[75] Anselme. Harpagon. Elise. Mariane. Frosine. Valere. Der Kommissar. Jacques.
ANSELME. Was habt Ihr vor, Herr Harpagon? Ihr seid ja ganz außer Euch!
HARPAGON. Ach, Herr Anselme, ich bin der unglücklichste Mensch auf Erden; und mit dem Kontrakt, den Ihr schließen wollt, sieht es noch sehr verwirrt und weitläufig aus. Man greift mein Geld, man greift meine Ehre an; hier steht der Verräter, der Bösewicht, der die allerheiligsten Pflichten mit Füßen tritt. Er hat sich unter dem Namen eines Dieners in mein Haus eingeschlichen, um mir mein Geld zu stehlen und meine Tochter zu verführen.
VALERE. Wer denkt denn an Euer Geld, von dem Ihr mir immer vorschwatzt?
HARPAGON. Ja, sie haben sich einander die Ehe versprochen: der Schimpf fällt zunächst auf Euch zurück, Herr Anselme, und an Euch ist es jetzt, gegen ihn klagbar zu werden und eine gerichtliche Untersuchung einzuleiten, um Euch an dem Unverschämten zu rächen.
ANSELME. Es ist nie meine Absicht gewesen, eine Heirat durch Zwang zustande zu bringen und Anspruch auf ein Herz zu machen, das sich schon verschenkt hat. Was aber Euer Interesse betrifft, so bin ich bereit, es zu wahren, als ob es mein eignes wäre.
HARPAGON. Hier ist ein wackerer Kommissar, der mir versprochen hat, nichts zu vergessen, was seines Amtes ist. Zum Kommissar. Setzt ihm recht scharf zu, mein Herr, und stellt sein Verbrechen ins grellste Licht.
VALERE. Ich begreife nicht, wie man aus meiner Liebe zu Eurer Tochter ein Verbrechen machen will, noch wie ich wegen unserer Verlobung bestraft werden könne, wenn man erfahren wird, wer ich bin ...[75]
HARPAGON. Über solche Märchen lache ich nur. Es wimmelt jetzt allenthalben von solchen sogenannten Adligen, solchen Schwindlern, die es benutzen, daß niemand ihre obskure Herkunft kennt, und sich frecherweise mit dem ersten besten berühmten Namen ein Ansehen geben.
VALERE. So laßt Euch gesagt sein, daß ich zu stolz bin, mich mit erborgten Federn zu schmücken, und daß ganz Neapel Euch bezeugen kann, welcher Familie ich angehöre.
ANSELME. Sachte, sachte! Bedenkt, was Ihr sagen wollt. Ihr wagt hier mehr, als Ihr Euch vielleicht vorstellt; Ihr habt einen Mann vor Euch, der ganz Neapel kennt, und der Eure Erzählung sehr bald durchschauen wird.
VALERE setzt trotzig seinen Hut auf. Ich habe niemand zu scheuen; und wenn Ihr Neapel kennt, werdet Ihr wissen, wer Don Thomas d'Alburci war.
ANSELME. Das weiß ich allerdings, und es haben ihn wenig Menschen besser gekannt als ich.
HARPAGON. Ich frage den Henker weder nach Don Thomas noch nach Don Martin. Er sieht, daß zwei Lichter brennen, und bläst eins aus.
ANSELME. Ich bitte Euch, laßt ihn ausreden; wir wollen doch sehen, was er über ihn vorbringen kann.
VALERE. Nur das eine, daß er mein Vater ist.
ANSELME. Er?
VALERE. Ja.
ANSELME. Geht, Ihr wollt uns zum besten haben. Denkt Euch eine andere Erfindung aus, mit der Ihr besser bestehen könnt, und gebt es auf, Euch mit dieser Fabel zu retten.
VALERE. Wählt Eure Worte vorsichtiger. Was ich sage, ist keine Fabel, und ich behaupte nichts, was ich nicht mit leichter Mühe beweisen kann.
ANSELME. Wie, Ihr wagt Euch für den Sohn des Don Thomas d'Alburci auszugeben?
VALERE. Ja, das wage ich, und bin bereit, diese Wahrheit gegen jeden, wer's auch sei, zu verteidigen.
ANSELME. Eure Kühnheit ist unerhört! Erfahrt denn zu Eurer Beschämung, daß der Mann, von dem Ihr sprecht, vor mehr als sechzehn Jahren mit seiner Frau und seinen Kindern auf dem Meere umgekommen ist. Er wollte sich den grausamen Verfolgungen entziehen, die der neapolitanische[76] Aufstand hervorrief, und die so viele edle Familien aus der Heimat vertrieben haben.
VALERE. Jawohl. Erfahrt denn aber zu Eurer Beschämung dagegen, daß sein damals siebenjähriger Sohn mit einem Diener bei diesem Schiffbruch von einem spanischen Fahrzeug gerettet ward, und daß ich selbst, der hier mit Euch redet, dieser gerettete Sohn bin. Erfahrt, daß der Kapitän dieses Schiffs aus Mitleid mit meinem Unglück sich freundlich meiner annahm, mich wie seinen eigenen Sohn erziehen und in Kriegsdienste treten ließ, sobald ich herangewachsen war; daß ich erst ganz vor kurzem erfuhr, mein Vater sei nicht tot, wie ich immer geglaubt hatte – daß ich durch eine Fügung des Himmels, nachdem ich hier angekommen war, um ihn aufzusuchen, die reizende Elise kennenlernte; daß ihr Anblick mich zum Sklaven ihrer Schönheit machte, und daß die Heftigkeit meiner Leidenschaft und die Strenge ihres Vaters mich zu dem Entschluß brachten, in seinem Hause Dienste zu nehmen und einem andern aufzutragen, die Nachforschungen nach meinen Eltern fortzusetzen.
ANSELME. Aber was für andere Zeugen als Eure alleinige Erzählung habt Ihr, um uns zu beweisen, daß dies alles nicht eine Fabel sei, der vielleicht etwas Wahres zugrunde liegt?
VALERE. Meine Zeugen sind der spanische Kapitän; ein Petschaft von Rubin, das meinem Vater gehörte; ein Armband von Achaten, das meine Mutter mir um das Handgelenk gebunden; endlich der alte Pedro, der treue Diener, der sich mit mir zugleich aus dem Schiffbruch rettete.
MARIANE. Ach! Nach dem allen kann ich verbürgen, daß dies kein Betrug ist; alles, was Ihr sagt, läßt mir keinen Zweifel, daß Ihr mein Bruder seid.
VALERE. Ihr meine Schwester?
MARIANE. Ja. Vom ersten Augenblick an, wo Ihr zu sprechen begannt, ergriff mich eine Rührung; unsere Mutter, die außer sich vor Freude sein wird, hat mir hundertmal das Unglück unserer Familie erzählt. Auch uns hat der Himmel in diesem furchtbaren Schiffbruch nicht untergehen lassen; aber wir mußten das Leben mit dem Verlust unserer Freiheit erkaufen, denn es waren Korsaren, die meine Mutter und mich von den Trümmern[77] unseres zerscheiterten Schiffs herabholten und aufnahmen. Nach zehnjähriger Sklaverei gab ein glücklicher Zufall uns unsere Freiheit wieder. Wir kehrten nach Neapel zurück, wo wir unsere sämtlichen Güter verkauft fanden, aber über den Aufenthalt unseres Vaters nichts erfahren konnten. Von da begaben wir uns nach Genua, wo meine Mutter noch einige Überreste einer zersplitterten Erbschaft zusammenbrachte. Die Härte und Ungerechtigkeit ihrer Verwandten vertrieb sie auch von dort; und so ist sie endlich hierher nach Paris gekommen, wo sie in Kummer und Krankheit eine freudlose Zeit verlebt hat.
ANSELME. O Himmel! Wie überraschend sind die Fügungen deiner Allmacht! – Und wie zeigst du mir aufs neue, daß nur du Wunder tun kannst! – Umarmt mich, meine Kinder, und teilt eure Freude mit der eures Vaters!
VALERE. Ihr seid unser Vater? –
MARIANE. Ihr seid's, den unsere Mutter so schmerzlich beweint hat?
ANSELME. Ja, meine Tochter; ja, mein Sohn; ich bin Don Tomaso d'Alburci, den der Himmel mit aller Habe, die er bei sich trug, aus den Fluten gerettet hat, und der euch alle seit sechzehn Jahren für tot hält. Nach langen Reisen wollte ich in der Verbindung mit einem sanften und verständigen Mädchen den Trost eines neuen Familienlebens suchen. Die Gefahr, in der mein Leben noch in Neapel schwebt, hat mich bewogen, jeden Gedanken an die Rückkehr dahin aufzugeben; und nachdem mir's gelungen ist, meine dortigen Güter verkaufen zu lassen, habe ich hier eine Heimat gefunden, in welcher ich unter dem Namen Anselme die Verfolgungen von mir fernhalten wollte, die mein wahrer Name mir zuziehen würde.
HARPAGON zu Anselme. Das ist also Euer Sohn?
ANSELME. Ja.
HARPAGON. So halte ich mich an Euch wegen der dreißigtausend Livres, die er mir gestohlen hat.
ANSELME. Er? – Euch bestohlen? –
HARPAGON. Ja, er selbst.
VALERE. Wer hat Euch denn das gesagt?
HARPAGON. Jacques.
VALERE zu Jacques. Das hast du gesagt?
JACQUES. Ihr seht, ich sage gar nichts.[78]
HARPAGON. Jawohl! – Hier der Herr Kommissar hat seine Aussage zu Protokoll genommen.
VALERE. Könnt Ihr mich denn einer solchen Schändlichkeit fähig halten?
HARPAGON. Fähig oder nicht fähig, ich will mein Geld wiederhaben.
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