Sechster Auftritt.

[70] Die Vorigen. Bombardon. Später Christine.


BOMBARDON. Das Dorf ist schon das rechte – und die Mühle steht auch da – aber das Haus? Man hat es nur ein wenig neu adjustiert, ich bin schon an der rechten Stelle. Er kommt herab.

COLAS. Willkommen, braver Kamerad!

BOMBARDON. Mort de ma vie – das ist ja der arme Junge, den sie am Hochzeitstage auf einen andern Posten kommandiert hatten, und wie ich sehe – den Arm in der Schlinge, die Kommodemütze auf dem Kopf, laß dich umarmen, Kamerad – Freiwilliger? Umarmung.

COLAS. Ja, Sergeant, als Not am Mann war, und es galt, seine Frau zu beschützen –

BOMBARDON. Eine Frau, die ich auch mit Passion beschützt hätte – lassen Sie sich auch umarmen, Madame –

THERESE zurückweichend. Bitte – bitte!

BOMBARDON. Sie werfen einen Blick auf diesen hölzernen Fuß, auf diese schäbige Montur, auf dieses vernarbte, sonnenverbrannte,[70] schneeverstöberte Gesicht! Ja, Kinder, so kehrt die große Armee nach Frankreich zurück. – Er wischt sich eine Träne aus dem Gesicht.

THERESE. O, reden Sie nicht davon! Wir alle haben uns gelobt, von dem Unabänderlichen nicht viel zu sprechen, und uns in Gottes Namen des schwerersehnten Friedens zu freuen!

COLAS. Das dürft auch Ihr, braver Kamerad, denn ehrenvoll und dekoriert kehrt Ihr in die Heimat zurück!

BOMBARDON. Ja! Aber wie?

Nr. 13. Lied.


Wie anders war es, als vor wenig Jahren

Die stolze Truppe auszog aus Paris,

Mit Blumenkränzen grüßte man die Scharen,

Mit Jubel, der den sichern Sieg verhieß.

Das Glück des Kriegs hat gegen uns entschieden,

Doch die Armee hat ihre Pflicht getan,

Die Hälfte fiel – der Rest sind Invaliden.

:|: Je nun, man trägt, was man nicht ändern kann. :|:


Ich schlug mich brav, das darf ich selber sagen,

Ich stand beim Adler in den ersten Reihn,

Der Adler ward von einem Blitz erschlagen,

Und eine Kugel traf mir ach! das Bein,

Es hielt nicht aus – verwundet viele Male,

Zersplittert sank's – ich sah es traurig an,

Und trug es selber fort zum Hospitale –

:|: Je nun, man trägt, was man nicht ändern kann. :|:


Ich war ein schöner Kerl trotz meiner Jahre,

Die Weiber hatten's auf mich abgesehn,

Der stramme Gang, die ungebleichten Haare!

Ich nahm im Sturm – nichts konnte widerstehn!

Auch jetzt hat sich mein Herz noch nicht beschieden,

Allein die Weiber wollen einen Mann,

Mitleidig schaun sie auf den Invaliden.

:|: Je nun, man trägt, was man nicht ändern kann. :|:[71]

THERESE. Nein, nein, mein wackrer Sergeant, Ihr seid trotzdem immer noch ein ganz respektabler Mann, und wenn Ihr Euch ein wenig von den Strapazen erholt habt –BOMBARDON. Glauben Sie, Madame? Nun, das beruhigt mich einigermaßen.

COLAS hilft den Tornister ablegen. Gebt den Tornister, Kamerad, Ihr bleibt bei uns; da, die Eremitage und das Gärtchen dabei soll Euch eingeräumt werden –

BOMBARDON. Angenommen, Kamerad. Also Sie glauben, Madame Therese –

THERESE. Sie kennen meinen Namen?

BOMBARDON. Allerdings – aber, da war ja noch eine Schwester, Madelaine glaub' ich – oder –

COLAS. Christine.

BOMBARDON. Richtig, Christine, ein wohl adjustiertes Frauenzimmer. Rufen Sie sie hierher, ich habe mit ihr zu reden.

COLAS. Mit Christinen? Da kommt sie eben zurück.

BOMBARDON zu Therese. Glauben Sie wirklich, daß ich noch schönen Damen gegenüber eine akzeptable Figur spiele?

THERESE. Großer Gott, diese Frage – Sie dreht sich um und erblickt Christine, die von rechts auftritt. und er hat mit Christinen – wenn er – ich mag's nicht glauben –

BOMBARDON. Richtig, da ist sie, die schöne Christine –

THERESE. Sie kennen auch sie?

BOMBARDON. Sappristi! Habe ich euch beide doch vor drei Jahren hier gesehen –

THERESE. Arme Christine! Zu ihr eilend. Nun, Schwester, – hast du nichts erfahren?

CHRISTINE. In der Freude des Wiedersehens wollte mir keiner Rede stehen, aber sie kommen alle hierher, alle und dann –

COLAS. Der wackere Sergeant, Schwester, fragt nach dir –

CHRISTINE. Sie – mein Herr – o Gott, warum klopft mir das Herz plötzlich so stürmisch?

BOMBARDON. Mademoiselle – oder am Ende gar Madame Christine?

CHRISTINE. Ich bin unverheiratet –

BOMBARDON. Das hoffte ich, das erwartete ich von Ihnen.

CHRISTINE zitternd. Von mir![72]

BOMBARDON. Freilich wären Sie berechtigt gewesen, zu heiraten, denn die zwei Jahre Ihres Gelöbnisses sind längst vorüber –

CHRISTINE zitternd. Schwester Therese –

THERESE. Arme Christine, das sind die Folgen deines Edelmutes!

COLAS. Ihr wißt also, Kamerad –

BOMBARDON. Bombenelement, hat denn die defekte Montur mein ganzes Signalement so verunstaltet, daß ihr alle den Sergeanten nicht mehr erkennt, der hier herkam, eine dritte freiwillige Kapitulation anzunehmen, an dem Tage, als man dich vom Traualtar wegtrommelte?

COLAS. Ihr seid's – Bombardon!

BOMBARDON. Ja, ich bin's, und ich hörte, wie dieses mutige, hochherzige Mädchen, um dein eheliches Glück nicht zu stören, die Worte sprach: »Wer als Ersatz für meinen Bruder einsteht, dem gebe ich dieses goldene Kreuz, und wer es mir zurückbringt, dem gehört mein Herz und meine Hand!«

CHRISTINE. So sprach ich – ja –

BOMBARDON. Und Ihr legtet das Kreuz in meine Hand –

THERESE. Allmächt'ger Gott!

CHRISTINE. Und dieses Kreuz –?

BOMBARDON. Hier, Mademoiselle, hier bringe ich es Ihnen zurück.

Nr. 14. Finale.


CHRISTINE.

Es ist das Kreuz, das Pfand, das ich gegeben,

Und dieser bringt es mir zurück!

Durch meine Seele zuckt ein schmerzlich Beben;

O unerbittliches Geschick!

THERESE UND COLAS.

Es ist ihr Kreuz! Was werden wir erleben!

Der starre Sinn weicht nicht zurück.

BOMBARDON.

Es ist das Kreuz, das Ihr als Pfand gegeben,

Nehmt es aus meiner Hand zurück;

Es hängt daran ein treues, wackres Leben,

Nicht ändern läßt sich das Geschick.[73]

THERESE UND COLAS.

Sie ist's imstand und gibt ihr junges Leben

Als Opfer hin für unser Glück.

BOMBARDON zu Christine.

Wie, Ihr zaudert? Ja, ich dächte,

Lieber dürft' es Euch schon sein,

Wenn es Euch ein andrer brächte,

Als ein Mann mit einem Bein.

CHRISTINE.

Zaudern – ich? nein, nein, nein, nein.


Sie nimmt das Kreuz.


Auf mein Flehen, auf mein Bitten

Hat ein Braver sich entschlossen

Und für mich im Kampf gestritten

Und für mich sein Blut vergossen,

Wer es sei – mir einerlei –

Meinem Schwure bleib' ich treu!

COLAS UND THERESE rasch.

Sagt' ich's nicht! Was fällt dir ein?

CHRISTINE.

Dieses Pfand – ich lös' es ein –

Meine Hand wird Eure sein!

COLAS UND THERESE.

Halte ein!

BOMBARDON.

:|: Ha, ha, ha! :|: Dies Händchen mein?

:|: Ha, ha, ha! :|: Was fällt Euch ein!

Also drum das arge Bangen,

Das traurige Gesicht?

Reizend wär' ein solch Verlangen,

Doch ein Mann – tut seine Pflicht;

Der für Euch ins Feld gegangen,

Gott sei Dank – ich bin es nicht.

COLAS UND THERESE.

Gott sei Dank! Er ist es nicht.

CHRISTINE.

Wie! Ihr nicht?

BOMBARDON.

Ein Kampfgenosse,

Jung und schön und Eurer wert,

Der hier Euer Flehn gehört –

Zog an Eures Bruders Stelle –

Doch zum himmlischen Appelle

Ist der Edle heimgekehrt![74]

ALLE DREI.

Tot?

BOMBARDON.

Ja, tot! Ich sah ihn sinken

Und in der erstarrten Hand

Sah ich dieses Kreuzlein blinken,

Das ich nur zu gut gekannt!

Und ich nahm's aus seinen Händen,

Um es Euch zurückzusenden

Als ein Zeichen, daß Ihr frei –

Euer Schwur gelöst nun sei!

COLAS UND THERESE.

Hörst du's, hörst du's – du bist frei!

BOMBARDON.

Daß Ihr Euch so lang' geduldet,

Glaubt, daß es mich selbst verdroß,

Aber ich hab's nicht verschuldet,

Daß man mich zum Krüppel schoß.

THERESE UND COLAS.

Alle Zweifel sind vorbei,

Hörst du's, Schwester, du bist frei!

CHRISTINE.

Nein, nein! Die Treu', die ich geschworen,

Halt' ich ihm bis übers Grab;

Einen hätt' ich mir erkoren,

Der mir Trug für Wahrheit gab!

In des Klosters öde Mauern

Nehm' ich dieses Kreuzlein mit,

Um den Braven zu betrauern,

Der für mich den Tod erlitt.

COLAS.

Wahnsinn! Element! ich spüre,

Wie sich mir das Herz empört.

BOMBARDON.

Wackres Herz! ich salutiere!

Solcher Treue war er wert!

THERESE.

Schwester, Schwester, solche Schwüre

Hat der Himmel nie erhört.

CHRISTINE.

Du, mein goldnes Kreuzlein, ziere,

Die dem Himmel angehört!

COLAS.

Ich als Bruder opponiere!

THERESE.

Schwester, wenn ich dich verliere!

BOMBARDON.

Ich salutiere![75]

GONTRAN hinter der Szene.

Liebesglück, Liebestraum,

Träume voller Wonnen,

:|: Ach, nun zerronnen! :|:

:|: Fahrt wohl, fahrt wohl! :|:


Quelle:
Ignaz Brüll: Das goldene Kreuz, nach dem Französischen von H.S. von Mosenthal, Leipzig [o. J.], S. 70-76.
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