[62] Argan. Beralde.
ARGAN. Ach mein Gott! Ich bin tot. Bruder, du hast mich ins Unglück gestürzt.
BERALDE. Was fällt dir ein? Was gibt's denn?
ARGAN. Ich kann nicht mehr. Ich fühle schon, wie die Arzneikunst sich an mir rächt.
BERALDE. Meiner Treu, Bruder, du bist nicht recht gescheit, und ich möchte um alles in der Welt nicht, daß ein andrer dich in diesem Zustand sähe. Fasse dich, komm zu dir selbst und laß dich nicht so ganz von deiner Einbildungskraft beherrschen.
ARGAN. Hast du gehört, Bruder, mit was für schrecklichen Krankheiten er mir gedroht hat?[62]
BERALDE. Sei doch nicht so einfältig!
ARGAN. In vier Tagen, sagte er, soll ich in einem inkurabeln Zustande sein!
BERALDE. Und weil er's sagt, muß es denn deshalb geschehen? – War's denn ein Orakelspruch, den wir vernommen haben? – Sollte, wer dich reden hört, nicht glauben, Herr Purgon hielte deinen Lebensfaden in seiner Hand und hätte die unumschränkteste Macht, ihn nach seinem Gefallen fortzuspinnen oder abzuschneiden? Bedenke doch, daß du deinen Lebensquell in dir selbst trägst, und daß aller Zorn deines Herrn Purgon so wenig fähig ist, dich zu töten, als seine Mittel imstande sind, dich am Leben zu erhalten. Du hast nun jetzt eine Veranlassung, dir alle Ärzte vom Halse zu schaffen – oder wenn du einmal dazu geboren bist, nicht ohne sie existieren zu können, so wird es nicht schwer halten, einen andern zu finden, mit dem du weniger Gefahr läufst.
ARGAN. Ach, Bruder, er kennt aber mein ganzes Temperament und die Art, wie ich behandelt werden soll.
BERALDE. Ich muß dir gestehen, deine Verblendung ist unerhört, und du siehst die Dinge in einem wunderlichen Licht.
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Der eingebildete Kranke
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