Hartknopfs Klage.

[121] Vom Mittag kommen Heuschrecken

Wie eine düstre Wolke,

Sie senken sich und fliegen wieder auf –

Das Feld ist leer –

Die mit Mühe den Acker pflügten,

Und die Saat ausstreuten,

Gehen der Erndte verlustig –

Sie arbeiteten im Schweiß ihres Angesichts

Um Ungeheuer zu füttern,

Die den Fleiß der Mühevollen

Als eine süße Beute verschlingen. –

Von wannen kömmt der Trost den Edlen,

Die durch Schmach betrübt sind,

Weil sie einsam stehen,

Und in fernen Zonen

Weit umher zerstreut sind –

Sie sehnen sich im Stillen,

Und wünschen sich zu kennen,[122]

Und möchten sich zu einem Chor vereinen,

Und einer sich im andern wieder finden –

Sie haben sich verlohren

Und suchen sich vergebens –

Sie trauren in den Wäldern

Und mischen ihre Seufzer

In Philomelens Klage.

Was rauschen über Berge über Meere

Mir für Stimmen, was für Töne mir entgegen,

Die die Lust mit leisen Flügeln

An mein Ohr hinüberträgt? –

So viel Sprachen, so viel Zungen,

Die harmonisch sich begegnen,

Und nach einem Ziele streben.

Wo sie alle sich vereinen,

Gedanken mit Gedanken

In süßen Lauten wechselnd –

Ach, auf dem seeumspülten Felsen!

Möcht' ich gern die Hand dir reichen

Der du hülflos, einzeln stehst –

Aber die Parze hat ihn zerschnitten.

Den Faden, der mich an dich knüpfte –

Zerrissen ist der Menschen Leben

Von ihres Daseyns Anbeginn –[123]

Sie müssen sich vergeblich sehnen,

So lange der Tag am Himmel wellt

Und wenn die Sonne untergeht,

So haben sie noch nicht gefunden,

Was sie bei Tagesanbruch suchten.

Dies ahndet schon die Kinderseele

Die dunkel in die Zukunft schaut,

Wenn bei des Lichtes erstem Gruß

Das neugebohrne Auge weint.

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 121-124.
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