Achter Auftritt.

[47] Mariane. Frosine.


MARIANE. Ach, Frosine, wie seltsam ist mir zumut! Und aufrichtig gestanden, wie fürchte ich mich vor dieser Zusammenkunft!

FROSINE. Warum denn? Und was macht Euch so unruhig?

MARIANE. Ach, könnt Ihr noch fragen? Wer wäre denn nicht außer sich, wenn er im nächsten Augenblick zum Richtblock geführt werden soll?

FROSINE. Ich begreife freilich, daß Ihr, um auf eine angenehme Weise zu sterben, lieber einen andern Block umarmen möchtet als Herrn Harpagon, und ich lese in Euren Mienen, daß der junge Blondkopf, von dem Ihr mir erzähltet, Euch wieder ein wenig in den Sinn kommt.

MARIANE. Ja, Frosine, ich will's nicht leugnen und gestehe dir gern, daß seine ehrerbietigen Besuche bei uns nicht ohne Eindruck auf mich geblieben sind.

FROSINE. Habt Ihr denn erfahren, wer er ist?

MARIANE. Nein; wer er ist, weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß ich ihn höchst liebenswürdig finde; daß, wenn alles von meiner Wahl abhinge, ich ihn jedem andern vorziehen würde, und daß er nicht wenig dazu beiträgt, mir die für mich bestimmte Heirat zu verleiden.

FROSINE. Liebe Zeit! Alle die jungen blonden Köpfe sind liebenswürdig und verstehen es, sich einzuschmeicheln; aber die meisten sind arm wie die Kirchenmäuse: Ihr steht Euch sehr viel besser, wenn Ihr einen alten Herrn nehmt, der Euch recht viel hinterläßt. Ich gebe zu, daß das ein großer Entschluß ist, und daß man mit einem[47] solchen Mann allerlei zu überwinden hat. Aber es dauert ja nicht lange, und sein Tod, das glaubt mir, wird Euch sehr bald dazu verhelfen, einen zu wählen, der Euch gefällt und der alles wieder gutmachen wird.

MARIANE. Mein Gott, Frosine, es ist aber doch eine betrübte Sache, wenn man, um glücklich zu werden, den Tod eines andern herbeiwünschen oder erwarten muß; und überdem richtet der Tod sich selten nach unsern Plänen.

FROSINE. Ihr scherzt wohl! – Ihr heiratet ihn unter keiner andern Bedingung, als daß er Euch bald zur Witwe mache; das muß einer der Artikel im Kontrakt sein. Es wäre ja wahrhaftig sehr rücksichtslos, wenn er nicht in drei Monaten sterben wollte! Da kommt er in eigner Person.

MARIANE. Ach, Frosine, welche Figur!


Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 47-48.
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