Erster Auftritt

[55] Herr und Frau Fluth, Herr und Frau Reich und Anna sitzen an der Tafel, auf der das Mittagsbrot gemeinschaftlieh verzehrt worden ist. Ein zweiter Tisch, auf dem Schreibmaterialien.


FLUTH zu Füßen seiner Frau. Liebster Engel, wirst du mir jemals vergeben können?

FRAU FLUTH. Steh auf, lieber Mann! Es ist alles vergeben und vergessen, wenn du nur nicht mehr eifersüchtig bist.

FLUTH. Nie mehr!

REICH. Nun, das ist herrlich! Seht, zu dieser Aufklärung und Versöhnung habe ich euch eigentlich bei mir versammelt! Und an dich, Frau, hat der alte Sünder auch geschrieben?

FRAU REICH. Ja, an uns alle beide, und zwar ganz dieselben Briefe. Da beschlossen wir, uns an ihm zu rächen und zugleich Herrn Fluth wegen seiner Eifersucht eine kleine Lektion zu geben.

FLUTH. Nun, sie ist stark genug ausgefallen!

REICH. Mein' Seel', ihr Weiber! Ihr habt's gescheit gemacht! Aber nun ist es erst unsere Sache, den fetten Burschen öffentlich zu beschämen. Ihr müßt ihn noch einmal bestellen!

FLUTH auf Frau Reich deutend. Kein besseres Mittel gibt es als ihren Plan.

REICH. Was? Ihn um Mitternacht in den Park bestellen? Er kommt uns nimmermehr!

FRAU FLUTH. Sinnt ihr nur aus, was ihr mit ihm alles tun wollt, wenn er kommt, wir beid' ersinnen schon, ihn hinzuschaffen.

FRAU REICH. Hört mich an.

[55] Nr. 10. Ballade.

Frau Reich.


Vom Jäger Herne die Mär ist alt,

Der jagen ging in Windsors Wald


Tagaus, tagein

In die Nacht hinein,

Tagein, tagaus

Mit Saus und Braus.


Einst hetzt' er den Hirsch mit stolzem Geweih

Mit Hussa- und mit Hallo-Geschrei;


Der floh zur heiligen Eiche,

Daß nicht der Tod ihn erreiche.


Doch jener, wild und ungeschlacht,

Gab auf kein heilig Zeichen acht:

»O Herne! Du hast ihn erschlagen,

Nun sollst du jagen und jagen!«


Vom Jäger Herne die Mär ist alt,

Der jagen muß durch Windsors Wald


Nachtaus, nachtein

Bis zum Morgenschein,

Nachtein, nachtaus

Mit Saus und Braus.


Er trägt auf der Stirn des Hirschen Geweih,

Und grausig schallt sein Hallo-Geschrei.


»O flieh die heilige Eiche,

Daß nicht der Tod dich erreiche!«


Denn schlägt die Glocke Mitternacht

Und steigt empor des Mondes Pracht,

Naht Herne mit seiner Meute,

Und alles fällt ihm zur Beute!

REICH. Gut, liebe Frau, und was gedenkst du zu tun?

FRAU REICH. Falstaff soll auf unsere Einladung heute nacht als Jäger Herne erscheinen.

DIE MÄNNER. Bravo, bravo! Und dann?

FRAU FLUTH. Dann verkleiden wir Annchen und viele unserer Bekannten, auch die Kinder, als Geister und[56] Elfen und legen sie in den Hinterhalt versteckt. Wenn wir beide uns dann eben mit Falstaff zusammengefunden haben, so stürzt die ganze Rotte hervor auf ihn mit gellendem Geschrei; wir entfliehen, und sie umzingeln ihn und zwicken und stechen ihn und fragen den sauberen Ritter, wie er es wagte, in solcher Verkleidung die Geister zu belauschen.

FRAU REICH. Sein Aberglaube und noch mehr das böse Gewissen werden zu seinem Schreck das meiste beitragen.

REICH. Und bis er alles bekennt, kneifen und brennen sie ihn tüchtig.

FLUTH. Bravo, bravo! Ich übernehme es, die ganze Rotte zusammenzubringen.

FRAU REICH. Annchen soll die Rollen verteilen.

REICH. Ich selbst will mich auch verkleiden; ihr sollt euch alle wundern! Schickt ihr nur sogleich zu Falstaff.

FRAU FLUTH. Das sei unsere Sache.

FLUTH. Ich gehe selbst als Bach verkleidet noch einmal zu ihm und versichere mich, daß er kommt, denn seinem Busenfreunde Bach vertraut er alles!

FRAU REICH zu den Männern. Und daß ihr nur nichts spart! – Die Elfen und Feen müssen wie wirkliche Geister leicht und luftig sein und die Täuschung so groß, daß er sich für verzaubert halten muß.

FRAU FLUTH. So kommt und laßt uns eilig alle Vorbereitungen treffen, das wird noch ein köstlicher Spaß!

Alle gehen ab bis auf Frau Reich und Anna.


Quelle:
Otto Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor. Stuttgart 1962, S. 55-57.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon