[10] Harpagon. La Fleche.
HARPAGON. Hinaus, sage ich! Mir aus den Augen, du Erztagedieb! den Augenblick aus meinem Hause, du Galgenstrick!
LA FLECHE beiseite. Habe ich je einen so boshaften alten Kerl gesehn! Ich glaube meiner Treu, er hat den Teufel im Leibe.
HARPAGON. Du murrst noch?
LA FLECHE. Warum jagt Ihr mich denn fort?
HARPAGON. Als ob dir's zukäme, du Schlingel, mich noch nach Gründen zu fragen! Drum marsch fort, sonst werfe ich dich hinaus.
LA FLECHE. Was habe ich Euch nur getan?
HARPAGON. Grade genug, damit ich dich los sein will.
LA FLECHE. Mein junger Herr hat mir befohlen, ihn hier zu erwarten.
HARPAGON. So geh und erwarte deinen jungen Herrn auf der Straße und stehe mir nicht so kerzengrade wie eine Schildwache da, um alles auszukundschaften, was vorgeht, und dir an allem deinen Profit zu machen. Ich will nicht ewig einen Aufpasser zur Seite haben, einen Spürhund, dessen verdammte Augen alles bewachen, was ich tue, alles verschlingen, was ich besitze, und in allen Ecken umherspähen, um zu sehn, ob's nichts zu mausen gibt.
LA FLECHE. Wie zum Teufel sollte man's denn wohl anfangen, um Euch zu bestehlen? – Seid Ihr ein bestehlbarer Mensch, Ihr, der alles einschließt und Tag und Nacht Wache steht?
HARPAGON. Ich will verschließen, was mir beliebt, und Schildwache stehn, wie mir's gefällt. Du bist mir auch so ein Spion, der auf alles acht gibt. Leise für sich. Wenn er nur nichts von meinem Gelde gemerkt hat! Laut. Du wärst wahrhaftig imstande und sprengtest aus, ich hätte Geld bei mir versteckt?[11]
LA FLECHE. Ihr habt Geld bei Euch versteckt?
HARPAGON. Nein, du Spitzbube, das sage ich nicht. Leise. Er bringt mich noch außer mir! Laut. Ich frage, ob du nicht boshaft genug wärst, mir's nachzusagen?
LA FLECHE. Uns kann's am Ende ganz einerlei sein, ob Ihr welches habt oder ob Ihr keins habt; wir bekommen doch nichts davon zu sehn!
HARPAGON hebt die Hand auf, um ihm eine Ohrfeige zu geben. Du räsonierst noch? Ich will dir meine Antwort hinters Ohr schreiben. Und nun noch einmal, mach, daß du fortkommst!
LA FLECHE. Nun gut, ich gehe.
HARPAGON. Warte noch! Hast du nichts mitgenommen?
LA FLECHE. Was könnte ich denn nur mitnehmen?
HARPAGON. Gleich komm her, laß mich einmal nachsehn. Zeig mir deine Hände.
LA FLECHE. Da sind sie.
HARPAGON. Die andern!
LA FLECHE. Die andern?
HARPAGON. Ja.
LA FLECHE. Da sind sie.
HARPAGON zeigt auf die Taschen seiner weiten Beinkleider. Hast du nichts dahineingesteckt?
LA FLECHE. Seht selbst nach!
HARPAGON. Die großen Pluderhosen sind wahre Diebshöhlen, und ich wollte nur, man hängte einmal eine an den Galgen.
LA FLECHE beiseite. Na! wenn der nicht verdient, daß ihm geschähe, was er fürchtet, so weiß ich's nicht. Welch ein Vergnügen müßte es sein, den zu bestehlen!
HARPAGON. He?
LA FLECHE. Was?
HARPAGON. Was sprichst du da von stehlen?
LA FLECHE. Ich sage, visitiert nur recht genau, um zu sehn, ob ich Euch bestohlen habe.
HARPAGON. Das will ich auch. Er greift in seine Taschen.
LA FLECHE beiseite. Wenn doch der Teufel den Geizhals holte und die Geizhälse dazu!
HARPAGON. Was? Was sagst du?
LA FLECHE. Was ich sage?[12]
HARPAGON. Ja; was sagst du vom Geiz und von den Geizigen?
LA FLECHE. Ich sage: wenn doch der Teufel den Geiz und alle Geizhälse holte!
HARPAGON. Wen meinst du damit?
LA FLECHE. Die Geizhälse.
HARPAGON. Und wer sind denn die Geizhälse?
LA FLECHE. Die schmutzigen Knicker und schäbigen Filze.
HARPAGON. Aber auf wen geht das alles?
LA FLECHE. Was kümmert das Euch?
HARPAGON. Ich kümmere mich um was mir gut dünkt.
LA FLECHE. Glaubt Ihr etwa, ich rede von Euch?
HARPAGON. Ich glaube, was ich glaube, aber du sollst mir sagen, zu wem du das alles sprichst.
LA FLECHE. Ich spreche ... ich spreche mit meiner Mütze.
HARPAGON. Nimm dich in acht! oder ich werde mit deinen Ohren sprechen.
LA FLECHE. Wollt Ihr mir wehren, die Geizhälse zu verwünschen?
HARPAGON. Nein; aber ich werde dir's wehren, unverschämtes Zeug zu schwatzen! Schweig!
LA FLECHE. Ich nenne ja niemand!
HARPAGON. Ich haue dich, wenn du noch ein Wort sprichst.
LA FLECHE. Wen es juckt, der kratze sich.
HARPAGON. Wirst du schweigen?
LA FLECHE. Ich muß wohl!
HARPAGON. Endlich!
LA FLECHE zeigt auf noch eine Tasche in seinem Wams. Seht, hier ist noch eine Tasche. Seid Ihr nun zufrieden?
HARPAGON. Komm, gib mir's heraus, ohne daß ich visitiere.
LA FLECHE. Was?
HARPAGON. Was du mir gestohlen hast.
LA FLECHE. Ich habe Euch ganz und gar nichts gestohlen!
HARPAGON. Gewiß nicht?
LA FLECHE. Wahrhaftig nicht.
HARPAGON. So geh zum Teufel!
LA FLECHE beiseite. Schöne Empfehlung!
HARPAGON. Ich lege dir's auf dein Gewissen!
Ausgewählte Ausgaben von
Der Geizige
|
Buchempfehlung
Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.
358 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro