Elias.

[66] Die Züge dieses Namens schienen noch nicht ganz verweht zu seyn, als Hartknopf am folgenden Tage, bei seiner Rückkehr von dem Herrn von G..., wieder auf denselben Fleck, in dem Fichtenwalde kam, wo er mit seinem Stabe Figuren in den Staub schrieb.

Eine süße Ahndung kam in Hartknopfs Seele – es war ihm noch aufbewahrt, unter dem Hochgerichte von Gellenhausen, den alten Rektor Emeritus wieder zu sehen, – denn dieser war sein Lehrer und Meister – sein Ellas –

Es war der einzige Freund seiner Jugend, an dessen Hand er zuerst den Felsen erstieg, an Abgründen wandelte, dem Wasserfalle horchte, dem kommenden Sturme entgegen gieng, und in der einsamen Hütte sich vor dem Regen barg. –[67]

Wenn schwarze Gewitterwolken hinter der Stadt sich aufthürmten, wie ein Berg, und die Sonne mit ihrem Glanze dicht auf dieser Dunkelheit ruhte – so eilten Hartknopf und sein Lehrer mit ein paar Schritten durch den Gärten hinaus ins Freie, und standen, wie das erste Menschenpaar, auf dem einsamen Erdkreise, vor der mächtigen Erscheinung, im dämmernden Lichte da. –

Dann war wie ein Traum in des Knaben Seele seine Kindheit, sein Beginnen, sein Wandeln an seines Führers Hand. – Es däuchte ihm Täuschung, und war doch wirklich. – Die süße Täuschung währte, so lange das Licht die Nacht umsäumte – war aber die Sonne hinter dem Wolkenberge ganz versunken, so war auf einmal alles wieder so gewöhnlich: – auf dem Thurme schlug der Seiger – man eilte durch den Garten in die Stube – da waren die weissen Wände – das Dintenfaß und der Bücherschrank – man setzte sich an den Tisch, und lernte Sprachen.

Wenn aber Himmel und Erde mit Macht in des Knaben Seele sich spiegelten, und die zarte[68] aufschiessende Knospe auseinander drängten, so hieng sein schmachtendes Auge am Auge seines Lehrers, das ihn allein verstand. –

Wenn dann im Glanze des Vollmondes die kleine Stadt mit dem spitzen Thurm vor ihnen lag, und Berg' und Thäler rund umher, und das Entfernteste wie ein Gewölke sich am Horizonte gelagert hatte; so saß Elias auf dem abgehauenen Stamme der Elche, und der wunderbare Knabe stand vor ihm, und horchte auf die göttlichen Lehren, die wie Honigthau von den Lippen träuften, und von des Knaben Seele aufgefaßt, wie ein Kleinod in das Innerste seines Busens verschlossen wurden.

In der nächtlichen Stille erhub Elias seine Stimme und sprach:

»Die unendliche Erde, die dich trägt verschmäht den Kuß deines Fußes nicht, denn deine Scheitel ist ihre Krone.« –

Hier legte er seine Hand auf des Knaben Haupt, und ließ sie an seinen Locken hinuntergleiten.

»Dein leisester Fußtritt bebt in ihre innersten Tiefen.« –[69]

»Sie lockt den steigenden Vogel, und den befiederten Pfeil mit sanftem Zuge an ihre Brust zurück. –

Aus ihr strömt Lebenskraft in deine Adern, wenn du aufrecht stehst, und wenn du wandelst. –

Sieh diesen Baum und jene wallenden Saaten. –

Sie gab deinem Körper die Biegsamkeit des Halmes, vereint mit der Stärke des Baumstammes – und deine Fingerspitzen pflücken Blumen, die ihrem Schooß entsprießen.

Dein Blick schauet himmelwärts – sie aber heftet ihn wieder auf das Kraut und auf das Steinchen zu deinen Füßen. –

Sie ist die Allesernährende, Große, Geheimnißvolle. –

Wer sich an sie schmiegt, der sitzt im Rath der Götter. –

Sie hat mit dir geredet, und grüßt dich mit dem Kusse meines Mundes!«

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 66-70.
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