Sechster Auftritt.

[32] Harpagon. Frosine.


HARPAGON für sich. Alles in Ordnung. Laut. Nun, Frosine, wie steht's?

FROSINE. Ei du mein Gott, wie gut seht Ihr heut aus! Wahrhaftig, wie die Gesundheit selbst!

HARPAGON. Wer? Ich?

FROSINE. Ich habe Euch noch nie so blühend und frisch von Farbe gefunden.

HARPAGON. Im Ernst?

FROSINE. Weiß Gott, Ihr seid in Eurem Leben nie so jung gewesen; und ich kenne Leute von fünfundzwanzig Jahren, die älter sind als Ihr.

HARPAGON. Ich habe aber doch bei alledem meine vollgezählten sechzig.

FROSINE. Nun, was sind denn sechzig Jahre? Das ist etwas Rechtes! Das ist ja die wahre Blüte des Alters, und Ihr tretet jetzt erst in die schönste Zeit des Lebens.

HARPAGON. Das mag sein; aber so ein zwanzig Jahre weniger könnten denn doch nicht schaden, sollte ich meinen.

FROSINE. Ihr spaßt wohl? Das habt Ihr ja gar nicht nötig. Ihr seid ganz darauf angelegt, hundert Jahre alt zu werden.

HARPAGON. Glaubst du?

FROSINE. Unbedingt; das geht aus allem hervor. Steht einmal ein wenig still: ach, was sehe ich da zwischen Euren Augen für ein gutes Zeichen eines langen Lebens!

HARPAGON. Verstehst du dich darauf?

FROSINE. Ja, gewiß. Zeigt mir einmal Eure Hand. O du meine Güte! Welche schöne Lebenslinie!

HARPAGON. Wieso?

FROSINE. Seht Ihr nicht, wie weit sie geht?

HARPAGON. Nun, und was hat denn das zu bedeuten?

FROSINE. Auf Ehre, ich sagte doch, hundert Jahre; aber Ihr bringt es auf hundertundzwanzig.[32]

HARPAGON. Wäre das möglich?

FROSINE. Ich sage Euch, man wird Euch totschlagen müssen; und Ihr werdet Eure Kinder und Kindeskinder begraben.

HARPAGON. Desto besser. Aber wie steht's mit unsrer Sache?

FROSINE. Braucht's da noch einer Frage? und mische ich mich je in so etwas, ohne es durchzusetzen? – Ich habe für die Heiraten eine ganz besonders glückliche Hand. Es gibt keine Partie in der Welt, die ich mir nicht getraute, in kurzer Zeit zustande zu bringen; und ich glaube, wenn ich mir's in den Kopf gesetzt hätte, ich verheiratete den Großtürken mit der Republik Venedig. Und in unsrer Sache waren wahrhaftig auch keine großen Schwierigkeiten. Da ich bei ihnen ein und aus gehe, habe ich mit beiden ausführlich von Euch gesprochen und der Mutter von Euren Absichten auf Marianen erzählt, seit Ihr sie auf der Straße und am Fenster erblickt habt.

HARPAGON. Und was hat sie erwidert?

FROSINE. Sie war sehr erfreut über Euren Antrag; und als ich ihr mitteilte, Ihr wünschtet, daß das Fräulein heut abend zugegen sein möchte, wenn der Ehekontrakt Eurer Tochter unterschrieben wird, hat sie gleich eingewilligt und will sie mir anvertrauen.

HARPAGON. Siehst du, Frosine, ich muß ohnehin Herrn Anselme auf heut abend einladen, und da wäre mir's ganz lieb, wenn sie sich dazu einfände.

FROSINE. Ihr habt ganz recht. Sie soll heut nach Tisch Eurer Tochter einen Besuch abstatten; von da wollte sie ein wenig auf den Jahrmarkt gehn und dann zum Abendessen wieder hier sein.

HARPAGON. Nun gut; da können sie beide in meiner Kutsche Fahren; ich will sie ihnen dazu leihen.

FROSINE. Das wird ihr eben recht sein.

HARPAGON. Aber Frosine, hast du auch mit der Mutter über die Mitgift gesprochen, die sie ihrer Tochter geben kann? – Hast du ihr begreiflich gemacht, sie müsse sich ein wenig zusammennehmen, müsse sich etwas anstrengen, müsse bei einer Gelegenheit wie diese sich einmal schröpfen? Denn man heiratet doch am Ende auch kein Mädchen, das nicht etwas mitbringt.[33]

FROSINE. Aber was wollt Ihr? Zwölftausend Livres jährlicher Rente bringt sie Euch mit.

HARPAGON. Zwölftausend Livres jährlicher Rente?

FROSINE. Jawohl. Fürs erste ist sie, was den Tisch betrifft, an die größte Einfachheit gewöhnt: sie lebt von Salat, von Milch, von Käse und Äpfeln, und bedarf deshalb weder einer reichbesetzten Tafel noch besonders kräftiger Suppen, verlangt auch weder ewig Gräupchenschleim noch alle sonstigen Delikatessen, die eine andre Frau fordern würde: und das alles beläuft sich nicht auf so wenig, daß es nicht am Ende des Jahrs seine dreitausend Livres austragen sollte. Überdem sieht sie nur auf Reinlichkeit und Einfachheit und fragt nichts nach prächtigen Kleidern, kostbaren Juwelen oder schönen Möbeln, auf die andre Weiber so erpicht sind; das ist wieder ein Artikel, den wir auf viertausend Livres im Jahre anschlagen können. Endlich hat sie einen unüberwindlichen Abscheu vor dem Spiel, der wahrhaftig unter den Frauen heutzutage selten ist; ich kenne eine in diesem Viertel, die im Trente- et-Quarante zwanzigtausend Franken im Jahre verloren hat. Wir wollen aber nur den vierten Teil rechnen. Fünftausend Franken im Jahr Spielverlust, viertausend für Kleider und Juwelen, das macht neuntausend Livres; und dreitausend Taler, auf die ich die Verzehrung anschlage – haben wir da nicht Eure jährlichen zwölftausend Franken richtig gerechnet?

HARPAGON. Das ist soweit nicht übel; aber ich sehe nichts Positives dabei.

FROSINE. Verzeiht mir! – Ist denn das nicht etwas Positives, wenn Euch ein Mädchen als Mitgift eine große Mäßigkeit, als Erbschaft eine große Vorliebe für Einfachheit und als Zugabe einen tödlichen Widerwillen gegen das Spiel mitbringt?

HARPAGON. Es ist aber doch nur ein Scherz, ihre Mitgift aus allen den Ausgaben konstituieren zu wollen, die sie nicht macht. Ich werde doch keine Quittung ausstellen über etwas, das ich nicht empfangen habe, und muß durchaus auf etwas Barschaft bestehn.

FROSINE. Mein Gott ja, die wird sich auch finden; sie haben mir von einem Lande gesagt – ich weiß nicht welchem[34] –, wo sie Güter besitzen, und die werden Euch zufallen.

HARPAGON. Das muß ich erst untersuchen. Aber Frosine, dann ist noch ein Umstand, der mich beunruhigt. Das Mädchen, siehst du, ist jung, die Jugend aber liebt in der Regel nur ihresgleichen und will keinen andern Umgang. Nun fürchte ich, ein Mann in meinen Jahren wird ihr nicht gefallen, und das könnte zu gewissen kleinen Unzuträglichkeiten führen, die mir nicht anstehn würden.

FROSINE. Ach, wie schlecht kennt Ihr sie! Das ist noch eine Eigenheit an ihr, die ich Euch nicht genannt habe. Sie hat einen erschrecklichen Abscheu vor allen jungen Leuten, und liebt nur die Alten.

HARPAGON. Sie?

FROSINE. Ja, sie. Ich wünschte, Ihr hättet sie darüber reden hören. Sie kann den Anblick eines jungen Mannes nicht ausstehn; aber nichts gefällt ihr besser, sagt sie, als ein schöner Greis mit einem majestätischen Bart. Je älter einer ist, je lieber hat sie ihn; und ich rate Euch, gebt Euch ja nicht für jünger aus, als Ihr seid. Sie verlangt zum mindesten einen Sechziger; und es ist noch kein Vierteljahr her, als sie drauf und dran war, sich zu verheiraten, und alles kurz abbrach, weil ihr Verlobter fallen ließ, er sei erst sechsundfünfzig Jahr, und weil er den Kontrakt ohne Brille unterschreiben wollte.

HARPAGON. Ei! bloß deswegen?

FROSINE. Ja. Sechsundfünfzig Jahr, sagt sie, wären ihr zu wenig; und ganz besonders sind ihr die Nasen zuwider, die keine Brille tragen.

HARPAGON. Nun in der Tat, da erzählst du mir etwas ganz Neues.

FROSINE. Das geht noch viel weiter, als man's glauben sollte. Sie hat in ihrem Zimmer ein Gemälde und einige Kupferstiche hängen; aber was denkt Ihr wohl, was sie sich ausgesucht hat? Etwa einen Adonis, einen Cephalus, einen Paris, einen Apoll? – Gott bewahre! Nein, lauter schöne Abbildungen vom Saturn, vom König Priamus, vom alten Nestor und vom ehrwürdigen Vater Anchises, wie Äneas ihn auf den Schultern trägt.

HARPAGON. Das ist ja unvergleichlich; das hätte ich kaum[35] für möglich gehalten und bin ganz erfreut, daß sie so guten Geschmack hat. Aber in der Tat, wenn ich eine Frau wäre, ich könnte die jungen Männer auch nicht leiden.

FROSINE. Das geht mir ebenso. Schöne Apothekerware, wahrhaftig, solches junges Volk, für unsern Gaumen! – Solche glatte Milchgesichter, solche eben aufgeschossene Gelbschnäbel sollten mir auch den Mund wäßrig machen? Ich möchte doch wissen, wie man darauf Appetit haben kann?

HARPAGON. Ich muß sagen, ich kann's auch nicht begreifen, und ich verstehe nicht, wie es Frauen gibt, die sie gern haben.

FROSINE. Erzverrückt müssen sie sein. Wie kann man nur die Jugend liebenswürdig finden? Heißt das seinen gesunden Menschenverstand haben? – Sind denn diese jungen blondköpfigen Burschen richtige Männer, und kann man sich in solche Geschöpfchen vergaffen?

HARPAGON. Das sage ich ja alle Tage! Mit ihrem doppelten Stimmregister, ihren drei Härchen auf der Oberlippe, die sie wie einen Katzenbart in die Höhe drehen, ihren Flachsperücken, ihren ellenweiten Pluderhosen und ihren aufgeknöpften Wämsern ...

FROSINE. Wie sich das alles ausnimmt, wenn man solch eine Figur wie Eure damit vergleicht! Das nenn' ich mir ein Mannsbild; daran haben die Augen doch etwas zu sehn; ja, so muß man gebaut sein und sich anziehn, um einem Mädchen zu gefallen.

HARPAGON. Du findest mich also leidlich?

FROSINE. Was sagt Ihr? – Herzgewinnend; Euer Gesicht ist zum Malen. Dreht Euch doch einmal um, seid so gut! – Vortrefflich. Jetzt laßt mich Euch gehn sehn. Das nenne ich mir einen Wuchs, einen freien, ungezwungnen feinen Anstand, und eine Haltung, die am besten beweist, daß Ihr von keiner körperlichen Beschwerde etwas wißt.

HARPAGON. Davon bin ich auch, Gott sei Dank, so ziemlich frei. Da ist nur mein Brustkatarrh, der mich mitunter heimsucht.

FROSINE. Ach, das ist nichts. Euer Brustkatarrh kleidet Euch gar nicht übel; im Gegenteil! Ihr habt einen angenehmen Husten.[36]

HARPAGON. Sag mir doch: hat mich Mariane noch nie gesehn? – Hat sie nicht vielleicht im Vorbeigehn auf mich geachtet?

FROSINE. Nein; aber wir haben schon viel von Euch gesprochen. Ich habe ihr eine Schilderung von Eurer Person entworfen und nicht verfehlt, Euer Verdienst herauszustreichen und ihr auseinanderzusetzen, welches Glück es für sie sein würde, einen Mann wie Euch zu bekommen.

HARPAGON. Das hast du recht gemacht, und ich danke dir.

FROSINE. Ich hätte Euch eine kleine Bitte vorzutragen, mein gnädigster Herr. Ich habe einen Prozeß, den ich auf dem Punkt stehe zu verlieren, weil mir eine geringe Summe fehlt; Harpagon wird ernsthaft. und Ihr könntet mir mit Leichtigkeit dazu verhelfen, ihn zu gewinnen, wenn Ihr so gütig wärt, mir ein wenig beizustehn. – Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie erfreut sie sein wird, Euch zu sehn. Harpagons Gesicht erheitert sich. Ach, wie gut werdet Ihr dem lieben Mädchen gefallen; und welchen Eindruck wird Eure ehrwürdige Krause aus der alten guten Zeit auf sie machen! – Aber vor allem wird es ein rechtes Fest für sie sein zu sehn, daß Ihr Euer Beinkleid noch mit Nesteln an das Wams festmacht. Das wird ihr ganz den Kopf verdrehen; ich sage Euch, ein Liebhaber mit Nesteln wird ihr ein Festessen sein.

HARPAGON. Nun wahrhaftig, es ist mir sehr lieb, das zu hören.

FROSINE. In der Tat, gnädiger Herr, der Prozeß ist für mich von der größten Wichtigkeit. Harpagon wird wieder ernsthaft. Ich bin ruiniert, wenn ich ihn verliere, und eine noch so kleine Unterstützung könnte alles wieder ins Gleis bringen ... Ich wollte nur, Ihr hättet ihre entzückten Mienen gesehn, als ich ihr von Euch erzählte. Harpagon wird wieder vergnügt. Die Freude glänzte in ihren Augen, als ich von Euren schönen Eigenschaften sprach; und ich habe sie endlich so weit gebracht, daß sie mit wahrer Sehnsucht den Augenblick erwartet, wo Ihr um sie anhalten werdet.

HARPAGON. Du hast mir große Freude gemacht, Frosine, und ich bin dir zu unendlichem Dank verpflichtet.

FROSINE. Laßt mich Euch also nochmals bitten, mir die kleine Hilfe zu gewähren, um die ich Euch angesprochen habe. Harpagons Gesicht verfinstert sich wieder. Das wird[37] mir wieder aufhelfen, und ich würde Euch ewig dankbar dafür sein.

HARPAGON. Gott befohlen; ich muß meine Briefe fertig machen.

FROSINE. Ihr könnt mir's glauben, ich bin nie in so dringender Verlegenheit gewesen ...

HARPAGON. Ich werde den Befehl geben, daß angespannt werden soll, um Euch auf den Jahrmarkt zu fahren ...

FROSINE. Gewiß würde ich Euch nicht zur Last fallen, wenn ich mich nicht durch die äußerste Not dazu gezwungen sähe –

HARPAGON. Und das Abendbrot recht früh auftragen lassen, damit es niemand schlecht bekomme.

FROSINE. Schlagt mir meine inständige Bitte nicht ab. Ihr glaubt nicht, gnädiger Herr, welche Freude ...

HARPAGON. Ich muß gehn; man ruft mich. Also auf Wiedersehn!

FROSINE allein. Daß dich das Fieber schüttle, du Hund von einem Geizhals, und der Teufel dich hole! – Der alte Knauser blieb fest bei allen meinen Angriffen; aber ich gebe den Handel drum nicht auf. Im schlimmsten Fall gehe ich ins andre Lager; da kann ich auf eine gute Belohnung rechnen.

Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 32-38.
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