Karl Philipp Moritz

Über die Allegorie

Insofern eine Figur sprechend ist, insofern sie bedeutend ist, nur insofern ist sie schön.

Dies Sprechende und Bedeutende muß aber ja in dem rechten Sinne genommen werden: Die Figur, insofern sie schön ist, soll nichts bedeuten und von nichts sprechen, was außer ihr ist, sondern sie soll nur von sich selber, von ihrem innern Wesen durch ihre äußere Oberfläche gleichsam sprechen, soll durch sich selbst bedeutend werden.

Daher wird durch bloß allegorische Figuren die Aufmerksamkeit in Rücksicht auf die schöne Kunst zerstreuet und von der Hauptsache abgezogen.

Sobald eine schöne Figur noch etwas außer sich selbst anzeigen und bedeuten soll, so nähert sie sich dadurch dem bloßen Symbol, bei dem es, so wie bei den Buchstaben, womit wir schreiben, auf eigentliche Schönheit nicht vorzüglich ankömmt.

Das Kunstwerk hat alsdann nicht mehr seinen Zweck bloß in sich selbst, sondern schon mehr nach außen hin.

Das wahre Schöne besteht aber darin, daß eine Sache bloß sich selbst bedeute, sich selbst bezeichne, sich selbst umfasse, ein in sich vollendetes Ganze sei.

Ein Obelisk bedeutet – die Hieroglyphen daran bedeuten etwas nach außen zu, das sie nicht selber sind, und erhalten bloß durch diese Bedeutung ihren Wert – weil sie sonst an sich selber ein müßiges Spielwerk wären.

Soll nun ein schönes Kunstwerk bloß deswegen dasein, damit es etwas außer sich andeute, so wird es ja dadurch[301] selbst gleichsam zur Nebensache – und bei dem Schönen kömmt es doch immer darauf an, daß es selbst die Hauptsache sei.

Die Allegorie muß also, wenn sie stattfindet, immer nur untergeordnet und mehr zufällig sein; sie macht niemals das Wesentliche oder den eigentlichen Wert eines schönen Kunstwerks aus.

Wenn der Borghesische Fechter z.B. auch außer sich selbst noch etwas bedeuten sollte, so würden wir doch bei der Betrachtung seiner innern Schönheiten auf diese äußere Bedeutung wenig Rücksicht nehmen, weil er gar nichts weiter außer sich selbst zu bedeuten braucht, um unsre ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Wo die Allegorie stattfindet, muß sie immer untergeordnet, sie muß nie Hauptsache sein – sie ist nur Zierat – und bloß allegorische Kunstwerke sollten eigentlich gar nicht stattfinden oder doch nie vorzüglich um der Allegorie willen für wahre Kunstwerke gelten.

Die Allegorie kann bei großen Gemälden als eine Art von erklärender, höherer Sprache angebracht werden, wie bei der Vermählung der Psyche von Raffael, wo unter den Hauptgemälden rings an den Wänden besondere kleinere Felder angebracht sind, in welchen Amoretten mit den Attributen der höhern Gottheiten spielen, die bei der Hochzeit der Psyche zugegen sind.

Die allegorischen Vorstellungen sollen das Ganze nur umgaukeln, nur gleichsam an seinem äußersten Rande spielen – nie aber das innere Heiligtum der Kunst entweihen – sobald sie auf die Weise untergeordnet bleiben und in ihre bescheidene Grenzen treten, sind sie schön.

Überschreiten sie aber diese Grenzen, wie z.B. die Figur, welche die Gerechtigkeit mit verbundenen Augen, dem Schwert in der einen und der Waage in der andern Hand darstellt, so ist nichts dem wahren Begriff des Schönen mehr widersprechend als dergleichen Allegorien.

In der allegorischen Darstellung der Gerechtigkeit widerspricht[302] ein Symbol dem andern, sobald die Figur an und für sich selbst kunstmäßig betrachtet wird.

Der Gebrauch des Schwerts erfordert ja eine ganz andere Stellung als der Gebrauch der Waage, die Waage eine ganz andere Stellung als das Schwert, und der Gebrauch von beiden erfordert offne Augen.

Nichts ist widriger als diese Figur; bei ihr erscheint nichts in Bewegung, nichts in Tätigkeit; sie hält bloß maschinenmäßig das Schwert und die Waage, und die verbundenen Augen machen sie noch untätiger. – Die ganze Figur ist überladen und steht, von sich selbst erdrückt, wie eine tote Masse da.

Die Bacchantin schwingt den Thyrsusstab – Herkules lehnt sich auf seine Keule – Diana spannt den Bogen. – Die Gerechtigkeit aber hält Schwert und Waage mit verbundenen Augen in den Händen.

Sobald die Allegorie auf die Weise jedem Begriff von Schönheit in den bildenden Künsten widerspricht, verdienet sie gar keinen Platz in der Reihe des Schönen und hat ohngeachtet alles Aufwandes von Fleiß und Mühe weiter keinen Wert als der Buchstabe, mit dem ich schreibe.

Die Fortuna von Guido, mit fliegenden Haaren, und den Spitzen der Zehen die rollende Kugel berührend, ist eine schöne Figur, nicht deswegen, weil das Glück dadurch treffend bezeichnet wird, sondern weil das Ganze dieser Figur Übereinstimmung in sich selber hat.

Die rollende Kugel berühret nur immer in einem Punkte, mit ihrer Spitze, den Boden, so wie die Fortuna mit der Spitze der Zehen wieder die rollende Kugel berührt und durch das fliegende Haar den eilenden Lauf bezeichnet.

Kein Symbol ist hier dem andern widersprechend – Leben, Leichtigkeit, Bewegung, Wechsel sind hier so harmonisch bezeichnet, daß die Bezeichnung selbst zur Hauptsache wird und die Idee sich unterordnet. – Denn wenn man die Fortuna von Guido er blickt, macht man keine Betrachtungen über den Wechsel des Glücks, sondern ergötzt[303] sich an dem Umriß und der Fülle dieser leicht und zart entworfenen Luftgestalt.

Ebensowenig wird man die Aurora von Guido betrachten, um dadurch den Gedanken an die eigentliche Morgenröte in sich zu erwecken – sondern der Gedanke an die Morgenröte wird nur hinzugebracht, um das Gemälde selbst zu erklären, welches hier das Herrschende ist und für sich allein die Aufmerksamkeit fesselt.

Durch die Macht des Pinsels ist die Idee untergeordnet – sie dient dem Kunstwerke, das Kunstwerk dient nicht ihr.

Die Morgenröte wurde von dem bildenden Künstler zum Gegenstande gewählt, weil eine Zusammensetzung schöner Figuren durch diese Idee veranlaßt wurde; und diese Figuren wurden nicht deswegen zusammengesetzt, damit der Gedanke an die eigentliche Morgenröte dadurch erweckt werden sollte, welche das Auge selbst in der Natur weit schöner sieht, als irgendein Pinsel sie darstellen kann.

Die Wiedererinnerung an den eigentlichen Schimmer der Morgenröte liegt bei dem Anblick dieses Gemäldes nur gleichsam im Hintergrunde der Einbildungskraft und hält sich bescheiden in ihren Grenzen, um den Eindruck dieses schönen Ganzen nicht zu stören.[304]

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1973, S. 301-305.
Erstdruck in: Monatsschrift der Akademie der Künste (Berlin), 1789.
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