Dritter Auftritt.

[70] Harpagon. Der Kommissar. Valere. Jacques.


HARPAGON. Komm her und bekenne die schwärzeste Schandtat, das abscheulichste Attentat, das je begangen worden ist.

VALERE. Was meint Ihr, gnädiger Herr?

HARPAGON. Wie, Bösewicht, du errötest nicht über dein Verbrechen?

VALERE. Von welchem Verbrechen sprecht Ihr?

HARPAGON. Von welchem Verbrechen ich spreche, Scheusal? – Versuche nur nicht, dich herauszureden; die Sache ist entdeckt, und ich weiß alles. So mißbrauchst du meine Güte! – Schleichst dich bei mir ein, um mich zu verraten und mir einen solchen Streich zu spielen!

VALERE. Da man Euch alles entdeckt hat, mein Herr, will ich keine Ausflüchte machen und die Sache nicht länger leugnen.

JACQUES beiseite. Oho! Sollte ich's wohl, ohne daran zu denken, richtig erraten haben?

VALERE. Ich hatte mir schon vorgenommen, mit Euch darüber zu reden, und wollte nur eine gelegene Zeit abwarten. Aber weil es nun einmal soweit gekommen ist, beschwöre ich Euch, gelassen zu bleiben und meine Gründe anhören zu wollen.

HARPAGON. Was für saubere Gründe kannst du denn noch anführen, du ehrloser Spitzbube?

VALERE. Oh, mein Herr, den Namen habe ich nicht verdient. Ich gestehe, daß ich mich gegen Euch vergangen habe; aber mit alledem ist mein Fehler doch verzeihlich.[70]

HARPAGON. Wie, verzeihlich? Ein solcher Verrat? Ein so überlegter Raub?

VALERE. Ich bitte Euch, ereifert Euch nicht. Wenn Ihr mich nur erst angehört habt, werdet Ihr sehen, daß die Sache nicht so schlimm ist, als Ihr glaubt.

HARPAGON. Nicht so schlimm, als ich glaube! Was, du Galgenstrick, mein Herzblut, mein Liebstes auf der Welt?

VALERE. Euer Blut, Herr Harpagon, ist nicht in schlechte Hände geraten. Ich werde ihm keine Schande bringen; und es ist überhaupt nichts geschehen, was ich nicht wieder gutmachen könnte.

HARPAGON. Das bitte ich mir auch aus! Du sollst mir wiedergeben, was du mir entwendet hast.

VALERE. Eurer Ehre soll vollkommen Genüge geschehen.

HARPAGON. Von Ehre ist ja hier nicht die Rede! Aber sage mir, was in der Welt hat dich zu der Tat bewogen?

VALERE. Ach, könnt Ihr noch fragen?

HARPAGON. Ja freilich frage ich dich.

VALERE. Eine Gottheit, die immer entschuldigt, wozu sie uns angestiftet hat – die Liebe.

HARPAGON. Die Liebe?

VALERE. Ja.

HARPAGON. Schöne Liebe, schöne Liebe, meiner Treu! Die Liebe zu meinen Louisdoren!

VALERE. Nein, mein Herr, Euer Reichtum hat mich nicht verlockt; durch ihn ward ich nicht geblendet; und ich beteure Euch, daß ich mit Freuden auf alle Eure Güter verzichten will, wenn Ihr mir nur laßt, was ich habe.

HARPAGON. Den Teufel auch lasse ich's dir! Nichts lasse ich. Aber da sehe mir einer die Unverschämtheit. Er will das gestohlene Gut behalten!

VALERE. Nennt Ihr das einen Diebstahl?

HARPAGON. Ob ich's einen Diebstahl nenne? Einen solchen Schatz?

VALERE. Es ist ein Schatz, das ist wahr, und gewiß der kostbarste, den Ihr besitzt; aber Ihr verliert ihn ja nicht, wenn Ihr ihn mir laßt. Ich bitte Euch fußfällig um diesen reizenden Schatz; Ihr tätet gewiß am besten, ihn mir freiwillig zu gewähren.

HARPAGON. Nun und nimmer! Wie kann dir das nur einfallen?[71]

VALERE. Wir haben uns gegenseitig Treue geschworen und versprochen, einander nie zu verlassen.

HARPAGON. Das ist ja ein kostbarer Schwur und ein wundervolles Versprechen!

VALERE. Ja, wir haben uns gelobt, uns auf ewig anzugehören.

HARPAGON. Das wollen wir doch erst sehen; ich werde euch schon auseinanderbringen!

VALERE. Nur der Tod kann uns scheiden!

HARPAGON. Der Mensch ist ja ganz verteufelt in mein Geld verliebt!

VALERE. Ich habe Euch schon gesagt, Herr Harpagon, daß kein Eigennutz mich verleitet hat. Es sind nicht die Beweggründe, die Ihr mir zutraut, die mich dazu getrieben haben; mein Entschluß ist aus einer edleren Eingebung hervorgegangen.

HARPAGON. Er wird mir am Ende wahrhaftig noch beweisen, es sei aus christlicher Liebe geschehen. Aber ich werde schon Rat schaffen, und die Obrigkeit, du unverschämter Galgenstrick, wird mir zu meinem Recht verhelfen.

VALERE. Ihr mögt tun, was Euch beliebt, und ich bin bereit, alles über mich ergehen zu lassen. Aber das eine bitte ich Euch zu glauben, daß, wenn ein Unrecht begangen ist, nur ich der Schuldige bin und daß Eure Tochter keinen Anteil daran hat.

HARPAGON. Das fehlte auch wahrhaftig noch! Wie käme denn auch meine Tochter dazu, die Mitschuldige eines so greulichen Verbrechens zu sein? – Aber ich will mein Eigentum wiederhaben, und du sollst mir gestehen, wohin du sie entführt hast?

VALERE. Ich? Ich habe sie nicht entführt; sie ist noch in Eurem Hause.

HARPAGON beiseite. O meine liebe Schatulle! – Wie, sie ist gar nicht aus meinem Hause gekommen?

VALERE. Nein, Herr Harpagon.

HARPAGON. Ach, sag mir doch gleich: Hast du sie noch nicht berührt?

VALERE. Ich, sie berührt? – Oh, Ihr tut uns beiden das größte Unrecht! Es ist die reinste und ehrerbietigste Liebe, von der ich für sie glühe.[72]

HARPAGON beiseite. Er glüht für meine Schatulle? –

VALERE. Ich würde ja lieber sterben als einen beleidigenden Gedanken gegen sie äußern. Dazu ist sie zu gut, zu rechtschaffen.

HARPAGON beiseite. Meine Schatulle zu rechtschaffen?

VALERE. Alle meine Wünsche haben sich darauf beschränkt, mich an ihrem Anblick zu weiden, und nichts Strafbares hat die Leidenschaft entweiht, die ihre schönen Augen in mir entzündet haben.

HARPAGON beiseite. Die schönen Augen meiner Schatulle? – Er spricht weiß Gott von ihr, wie ein Liebhaber von seiner Geliebten!

VALERE. Frau Claude, Herr Harpagon, weiß den ganzen Hergang und kann Euch bezeugen ...

HARPAGON. Was? Meine Haushälterin ist auch dabei beteiligt?

VALERE. Ja, Herr Harpagon: sie war Zeuge unserer Verlobung; und nachdem sie die Redlichkeit meiner Absichten erkannt, half sie mir, Eure Tochter zu überreden, daß sie mir ihre Treue gelobte und mein Versprechen empfing.

HARPAGON beiseite. Was Teufel! Hat die Furcht vor der Justiz ihm den Kopf verrückt? – Laut. Was faselst du dazwischen von meiner Tochter? –

VALERE. Ich sage, Herr Harpagon, daß ich alle Mühe gehabt habe, ihre Bedenklichkeit dahin zu bringen, daß sie meiner Liebe Gehör gab.

HARPAGON. Wessen Bedenklichkeit?

VALERE. Eurer Tochter; und erst gestern hat sie sich entschließen wollen, ein gegenseitiges Heiratsversprechen mit mir zu unterzeichnen.

HARPAGON. Meine Tochter hat dir ein Heiratsversprechen unterschrieben?

VALERE. Ja, Herr Harpagon, wie ich ihr denn meinerseits gleichfalls eins ausgestellt habe.

HARPAGON. O Himmel! Welch ein neues Unglück!

JACQUES. Schreibt, Herr Kommissar, schreibt!

HARPAGON. Neues Elend! Schmach über Schmach! Zum Kommissar. Geschwind, mein Herr. Tut, was Eures Amts ist: schreibt ihn ins Protokoll als Dieb und als Mädchenräuber.[73]

JACQUES. Als Dieb und als Mädchenräuber.

VALERE. Das sind Namen, die mir nicht zukommen; und wenn Ihr hören werdet, wer ich bin ...


Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 70-74.
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