4

[29] Wie sie Ballet tanzen,

die losen Panstöchter!

Sie machen Phoebus

den Abschied schwer,[29]

daß er den Trab seiner Hengste

zum Schritt verzögert.

Schmiegsam, wiegsam

werfen und wiegen

die rosigen Schleier sie

zierlich sich zu,

schürzen sie hoch empor,

neigen sie tief hinab,

drehn sich die wehende

Seide ums Haupt.


Und Phoebus Apollo!

Bezaubert vergißt er

des heiligen Amts,

springt vom Gefährt

und treibt das Gespann,

den Rest der Reise

allein zu vollenden.

Er selber,

gehüllt in den grauen Mantel

der Dämmrung,

eilt voll Sehnsucht

zurück zu den

lieblichen, lockenden

Tänzerinnen.
[30]

Zügellos rasen

die Rosse von dannen.

Der Gott erschrickt:

Dort entschwindet

sein Wagen,

und hier –

haben die schelmischen

Töchter des Pan

sich in waschende Mägde

verwandelt.

Durch riesige Tröge

ziehen sie weiße,

dampfende Linnen

und hängen sie rings

auf Felsen und Bäumen

zum Trockenen auf

und legen sie weit

gleich einem Schutzwall

auf Wiesen und Felder.


Ratlos steht

der gefoppte Gott.

Und leise kichern

die Blätter im Winde.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 1, Basel 1971–1973, S. 29-31.
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