Elfter Auftritt.

[49] Harpagon. Mariane. Elise. Cleanthe. Valere. Frosine. Brind'avoine.


HARPAGON. Da kommt auch mein Sohn, um Euch seine Aufwartung zu machen.

MARIANE leise zu Frosine. Oh, Frosine, welcher Zufall! – Er ist's! Derselbe, von dem ich Euch gesprochen habe!

FROSINE zu Mariane. Das ist eine schöne Geschichte!

HARPAGON. Ich sehe, Ihr wundert Euch, daß ich so große Kinder habe; aber ich werde sie mir bald alle beide vom Halse schaffen.

CLEANTHE. Wenn ich Euch die Wahrheit sagen soll, mein Fräulein, so war ich auf dieses Zusammentreffen freilich nicht gefaßt; und mein Vater hat mich nicht wenig überrascht, als er mir eben seinen Entschluß mitteilte.

MARIANE. Ich kann Euch dasselbe versichern. Diese unvermutete Begegnung überrascht mich ebensosehr als Euch, und ich war auf ein solches Wiedersehn nicht vorbereitet.

CLEANTHE. Gewiß konnte mein Vater nicht besser wählen, mein Fräulein, und die Ehre, Euch hier zu sehen, gewährt mir das größte Vergnügen; aber mit alledem könnte ich Euch doch nicht versprechen, daß ich mich darüber freuen würde, wenn Ihr meine Stiefmutter werden solltet. Es wird mir zu schwer, das gestehe ich, Euch als solche zu begrüßen, und es ist ein Name, den ich – mit Eurer Erlaubnis[49] – Euch nicht wünsche. Was ich da sage, könnte manchem unhöflich scheinen; aber ich bin gewiß, Ihr werdet meine Worte richtig zu würdigen wissen. Es ist eine Heirat, mein Fräulein, die mir, wie Ihr wohl einseht, zuwider sein muß; es kann Euch nicht entgehen, wie sehr sie mein eigenes Interesse verletzt; und Ihr werdet mir's nicht verdenken, wenn ich, mit Erlaubnis meines Vaters, Euch geradezu versichere, daß, wenn's bei mir stände, diese Verbindung nicht zustande käme.

HARPAGON. Ist das eine unpassende Begrüßung! – Schöne Beichte, die er ihr da ablegt!

MARIANE. Und ich habe Euch darauf zu erwidern, daß es mir ebenso geht; und daß, so wie Ihr es ungern seht, wenn ich Eure Stiefmutter würde, mir's ebenso zuwider sein würde, Euch zum Stiefsohn zu haben. Glaubt ja nicht, daß es an mir lag, Euch diesen Verdruß zu machen. Es sollte mir leid sein, Euch unzufrieden zu sehen; und wenn mich nicht eine unabweisliche Notwendigkeit dazu zwingt, gebe ich Euch mein Wort, nie in eine Heirat zu willigen, die Euch unangenehm ist.

HARPAGON. Das war recht; auf ein solches Kompliment gehört sich eine solche Antwort. Ich bitte Euch um Verzeihung, meine Schöne, wegen seiner ungehörigen Art sich auszudrücken; er ist ein junger Laffe, der das Gewicht der Worte noch nicht kennt.

MARIANE. Ich kann Euch versichern, daß mir das, was er gesagt hat, gar nicht beleidigend vorkam; im Gegenteil, es machte mir Vergnügen, ihn seine wahrhaften Gesinnungen aussprechen zu hören. Sein Geständnis war mir ganz lieb, und ich würde sehr viel weniger von ihm halten, wenn er anders gesprochen hätte.

HARPAGON. Ihr seid allzu gütig, seinen Verstoß noch entschuldigen zu wollen. Mit der Zeit wird er schon klüger werden, und Ihr werdet sehen, daß er bald ganz anders darüber denken wird.

CLEANTHE. Nein, Vater, das wäre mir nie möglich, und ich bitte das Fräulein inständigst, davon überzeugt zu sein.

HARPAGON. Aber da sehe einer die Ungezogenheit! Er macht's ja nur immer ärger![50]

CLEANTHE. Soll ich denn gegen meine Überzeugung sprechen?

HARPAGON. Wahrhaftig, er bleibt dabei. Wirst du endlich aus einem andern Tone sprechen?

CLEANTHE. Nun, wenn Euch dieser Ton nicht ge fällt, so werde ich einen andern versuchen. Erlaubt, mein Fräulein, daß ich meines Vaters Stelle vertrete und Euch gestehe, daß ich nie ein so reizendes Wesen in der Welt gesehen habe als Euch; daß ich mir nichts Entzückenderes vorstellen kann, als das Glück, Euch zu gefallen; und daß der Titel, Euer Gatte zu sein, einen Ruhm, eine Seligkeit in sich schließt, die ich dem Glanz der größten Fürsten dieser Erde vorziehen würde. Ja, mein Fräulein, das Glück, Euch zu besitzen, ist in meinen Augen das schönste Los, das einem Sterblichen werden kann: darauf beschränkt sich mein ganzer Ehrgeiz. Es gibt nichts, dessen ich nicht fähig wäre, um einen so kostbaren Schatz zu erobern und die mächtigsten Hindernisse ...

HARPAGON. Sachte, sachte, mein Herr Sohn, mit Eurer Erlaubnis ...

CLEANTHE. Ich spreche zu dem Fräulein in Eurem Namen.

HARPAGON. Ei was! Ich habe selbst eine Zunge und brauche dich nicht als Sachwalter. – Heda! Bringt Stühle!

FROSINE. Nein, ich schlage vor, daß wir gleich auf den Markt fahren, um desto eher wieder hier zu sein; wir haben hernach noch alle Zeit, uns zu unterhalten.

HARPAGON zu Brind'avoine. Anspannen!


Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 49-51.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Geizige
Der Geizige
L'Avare /Der Geizige: Franz. /Dt
Der Geizige - Der Bürger als Edelmann - Der Herr aus der Provinz
Der Geizige: Empfohlen für das 9./10. Schuljahr. Schülerheft
Der eingebildete Kranke / Der Geizige: Dramen (Fischer Klassik)