Erster Auftritt.

[4] ARGAN sitzt vor einem Tisch und reduziert mit Spielmarken die Rechnung seines Apothekers. Drei und zwei sind fünf, und fünf sind zehn, und zehn sind zwanzig; drei und zwei sind fünf. – »Item, den vierundzwanzigsten ein insinuatives, präparatives und erweichendes kleines Klistier für Herrn Argan, zur Schmeidigung, Anfeuchtung und Erfrischung der Eingeweide Wohldesselben.« Was mir an Herrn Fleurant, meinem Apotheker, besonders gefällt, ist, daß seine Rechnungen immer so höflich stilisiert sind. »Zur Erfrischung der Eingeweide Wohldesselben; dreißig Sous.« Ja; aber mein lieber Herr Fleurant, es ist nicht genug, daß man höflich sei; man muß auch billig sein und die Kranken nicht schinden. Ein Klistier dreißig Sous! – Gehorsamer Diener, das habe ich Euch schon gesagt; Ihr habt mir's in anderen Rechnungen mit zwanzig Sous angesetzt, und zwanzig Sous in der Apothekersprache bedeuten zehn; schreiben wir also zehn Sous. »Item, von selbigem dato, ein gutes purifizierendes Klistier, nach Vorschrift zusammengestellt aus doppeltem Katholikon, Rhabarber, Rosenhonig und andern Ingredienzen, um Herrn Argans Unterleib auszufegen, zu spülen und zu reinigen, dreißig Sous.« Mit Eurer Erlaubnis, zehn Sous. »Item, von selbigem dato ein hepatischer, soporativer und schlafbringender Julep, um Herrn Argan Nachtruhe zu verschaffen, fünfunddreißig Sous.« Gegen den Julep will ich nichts sagen, denn ich schlief vortrefflich darauf. Zehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn Sous und sechs Deniers. »Item, den fünfundzwanzigsten, eine gute reinigende und stärkende Mixtur, bestehend aus frischer Quassia nebst levantinischen Sennesblättern und andern[4] Ingredienzen nach der Verordnung des Herrn Dr. Purgon, um Herrn Argan die Galle auszuscheiden und zu vertreiben, vier Livres.« Ei, mein guter Herr Fleurant, das heißt die Leute zum besten haben; man muß leben und leben lassen. Herr Purgon hat Euch nicht geheißen, vier Livres anzuschreiben; seid so gut und setzt drei Livres. Zwanzig und dreißig Sous. »Item, vom nämlichen dato, ein anodiner adstringierender Trank, um Herrn Argan eine wohlschlafende Nacht zu verschaffen, fünfunddreißig Sous.« Gut; zehn und fünfzehn Sous. »Item, am sechsundzwanzigsten, ein karminatives Klistier, um Herrn Argan die Blähungen zu vertreiben, dreißig Sous.« Zehn Sous, Herr Fleurant. »Item Herrn Argans Klistier, am Abend wiederholt, wie oben, dreißig Sous.« Zehn Sous, Herr Fleurant! »Item, am siebenundzwanzigsten, eine wohltätige Medizin, um den Stuhlgang zu beschleunigen und Herrn Argan von seinen bösen Säften zu befreien, drei Livres.« Gut, zwanzig und dreißig Sous: es freut mich, daß Ihr so billig seid. »Item, am achtundzwanzigsten, eine Portion abgeklärter und versüßter Molken, um Herrn Argan das Blut zu mildern, zu besänftigen, abzukühlen und zu erfrischen, zwanzig Sous.« Gut, schreiben wir zehn Sous. »Item, ein herzstärkender und präservativer Trank, versetzt mit zwölf Gran Bezoar, Sirup von Limonaden und Granatäpfeln und allerlei andern Zutaten, nach Vorschrift, fünf Livres.« Sachte, sachte, mein lieber Herr Fleurant, wenn's gefällig ist; wenn Ihr so mit den Leuten umgeht, wer wird denn da noch krank sein wollen? – Begnügt Euch mit vier Franken; zwanzig und vierzig Sous. Drei und zwei macht fünf, und fünf macht zehn, und zehn macht zwanzig; dreiundsechzig Livres vier Sous sechs Deniers. Folglich hätte ich denn in diesem Monat gebraucht: eine, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht Mixturen, und eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf Klistiere; und letzten Monat waren's zwölf Mixturen und zwanzig Klistiere. Da ist's freilich kein Wunder, wenn ich mich diesen Monat weniger wohl fühle als den vorigen. Ich muß es Herrn Purgon sagen, damit er beizeiten vorbeugt. Heda! – Räumt mir das alles hier weg. Er bemerkt, daß niemand im Zimmer ist. Niemand hier! – Ich mag noch so viel sagen, sie lassen mich immer allein; da hilft nichts, sie lassen sich[5] nicht halten. Nachdem er mit einer Handklingel geschellt. Niemand hört mich, und meine Klingel ist nicht laut genug. Er schellt wieder. Sie sind alle taub! – Toinette! Schellt abermals. Grade als ob ich gar nicht klingelte. Spitzbübin! Galgenbrut! Er schellt. Aus der Haut möchte man fahren! – Er schellt nicht mehr, sondern schreit aus allen Kräften. Klingling ling ling ling ling! – Zum Teufel mit dir, du Rabenaas! Ist's denn erhört, einen armen Kranken so allein zu lassen? – Klingling ling ling ling ling! – Das ist doch wahrhaftig zum Erbarmen. Klingling ling! Ach, du lieber Gott, sie werden mich hier sterben, lassen! – Klingling ling!


Quelle:
Molière: Der eingebildete Kranke. Leipzig 1945, S. 4-6.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der eingebildete Kranke
Der eingebildete Kranke
Le Malade imaginaire /Der eingebildete Kranke: Franz. /Dt.
Der eingebildete Kranke /Die Gaunereien des Scappino: Zwei Komödien
Der eingebildete Kranke (Suhrkamp BasisBibliothek)
Der Menschenfeind; Der eingebildete Kranke