Siebenter Auftritt.

[41] Belinde. Argan. Angelique. Herr Diafoirus. Thomas Diafoirus. Toinette.


ARGAN. Mein Lamm, das ist der Sohn des Herrn Diafoirus.

THOMAS DIAFOIRUS. Madame, ich begrüße Euch als Schwieger- und nicht als Stiefmutter, denn die Natur hat Euer schönes Gesicht so wenig stiefmütterlich behandelt ...

BELINDE. Mein Herr, es freut mich, zu rechter Zeit gekommen zu sein, um noch die Ehre zu haben, Euch zu sehn.

THOMAS DIAFOIRUS. Denn die Natur hat Euer schönes Gesicht – denn die Natur hat Euer schönes Gesicht – Madame, Ihr habt mich mitten in meiner Anrede unterbrochen, und das bringt mich ganz aus dem Konzept.[41]

HERR DIAFOIRUS. Thomas, verschiebe dies auf ein andermal.

ARGAN. Ich wünschte, mein Engel, du wärst eben hier gewesen.

TOINETTE. Ah, Madame, Ihr habt sehr viel verloren, daß Ihr den zweiten Vater, das Standbild des Memnon und die unter dem Namen Sonnenblume bekannte Staude versäumt habt.

ARGAN. Nun frisch, meine Tochter, gib dem Herrn die Hand und versprich ihm deine Treue als deinem Ehegatten.

ANGELIQUE. Lieber Vater!

ARGAN. Nun? lieber Vater? Was soll denn das bedeuten?

ANGELIQUE. Um alles in der Welt willen, eilt nicht so mit der Sache. Gönnt uns wenigstens die Zeit, einander kennenzulernen und einer für den andern die Zuneigung zu gewinnen, die für eine glückliche Ehe notwendig ist.

THOMAS DIAFOIRUS. Was mich anlangt, mein Fräulein, so ist sie in mir schon vollständig vorhanden, und ich habe nicht nötig, erst noch darauf zu warten.

ANGELIQUE. Wenn Ihr so schnell damit fertig geworden seid, mein Herr, so ist das mit mir keineswegs der Fall, und ich gestehe Euch, daß Eure Verdienste noch keinen hinreichenden Eindruck auf mein Herz gemacht haben.

ARGAN. Pah, pah! Damit hat es noch alle Zeit, wenn ihr zusammen verheiratet sein werdet.

ANGELIQUE. O mein Vater, laßt mir ein wenig Zeit, darum bitte ich Euch dringend. Die Ehe ist eine Kette, die man einem Herzen nicht mit Gewalt anlegen darf; und wenn Herr Diafoirus ein rechtschaffener Mann ist, wird er eine Frau nicht wollen, die ihm nur durch Zwang gehören würde.

THOMAS DIAFOIRUS. Nego consequentiam, mein Fräulein. Ich kann ein rechtschaffener Mann sein, und Euch doch sehr gern aus der Hand Eures Vaters annehmen.

ANGELIQUE. Es ist das schlechteste Mittel von der Welt, sich Liebe dadurch erzwingen zu wollen, daß man Gewalt braucht.

THOMAS DIAFOIRUS. Wir lesen von den Alten, mein Fräulein, daß ihre Gewohnheit war, die Jungfrauen, die sie zur Ehe nahmen, mit Gewalt aus dem Hause ihrer Väter[42] zu entführen, damit es nicht den Anschein haben solle, als ob sie freiwillig in die Arme eines Mannes flögen.

ANGELIQUE. Die Alten, mein Herr, sind die Alten; und wir sind Menschen aus der Jetztzeit. Solche Zierereien sind in unserm Jahrhundert nicht mehr nötig; und wenn eine Heirat uns gefällt, verstehn wir sehr gut, an den Altar zu gehn, ohne daß man uns hinschleppt. Faßt Euch in Geduld, mein Herr; wenn Ihr mich liebt, müßt Ihr alles wollen, was ich will.

THOMAS DIAFOIRUS. Ja, mein Fräulein; nur mit Ausnahme der Interessen dieser meiner Liebe selbst.

ANGELIQUE. Der größte Beweis von Liebe ist aber doch, sich dem Willen der Geliebten zu unterwerfen.

THOMAS DIAFOIRUS. Distinguo, mein Fräulein. In allem, was sich nicht auf ihren Besitz bezieht, concedo. Insofern es aber diesen betrifft, nego.

TOINETTE zu Angelique. Ihr habt gut Gründe aufzustellen; der Herr kommt frisch gemahlen von der Universität und wird Euch nie eine Antwort schuldig bleiben. Wozu wollt Ihr Euch so lange sperren und Euch die Ehre entgehen lassen, der Fakultät anzugehören?

BELINDE. Sie hat vielleicht eine Liebschaft im Kopfe!

ANGELIQUE. Wenn das wäre, Frau Mutter, so würde sie der Art sein, daß Vernunft und Ehre sie mir erlaubten.

ARGAN. Meiner Treu', ich spiele bei dem allen eine kuriose Rolle!

BELINDE. Wenn ich wäre wie du, mein Söhnchen, so würde ich sie nicht zwingen, sich zu verheiraten; ich weiß wohl, was ich täte.

ANGELIQUE. Ich weiß, was Ihr sagen wollt, Frau Mutter, und wie gut Ihr's mit mir meint. Es wäre aber doch möglich, daß Eure Ratschläge nicht das Glück hätten, Gehör zu finden.

BELINDE. Das macht, weil ein so musterhaft verständiges und ehrbares Mädchen wie Ihr nichts danach fragt, Ihrem Vater gehorsam und seinem Willen untertänig zu sein. Das war ehemals gut.

ANGELIQUE. Die Pflichten einer Tochter, Frau Mutter, haben ihre Grenzen; und Vernunft und Gesetze dehnen sich nicht auf alles aus.

BELINDE. Das heißt, Ihr habt keinen andern Gedanken[43] als zu heiraten, aber Ihr wollt Euch einen Mann nach Eurem eignen Gutdünken aussuchen.

ANGELIQUE. Wenn mir mein Vater nicht einen Mann geben will, der mir gefällt, so werde ich ihn wenigstens beschwören, mich nicht zu zwingen, einen zu nehmen, den ich nicht lieben könnte.

ARGAN. Meine Herren, ich bitte euch um Vergebung für alles, was hier vorgeht!

ANGELIQUE. Es hat jeder seinen Zweck, wenn er sich verheiratet. Ich, meinesteils, die einen Gatten nur will, um ihn wahrhaft zu lieben, und weil ich ihm mein ganzes Leben zu widmen gesonnen bin – ich gestehe, daß ich mit einiger Vorsicht dabei zu Werke gehe. Es gibt Mädchen, die einen Mann nehmen, nur um sich dem Joch ihrer Eltern zu entziehen und sich in den Stand zu setzen, alles zu tun, was ihnen gefällt. Dann gibt es andre, Frau Mutter, die aus der Ehe eine gewinnsüchtige Spekulation machen – die nur heiraten, um sich ein Wittum zu verschaffen, oder um sich durch den Tod ihrer Eheherrn zu bereichern, und die ohne Skrupel einen nach dem andern nehmen, den sie zu beerben hoffen. Solche Frauen brauchen freilich nicht so viel Umstände zu machen, und auf die Person kommt es ihnen wenig an.

BELINDE. Ihr kommt mir heut sehr spitzfindig vor, und ich möchte wissen, auf wen das alles zielen soll.

ANGELIQUE. Ich, Frau Mutter? – Was sollte ich wohl anders sagen wollen, als was ich sage?

BELINDE. Ihr seid so albern, mein Schatz, daß man's nicht länger mit Euch aushalten kann.

ANGELIQUE. Ihr möchtet mich gern dazu bringen, Frau Mutter, Euch eine Unart zu erwidern; aber ich versichere Euch, ich werde Euch dies Vergnügen nicht machen.

BELINDE. Eure Frechheit hat ihresgleichen nicht!

ANGELIQUE. Nein, Frau Mutter, Ihr mögt sagen, was Ihr wollt.

BELINDE. Und Ihr habt einen lächerlichen Stolz, ein überdreistes Selbstvertrauen, über das alle Welt die Achseln zuckt!

ANGELIQUE. Das alles hilft Euch zu nichts. Ich werde Euch zum Trotz schweigen; und um Euch die Hoffnung zu benehmen, Ihr könntet Euern Vorsatz erreichen, will ich Euch aus den Augen gehn.


Quelle:
Molière: Der eingebildete Kranke. Leipzig 1945, S. 41-44.
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