[60] Herr Purgon. Argan. Beralde. Toinette.
HERR PURGON. Schöne Neuigkeiten, die ich da eben unten an der Tür erfahre! – Man spottet hier über meine Rezepte und weigert sich, das von mir verordnete Mittel zu nehmen?
ARGAN. Herr Doktor, ich war ...
HERR PURGON. Das ist ja ein nie dagewesenes Unterfangen, eine unerhörte Rebellion eines Kranken gegen seinen Arzt!
TOINETTE. Es ist entsetzlich!
HERR PURGON. Ein Klistier, das ich recht con amore selbst bereitet ...
ARGAN. Ich war nicht schuld ...
HERR PURGON. Und nach allen Regeln der Kunst erfunden und zusammengestellt hatte ...
TOINETTE. Er hat unrecht!
HERR PURGON. Und das eine stupende Wirkung hervorgebracht haben würde ...
ARGAN. Mein Bruder ...
HERR PURGON. Mit Verachtung zurückzuschicken![60]
ARGAN zeigt auf Beralde. Er war's ...
HERR PURGON. Das ist eine himmelschreiende Tat.
TOINETTE. Das ist wahr!
HERR PURGON. Ein frevelhaftes Attentat auf die Wissenschaft –
ARGAN zeigt auf Beralde. Er redete mir zu ...
HERR PURGON. Ein crimen laesae Facultatis, das nicht streng genug bestraft werden kann.
TOINETTE. Ihr habt ganz recht.
HERR PURGON. Ich erkläre hiermit, daß ich meine Hand von Euch abziehe ...
ARGAN. Es war mein Bruder ...
HERR PURGON. Daß ich von der Verschwägerung mit Euch nichts mehr wissen will –
TOINETTE. Das macht Ihr recht.
HERR PURGON. Und daß ich, um alle Verbindung mit Euch aufzuheben, die Donation, die ich zugunsten seiner Heirat meinem Neffen machen wollte, hier vor Euren Augen zerreiße. Er wirft ihm die zerrissene Akte vor die Füße.
ARGAN. Mein Bruder ist an dem ganzen Unglück schuld!
HERR PURGON. Mein Klistier verachten!
ARGAN. Laßt es kommen, ich will es nehmen.
HERR PURGON. Ich hätte Euch in kurzem aus aller Not geholfen –
TOINETTE. Er verdient es nicht!
HERR PURGON. Ich stand im Begriff, grade jetzt Euren Körper zu reinigen und alle bösen Säfte gründlich auszutreiben –
ARGAN. Ach, Bruder!
HERR PURGON. Und hätte Euch höchstens noch ein Dutzend Medizinen zugedacht, um rein Haus zu machen.
TOINETTE. Er ist Eurer Sorgfalt nicht wert!
HERR PURGON. Aber weil Ihr durch meine Hand nicht habt kuriert sein wollen –
ARGAN. Es ist ja nicht meine Schuld!
HERR PURGON. Weil Ihr Euch gegen den Gehorsam aufgelehnt habt, den man seinen Ärzten schuldig ist –
TOINETTE. Das schreit um Rache.
HERR PURGON. Weil Ihr als offenbarer Rebell gegen die Mittel protestiert habt, die ich Euch vorschrieb –
ARGAN. Ach, ganz und gar nicht!
HERR PURGON. So will ich Euch hiermit erklärt haben,[61] daß ich Euch Eurer schlechten Konstitution, der Verstimmung Eurer Eingeweide, der Verderbnis Eures Bluts, der Schärfe Eurer Galle und der Verschleimung Eurer Säfte überlasse –
TOINETTE. Das macht Ihr ganz recht.
ARGAN. Ach Gott!
HERR PURGON. Und will, daß Ihr Euch, ehe vier Tage ins Land gegangen sind, in einem inkurabeln Zustande befindet –
ARGAN. Erbarmt Euch meiner!
HERR PURGON. Daß Ihr der Bradypepsie anheim fallen sollt.
ARGAN. Herr Purgon!
HERR PURGON. Daß Ihr aus der Bradypepsie in die Dyspepsie geratet.
ARGAN. Herr Purgon!
HERR PURGON. Aus der Dyspepsie in die Aspepsie –
ARGAN. Herr Purgon!
HERR PURGON. Aus der Aspepsie in die Lienterie –
ARGAN. Herr Purgon!
HERR PURGON. Aus der Lienterie in die Dyssenterie –
ARGAN. Herr Purgon!
HERR PURGON. Aus der Dyssenterie in die Hydropisie –
ARGAN. Herr Purgon!
HERR PURGON. Und aus der Hydropisie in die Agonie, oder mit andern Worten in das letzte Lebensstadium, als wohin Eure Torheit Euch geführt haben wird.
Ausgewählte Ausgaben von
Der eingebildete Kranke
|
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro