Neunter Auftritt.

[18] Herr de Bonnefois. Belinde. Argan.


ARGAN. Kommt näher, Herr de Bonnefois, kommt näher. Nehmt Euch einen Sessel, wenn's gefällig ist. Meine Frau hat mir gesagt, mein Herr, Ihr wäret ein braver Mann und einer von ihren besten Freunden; deshalb habe ich ihr aufgetragen, mit Euch über ein Testament zu reden, das ich machen will.

BELINDE. Ach! ich bin nicht imstande, über dergleichen Dinge zu reden!

HERR DE BONNEFOIS. Sie hat mir Eure Absichten und Pläne in Beziehung auf sie auseinandergesetzt; und darauf muß ich Euch denn bemerken, daß Ihr Eurer Frau in Eurem Testament nichts vermachen könnt.

ARGAN. Warum nicht?

HERR DE BONNEFOIS. Es ist gegen das Gewohnheitsrecht. Wenn Ihr in einer der Provinzen lebtet, in welchen geschriebenes Recht gilt, so ließe die Sache sich machen; aber hier in Paris geht es nicht an, und Eure Verfügung wäre null und nichtig. Alles, was Mann und Frau sich einander zugute tun können, ist ein gegenseitiges Geschenk unter Lebenden; und auch in dem Fall dürfen zur Zeit des Sterbefalls des ersten von beiden keine Kinder vorhanden sein, weder aus der gegenwärtigen noch aus einer früheren Ehe.[18]

ARGAN. Das finde ich ein recht verkehrtes Herkommen, daß ein Mann seiner Frau, die er zärtlich liebt und die ihn so sorgfältig gepflegt hat, nichts hinterlassen soll. Ich hätte Lust, meinen Advokaten zu konsultieren und zu hören, was dabei zu tun ist.

HERR DE BONNEFOIS. Ihr müßt Euch an keinen Advokaten wenden, denn die nehmen solche Sachen sehr streng und bilden sich ein, es sei ein schweres Verbrechen, das Gesetz zu täuschen. Sie machen überall Schwierigkeiten und wissen nicht, wie man dem Gewissen zu Hilfe kommt. Es gibt noch andre Leute, die Ihr um Rat fragen müßt, die gefügiger sind und die rechten Mittel wissen, um sacht über das Gesetz wegzuschlüpfen und das Unerlaubte legal zu machen: Leute, die sich darauf verstehn, die Schwierigkeiten einer Sache zu applanieren und Mittel zu finden, das Herkommen auf eine indirekte Weise zu umgehn. Was fingen wir auch an, wenn das nicht wäre? – Man muß sich zu helfen wissen; sonst könnten wir ja nichts machen, und ich gäbe keinen Heller für unser Gewerbe.

ARGAN. Meine Frau hatte mir's wohl gesagt, mein werter Herr, Ihr wäret ein sehr geschickter und sehr braver Mann. Wie soll ich's also anfangen, ich bitte Euch, um ihr mein Vermögen zuzuwenden und es meinen Kindern zu entziehen?

HERR DE BONNEFOIS. Wie Ihr's anfangen sollt? Ihr sucht Euch in der Stille einen intimen Freund Eurer Frau aus, dem Ihr in aller Form Rechtens durch ein Testament vermacht so viel Ihr wollt; und dieser Freund zahlt ihr nachher alles wieder zurück. Oder Ihr stellt eine ganze Reihe von rechtskräftigen Obligationen an verschiedene fingierte Kreditoren aus, die ihren Namen dazu hergeben und Eurer Frau unter der Hand einen Revers einhändigen, durch welchen sie bekennen, das alles nur ihr zu Gefallen getan zu haben. Endlich könnt Ihr Eurer Frau ja auch bei Euren Lebzeiten bares Geld oder Wechsel, die auf den Vorzeiger lauten, zustellen.

BELINDE. Mein Gott, quäle dich doch nicht mit solchen Dingen. Wenn dir etwas zustieße, mein liebster Schatz, so möchte ich nicht länger auf der Welt bleiben.

ARGAN. Mein Lamm![19]

BELINDE. Ja, mein Herzenssöhnchen, wenn ich das Unglück erleben sollte, dich zu verlieren ...

ARGAN. Meine liebe Frau!

BELINDE. So hat das Leben keinen Wert mehr für mich.

ARGAN. Mein Engel!

BELINDE. Und ich folge dir ins Grab, um dir meine Zärtlichkeit zu beweisen.

ARGAN. Mein Lamm, du zerreißest mir das Herz! Tröste dich, ich bitte dich.

HERR DE BONNEFOIS zu Belinde. Ihr habt ja noch gar keine Veranlassung zu weinen; wir sind noch nicht so weit.

BELINDE. Ach, mein Herr, Ihr wißt nicht, was es heißt, einen Mann so zärtlich lieben!

ARGAN. Am meisten wird mir's leid sein, wenn ich sterbe, mein Lamm, daß ich kein Kind von dir habe. Herr Purgon hatte mir gesagt, er würde mir dazu verhelfen ...

HERR DE BONNEFOIS. Das kann noch kommen.

ARGAN. Jetzt will ich vor allen Dingen mein Testament machen, mein Herz, und zwar auf die Art, wie Herr de Bonnefois sagt: aber um sicher zu gehn, will ich zwanzigtausend Frank in Gold, die ich im Getäfel meines Alkovens verwahrt habe, in deine Hände geben, und außerdem zwei auf den Vorzeiger ausgestellte Wechsel, einen von Herrn Damon und einen von Herrn Géronte.

BELINDE. Nein, nein, was frage ich nach dem allen! Ach! ... Wieviel sagst du, daß in deinem Alkoven sind?

ARGAN. Zwanzigtausend Frank, mein Lamm.

BELINDE. Sprich mir nicht von Geld, ich bitte dich. Ach! – Wieviel betragen die beiden Wechsel?

ARGAN. Der eine, mein Engel, lautet auf viertausend Frank, der andre auf sechs.

BELINDE. Alle Schätze der Welt, mein herzliebster Mann, sind nichts im Vergleich mit dir.

HERR DE BONNEFOIS zu Argan. Sollen wir jetzt zum Testament schreiten?

ARGAN. Ja, mein werter Herr. Aber wir können das besser in meinem kleinen Kabinett abmachen. Führe mich, mein Lamm, wenn du so gut sein willst.

BELINDE. Komm, mein armes liebes Söhnchen!


Quelle:
Molière: Der eingebildete Kranke. Leipzig 1945, S. 18-20.
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