[114] PRAESIDENT. Meine Herren / ihnen ist un entfallen / was der neulichste maleficant von dem berühmten und wohl bekanten Chirurgo alhier außgesaget. Weil nun unsere Pflicht / damit wir der Durchlauchtigsten Signoria obligiret / nicht zu-lassen will / zu solcher Sachen stille zu schweigen; als werden sie hiermit[114] gebührend ersuchet / mir kurtzlich zu eröfnen / was ihre Meinung hiervon sey.
ADSESSOT I. Was vor Vnglük / Vnsug / und Vngelegenheit auß dem kläglichen Sündenfall unserer ersten Eltern auf dieselbigen und dero unglükselige Nachkommen geflossen / das ist viel mehr zu beseufzen und zu betrauren / als völlig oder nach Nohtdurfft außzusprechen. Ja es kan auch nicht mit Gedanken sattsam ergriffen werden. Denn eben auß diesem Brunnen qvillet der Mangel rechter Gottes furcht / der Liebe Gottes und des Nechsten / des Vertrauens / so wir zu GOtt in unsern Nöhten haben sollen. Daraus fleust Ruchlosigkeit / Feindschafft gegen GOtt / Mißtrauen und Zweifel. Daraus bricht der Mißbrauch Göttliches Rahmens / das fluchen und falsche schwehren / die Entheiligung des Sabbaths / die Verachtung des Allerheiligsten Worts GOttes / der Vngehorsam gegen die Eltern und Vorgesetzte / Mord / Todschlag / unversöhnliche Feindschafft / Hurerey / Ehebruch / Diebstal / Verleumdung / und alle böse Begierden. Aber anderer solcher strafbaren Dinge zugeschweigen / will ich diesmahl nur was weniges von der curiosität des Menschlichen Hertzens gedenken. Vnd diese läßt sich vornehmlich darinnen merken / daß der Mensch mit dem / was ihm offenbaret ist / und was andere wissen / nicht vergnüget / sondern immer mehr / als andere / wissen / und also andern weit vorgezogen seyn will. Hierdurch wird mancher[115] dermassen verleitet / daß er kein Bedenken ni it / auch wohl von den Teufeln / die unter dem Nahmen Spirituum familiarium verborgen liegen / etwas zu erlernen. Massen solches auch wohl unter der Herren Jesuiten Discipuln so ungemein nicht seyn soll. Andere halten sich deswegen zu des Teufels Werkzeugen / zu den Zigeunern / Hexen / alten Wahrsagern und dergleichen / nur damit sie was besonders wissen mögen / wie Theophrastus Paracelsus nicht allein gethan / sondern auch den Studiosis Medicinae gerahten. Andere unterfangen sich aus lauterer curiosität solcher Thaten / davor der Himmel sich entfärben / und die Erde selbst erzittern möchte. Vnd in diese Rolle ziehe ich nicht unbillich unsern sonst sehr berühmten Barbirer. Denn ob wohl derselbe wegen glüklicher Hand und wohlverrichteten Curen durch gantz Italien albereit einen unsterblichen Nahmen erlanget / und man seines gleichen nicht leichtlich haben wird / als der seiner Lateinischen Sprachen / der Philosophien / der Medicin ingleichen / ziemlich kundig ist; so hat ihn doch die unersättliche curiosität hierbey nicht ruhen lassen wollen. Dannenhero er vor etlichen Wochen bey diesem unserm Löblichen Collegio Ansuchung gethan / daß wir ihme den damals zum Tode verurtheilten Menschen außantworten wolten wormit er nach seinem Belieben procediren / und seiner curiosität ein gewünschtes Genügen thun könte. Demnach aber wir auß höchsterbeblichen Vrsachen ihn mit abschlägiger Antwort[116] damals abgewiesen / hat ihn / wie wir nun leider! berichtet werden / sonder allen Zweifel die curiosität zu einer solchen That überredet / dafür sich die Natur selbst entsetzen möchte. Derowegen ich gäntzlich dafür halte / solch enorme facinus müsse mit einer Exemplarischen Straffe beleget werden / damit / wo man mit dem Fuchsschwantze drüber hin streichen solte / nicht andere zu dergleichen / oder wohl atrocioribus factis verleitet werden.
ADSESSOR II. Die That / so sie sich wahrhafftig also verhält / ist so grausam / daß ich ohne Hautschauren niemals daran gedenken kan. Denn erstlich leufft sie wider das Gesetz der Natur / so in unser aller Hertzen eingepreget ist. Sintemahl dieses uns lehret / daß wir andern nichts thun sollen / was wir von andern nicht gewarten wollen. Wer wolte nun wünschen / daß er von andern also tractiret würde / wie der arme Soldat von dem Barbirer ist tractiret worden? Wie so schnurstraks solche That wider Gottes Gebot lauffe / ist nicht nöhtig auß zu führen. Ich will nur dies urgiren / daß der Soldat nicht alleine durch unaußdenkliche Marter um sein zeitliches Leben bracht worden sondern auch / wenn unserer Römisch. Catholischen Priester Lehre wahr ist / Schaden an dem ewigen Leben genommen habe. Denn man hat keinen Priester / wie der maleficant berichtet / zu ihm lassen wollen / dem er seine Sünde hätte beichten / und also absolution empfangen können / wie hertz- und schmertzlich er auch darum soll geflehet haben.[117] Ferner so weiß nunmehro niemand / wer die Eltern und Befreundte des ermordeten seyn / daß man solches an dieselben berichten / sie aber Gelegenhett nehmen könten / Vigilien und Seelmessen dem Todten zum besten / nach der Römischen Kirchen Gewohnheit / anzuordnen. Dannenhero auch denen Geistlichen und Meßpriestern ein ehrliches abgezwakker wird / das sie sonst hätten herein streichen können. Vnd was soll ich sagen / wie die blinden Heyden dergleichen facinora, so wider die jura hospitalitatis lauffen / detestiret und exsecriret habē? Deßwegen es denen Christen desto schändlicher anstehet. Vnd was werden die Ketzer darzu sagen / wenn sie es erfahren werden? Denn ich weiß mich wohl zu erinnern / wie sie es einem Pabste aufmutzen / daß er einem Mahler / der aus curiosität einen gecreutzigten Menschen recht künstlich und naturel ab zu mahlen / seinen Gesellen überredet / daß er sich an ein Creutz henken lassen / und hernach denselben / als er gesehen / wie sich die Glieder und Adern gegeben / mit einem Messer erstochen / damit er den todten und erblaßten Leichnam desto besser abbilden könte / Ablaßbrieffe gegeben / und solche That ohne Straffe hinstreichen lassen. Darum ist meine Meinung / der Barbirer müsse am Leben / und zwar exemplarisch / abgestraffet werden.
ADSESSOR III. Demnach ich schon solche Gründe einer exemplarischen Bestraffung anhörende verstanden / die mir übergnug seyn können / achte ich nicht nöhtig /[118] ich was zu denen wohl abgefasseten discursen bey zu tragen / sondern erkläre mich gleicher Meinung. Vnd kan ich unberichtet nicht lassen / daß mir das Sonnenklare Vrtheil / so Göttliche Majestät selbst gefället / stets vor dem Gesichte schwebe / da sich dieseibe also hören lässet: Wer Menschen Blut vergeußt / des Blut soll wieder vergossen werden. Weil nun der H Geist in diesen hellen Worten weder distingviret / noch limitiret / noch excipiret / so sehe ich nicht / wie wir den Barbirer ohne Lebensstraffe hinlauffen lassen können. Nur dieses ist / meines Erachtens / wohl zu erwägen / daß der maleficant ein liederlicher und verwegener Mensch seyn soll / dem nicht schlechter Dinge zu glauben stehet. Derohalben wird die Nohtdurfft erfordern / daß man von solchem maleficanten gerichtlicher Weise vernehme / ob denn neben ihme und dem Barbirer auch etliche andere Personen gewesen / so sich solcher That schuldig gemachet. Sind ihrer nun mehr impliciret / so muß man dieselben auch apprehendiren / examiniren / und wo sie es bekennen / dem Barbirer so dann desto schärfer zusetzen.
PRAESES. Seine Meinung hat mir wohl gefallen. Was sagt aber er darzu.
Kehret sich zum IV. Adsessor.
ADSESSOR IV. Was meine Herren erinnert / hab ich nohtdürftig verstanden / und muß gestehen / daß ihre rationes, die sie angeführet / auf breitem Fusse beruhen.[119] Allein / weil in sacro isto consessu ein ieder sein freyes votum hat / so er ohne einigen Nachtheil sicherlich geben mag; als bedünket mich nicht allerding rahtsam daß man den Barbirer capitaliter oder am Leben straffe: und zwar aus nach folgenden Vrsachen Denn erstlich ist gewiß / daß man dieses Barbirers gleichen weder in Italien noch andern Provincien leichtlich finden könne. Wenn nun die circumstantiae personarum zu beobachten / und die Straffen respestu illarum entweder zu exasperiren / oder zu mitigiren seyn; so könte man ie / in Anschung eines so extraordinari-Künstlers / wohl eine mitigation ergreiffen. Darnach hat er sonst also gelebet / daß er niemals vor diese unsere Versamlung erfordert worden. Wenn wir nun bedenken / was die Menschliche curiosität vor ein hefftiges und importunes monstrum sey / und wie so gar leichtlich sie den Menschen / wie fromm er auch ist / zu was unbefügtes veranlassen könne; so scheinet es abermahl / als wäre man dem Barbirer etwas zu erlassen befuget. Drittens haben wir vornehmlich in consideration zu ziehen / daß uns und den unsrigen nicht geringe Gefahr erwachsen könne / wenn wir den Barbirer capitaliter abgestraffet hätten. Denn im Fall uns / oder den lieben Vnsrigen ein gefährlicher Zustand an- oder zuwachsen solte / und wir hätten so dann keinen wohlerfahrnen Barbirer / würden wir nicht wünschen / daß der abgethane noch lebete? Vnd weil das wünschen vergeblich ist / würden wir nicht beseufzen / daß wir einen so erfahrnen[120] Mann hätten hinrichten lassen? Jedoch untergeb ich mich billich / als der jüngste Adsessor, meinen Herren / und erwarte / was sie von meinen rationibus ihrem hocherleuchteten Verstande nach judiciren werden.
PRAESES. Was der Herr nach seinem gut befinden erinnert / das hab ich ohne einigen Verdrus vernommen. Kürtzlich aber von der Sachen zu kommen / so sind zwar seine rationes primo intuitu ziemlich speciós und ansehnlich / iedoch / wenn sie reiflich erwogen werden / halten sie den Stich nicht. Denn erstlich will nicht folgen / daß der / so allen andern an Geschikligkeit überlegen ist / nicht capitaliter gestraffet werden solte. Der angehengte Beweiß erhält mehr nicht / als eine mitigationem poenarum, worauf auch die andere ration zielet. Es werden aber nicht nur die mitigationes in Verwandelung derer poenarum capitalium in non capitaleis, sondern auch in andern Dingen verspüret und geübet. Denn wenn einer verschuldet hätte / daß er aufs Rad geleget würde / er würde aber nur decolliret und entheuptet / wäre das nicht eine merkliche mitigation oder linderung der Straffe? Vnd bliebe nichts desto minder die poena capitalis. Darnach die dritte ration betreffende / so müssen wir / im fall poena capitalis, allem ansehen nach / erfolgen soll / bedenken / als hätte GOtt selbst den Barbirer durch einen Natürlichen Tod abgefordert. Aber vor allen Dingen müssen wir ihn convinciren / ehe[121] wir de supplicii genere deliberiren. Vnd ist meine Meinung nur diese gewesen / wie nehmlich das Werk vorzunehmen / daß man den Barbirer überweisen / oder / do er unschuldig / aus der falschen Anklage liberiren könne.
Hier stellen sich die Adsessores, als ob sie heimlich mit einander deliberirten / denn spricht.
ADSESSOR I. Meine Herren Collegen meinen / man müsse vor allen Dingen den Barbirer vernehmen / und erfahren / ob er die That läugne / oder gestehe.
PRAESES. Eben dies sind auch meine Gedanken. Wollen derowegen nach eingenommener Mittagsmahlzeit wieder allhier erscheinen. Denn wir dörfen so lange nicht zaudern / biß der Barbirer von des malefgicanten Aussage höret. Sonst möchte er durchgehen / wo er schuldigist. Vnd mich bedünket fast / es sey solche Aussage schon ausgebrochen.
Hier agiren Moriones.
PHILOSOPHUS QUINTUS. Ach! daß doch ein ieder Mensch das treuhertzige erinnern und warnen seines Eigenen Gewissens beobachtete / und nicht so vorsetzlich wider dasselbe handelte! Wie viel Sünden und schändliche Thaten würden unterlassen werden / wenn man das Gewissen hörete? Aber weil in dieser Grundsuppen der[122] Welt Ambitio oder Ehrsucht im Hertzen der Menschen herrschet / wird weder das Gewissen / noch die Pietät oder Gottesfurcht / noch die Hospitalität und Gerechtigkeit angesehen / sondern nur das jenige bedacht u vollbracht / wordurch ihm der Mensch einen Nahmen / auctorität und grosses Anschen zu machen vermeinet / unerwägt / daß sich mancher eben dadurch / wodurch er verhoffet zu Ehren zu kommen / in unaussprechliche Schande stürtzet / und um die tranqvillität seines Gewissens bringet / wie dieses Barbirers Exempel ausweiset. Aber ob gleich die tägliche Erfahrung / und viel frische Exempel solches überflüßig bekräfftigen / so findet man doch stets und erfähret / wie die liebe pietät / und Gottesfurcht hin und wieder bannisiret und ins exilium vertrieben werde. De violatis hospitalitatis juribus will ich nichts sagen: sondern nur zu bedenken geben / daß uns der Barbirsgesell mit seinem Exempel lehre / es sey mehr / als zu wahr / wenn man vor vielen hundert Jahren gesagt: Malum consilium consultori pessimum, das ist / daß sich böse Rahtgeber gemeiniglich endlich aus heiligem Gerichte Gottes in Jammer und Noht / Schmach und Schande stürtzen. Denn ob man wohl den Ausgang / den es mit ihme genommen / dießmahl nicht praesentiret hat; so ist doch zu sehen gewesen / daß das böse und beleidigte Gewissen ihn so wohl / als den Barbirer selbst / hefftig gemartert habe.
Moriones agiren.
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