Der Grobschmidt Kersting besucht das neue Ehepaar.

[110] Ich war den Tag vorher abgereißt, als Kersting von einer kleinen Reise wieder zurückkam, und seinen ersten Besuch bei dem neuen Ehepaare machte.

Er war weder ein Zuhörer von der Jubelpredigt, die ich mit angehört hatte, noch Zeuge bei der Trauung gewesen, sondern war während der Zeit mit Pferdekuren in der benachbarten Gegend beschäftigt.

Als er nun in die Pfarrstube trat, so fand er die Neuvermählten am Fenster stehend, und ihm den Rücken zukehrend. – Auf einmal trat er zwischen sie, und sie fuhren unwillkührlich, mit einem kleinen Schreck auseinander; er aber fügte sie wieder zusammen, legte schweigend ihre Hände ineinander, und eine Thräne stand in seinem Auge. –[111]

Nun dachte Hartknopf an den ersten Abend, wo sie von der himmlischen Weisheit sprachen, und sein Entschluß zuerst in seiner Seele fest wurde.

Sophie aber schlug die Augen nieder, wie damals, als sie in dem dunkeln Kirchstuhle saß, und Hartknopfs Blicke zuerst den ihrigen begegneten.

Und was war es, daß eine Thräne in Kerstings Auge stand, als er die Hände der Liebenden ineinander legte?

Er hatte Sophien lange gekannt – – so wie sie ihn – er kannte ihren ganzen Werth – und wußte seinem angebeteten Freunde kein höheres Opfer als dieß zu bringen. – –

Wie ein köstliches Kleinod drückte Hartknopf seinen Freund an seinen Busen – und Sophie schlug die Augen auf, und freuete sich tief im Herzen, daß zwei edle Männer vor ihr standen, die als Freunde sich umarmten.

Alles, was nun noch gesprochen ward, war gegen die stumme Scene unbedeutend.

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Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 110-112.
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