[22] Hartknopf hub nun aufs neue wieder seinen Spruch an: im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, u.s.w. als auf einmal aus dem Kirchenstuhle unter dem Thurm, wie aus einem heiligen Dunkel, die freundlichen Blicke des Pächter Heil den seinigen begneten, während daß dessen Schwester ihre lebhaften Augen noch sanft niederschlug, und der weiblichen Neugier, die sich in ihrem Busen regte, mit zarter Tugend noch ein Weilchen widerstand. –
Sie war einfach und nicht ohne Geschmack gekleidet, ihr Haar hieng in ländlichen Locken herunter; ein Hütchen trat über ihre Stirne hervor, und verdeckte den Strahl, der aus ihren Augen schoß, so oft sie sich niederbückte.
Nicht lange aber, so schlug sie die Augen auf, um Hartknopf, den Prediger anzublicken, dessen Stimme und Laut der Worte sie schon irgendwo[23] gehört zu haben glaubte, und sich doch auf keine Weise zu erinnern wußte, wo und wann? –
Es war, als ob sie in eine dunkle Ferne blickte; als würden Erinnerungen ist ihr aufgeweckt, an etwas, daß einen Augenblick vor ihrer Seele schwebte, und plötzlich wieder verschwunden war.
Sie hieng dem nicht mit ihren Gedanken nach, und in wenigen Minuten waren diese Regungen ganz verschwunden.
Hartknopfs Auge und Seele ruhte während, seiner Predigt auf dem Antlitz des Pächters Heil und seiner Schwester Sophie Erdmuth. –
In diesen beiden Ovalen fand er die ruhige Stimmung seiner Seele, den harmonischen Kreislauf der Dinge, den heitern Himmel, die lachenden Fluren, und jeden Reitz dieser schönen Umgebung wieder, worin wir leben, weben und sind. –
Denn diese Umrisse waren bezeichnend, und bedeutend – die höhere Menschheit leuchtete aus diesen Zügen mit sanftem Schimmer hervor. –[24]
Es war der Tagesanbruch, die ersten Streifen der dämmernden Morgenröthe.
Die übrigen Gesichter waren mehr oder weniger durch Brutalität entstellt – es war eine chaotische Masse – das wandernde Auge des Menschenforschers fand keinen Platz, auf dem es ruhen konnte. –
Es war, als wäre über die Bildungen eine Furche hingezogen, die sie alle gleich machte. –
Das Bezeichnende und Bedeutende war entstellt, zerrissen. –
Eine neue Schöpfung mußte hier vorgehen, um diese erstorbene zur Erde gesunkene Masse zu beleben, und dann mit dem neubelebten Worte und Blicke zu wechseln. –
Die Taube flog aus und fand einen Oehlzweig, auf dem sie ruhen konnte. –
Hier aber schwebete keine Taubengestalt unglückbringend über Hartknopfs Haupte. –
Kein hölzernes Schnitzwerk entstellte diese Kanzel, und diese Wände. –
Hier wiederholte Hartknopf seine erste Predigt beynahe von Wort zu Wort. –[25]
Er höhlte gleichsam jedes verlohrne Wort, jeden verschwundenen Gedanken wieder – was auf der Kanzel in Ribbeckenau von seinen Lippen verwehet war, fand sich hier in schönerer Ordnung wieder zusammen. –
Denn die Höhe und Tiefe war einmal durch feste Punkte auf horizontalen Linien, und jeder Takt durch einen senkrechten Strich bezeichnet.
Das Ganze wiederhohlte sich daher, wie eine wohlgesetzte Musik, welche des Aufwands von Kunst und Mühe nicht werth wäre, wenn sie nur einmal tönen, und dann in die Luft verweht seyn sollte. –
Durch wiederholte Schläge pflegte Hartknopf wie im Sprüchwort zu sagen, fällt der Baum unter der Axt, und das Eisen schmiegt sich unter dem Hammer. –
Was ist das Leben in der ganzen Natur, der Wechsel der Jahreszeiten, was jeder Pulsschlag, jeder Athemzug, als eine immerwährende Wiederholung ihrer selbst? –
Die Wiederholung des Schönen erwecket nicht Ueberdruß, sondern vervielfältigten Reitz, für den, welcher anfangt seine Spur zu ahnden –[26] und so oft es ihm sich wieder darstellt, diese Spur verfolgt. –
So war Hartknopfs Antrittspredigt ein vollendetes unvergängliches Werk, daß in sich selber seinen Werth hatte, den kein Zufall ihm rauben konnte. –
Und obgleich die Gemeinde in Ribbeckenau sich einmal, und der Küster Ehrenpreiß sich zweimal daran ärgerte, so erreichte sie dennoch ihren Zweck, der in ihr selbst, in ihrem schönen Bau, und dem wohl abgemessenen Verhältniß ihrer Theile lag – wodurch das Ganze eine Kraft erhielt, alles Mangelhafte aufzudecken, und es in seiner Blöße darzustellen; wodurch die Bauren in Ribbeckenau in ihrer Brutalität sich zeigen, und das schadenfrohe Lachen auf ihren verzogenen Lippen erscheinen mußte. –
In welchen Mauren das Ganze dieser Predigt ertönte, da prüfte es die Geister – es konnte, wenn es einmal von den Lippen verhallt war, durch nichts anders ersetzt werden, als durch sich selbst; weil nichts darin war, das sich von seiner Stelle verdrängen ließ.[27]
Wenn Hartknopfs Predigten einst, dem Buchstaben nach, im Druck erscheinen, so wird sich zeigen, daß seine Antrittspredigt in Ribbeckenau alle übrigen in sich faßt, wie die gefüllte Knospe ihre Blätter. –
Daß alles ein Ganzes ist, welches gleich dem belebenden Athemzuge, in jeder Zeile, mit jedem Gedanken, nur sich selbst wiederholet. –
Ausgewählte Ausgaben von
Andreas Hartknopfs Predigerjahre
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