl[199]

Theilnahmen, und ihm ungetadelt, frei

Den lieblichen Verkehr der Sprache gönnten.

Ich muß nun diese Töne trübe stimmen,

Und singen von des Menschen Treuebruch,

Von Mißtraun, Ungehorsam und Empörung,

Und wie der Himmel dann voll Widerwillen

Sich von ihm wandt' und ihm entfremdet ward,

Und wie des Himmels Zürnen mit gerechtem

Vorwurf das Urtheil sprach, das dieser Welt

Stracks eine Welt voll Weh und Leid erschuf,

Die Sünd' und ihren Schatten Tod und Elend,

Des Todes Herold. Zwar ein trüber Stoff,

Doch minder nicht heroisch als der Zorn

Achills, wie drei Mal er um Troja's Mauern

Den fliehenden Feind verfolgte; minder nicht

Als Turnus' Wuth ob der entriss'nen Braut

Lavinia, oder wie der Zorn Neptuns

Und Juno's, die so lang das Griechenvolk

Und Venus Sohn bedrängten. Ja mein Lied

Zeigt gleich heroisch sich, wenn anders mir

Den angemess'nen Styl zu solchem Stoff

Die himmlisch hohe Gönnerin verleiht,

Die ungebeten oft mich Nachts besucht,

Und mir im Schlummer hohe Weisen flüstert

Und unvorhergedachte Verse leiht,

Seit dieser Stoff zum Heldenliede mich

Zuerst begeistert nach bedachter Wahl

Und spätem Anfang. Nimmer mocht' ich ja

Blutreiche Schlacht besingen, die bisher

Als einz'ger Stoff des Heldenliedes galt,

Deß höchste Kunst es war, in langgedehnten

Gefechten fabelhafte Rittersleute

Dahin zu schmettern, während jener Muth

Des Märterthum und der Geduld von Keinem

Besungen ward; es galt allein Turniere,

Wettspiele zu erheben, Schild und Wappen,

Sinnbilder, Ross' und goldgewirkte Decken,

Pomphaft geschmückte Ritter in der Bahn,

Auch sang man noch von festlich hohem Mahl,[200]

Von Truchseß und von Seneschall umgeben,

Von nichtigen Dingen sonder Kunstgeschick,

Die nicht mit Recht dem Ritter und dem Lied

Den heldenthümlich hohen Namen leihn,

Mir, der ich nicht für solchen Sang geschaffen,

Verbleibt ein größrer Stoff, der schon durch sich

Den Namen des Heroischen erreicht,

Wenn nicht das Alter und zu rauhe Luft

Die ausgespannten Schwingen niederdrückte.

Und wol geschäh dies, wär' dies Alles mein,

Nicht ihr, die's nächtlich mir in's Ohr gehaucht.


Die Sonne war hinab und hinter ihr

Der Stern des Hesperus, deß Amt es ist,

Die Dämm'rung auf die Erde rings zu breiten

Als kurze Mittlerin für Tag und Nacht.

Den Himmel hatte nun die Hemisphäre

Der Nacht von einem Ende bis zum andern

Umhüllt, als Satan, der erst kürzlich floh

Vor Gabriels Drohung aus dem schönen Eden.

Erstarkt, mit überdachter List und Bosheit

Und auf des Menschen Untergang bedacht,

Trotz der Gefahr furchtlos zurückekehrte.

Er floh bei Nacht und kehrt um Mitternacht,

Nachdem er lang den Erdenball umwandert;

Er scheute ja den Tag, seit Uriel,

Der Herrscher in der Sonne, seine Näh'

Entdeckend schnell die Cherubim ermahnte.

Von großer Angst getrieben schwärmt er fort

In sieben Nächten durch die Finsterniß,

Drei Mal umkreist er den Aequator so,

Vier Mal durchkreuzt er auch das Sterngebild

Des großen Bärs, den Wendekreis durchschneidend,

Erst in der achten kehrt zurück er wieder

Und fand am Eingang, grade gegenüber

Den Cherubswachen, einen ganz geheimen

Und unverhofften Pfad. Dort war ein Platz,

Der jetzt nicht mehr vorhanden, seit die Sünde

Und nicht die Zeit die Aenderung bewirkte,[201]

Wo Tigris an dem Fuß des Paradieses

In einen Schlund tief unterm Boden schoß

Und dann als Quelle bei dem Lebensbaum

Aufsprudelte; der Satan stürzt hinein

Und stieg mit ihm empor, gehüllt in Nebel;

Dann sucht er einen still verborgnen Ort,

Er hatte Land und Meer durchforscht von Eden

Weitüber Pontus, und den Sumpf Mäotis,

Jenseit des Flusses Ob, und niederwärts

Zum Südpol, dann auch in die Länge westlich

Vom Fluß Orontes bis nach Darien hin,

Und zu dem Land des Ganges und des Indus.

So streift er forschend durch der Erde Kreis

Und prüfte jegliches Geschöpf genau,

Welch' eines wol für seine Ränke paßte.

Und fand als listiges der Thier' im Feld

Die Schlange. Lange sann er brütend nach,

Bis er beschloß, zum Mittel sie zu wählen,

Das zum Betruge ganz geeignet schien,

Wenn ihre Form er annähm', um die dunkeln

Gedanken selbst dem schärfsten Blick zu bergen.

Denn was für Schlauheit die verschmitzte Schlange

Auch sehen möge, Niemand würde doch

Verdächtiges gewahren, da der Witz

Ihr angeboren, was bei andern Thieren

Als Einwirkung der Hölle leicht erschiene,

Wenn irgend sie Verstand und List verriethen.

So faßt er den Entschluß, jedoch zuvor

Ergoß sein Herz voll Gram in Klagen sich:


»O Erde, du dem Himmel gleich, wo nicht

Mit größrem Rechte noch ihm vorzuziehn,

Als Sitz, der würd'ger noch für Götter ist,

Weil Du nach zweitem Plan erschaffen wurdest,

Und manchen alten Fehler bessertest;

Denn was vermöchte Gott nach Besserem

Wol Schlechteres zu erbaun? Du Erdenhimmel,

Umtanzt von andern Himmeln, welche leuchten,

Jedoch die schimmerreiche Glut gefällig[202]

Für Dich allein zu tragen scheinen und allein

In Dir den heil'gen Strahlenschatz vereinen!

Wie Gott im Himmel ist der Mittelpunkt

Und doch das All umfaßt, so stehst auch Du

Im Mittelpunkt, und nimmst von ihnen an;

In Dir, und nicht in ihnen selbst vermögen

Sich ihre Kräfte wirksam zu erweisen,

In Pflanzen, Blumen und in edlern Arten

Von Wesen, die sich stufenweis in Form

Vernunft und Sinn erheben, bis sich Alles

Vereint im Menschen. O mit welcher Lust

Würd' ich Dein Rund umwandern, könnte je

Mich etwas freun, und mich der Wechsel laben,

Der sich in Bergen, Thälern, Flüssen, Wäldern

Und Auen zeigt, in Land und Meer, in Klippen,

In waldbekränzten Ufern, und in Höhlen!

Doch keins von Allen bietet Zuflucht mir,

Je mehr ich Lust um mich herum erblicke,

Mit desto größren Qualen martr' ich mich,

Dem der verhaßte Sitz des Widerspruchs

Ward zuertheilt. Das Beste wird mir Gift;

Im Himmel wäre nur mein Zustand schlimmer.

Jedoch ich will ja weder hier, noch dort

Im Himmel wohnen, außer nach Besiegung

Des höchsten Herrschers, auch verhoff' ich nicht,

Mein Elend zu verringern durch mein Streben,

Nein, Andern hoff' ich nur das eigne Loos

Auch zu ertheilen, obwol Schlimmeres

Mich dann bedroht; denn im Zerstören nur

Find' ich die Ruh für die unsteten Sinne.

Vernicht' ich Ihn, für den dies All geschaffen,

Verleit' ich ihn zu dem, was ihn verdirbt,

So folgt unfehlbar auch der Untergang

Der ganzen Schöpfung, weil in Wohl und Weh

Sie eng an ihn gefesselt ist. Es wird

Ihr Weh, und mächtig herrscht Zerstörung dann;

Mein wird allein der Ruhm der Höllenmächte,

An einem Tag vertilgt zu haben Alles,

Was der Allmächtige, wie man ihn benennt,[203]

In sechsen mühsam schuf, und sich vielleicht

Schon lange Zeit vorher mit Plänen plagte,

Vielleicht auch nur seit jenes Abends Zeit,

An dem ich von der Schmach der Tyrannei

Der Engel Namen schon beinah befreite

Und der Verehrer Schaaren lichtete.

Um sich zu rächen, der Verehrer Zahl

Neu zu ergänzen, weil ihm jene schon

Erschöpfte Kraft gebrach, um Engelschaaren

Zu schaffen, wenn sie je von ihm geschaffen,

Ja oder uns zum Hohn, beschloß er nun

An unserer Statt ein Wesen zu erheben,

Geformt aus Erde, doch geziert mit Gaben,

Die es erhöhn und die er uns geraubt.

Was er beschloß, vollzog er hurtig auch!

Er schuf den Menschen, baute diese Welt

Für ihn und gab als Wohnung ihm die Erde,

Ernannt' als Herrn ihn und, o große Schmach!

Stellt ihm zu Dienste die beschwingte Schaar

Der Flammenengel, um ihn zu bewachen.

Ich fürchte dieser Engel Wachsamkeit,

Und schleiche drum gehüllt in Finsterniß

Im Dunkel fort und späh' in jedem Strauch,

Ob ich vielleicht die Schlange schlafend finde,

Um mich in ihre Faltenhaut zu bergen

Sammt meinem Plane, den geheim ich hege.

Schmachvoller Sturz, daß ich, der jüngst mit Göttern

Sich um den Rang stritt, wer am höchsten stehe,

Zu einem Vieh herabgewürdigt bin,

Mich mit dem thierischen Schleime zu vermischen,

Mit Fleisch mich zu bekleiden, der ich Gott

Zu sein gestrebt! Doch wozu läßt man sich

Der Rach' und Herrschsucht wegen nicht herab?

Wer hoch empor strebt, muß so tief hinab

Als hoch er stieg: bequemen muß er sich

Früh oder spät zu würdelosen Dingen;

Die Rache, süß zuerst, wird bitter bald

Und prallt auf sich zurück; doch immerhin,

Was kümmert's mich, wenn sie nur sicher trifft,[204]

Weil gegen einen Höhern ich verlor,

Ihn, der jetzt meinen Neid erregt als neuer

Liebling des Himmels, diesen Mann der Erde,

Den Sohn des Hohns, den uns noch mehr zu höhnen,

Sein Schöpfer aus dem Staub erhob; der Hohn

Wird nur mit Hohn am trefflichsten bezahlt.«


Sprach's und durch jedes Dickicht, feucht und trocken,

Gleich einem schwarzen Nebel tief sich schmiegend,

Setzt' er sein mitternächtlich Forschen fort,

Wo er am eh'sten wol die Schlange fände.

Er fand sie bald festschlafend als Gewinde

Von selbstgerollten Ringen; in der Mitte

Ihr Haupt, erfüllt von List und schlauen Streichen,

Noch war sie nicht im Schattengraus und Nacht

Versteckter Höhlen, war auch noch nicht schädlich,

Nein, schlief noch furchtlos auf dem Rasengrün

Und ungefürchtet. Durch des Mundes Oeffnung

Schlich sich der Teufel ein, erfüllte dann

Den Thieressinn im Herzen und im Haupt

Mit des Verstandes Kraft; doch stört er nicht

Der Schlange Schlaf, und harrte still des Morgens.


Als nun das heil'ge Licht in Eden tagte,

Auf die bethauten duftigen Blumen schien,

Als alle Wesen von der Erde großem

Altar ihr schweigend Lob dem Schöpfer droben

In süßen Wohlgerüchen spendeten,

Da trat hervor der Menschen erstes Paar,

Und mischte seine mündliche Verehrung

Dem Chor der Wesen, denen Stimme mangelt.

Alsdann genießen sie der Frühe Duft,

Die frischen Lüftchen und berathen sich,

Wie sie an diesem Tag die Arbeit wol

Am besten fördern mögen, da ihr Wirken

Gewaltig für die Hände wuchs, die einen

So großen Garten zu bestellen hatten.

Eva begann den Gatten anzureden:
[205]

»Adam, wie sehr den Garten wir auch bauen,

Und Pflanzen, Kräuter, Blumen darin pflegen,

Wie's zum Geschäft uns übertragen ist,

So wächst die Arbeit doch, bis viele Hände

Beistand uns leisten; was am Tage wir

Als Auswuchs weggeschnitten und behauen,

Was wir gestützt, gepfropft, gebunden haben,

Verspottet eine Nacht und spendet Sprossen,

Die üppig schießend zu verwildern streben.

Drum schaffe Rath, und höre, was zuerst

Mir für Gedanken kamen in den Sinn:

Laß uns die Arbeit theilen, suche sie

Nach Deiner Wahl und wo sie nöthig ist,

Das Geisblatt winde lieblich um den Baum,

Den Epheu laß die Ranken üppig schlingen,

Indessen ich in jenem Lenz von Rosen,

Verwebt mit Myrthen, mir die Arbeit suche;

Denn wenn wir unser Tagewerk vereint

Betreiben, mischen süße Blicke wir

Und Lächeln drein, auch wol ein hold Gespräch,

Das in der Arbeit stört, und wenig nur

Uns fördern läßt, ob wir auch früh begannen,

Bis unverdient das Abendmahl uns winkt.«


Adam erwidert mild ihr: »Holdes Weib,

Eva, Du einzige theuerste Genossin,

Mir werther, als die sämmtlichen Geschöpfe,

Auf rechte Weise hast Du dran erinnert,

Wie wir am besten unser Werk vollbringen,

Das Gott uns angewiesen; darum zoll' ich

Dir Preis und Lob, denn nichts ist lieblicher

Am Weib, als Sorge für die Hausgeschäfte

Und für des Gatten nützlich gute Werke.

Doch nicht so streng hat unser Schöpfer uns

Die Arbeit auferlegt, daß wir uns nicht

Der Lust erfreuen könnten und der Nahrung,

Der Rede, so des Geistes Nahrung ist,

Und des Verkehrs im Lächeln und im Blicke;

Denn Lächeln ist nur aus Vernunft entsprungen,[206]

Und ist dem Thier versagt und beut der Liebe

Die Nahrung dar; die Liebe selbst gehört

Nicht zu den niedern Zwecken dieses Lebens,

Denn nicht zur mühevollen Arbeit blos,

Nein zum Vergnügen schuf uns auch der Herr,

Und einte dem Vergnügen die Vernunft,

Es werden unsre Hände stets vereint

Mit leichter Mühe diese Weg' und Lauben

Bewahren vor Verwildrung, und so weit

Als uns zum Wandeln nöthig, bis dereinst

Die jüngern Hände kräftige Hülfe leisten.

Doch wenn ein längrer Umgang Dich vielleicht

Hier sättigt, will ich gern auf kurze Zeit

Entfernt mich halten, denn die Einsamkeit

Zeigt oft als der Gesellschaft beste sich,

Und die Entfernung drängt von neuem dann

Zu süßer Wiederkehr. Jedoch ein Zweifel

Quält jetzo mich, es mög' ein Unfall Dir

Begegnen, wann getrennt wir Beide sind,

Du kennst die Warnung, die ertheilt uns ward,

Welch böser Feind um unser Glück uns neidet,

Und an dem eignen ganz verzweifelnd, uns

Durch List und Ränke Weh und Schande bringt.

Er lauert sicherlich in unsrer Näh',

In gieriger Hoffnung seinen Wunsch und Vortheil,

Wenn wir getrennt sind, leichtlich zu erreichen,

Denn wenn vereint wir, kann er schwerlich hoffen,

Uns zu bethören, da wir wechselweis

Die nöthige Hülfe schleunigst bieten können.

Sein Plan ist, von der Treue gegen Gott

Uns abzulenken oder unsrer Ehe

Genuß zu stören, da wol keines sonst

Von unsern Gütern seine Mißgunst mehr

Erregt. Mag dies sein, oder Aergeres,

O weiche nur von meiner Seite nicht,

Die Dir das Dasein gab und immerdar

Dich schützt und schirmt. Sobald Gefahr und Schmach

Dem Weibe droht, so ist am sichersten,

Daß sie an ihres Gatten Seite bleibt,[207]

Der sie bewacht, das Schlimmste mit ihr duldet.«


Hierauf sprach Eva's jungfräuliche Würde,

Mit Liebe selbst ein rauhes Wort erduldend,

Mit holder aber ernster Miene dies:


»Des Himmels und der Erde Sohn und Herr

Der ganzen Erde! daß uns jener Feind

Bedroht, hat jüngst mir Dein Bericht gekündet,

Vernahm's auch von dem Engel, welcher schied,

Als ich in einer Schattenlaube stand,

Da just die Abendblumen sich erschlossen,

Und eben ich zu euch zurückgekehrt.

Doch daß Du an der Treue gegen Gott

Und gegen Dich drum zweifeln solltest, weil

Ein Feind sie in Versuchung locken könnte,

Das wünsch' ich nicht zu hören. O Du fürchtest

Gewalt nicht; sind wir doch für Schmerz und Tod

Empfänglich nicht, und können darum nicht

Sie fühlen oder können sie beseit'gen,

Drum fürcht' ich seine List nur und dies zeigt

Mir Deine gleiche Furcht, daß meine Treue

Und Liebe durch Betrug verführbar sei.

Wie konnte Deine Brust so Arges denken,

Adam, von ihr, die Dir so theuer ist.«


Adam erwidert ihr mit mildem Tone:

»Du Tochter Gottes und des Menschen, Eva!

Unsterblich bist Du, rein von Sünd' und Schmach,

Mißtrauen heg' ich jetzt nicht gegen Dich,

Indem ich die Entfernung widerrieth,

Nein, die Versuchung wollt' ich nur vereiteln,

Die unser böser Feind im Sinne hat.

Denn der Versucher, wenn vergebens auch,

Befleckt doch den Versuchten mit der Schmach,

Daß er ihn nicht für unbestechlich hält,

Nicht stark genug für jegliche Versuchung.

Du selber würdest zornig und verächtlich

Die angebotne Schmach zu strafen suchen,[208]

Wenn der Versuch auch wirkungslos geblieben.

Mißdeute darum nicht, wenn ich von Dir

Solch' eine Schmähung abzuwenden trachte,

Die sicherlich der Feind, ob noch so keck,

Nie gegen uns vereint, versuchen wird.

Veracht' auch seine Bosheit nicht und List,

Schlau muß der sein, der Engel selbst verführte.

Auch halte nicht den Beistand eines Andern

Für überflüssig. Deiner Blicke Kraft

Macht mich für jede Tugend erst empfänglich,

In Deiner Nähe bin ich weiser, muth'ger

Und stärker, selbst an Körper, wenn es nöthig.

Erblick' ich Dich, so wird bei mir die Scham,

Betrogen oder auch besiegt zu werden,

Die Kraft auf's Aeußerste beleben können

Und so erhöht sich einigen. Warum

Empfändest Du in Deinem Innern nicht

Ein gleich Gefühl, sobald ich gegenwärtig,

Beständest dann die Prüfung so mit mir,

Dem besten Zeugen der bewährten Tugend?«


So sprach er liebevoll und ehlich sorgend,

Doch Eva wähnt, er zweifle noch zu sehr

An ihrer offnen Lieb' und Treu', weshalb

Mit süßem Tone sie erwiderte:


»Ist's unser Loos, in solchem engen Raum

Zu wohnen, eingeschränkt durch einen Feind,

Gewaltig oder schlau, und sind wir einzeln

Nicht wol bewaffnet mit Vertheidigung,

Wo wir den Feind auch immer treffen mögen,

Wie sind wir glücklich in der steten Furcht

Vor Unglück? Doch das Unglück geht der Sünde

Voran nicht. Unser Feind beschimpft uns nur

Durch die Mißachtung unsrer Redlichkeit;

Doch dieses Mißtraun wirft nicht Schmach auf uns,

Fällt auf ihn selbst zurück. Wie sollten wir

Darum ihn fürchten oder scheun? Es wird

Vielmehr uns doppelt Ehre, wenn als falsch[209]

Sich sein Verdacht erweist. Wir finden Frieden

Im Innern dann, erhöht noch von der Gunst

Des Himmels, der des Ausgangs Zeuge wird.

Und was ist Liebe, Tugend unversucht

Und sonder Unterstützung äußrer Hülfe?

Mißtrauen wir drum unsrer Seligkeit

In keinem Fall, als ob der weise Schöpfer

So unvollkommen sie gelassen hätte,

Daß wir vereinzelt oder auch vereint

Nie sicher wären. Unser Glück ist eitel,

Wenn dies so ist, und Eden ist kein Eden,

Sobald wir den Gefahren ausgesetzt.«


Adam erwidert ihr mit wahrem Eifer:

»O Weib, die Dinge sind am besten so,

Wie sie der Wille Gottes angeordnet,

Denn seine Hand ließ unvollkommen nichts

Von Allem, was sie schuf, am mindesten

Den Menschen, so wie auch ein jeglich Ding,

Was seine Seligkeit ihm sichern möchte

Vor der Gewalt von Außen; in ihm selbst

Liegt die Gefahr, doch sie in seiner Macht,

Denn wider seinen Willen kann kein Leid

Ihn treffen, Gott ertheilt ihm Willensfreiheit.

Wer der Vernunft gehorcht, nur der ist frei,

Und Gott erschuf Vernunft gesund und gut,

Doch er gebot ihr auch, sich wol zu hüten

Und aufrecht sich für immerdar zu halten,

Damit sie nicht durch irgend guten Schein

Dich überrascht zeigt, fälschlich schließt und so

Dem Willen Thaten eingiebt, die der Herr

Ausdrücklich uns verboten hat. Es war

Mißtrauen nicht, nur Liebe, die befiehlt,

Daß ich Dich warnen soll, so wie Du mich.

Wir bleiben so im Guten fest, vermögen

Jedoch wol auch zu irren, da Vernunft

Vielleicht auf schöne Gegenstände trifft,

Die schlau vom Feinde vorgespiegelt sind,

Daß unvermuthet wir betrogen werden,[210]

Wenn die Vernunft nicht strengste Wache hält.

Drum suche die Versuchung nicht, und besser

Ist sicherlich, sie ganz und gar zu meiden,

Was leicht ist, wenn Du nie von mir Dich trennst.

Ganz ungesucht naht die Versuchung sich;

Willst Du Dich als beständig mir bewähren;

So zeige Dich gehorsam mir zuerst;

Wer kann das erste wissen, wenn er Dich

Versuchte nicht erblickt und wer bezeugen?

Doch meinst Du, daß die Prüfung ungesucht

Uns sichrer finde, wie Du mir erscheinst

Nach solcher Warnung, nun so geh' hinweg;

Denn Dein Verweilen, wenn es frei nicht ist,

Entfernet Dich nur mehr noch; wandle fort

In angeborner Unschuld, und verlaß

Auf Deine Tugend Dich; biet' Alles auf,

Das Deine thu, wie Gott das Seine that.«


So sprach der Ahn der Menschen; aber Eva

Verharrt' im Willen und entgegnete

Demüthig zwar, jedoch gehorsam nicht:


»So geh' ich denn hinweg, weil Du's erlaubst,

Und um so williger, weil Deine Worte

Die Warnung sprachen, daß die Prüfung wol

Erscheine, wenn am mind'sten man sie sucht,

Und sie uns minder vorbereitet finde.

Auch glaub' ich nicht, daß ein so stolzer Feind

Zuerst den schwächern Theil versuchen werde,

Doch hätt' er dies im Sinn, soll desto mehr

Ihn die Zurückweisung von mir beschämen.«


So sprechend zog sie langsam ihre Hand

Aus der des Gatten und begab sich leicht

Zum Hain, Dryaden und Waldnymphen gleich;

Doch übertraf sie Delia selbst im Gang,

Und in der göttergleichen Haltung auch,

Obwol sie nicht mit Pfeil und Bogen war

Bewehrt wie jene, sondern mit Geräthe[211]

Zum Gartenbau, wie's die noch rohe Kunst

Geformt und wie's die Engel ihr gebracht.

So ausgeschmückt schien sie am ähnlichsten

Pomonen, wie sie vor Vertumnus floh,

Der Ceres auch in ihrer Jugendblüthe

Als sie noch Jungfrau, und noch nicht die Mutter

Proserpina's durch Jupiter geworden.

Beseligt folgt ihr lange noch sein Blick

Und wünscht nur, daß sie länger noch verweile.

Oft wiederholt er seine Bitte dann,

Recht bald zurückzukehren, worauf sie

Ihm oft gelobt, bis Mittag rückzukommen;

Und wenn ein jeglich Werk geordnet wäre,

Zum Mahl und dann zur Ruh' sich einzustellen.

Wie sehr doch täuschest Du und irrst Du Dich

O unglückselig Weib, in Deiner Rückkehr,

O unglücksel'ge That, seit dieser Stunde

Fandst Du im Paradies kein süßes Mahl,

Und keines Schlummers holde Lieblichkeit.

Ein solcher Hinterhalt im Blumenschatten

War Dir mit Höllenhasse schon gelegt,

Und drohte Deinen Pfad Dir abzuschneiden,

Ja oder Dich zurückzusenden dann,

Beraubt der Unschuld, Treu und Seligkeit,

Denn jetzt und schon seit Tagesanbruch war

Der Feind als Schlange still hervorgekrochen

Und suchte, wo am sichersten er wol

Das einz'ge Paar der Menschheit finden möchte,

In welchem ganz der Stamm enthalten war,

Den er als Beute sich erkoren hatte.

In Hainen und in Fluren sucht er lang,

Wo ein Gebüsch, ein Gartenplatz sich zeigte,

Der ihnen als ein Lieblingsort behagte.

Er suchte sie an jedem Quell und Bach,

Doch wünscht er Eva ganz allein zu finden.

So war sein Wunsch, doch hatt' er keine Hoffnung

Das zu erlangen, was sich selten traf,

Da sah er ganz nach Wunsch, was kaum er hoffte,

Eva allein, von Duftgewölk umhüllt;[212]

Er sahe sie nur halb, so dicht umglühten

Die rothen Rosen ihren schönen Leib;

Oft beugt sie sich, die Blumen rings zu stützen

Von zartem Stengel, deren Haupt wie Fleisch.

Wie Purpur und wie Himmelblau erglänzte,

Mit goldnen Streifen lieblich ausgeschmückt,

Und welkend auf die Erde hing; sie stützte

Mit Myrthenreis sie zierlich und vergaß

Sich selbst darüber, ob sie gleich die schönste

Ganz ungestützte Blume, die so fern

Von ihrem Halt und gar so nah dem Sturm.

Satan kam näher jetzt und wandte sich

Durch manchen Gang im Schatten hoher Cedern

Und Palm' und Tannen, flüchtig bald und kühn,

Jetzt sichtbar, dann verborgen zwischen dichten

Von Eva's Hand gewobnen Blumenlauben;

Ein Ort, der sich viel herrlicher erwies,

Als die erträumten Gärten des Adonis

Und des Alcinous, bei dem Ulyß

Zu Gaste war, wie jener schöne Garten,

Wo Salomo mit seiner lieblichen

Aegyptischen Braut gescherzt. Bewundernd sah

Satan den Ort, doch mehr noch Eva's Formen.

Wie Einer, welcher lang in laute Städte

Gebannt war, wo die Häuser und Kanäle

Die Luft verpesten, und hinaus dann geht

Des Sommermorgens frischen Duft zu athmen

Zum nahen Dorf in stillem Meierhof,

Dem dann ein jedes Ding Entzücken beut,

Der Duft des Korns und des gemähten Heu's,

Die Rinder wie die Milch, des Landes Anblick,

Und jeder holde ländlich frohe Schall.

Wenn dann mit nymphengleichem Schritte schnell

Ein schönes Mädchen ihm vorüber wandelt,

So bringt ihm größre Wonne die Gestalt

Und Alles, was ihm reizend sonst erschien,

Erscheint ihm jetzt in ihrem Blick vereint.

Ein solch Entzücken fühlte jetzt die Schlange

Am Blumenort, und an dem holden Weib,[213]

Das so allein ihm und so früh erschien.

Die engelgleiche himmlische Gestalt

Doch sanfter, milder noch; der Unschuld Reiz,

Ein jeder Zug in ihrem Aeußern hielt

Des Satans Tücke bald in Furcht, und leise

Beraubte sie des grausen Planes Wildheit,

Der ihn hieher geführt. Ein Weilchen stand

Der Böse wie vom Bösen ganz getrennt,

Und war Momente lang, betäubt vom Guten

Der List beraubt, des Neides und der Rache.

Jedoch die heiße Hölle, die in ihm

Stets flackert, selbst im Himmel, endet bald

Die Lust und martert ihn nur um so mehr,

Je mehr er Wonne sieht, die ihm entzogen.

Drum rafft er rasch den wilden Haß zusammen,

Und facht sein Herz zum Unheil, also redend:


»Gedanken, wohin habt ihr jetzo mich geführt?

Mit welchem süßen Zwange so entzückt,

Daß ich vergaß, was mich hieher geführt?

Der Haß, die Liebe nicht; noch auch die Hoffnung

Des Paradieses statt der Hölle; nicht

Die Hoffnung, hier Vergnügen sanft zu schlürfen,

Nein, alle Lust von Grund aus zu zerstören,

Die ausgenommen, die Zerstören bietet;

Verloren ist für mich sonst jede Lust,

Drum nehm' ich die Gelegenheit in Acht,

Die jetzt mir lächelt; ganz alleine weilt

Das Weib, für die Versuchung recht bequem,

Ihr Gatte fern, so weit die Blicke reichen,

Denn dessen höhern Muth, Verstand und Willen

Bei stolzer Kraft und starkem Gliederbau,

Wenn irdisch auch, muß ich vielmehr doch scheun:

Ein großer Feind! mehr wundenfrei, denn ich!

So sehr hat mich die Hölle schon erniedert,

So sehr hat mich die mächtige Qual geschwächt.

Sie ist so göttlich schön, daß sie die Liebe

Der Götter selbst verdient, doch schrecklich nicht,

Ob Lieb und Schönheit sonst auch Schrecken hegt,[214]

So lange stärkrer Haß ihr nicht genaht,

Der stark sich in dem Schein der Liebe zeigt,

Dies ist mein Weg, um recht sie zu verderben.«


So sprach der Menschen Feind in Schlangenform,

Und richtete den Weg auf Eva zu,

Nicht wellenförmig auf dem Boden schleichend,

Nein, als ein Knäuel schnellender Gewinde,

Wo Ring sich über Ring gewaltig thürmte.

Sein Haupt erhob den hohen Kamm, die Augen

Erglänzten wie Karfunkel, goldiggrün

Ragt mitten im Gewind der Hals hervor,

Das auf dem grünen Rasen üppig spielte.

Hold war und lieblich die Gestalt zu sehn,

Wie sie seitdem an Schlangen nie sich zeigte,

An jenen nicht, in die Hermione

Und Cadmus in Illyrien sich gewandelt,

An jenen nicht, in die sich Aesculap,

Ammon, der Jupiter des Capitols

Umwandelte, der wegen der Olympia,

Der andre wegen Scipio's holder Mutter.

Die Schlange schlich zuerst sich seitwärts hin,

Als suchte sie sich gar zu gern zu nähern,

Und scheute doch sich, irgendwie zu stören.

So wie ein Schiff vom kundigen Steuermann

An eines Stromes Mündung oder Klippe

Hinsteuert, wo der Wind sich öfter dreht,

So ändert Satan auch der Ringe Lauf,

Und kräuselt oft in Knoten seinen Schweif,

Um Eva's Blick zu locken. Sie vernahm

Bei ihrer Arbeit bald das Blätterrauschen,

Doch merkte sie nicht weiter drauf; sie war

An dieses Spiel der Thiere schon gewöhnt,

Die ihrem Ruf gehorsamer sich schmiegten,

Als Circe's Ruf die Schaar Verwandelter.

Er, kühner nun, naht ungerufen ihr,

Doch wie in staunender Bewunderung;

Oft neigt er seinen Kamm, und krümmte sich

Um seinen glatten Nacken, leckt den Boden,[215]

Worauf sich ihrer Füße Spur geprägt.

Der stummen Aeußerung Zierlichkeit gewann

Endlich den Blick des Weibes, das sich wandte,

Er, froh, daß er Beachtung jetzt erregt,

Begann nun mit der glatten Schlangenzunge,

Die Luft zur Stimme bildend, die Versuchung:


»Nicht wundre dich, Gebieterin, wenn Du

Dich wundern kannst, die Du das einzige Wunder?

Bewaffne weniger jetzo Deinen Blick,

Der höchsten Güte Himmel, mit Verachtung,

Beleidigt, daß ich Dir so dreist genaht,

Und unersättlich immer Dich beschaue;

Ich, so allein, und ohne Deine Stirn,

Die so erhaben ist, zu scheun, zumal

Erhabener sie in dieser Einsamkeit.

O schönstes Ebenbild des schönen Schöpfers,

Dich staunen alle Creaturen an,

Und alle Dinge, die durch Schenkung Dein,

Sie beten Deine Himmelsanmuth an,

Die sie entzückt beschaun; jedoch am besten

Beschaut, wo die Bewundrung allgemeiner

Und reicher ist; hier in der Einsamkeit

Der Wildniß unter Thieren, diesen rohen

Beschauern, welche zu beschränkt geschaffen,

Als daß sie halb erkennten Deine Schönheit,

Wer sieht Dich jemals, als ein einziger Mann?

Und was ist Einer? unter Göttern solltest

Als Göttin Du betrachtet, und von Engeln

Täglich bedient und angebetet werden.«


So schmeichelt der Versucher und begann

Die Einleitung, die sich in Eva's Herz

Bahn brach, obwol sie sich verwunderte;

Zuletzt, nicht unerstaunt, entgegnet sie:


»Was deutet dies? des Menschen Sprache tönt

Von Thiereszung' und äußert Menschensinn?

Das Erstre glaubt' ich jedem Thier versagt,[216]

Da Gott sie bei der Schöpfung sämmtlich stumm,

Unfähig jeden Redelautes schuf.

Das Letztre möcht' ich fast in Zweifel ziehn,

Denn in der Thiere Blick und Handeln liegt

Oft viel Verstand. Dich, Schlange, kannt' ich schon

Als schlaustes Thier im Feld; nur wußt' ich nicht,

Daß auch mit Menschenstimme Du begabt,

Erneure drum dies Wunder, und verkünde,

Wie wurdest Du so plötzlich redefähig;

Und warum zeigst Du Dich vor allen Thieren

So freundlich gegen mich. O rede, denn

Aufmerksamkeit erheischt ein solches Wunder.«


Erwidrung gab der listige Versucher:

»Gebieterin in dieser schönen Welt,

O Eva, die vor Allem leuchtet! es ist leicht,

Dir Alles zu erzählen, was Du forderst.

Mit vollem Rechte drum gehorch' ich Dir.

Zuerst war ich den andern Thieren gleich,

Die von zertretnem Gras und Kraut sich nähren,

Mit einem Sinn, so schlecht wie meine Nahrung;

Auch konnt' ich nur die Speisen unterscheiden

Und mein Geschlecht, das Höh're blieb mir fremd;

Bis einst ich, auf dem Feld herum mich treibend,

Von Weitem einen schönen Baum erblickte,

Der mit gar schöner goldigrosiger Frucht

Beladen war; ich naht, ihn anzuschaun,

Als von den Zweigen lieblichsüßer Duft

Ausströmte, der die Sinne mehr erregte,

Als Wohlgeruch des Fenchels oder Milch

Von Schaf und Ziege, die des Abends träufelt,

Von Lämmern unberührt, die spielend scherzen.

Dem heftigen Verlangen zu genügen,

Das mich nach jenen schönen Aepfeln trieb,

Beschloß ich nicht zu säumen; Durst und Hunger

Verlockten mich mit mächt'ger Ueberredung

Zur Eile, jene Frucht mir abzubrechen.

Bald wand ich mich den moosigen Stamm empor,

Denn jene Zweige, hoch vom Boden weg,[217]

Verlangten Deinen oder Adam's Arm;

Die andern Thiere standen um den Baum,

Mit gleicher Gier verlangend und beneidend,

Allein sie konnten jene Frucht nicht fassen.

Als mitten auf dem Baum ich angelangt,

Wo lockend und so nah die Fülle hing,

Da unterließ ich's nicht, die Frucht zu brechen,

Und satt mich dran zu essen, da ich gleichen

Genuß an Trank und Speise nie empfunden.

Gesättigt endlich, fühlt' ich bald in mir

Den sonderbarsten Wechsel, wie im Innern

Sich die Vernunft erhob, und wie mir drauf

Selbst Sprache ward, ob auch die Form mir blieb.

Sogleich wandt' ich mein ganzes Denken an,

Um hoh' und tiefe Forschungen zu treiben,

Und mit des Geistes fassender Gewalt

Ein jedes Ding, was an dem Himmel sichtbar,

Auf Erden und im Aether zu gewahren,

Das Schöne wie das Gute zu erkennen,

Doch alles Schön' und Gute seh' ich jetzt

In Deinem Götterbild, in Deiner Schönheit

Voll Himmelsglanz vereint, es gleicht Dir Nichts

An Anmuth, und kein Wesen kommt Dir nah.

Dies reizte mich, vielleicht ganz ungelegen,

Daß eben jetzo ich Dir nahen mußte,

Um Dich zu schauen und Dich zu verehren

Als die mit Recht erklärte Königin

Des ganzen Weltalls, sämmtlicher Geschöpfe.«


So sprach die Schlange listig, und es sprach

Vorlaut und mehr erstaunt noch Eva dies:

»O Schlange, solch' ein übertriebnes Lob

Läßt an den Kräften dieser Frucht mich zweifeln,

Die Du zuerst versucht. Doch sage mir,

Wo wächst der Baum; und ist er weit von hier?

Es wächst im Paradies so mancher Baum,

Der uns noch unbekannt, und allzureichlich

Steht ihrer Früchte Wahl uns zu Gebote,

Daß wir die meisten ungepflückt gelassen,[218]

Die unverderblich an den Aesten hängen,

Bis eine größere Menschenzahl ersteht,

Und mehre Hände regsam sich bemühn,

Um die Natur der Früchte zu entbürden.«


Die kluge Schlange sprach darauf erfreut:

»Der Weg ist ganz bequem, und gar nicht weit.

Der Baum steht hinter einer Reih' von Myrthen,

Auf einer Fläche, nah bei einem Quell

An einem kleinen Busch von Balsamstauden

Und blühenden Myrthen. Nimmst Du mein Geleit,

So bring' ich baldigst Dich an jenen Ort.«


»So führ' mich denn,« sprach Eva. – Nun entrollte

Der Satan schnell des Schlangenleibes Windung,

Und straff ging's vorwärts nun zum Unheil rasch.

Vor Hoffnung und vor Freude schwillt der Kamm,

Wie wenn ein Irrlicht, fettem Dunst erstehend,

Der von der Nacht verdickt, von Kält' umgeben,

Zur Flamme durch Bewegung angefacht,

Die, wie man sagt, ein böser Geist begleitet,

Da dieses Licht durch gaukelnd Hüpfen täuscht,

Oftmals den Wandrer Nachts vom Wege führt

In Moor und Schlamm, durch Teiche wie durch Sümpfe

Wo er versinkt, von Hülfe weit entfernt:

So auch erglänzt die Schlange, so verführte

Durch List sie Eva unsre Mutter auch,

Die ihr leichtgläubig zum verbotnen Baum,

Der Wurzel unsrer ganzen Leiden folgte.

Gewahrend ihn, sprach sie zu ihrem Führer:


»Wir konnten unsern Weg ersparen, Schlange,

Mir ist er fruchtlos, ob auch Früchte hier

Im Uebermaße stehn, von deren Kraft

Allein Du zeugen magst, wenn ihre Wirkung

Auch wunderbar ist, die hervor sie bringen.

Doch wir, wir dürfen diese Frucht nicht kosten.

Gott hat es so befohlen und er gab

Uns dies Gebot als einz'ges seiner Stimme,[219]

Im Uebrigen sind wir uns selbst Gesetz,

Und dies Gesetz heißt bei uns die Vernunft.«


Hierauf entgegnet der Versucher schlau:

»Hat wirklich Gott gesagt daß ihr die Früchte

Von keinem Baum des Gartens essen sollt,

Und hat zu Herrschern dennoch euch erklärt

Ob Allem in der Luft und auf der Erde?«


Eva, erwiderte, noch frei von Sünde:

»Wir dürfen jedes Baumes Frucht genießen,

Die Frucht nur dieses schönen Baumes nicht.

Denn Gott gebot, ihr sollt von ihr nicht essen,

Noch sie berühren, sonst erfolgt der Tod.«


Kaum sprach sie dies, als kühner der Versucher

Auf andre Weise gegen sie verfuhr,

Mit einem Schein des Eifers und der Liebe

Zum Menschen und des Grolls ob des Gebots;

Als ob die ärgste Leidenschaft ihn faßte,

Schwankt er unruhig hin und her, jedoch

Mit Anstand und mit Ernst, als woll' er jetzt

Von einem äußerst wichtigen Punkte reden.

Wie einst im Alterthum ein großer Redner

Im freien Rom und in Athen, (wo blühend

Beredtsamkeit gedieh, doch später starb,)

Bei einer ernsten Sache sich erhob,

Und die Gedanken sammelnd, würdig stand,

Indessen jede Stellung und Geberde

Die Hörer schon gewann, bevor er sprach;

Und oft mit hohen Worten dann begann,

Als ob sein Eifer für das Recht nicht lange

Vorreden erst vermöchte zu ertragen:

So stehend und zur Höhe sich bewegend

Sprach der Versucher jetzt mit Leidenschaft:


»O heil'ge Pflanze, Weisheit spendende,

Des Wissens Mutter, jetzt empfind' ich klar

Dein mächtig Wirken; nicht erkenn' ich nur[220]

Den Ursprung aller Dinge, sondern auch

Die Wege höchster Macht, wie weise man

Sie auch geglaubt. Du Königin der Welt,

O glaube dieser Todesdrohung nicht,

Nicht sterbet ihr! Thät euch die Frucht dies an?

Sie giebt euch der Erkenntniß Leben erst!

Verlieh den Tod euch jener, der euch drohte?

Sieh mich an, hab' ich doch die Frucht berührt

Und auch gekostet, und ich lebe doch,

Gewann ein mehr vollkomm'nes Leben noch,

Als mir das Schicksal zuertheilt, indem

Ich höher strebte, wie mein Loos beschied,

Was Thieren offen steht, das wär' dem Menschen

Verschlossen? oder zürnte Gott der Herr

Ob solchen kleinen Fehlers? Wird er nicht

Vielmehr an euch des Muthes Tugend loben,

Den selbst des angedrohten Todes Qual,

Was auch der Tod sei, nimmer niederdrückt

Und von dem Sterben abschreckt, welches euch

Zu seligerm Leben führt und zur Erkenntniß

Des Guten wie des Bösen? denn das Gute

Erkennen, wäre Pflicht; das Böse wissen,

Wenn's wirklich Böses giebt, ist sicher billig,

Da um so leichter ihr es meiden könnt!

Gott kann euch drum nicht strafen; und gerecht

Verbleibt er dann, denn wär' er dieses nicht,

Wär' er nicht Gott mehr; überflüssig wär's

Ihn dann zu fürchten und ihm zu gehorchen.

Die Furcht vor'm Tode selbst entfernt die Furcht.

Warum ward euch verboten diese Frucht?

Um euch zu schrecken, niedrig und unwissend

Zu lassen? Weiß er doch nur allzugut,

Daß an dem Tage, so ihr davon eßt,

Sich euer Auge, das so hell erscheint,

Doch in der Wirklichkeit noch dunkel ist,

Schnell öffnet und verklärt, und ihr dann Götter,

Das Gut' und Böse kennend, seid wie Jene.

Daß ihr dann Götter werdet, wie ich Mensch,

Ein innerlicher Mensch ward, ist ganz richtig.[221]

Ich ward vom Thiere Mensch, ihr werdet Götter.

Ihr könntet höchstens sterben, wenn ihr euch

Des Menschlichen entkleidet, um in Gottheit

Euch dann zu hüllen. Solcher Tod ist nur

Ein wünschenswerther, ob er auch gedroht,

Der Aergres nicht, wie dieses bringen kann.

Was sind die Götter denn, daß nicht der Mensch

Was sie sind, werden kann, und Götternahrung

Wie sie genießt? Die Götter sind zuerst,

Und wissen diesen Vortheil zu benutzen,

Weil doch die Menschen glauben, daß durch sie

Das Weltall ward. Ich aber zweifle dran,

Ich seh' ja, daß die Erde, von der Sonne

Erwärmt, die mannigfachsten Dinge schafft!

Doch jene nichts; wenn Alles sie erschufen,

Wer schloß in diesen Baum des Gut' und Bösen

Erkenntniß, daß, wer jemals davon ißt,

Weisheit erwirbt, auch wider ihren Willen?

Worin doch liegt die Schuld, daß auch der Mensch

Erkenntniß heischt? Und was vermag wol eure

Erkenntniß ihm zu schaden oder dieser Baum

Euch mitzutheilen wider seinen Willen,

Wenn Alles sein ist? oder ist es Neid?

Und wohnte Neid in himmlisch reinen Herzen?

So mancher andre Grund bedeutet euch,

Wie unentbehrlich euch die schöne Frucht.

O Göttin Du in menschlicher Gestalt,

Gebrauch' die Hand und koste nach Belieben.«


Er schwieg, und seine Worte voll Betrug

Gelangten in ihr Herz nur allzuleicht,

Fest blickte sie die Frucht an, deren Anblick

Schon Reiz erweckte; doch in ihrem Ohr

Tönt auch der Klang nach seiner Ueberredung,

Die ihr voll Wahrheit und Vernunft erschien.

Indessen nahte sich die Mittagsstunde,

Und weckt in ihr des Hungers heft'gen Reiz,

Erhöht noch durch den Duft der saft'gen Frucht,

Die gleichsam mit Begierde der Berührung[222]

Und dem Genuß sich hin zu neigen schien;

Doch eine Zeitlang blieb noch in Gedanken

Eva und sagte heimlich zu sich selbst:


»Ganz sicherlich sind Deine Kräfte groß,

Du beste Frucht, ob Menschen auch versagt,

Bewundrungswürdig, die genossen selbst

Dem stummen Thier sogleich die Sprache lieh,

Und es belehrt, von Deinem Ruhm zu reden.

Dein Lob verhehlt auch Jener nicht, der Deinen

Genuß verbot, er nannte Dich ja selbst

Erkenntnißbaum des Guten und des Bösen,

Und untersagte streng, davon zu kosten.

Doch sein Verbot empfiehlt Dich um so mehr,

Da es Dein Gutes hegt, was uns gebricht,

Denn ungekanntes Gute hat man nicht,

Und hätte man es, aber ungekannt,

So wär' es so, als wenn man Nichts besäß.

Kurz, warum mag der Herr uns wol verbieten,

Gut, klug zu sein und weise? Solch Verbot

Kann nie uns binden. Wenn jedoch der Tod

Uns später bindet, wozu frommt uns dann

Die innere Freiheit? An dem Tage, wo

Wir diese Frucht genießen, sterben wir!

Doch stirbt die Schlange? Hat sie doch gekostet,

Und lebt, erkennt und spricht und unterscheidet,

Ein unvernünftig Thier zuvor. Für uns

Erfand man nur den Tod? Ist uns allein

Des Wissens Frucht versagt, die doch den Thieren

Versagt nicht ist? Es scheint so! und dies Eine

Der Thiere, das zuerst gekostet hat,

Mißgönnt dies nicht und weist mit Lust das Gute,

Das ihm geworden, unverdächtig dar,

Gut gegen Menschen, fern von Lug und Trug.

Was fürcht' ich denn? Vielmehr, was weiß ich denn

Zu fürchten, da des Guten wie des Bösen

Erkenntniß mir noch fremd, wie die des Todes,

Der Strafe, des Gesetzes? Hier nun wächst

Für Alles Heilung in der Götterfrucht,[223]

Die schön für's Auge zum Genusse ladend,

Und kräftig ist, um Weisheit zu verleihn.

Was hält mich ab, mir eine Frucht zu pflücken,

Und Leib und Geist mit einem Mal zu nähren?«


So sprechend streckte sie die rasche Hand

In böser Stunde nach der Frucht. Sie pflückte

Und aß! Die Erde fühlte tief die Wunde,

Und die Natur, in ihrer Feste seufzend,

Gab Zeichen argen Weh's durch ihre Werke,

Weil jetzt das All verloren war. Die Schlange

Schlich schuldbeladen in das Dickicht heim.

Und konnt' es wol, denn Eva war vertieft

Jetzt im Genuß, und achtet' sonst auf Nichts.

Solch eine Wonne hatte sie bisher

In keiner Frucht gekostet, ob dies nun

Sich wirklich so erwies, ob eingebildet

Durch die Erwartung mächtiger Erkenntniß,

Daß selbst die Gottheit ihr im Sinne lag.

Voll heft'ger Gier verschlang sie ihre Frucht,

Und ahnte nicht, daß auch den Tod sie aß.

Gesättigt endlich, gleichsam weinberauscht,

Erregt und lustig, sprach sie so zu sich:


»O höchster, köstlichster von allen Bäumen

Im Paradies, gesegnet ob der Weisheit,

Die Du verleihst; Du warst bisher beschimpft,

Und Deine schöne Frucht hing unbeachtet,

Als wär' zu keinem Zwecke sie erschaffen.

Doch fortan weih' ich meine Sorge Dir,

Mit Sang und Preis pfleg' ich Dich jeden Morgen,

Erleicht're Deiner Aeste reiche Bürde,

Die frei Du Allen bietest, bis genährt

Von Dir ich an Erkenntniß wie die Götter

Reif werde, die ja alle Dinge wissen,

Wiewol sie neiden, was sie nicht zu geben

Vermögen; denn wenn ihr Geschenk es wär',

So wäre sie nicht also hier gewachsen.

Zunächst verdank' ich auch Erfahrung Dir,[224]

Du beste Führerin, folgt ich nicht Dir,

So wär' ich jetzt noch in Unwissenheit;

Du öffnest mir der Weisheit Bahn und giebst

Dorthin mir Zutritt, wo sie sich verbirgt.

Vielleicht bin ich auch ganz verborgen hier,

Der Himmel ist so hoch, und weit entfernt,

Um Alles anzuschaun, was hier geschieht.

Wol andre Sorgen haben unsern Schöpfer

Von seiner steten Wache heut gelenkt,

Und sicher bin ich auch vor seinen Spähern.

Doch wie werd' ich vor Adam treten können?

Soll ich ihm künden die Veränderung,

Um meine Seligkeit mit ihm zu theilen;

Soll lieber ich der Kenntniß Uebermacht

Für mich behalten ohne Mitgenoß?

So füg' ich, was dem weiblichen Geschlecht

Gebricht, hinzu, gewinne seine Liebe

Nur mehr, und mache mich viel gleicher ihm,

Und würde, was recht wünschenswerth, vielleicht

Bisweilen höher gar, denn der Gering're

Ist nimmer frei! Es würde herrlich sein!

Doch hätt' es Gott gesehn und folgte nun

Der Tod? Dann werd' ich nicht mehr leben können,

Und Adam, dann vermählt mit andrer Eva,

Lebt im Genuß mit ihr, wann ich vernichtet, –

Schon der Gedank' ist Tod! Das Beste drum,

Mit mir soll Adam Leid' und Freuden theilen,

So herzlich lieb ich ihn, daß ich mit ihm

Jedweden Tod ertragen, fern von ihm

Nicht eine Stunde fürder leben möchte.«

So sprechend lenkte sie vom Baum die Schritte,

Nachdem sie noch ehrfürchtig sich geneigt

Vor ihm, der eine Macht im Innern hegte,

Die in die Zweige der Erkenntniß Saft

Vom Nektar, jenem Göttertranke stammend,

Einflößte. –


Während dieser Zeit flocht Adam,

Sehnsüchtig Eva's Wiederkunft erwartend,[225]

Von auserwählten Blumen einen Kranz,

Die Locken ihr zu schmücken, ihre Mühn

Zu krönen, wie die Schnitter es zu thun

Gewohnt bei ihrer Erntekönigin.

Es hoffte große Freude schon sein Sinn,

Und neuen Trost von ihrer Wiederkehr,

Der lang verzögert war. Jedoch das Herz

Schlug hastig ihm, als ob's ein Unglück ahnte.

Unruhig ging er ihr des Weg's entgegen,

Den sie genommen, als sie Morgens schieden.

Vorüber schritt er dem Erkenntnißbaum,

Dort traf er sie, vom Baum soeben kehrend,

In ihrer Hand den Zweig der schönsten Frucht,

Die weich und frisch, ambrosisch duftete.

Sie eilte hin zu ihm, in ihrer Miene lag

Schon ohne Wort Entschuldigung genug,

Die sie mit Schmeichelreden äußerte:


»Warst Du erstaunt nicht über mein Verweilen?

Auch ich vermißte Dich, und lange schien's,

Daß Deine Gegenwart mir ferne war.

So fühlt' ich nie bisher die Liebespein;

Auch werd' ich nie zum zweiten Mal sie fühlen,

Denn nimmer will ich wiederum erfahren,

Was ich zu schnell und unerfahren suchte,

Die Qual, daß ich von Dir geschieden war.

Doch seltsam war der Grund und wunderbar

Zu hören; dieser Baum ist nicht gefährlich,

Wie man gesagt, wenn man die Frucht genießt,

Er zeigt uns nicht ein unbekanntes Uebel,

Er öffnet göttlichwirkend uns die Augen,

Macht Den zur Gottheit, der davon genießt.

Dies ward beglaubigt durch die kluge Schlange,

Sie ist beschränkt nicht so wie wir, und wollte

Vielleicht auch nicht gehorchen, kurz sie that's

Und kostete von dieser schönen Frucht,

Und dennoch starb sie nicht, wie uns gedroht.

Begabt ward sie vielmehr mit Menschensinn

Und Menschenstimme, daß ich drüber staunte.[226]

Sie brachte durch Beredung mich so weit,

Daß gleichfalls von der Frucht ich kostete,

Und ich die Wirkung ganz entsprechend fand;

Der Blick, der vorher noch ganz dunkel war,

Erschloß sich mir, mein Lebensmuth gewann,

Das Herz ward weiter und zur Gottheit strebend,

Die ich um Deinetwillen nur ersehnt,

Und die mir ohne Dich verwerflich scheint.

Denn Glück mit Dir getheilt nur, ist mir Glück,

Doch ungetheilt mit Dir, ist mir's verhaßt,

Drum koste Du auch, daß ein gleich Geschick

Uns einen möge, gleiche Lust und Liebe;

Damit nicht, wenn Du nicht zu kosten wagst,

Verschiedenheit uns trennt und ich zu spät

Auf Gottheit Deinetwegen dann verzichte,

Wenn das Geschick es mir nicht mehr vergönnt.«


So kündet Eva heiter ihm ihr Thun,

Doch krankhaft röthet ihre Wange sich.

Als Adam Eva's Uebertretung hörte,

Stand er erschreckt, bestürzt und marmorbleich,

Ein kalter Schauer rann ihm durch die Adern,

Und seine Glieder hingen welk und schlaff.

Der matten Hand entfiel der jüngst für Eva

Geflocht'ne Kranz von Rosen, die verwelkten.

Sprachlos und zitternd stand er, bis er endlich

Sein inn'res Schweigen brach und für sich dachte:


»Der Schöpfung Schönste, Letztes Du und Bestes

Von Gottes Werken, Wesen, in dem Alles

Vereinigt ist, was immer nur dem Auge

Und dem Gedanken heilig, göttlich, gut,

Anmuthig so wie liebenswürdig schien!

Du bist verloren, plötzlich so verloren,

Entstellt, entwürdigt und dem Tod geweiht!

Wie hast Du es vermocht, ein streng Gebot

Zu überschreiten, und zu schmähen diese

So heilig uns verbotne Frucht! Es täuschte

Dich irgend eines Feinds verfluchte List,[227]

Und stürzte mich wie Dich in das Verderben.

Mit Dir zu sterben ist ja mein Entschluß,

Wie könnt' ich leben ohne Dich! wie könnt' ich

Vergessen Deinen Umgang, unsre Liebe,

Und einsam wieder in den Wäldern schweifen?

Wenn Gott sogar ein neues Weib erschuf

Und ich die zweite Rippe dazu lieh,

So würde Dein Verlust doch nimmermehr

Aus meinem Herzen weichen. Nein, ich fühl's,

Die Fessel der Natur zieht mich zu Dir,

Du Fleisch und Bein von meinem Fleisch und Bein!

Von Deinem Loos sei meines nie geschieden,

Mag es nun Glück verleihen oder Weh!«


Als dies er überlegt, wie Einer, der

Getröstet sich nach einem Trauerfall

Und dann gefaßten Sinn's sich Dem ergiebt,

Was unabänderlich und heillos scheint;

Wandt' er ganz ruhig sich an Eva so:


»Wol eine kühne That hast Du vollbracht,

Vermeßnes Weib, gewaltige Gefahr

Herausgefordert, da Du Dich erdreistet,

Nicht nur mit Lüsternheit die Frucht zu schaun,

Die der Enthaltsamkeit geweiht, nein selber

Sie zu genießen, trotz des Fluches Bann.

Wer aber macht Gescheh'nes ungeschehn?

Das Schicksal kann's nicht, noch die Allmacht Gottes;

Vielleicht jedoch bist Du vom Tode frei,

Vielleicht ist auch die That nicht mehr so furchtbar,

Da schon die Schlange jene Frucht entweiht,

Bevor wir kosteten. Auch zeigt sie sich

An ihr nicht tödtlich; denn sie lebt ja noch,

Lebt wie Du sagtest und gewinnt sich auch

Des Lebens höhern Grad, dem Menschen gleich.

Dies scheint uns durch der Frucht Genießen eine

Verhältnißmäß'ge Höhe zu verkünden,

Daß wir zu Göttern oder Engeln werden.

Auch glaub' ich nicht, daß Gott der weise Schöpfer,[228]

Obwol er's droht, im Ernst zerstören werde

Die Wesen, die er erst so hoch begabte

Und über alle seine Werke setzte,

Die auch mit unserm Fall, als eng vereint,

Für uns erschaffen, untergehen müßten.

So würde Gott, was er erschuf, vernichten,

Und somit seiner Mühe Lohn verlieren.

Das läßt sich denken nicht vom großen Gott,

Der, kann er auch die Schöpfung wiederholen,

Uns dennoch ungern nur vertilgen würde,

Daß nicht der Böse triumphirend spräche:

Veränderlich ist deren Loos, die Gott

Zumeist begünstigt, wer gefiel ihm lang?

Zuerst ward ich vernichtet; jetzo folgt

Das menschliche Geschlecht! wer kommt zunächst?

Derartigen Stoff zum Hohne läßt er nicht

Dem Feind. Wie dem auch sei, ich habe mein

Geschick an Deins geknüpft und bin entschlossen,

Ein gleiches Loos mit Dir fortan zu tragen,

Eint sich der Tod mit Dir, ist Tod mir Leben;

So mächtig fühl' im Herzen ich die Macht,

Wodurch mich die Natur an Dich gefesselt;

Mein ganzes Selbst liegt einzig nur in Dir,

Denn was Du bist, ist mein, und unser Wesen

Ist unzertrennbar; wir sind eins im Fleisch,

Mich selbst verlieren hieße Dich verlieren.«


So Adam; ihm erwidert Eva drauf:

»Ruhmvolle Probe wunderbarer Liebe,

Erhab'nes Zeugniß und gewalt'ges Beispiel,

Das mich zu gleichem Eifer jetzt ermuntert,

Doch, da ich so vollkommen nicht wie Du,

Wie werd' ich dies, o Adam, dessen Seite

Ich einst entsprang, was mich mit Stolz erfüllt;

Erfreut hört' ich von unserm Bund Dich sprechen,

Von einem Herzen, einer Seel' in Beiden,

Wovon am besten zeugt der heut'ge Tag,

Da Du entschlossen bist, viel lieber Schuld

Und Strafe zu erdulden, wenn es sträflich[229]

Von jenen schönen Früchten zu genießen,

Als daß der Tod und Aerg'res als der Tod

Uns scheiden solle, die wir doch so eng

Vereint durch Liebe sind. Die hohe Kraft

Von jener Frucht (denn aus dem Guten kommt

Stets Gutes) hat Beweise Deiner Liebe

So glücklich dargethan, wie sie gewiß

Sonst nimmermehr sich wol erwiesen hätte.

Erführ' ich, daß der angedrohte Tod

Aus meiner Uebertretung folgen müßte,

Trüg' ich das Schlimmste gern und würde nicht

Auch Dich bereden; lieber einsam sterben,

Als Dich zu einer solchen That bewegen,

Die Deiner Ruh' verderblich, da zumal

Ich auf so unvergeßlich liebe Weise

Die unvergleichlich treue Lieb' erfuhr,

Doch Folgen andrer Art empfind' ich jetzt,

Nicht Tod, vermehrtes Leben öffnet sich,

Erhellter Blick und neuverjüngte Hoffnung,

So göttlicher Genuß, daß was bisher

Mein Sinn von Lust genoß, nur matt und arm

Dagegen scheint. Nach dem, was ich erfahren,

Kannst ohne Scheu Du kosten; übergieb

Den leichten Winden Deine Todesfurcht.«


So sprach sie und umarmte zärtlich ihn,

Vor Freude weinend, und so hoch entzückt,

Daß er jetzt seine Liebe so geadelt,

Tod wählt und Gottes Zorn um ihretwillen.

Zum Lohn (denn solchen Lohn verdiente ja

So arge Schwachheit) reicht sie ihm vom Zweige

Freigebig die verführerische Frucht.

Er aß und hörte nicht der innern Stimme;

Auch nicht getäuscht, nein nur vom Reiz des Weibes

Bewältigt. Es erbebt in ihren Tiefen

Die Erde wie beängstet; die Natur

Erdröhnte seufzend, trübe ward der Himmel

Und weinte donnernd Thränen seiner Trauer

Ob der Vollbringung dieser ersten Sünde.[230]

Doch Adam achtete nicht drauf und aß,

Auch Eva wiederholte sonder Scheu

Den Frevel, um ihm durch Geselligkeit

Die That noch zu versüßen. Wie berauscht

Von Weine schwammen Beide nun in Lust,

Und wähnten selbst der Gottheit rege Flügel

Zu fühlen, um der Erde nun zu spotten.

Jedoch die falsche Frucht erzeugte bald

Ganz and're Wirkung, sie entflammte wild

Die fleischliche Begier; er wirft auf Eva

Wollüstige Blicke, die sie lüstern wieder

Entgegnet, beide brennen vor Gelüst,

Bis Adam so zur Liebkosung sie lockt:


»Eva, nun seh' ich, wie mit seinem Sinn,

Mit Anmuth und mit Weisheit Du begabt.

Geschmack gehört zu jeglichem Gedanken

Und auch dem Gaumen geben wir sein Recht;

Dein ist der Preis, denn wohl hast Du gesorgt

Für diesen Tag. Wir haben manche Lust

Verloren, da wir uns der schönen Frucht

Enthielten, und die wahre Lust nicht kannten.

Wenn solcher Wonnerausch in Dingen liegt,

Die uns verboten sind, so wünschte man,

Zehn Bäume wären lieber statt des Einen

Verboten. Aber komm, so süß gelabt,

Laß uns nun kosen, wie dies Mahl erheischt.

Noch nie hat Deine Schönheit seit dem Tag',

Als ich zuerst Dich sah, so reich begabt

Mit aller Anmuth, mich so sehr entflammt,

Dich zu genießen, da Du jetzt viel schöner,

Was Dir der einflußreiche Baum verlieh.«


So sprach er und vergaß auch nicht die Blicke,

Das süße Tändeln nach verliebter Art,

Was Eva wol verstand, da gleiche Glut

Ihr Auge schoß. Er nahm sie an der Hand

Und führte sie, die sich nicht eben sträubte,

Auf eine schattige Rasenbank, worüber[231]

Ein grünes Dach von Laub sich breitete.

Das Lager war aus Blumen, Hyacinthen,

Stiefmütterchen und Veilchen, Asphodel,

Der Erde lieblichster und kühlster Schooß.

Da nun genossen sie die reichste Lieb'

Und Liebeslust, das Siegel ihrer Schuld,

Und was zugleich der Trost der Sünde war.

Bis dann ermattet von dem Liebesscherz,

Ein thauig süßer Schlummer sie befiel.


Sobald die Kraft der trügerischen Frucht,

Die mit dem Dunst der Lustigkeit behend

Um ihre Sinne spielt' und keck sie täuschte,

Verraucht war und ein dumpfer Schlaf, erzeugt

Von düst'rem Nebel, und beschwert mit sünd'gen

Traumbildern, sie verließ: da standen Beide

Vom Lager auf, von Ruhe nicht gestärkt,

Sie schauten sich einander an und fanden

Ihr Auge wol geöffnet, ihr Gemüth

Jedoch verdunkelt; Unschuld, die als Schleier

Sie vor dem Bösen schützte, war dahin!

Gerechtes Selbstvertrau'n und angebor'ne

Rechtschaffenheit und Ehre war verschwunden,

Die Nackten überfiel die schuld'ge Scham,

Die sich verhüllt und dadurch nur vielmehr

Entblößt erscheint. So stand auch der Danite,

Der riesenhafte Simson einst vom Schooß

Delila's auf, und fand sich dann erwachend

Mit abgeschnitt'ner Kraft. Der Tugend bar,

Verlassen, schweigend saßen und verstört

Die Beiden jetzt, als ob die Sprache fehlte,

Bis Adam, wenn auch minder nicht beschämt

Als Eva, mit erzwung'nen Worten sprach:


»Zur bösen Stunde liehest Du Gehör

Dem falschen Thier, von wem dies auch belehrt

Die Menschenstimme nachzuahmen war,

Das unsern Fall verkündet, die Erhebung

Nur fälschlich uns verhieß, denn unser Auge[232]

Ist zwar geöffnet und wir kennen Gut' und Böses,

Das Gute schwand, das Böse ward gewonnen!

O trübe Frucht des Wissens, wenn es Wissen,

Was so entblößt uns läßt, der Ehre bar;

Die Unschuld, Treue, Reinheit ganz befleckt,

Die uns're Zierden waren; selbst im Antlitz

Grub Lüsternheit noch ihre Spuren ein,

Woraus so manches Böse kommt; sogar

Die Scham verband sich uns, der Uebel letztes,

Um so der ersten ganz gewiß zu sein.

Wie soll ich fürder Gottes Angesicht

Und das der Engel schauen, mit Entzücken

Und Lust dereinst erblickt? Die himmlischen

Gestalten werden nun uns Irdische

Mit ihrem hellen Glanz so mächtig blenden,

Daß es kein Menschenauge kann ertragen.

O lebt' ich hier in wilder Einsamkeit;

In irgend einer Wildniß dicht verborgen,

Wo rings die hohen Wälder ihren Schatten,

Dem Stern und Sonnenlicht selbst undurchdringlich,

So düster wie der Abenddämmer bieten;

Hüllt mich ihr Tannen! Cedern hüllt mich ein,

Daß ich den Himmel nicht mehr sehen kann!

Doch laß' uns jetzt in uns'rer Lage sinnen,

Wie jene Körpertheile wir verhüllen,

Die sich der Scham zu zeigen nicht geziemen.

Ein Baum, deß breite zarte Blätter wir

Zusammenfügend um die Lenden gürten,

Dient uns dazu den mittlern Theil zu decken,

Damit nicht unser neuer Gast, die Scham,

Dort weilen mag, und uns als unrein schmähn.«


So rieth Adam. Es gingen Beide nun

Zur tiefsten Waldung und erwählten sich

Den Feigenbaum, doch nicht von jener Art,

Die ihrer Früchte wegen so berühmt,

Nein, jenen Baum, der heute noch bekannt

Den Indern Malabars und Decans ist,

Der weit und breit die ästigen Arme streckt,[233]

So daß sie auf den Boden hingebogen

Neu Wurzel fassen und den Mutterbaum

Als Töchterstämme wieder rings umwachsen:

Ein säulenart'ger, überwölbter Schatten,

Worin so mancher Echogang sich beut.

Dort sucht oft Indien's Hirt, die Hitze fliehend,

Obdach im Kühlen und verpflegt die Heerde

Durch Löcher, die ins dichte Laub geschnitten.

Dergleichen Blätter holten sich die Beiden,

Wie Amazonenschilde breit, und fügten

Sie, wie sie's nur vermochten, dann zusammen

Als Gürtel für die Lenden. Eitler Schurz,

Um ihre Scham und ihr Vergeh'n zu bergen!

Wie ungleich ihrer nackten Herrlichkeit!

So fand Columb Amerikaner einst

Mit Federgürteln angethan, doch sonst

Ganz nackt, und zwischen Bäumen wild und frei

Auf Inseln und an wald'gen Küsten schweifend.

Geschirmt und wie sie glaubten, nun zum Theil

Die Scham bedeckt, doch ohne Ruh' im Geist,

So setzten sie sich nieder, um zu weinen;

Nicht flossen Thränen nur aus ihren Augen,

Nein schlimmer tobte noch der innre Sturm

Von Leidenschaften, Zorn, Verdacht und Haß,

Und wühlten heftig im Gemüthe nun,

Einst eine heit're friedenvolle Wohnung,

Doch jetzt erregt und ungestüm; es herrschte

Nicht der Verstand, noch hörte mehr der Wille.

Von sinnlichen Begierden unterjocht,

Die von dem Herzen aus selbst die Vernunft

Bewältigt hatten, waren Beide jetzt.

Entstellten Blick's, Verändrung in der Stimme

Und in gebroch'ner Rede sprach jetzt Adam:


»O hättest meinen Worten Du gehorcht,

Und wärst bei mir geblieben, wie ich bat,

Als Dich die sonderbare Lust erfaßte

An dem unsel'gen Morgen fortzuwandern.

Wir wären dann noch im Besitz des Glücks,[234]

Und nicht wie jetzt des Guten ganz beraubt,

Nackt, elend und beschämt! Es suche Keiner

In Zukunft nutzlos Treue zu erproben,

Wird sie versucht, so zeigt sich's sicherlich,

Daß schon zu wanken diese Treu' beginnt.«


Gekränkt entgegnet hierauf Eva schnell:

»O welch' ein Wort entschlüpfte Deinen Lippen,

Gestrenger Adam! rechnest Du die That

Nur mir zu und der Lust umherzuwandern,

Wie Du es nanntest, was sich uns beisammen

Leicht auch so heillos wol ereignen konnte,

Ja oder gar Dir selber ganz allein!

Warst Du dabei, Du hättest den Betrug

Der Schlange nicht entdeckt, so wie sie sprach,

Es war kein Grund der Feindschaft zwischen uns,

Warum sie bös sein und mir schaden sollte.

Sollt' ich von Deiner Seite nimmer scheiden?

So wär's ja besser, wenn ich dort geblieben

Als lebenslose Rippe. Warum gabst Du

Als Haupt mir nicht, der Untergebenen,

Streng den Befehl zu bleiben, um in solche

Gefahren nicht zu kommen, wie Du sagst?

Allzu gefällig, widersprachst Du wenig,

Erlaubtest, ja Du lobtest es sogar,

Und ließt mich freundlich gehn. Wenn standhaft Du

Und fest in Deiner Weigerung verharrt,

Hätt' ich nicht, noch auch Du mit mir gesündigt.«


Zum ersten Mal erzürnt erwidert Adam:

»Ist dies die Liebe, dies der Liebe Lohn,

Die ich, o Undankbare, wandellos

Dir noch gestand, als Du verloren schon,

Nicht ich, der ich noch hätte leben können,

Unsterbliche Glückseligkeit genießen,

Und doch den Tod mit Dir freiwillig wählte?

Und jetzt soll ich der Grund sein Deiner Schuld?

Nicht streng genug hätt' ich Dich abgehalten?

Was konnt' ich mehr? Ich warnte Dich ermahnend,[235]

Ich prophezeite die Gefahren Dir,

Den bösen Feind, der im Verborg'nen lauscht;

Hätt' ich noch mehr gethan, wär's Zwang gewesen,

Und Zwang des freien Willens ziemt uns nicht.

Doch Selbstvertrauen lockte sicher Dich,

Entweder nicht Gefahr zu treffen, oder

Vielleicht den Ruhm der Prüfung zu erwerben.

Vielleicht irrt' ich auch selbst in der zu großen

Bewundrung Dessen, was an Dir vollkommen,

So daß ich wähnte, Böses könne nie

Dir nah'n; doch ich bereue diesen Irrthum,

Der mir zur Schuld ward, deren Kläger Du.

So geht es Jedem, der den Werth der Frauen

Zu hoch geschätzt, dem Weibe Willen läßt;

Einschränkung will sie nimmermehr ertragen,

Doch kommen böse Folgen an den Tag

Aus ihrem Thun, was eigens sie vollbracht,

Sucht sie des Mannes Nachsicht zu verklagen.«


So brachten sie in wechselweisen Klagen

Fruchtlose Stunden hin; doch keins von Beiden

Ertheilte selber sich dabei die Schuld,

Und ihres eiteln Streites ward kein Ende.

Quelle:
Milton, John: Das verlorene Paradies. Leipzig [o. J.], S. 199-236.
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