[58] Harpagon. Cleanthe.
HARPAGON. Nun also, abgesehen von deiner Stellung zu einer Stiefmutter, laß einmal hören, was du von dem Mädchen denkst?
CLEANTHE. Was ich von ihr denke?
HARPAGON. Ja, von ihrem Wesen, ihrer Figur, ihrer Schönheit, ihrem Verstande?
CLEANTHE. Oh, so, so!
HARPAGON. Ei!
CLEANTHE. Wenn ich offen gestehen soll, ich habe nicht in ihr gefunden, was ich mir erwartet hatte. Ihr Wesen ist das einer Erzkokette, ihre Haltung ist sehr linkisch, ihre Schönheit höchst mittelmäßig und ihr Verstand ein ganz alltäglicher. Glaubt ja nicht, Vater, daß ich das sage, um sie Euch zu verleiden; denn Stiefmutter bleibt Stiefmutter, und da ist diese mir am Ende ebenso lieb wie eine andre.
HARPAGON. Du sagtest ihr aber doch vorher ...
CLEANTHE. Nun ja, ich sagte ihr einige Schmeicheleien in Eurem Namen; aber das tat ich Euch zu Gefallen.
HARPAGON. Daraus entnehme ich also, daß du wirklich gar keine Neigung für sie hast?
CLEANTHE. Ich? – Ganz und gar keine!
HARPAGON. Tut mir leid, denn es verdirbt mir einen Plan, der mir eingefallen war. Ich stellte, während sie hier war, einige Betrachtungen über mein Alter an und überlegte mir, die Leute könnten vielleicht Glossen machen, wenn ich ein so junges Mädchen zur Frau nähme. Diese Gedanken brachten mich so weit, den ganzen Plan aufzugeben; und da ich doch einmal um sie angehalten[58] habe und mein Wort nicht zurücknehmen darf, hätte ich sie dir gegeben, wenn du mir nicht eben deine Abneigung gegen sie ausgesprochen hättest.
CLEANTHE. Mir?
HARPAGON. Ja, dir.
CLEANTHE. Zur Frau?
HARPAGON. Versteht sich, zur Frau.
CLEANTHE. Hört, Vater: sie ist zwar nicht allzusehr nach meinem Geschmack; aber um Euch gefällig zu sein, würde ich sie heiraten, wenn Ihr's wünscht.
HARPAGON. Ich bin viel traktabler, als du denkst, und ich will deiner Neigung keine Gewalt antun.
CLEANTHE. O verzeiht; Euch zuliebe will ich mich darein fügen.
HARPAGON. Nein, nein. Eine Heirat kann nicht glücklich sein, wenn sie ohne Neigung geschlossen wird.
CLEANTHE. Die wird sich vielleicht nachher finden, Vater, denn man sagt ja, daß sehr oft die Liebe eine Frucht der Ehe ist.
HARPAGON. Nein. Von seiten des Mannes ist solch ein Versuch nicht zu wagen; er könnte verdrießliche Folgen haben, denen ich mich in keinem Fall aussetzen möchte. Ja, wenn du einige Neigung für sie gehabt hättest, dann wäre es etwas anders gewesen; dann hättest du sie in Gottes Namen statt meiner heiraten können. Da das nun aber nicht der Fall ist, so werde ich auf meinen ersten Vorsatz zurückkommen und sie selbst heiraten.
CLEANTHE. Nun wohl, Vater; weil die Sache denn so steht, will ich aufrichtig sprechen und Euch mein Geheimnis offenbaren. Die Wahrheit ist, daß ich sie liebe seit dem Tage, an welchem ich ihr zum erstenmal auf der Promenade begegnet bin; daß es schon längst meine Absicht war, sie mir von Euch zur Frau zu erbitten, und daß nichts mich davon zurückgehalten hat als die Erklärung Eurer Gesinnungen für sie und die Furcht, Euch zu mißfallen.
HARPAGON. Hast du sie schon besucht?
CLEANTHE. Ja, Vater.
HARPAGON. Oft?
CLEANTHE. Ziemlich oft für die kurze Zeit.[59]
HARPAGON. Hat man dich gut aufgenommen?
CLEANTHE. Sehr gut, aber ohne zu wissen, wer ich war; und deshalb war Mariane so überrascht, als sie mich sah.
HARPAGON. Hast du ihr deine Leidenschaft und zugleich deine Absicht, sie zu heiraten, erklärt?
CLEANTHE. Allerdings. Auch gegen die Mutter habe ich etwas davon merken lassen.
HARPAGON. Ging sie auf deinen Antrag ein?
CLEANTHE. O ja; sie schien mir ganz geneigt.
HARPAGON. Und die Tochter erwidert deine Liebe?
CLEANTHE. Wenn ich dem Anschein trauen darf, so glaube ich, Vater, daß sie mir ziemlich wohl will.
HARPAGON beiseite. Es ist mir recht lieb, daß ich hinter dies Geheimnis gekommen bin; das war gerade, was ich wollte. Laut. Hört, mein Herr Sohn, wollt Ihr also jetzt wissen, woran Ihr Euch zu halten habt? – Ihr werdet so gut sein, Euch Eure Liebesgedanken aus dem Kopf zu schlagen; alle Eure Bemühungen um ein Mädchen, das ich für mich behalten will, aufzugeben und mit nächstem die Dame zu heiraten, die ich für Euch ausgesucht habe.
CLEANTHE. So also treibt Ihr Euer Spiel mit mir, Vater? – Nun gut; da es einmal so weit gekommen ist, erkläre ich Euch meinerseits, daß ich meine Leidenschaft für Mariane nicht aufgeben werde; daß ich vor keinem Äußersten zurückschrecken will, um Euch Eure Eroberung zu entreißen; und daß, wenn Ihr die Mutter auf Eurer Seite habt, ich vielleicht andre Verbündete finde, die für mich kämpfen.
HARPAGON. Wie, du Galgenstrick, du hast die Frechheit, mir ins Gehege zu gehn?
CLEANTHE. Umgekehrt! Ihr geht mir in das meinige, und ich habe das Vorrecht, hier der erste gewesen zu sein.
HARPAGON. Bin ich nicht dein Vater? und mußt du nicht Respekt vor mir haben?
CLEANTHE. In solchen Dingen brauchen Kinder den Eltern nicht nachzustehn; und die Liebe kennt keine Gewalt über sich.
HARPAGON. Ich werde dich mit meinem Stock nach mir fragen lehren![60]
CLEANTHE. Ich fürchte mich nicht vor Euren Drohungen.
HARPAGON. Du entsagst Marianen!
CLEANTHE. Nun und nimmer!
HARPAGON. Meinen Stock her! meinen Stock!
Ausgewählte Ausgaben von
Der Geizige
|
Buchempfehlung
Die vorliegende Übersetzung gibt den wesentlichen Inhalt zweier chinesischer Sammelwerke aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert wieder, die Aufzeichnungen über die Sitten der beiden Vettern Dai De und Dai Schen. In diesen Sammlungen ist der Niederschlag der konfuzianischen Lehre in den Jahrhunderten nach des Meisters Tod enthalten.
278 Seiten, 13.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro