16. Auftritt.

[63] Wilhelmine. Vorige.


WILHELMINE von rechts, in Hut und Mantille. So – in einer Viertelstunde bin ich wieder hier. Zu Steinkirch, der aufstehen will. Bitte, lassen Sie sich nicht stören.

BOLZAU indem er Wilhelmine zu sich winkt. Minettchen!

WILHELMINE zu Bolzau tretend. Nun?

BOLZAU recht treuherzig und in guter Laune. Nun sieh mal – die Beiden sitzen da – ich sitze hier. Was soll nun wohl passiren. Wie? Du kannst in aller Ruhe gehen!

WILHELMINE. Du wirst aber schlafen, Bolzau –

BOLZAU. Aber liebes Kind –

WILHELMINE holt eine Gießkanne vom Blumentisch und giebt sie Bolzau in die Hand. Hier – nimm wenigstens die Gießkanne in die Hand. Du hörst sie fallen – wenn Du einschlafen willst.

BOLZAU. Du bist merkwürdig.

WILHELMINE. Ich habe sonst keine Ruhe! Bitte, da – nimm die Gießkanne.

BOLZAU. Nun meinethalben – aber es ist eine kuriose Idee von Dir.

WILHELMINE. So – sei recht artig, hörst Du? Streichelt ihm die Backe. und Du auch, Ludmilla – leben Sie wohl, Herr Doctor! Ab durch die Mitte.[63]

BOLZAU. Unbequem, hier mit der Gießkanne zu sitzen Nimmt den Arm über die Sophalehne, damit die Gießkanne nachher etwas hoch herunterfällt. Nun wie steht's, Ludmilla?

LUDMILLA. Ich bin arg im Gedränge, Oheim! Zieht.

STEINKIRCH. Das war ein Meisterzug!

BOLZAU. Ja ja – ich sagte ja – sie versteht es! Gähnt.

STEINKIRCH. Man findet es selten, daß Damen Schach spielen.

LUDMILLA. Noch seltener, daß die Herren mit uns spielen wollen.

BOLZAU einnickend. Hm!

LUDMILLA sieht sich nach Bolzau um. Ich glaube, der Oheim schläft – Sie spielen besser wie er!

STEINKIRCH leiser als vorhin. Nehmen Sie sich in Acht – es ist eine Lebensfrage für mich, ob ich diese Parthie gewinne.

LUDMILLA. Eine Lebensfrage?

STEINKIRCH. Es sollte mir eine Vorbedeutung sein – ob ich Ihnen vielleicht mehr abgewinnen könnte. Sie zürnen mir deshalb nicht, Fräulein Ludmilla?

LUDMILLA. Oh nein!

STEINKIRCH. Gewiß nicht? Reicht ihr seine Hand – Ludmilla giebt ihm die Hand. Ich danke Ihnen – Küßt ihre Hand – die Gießkanne fällt – sie fahren schnell auseinander.

LUDMILLA. Nehmen Sie Ihren Springer in Acht.

BOLZAU erschrickt, als die Gießkanne fällt, sieht nach den Spielern hinüber. Die sind ganz in ihr Spiel vertieft. Hebt die Gießkanne wieder auf – setzt sich zurecht. Sehr unbequem.

STEINKIRCH. Der ist doppelt gedeckt.

LUDMILLA. Leicht soll Ihnen der Sieg nicht werden. Zieht.

STEINKIRCH. Je schwerer der Sieg – desto schöner der Preis – Sieht nach Bolzau. Ich sage Schach!

LUDMILLA. Oh weh![64]

STEINKIRCH leise, mit Wärme. Fräulein Ludmilla?

LUDMILLA Bolzau ansehend. Nun?

STEINKIRCH. Wissen Sie, daß diese Stunde die glücklichste meines Lebens ist?

LUDMILLA. Das haben Sie mir von der Stunde in Baden auch gesagt!

STEINKIRCH. O glauben Sie es mir – seit jener Stunde hat mich die Erinnerung an Sie nie verlassen. Steht auf. Hätten Sie jener Zeit auch wohl öfters gedacht?

LUDMILLA. Und wenn ich nun gestände, daß es so wäre –

STEINKIRCH erfaßt ihre Hand. Ludmilla. Bolzau läßt die Gießkanne fallen. – Beide schnell auseinander auf ihre Sitze.

BOLZAU. Nun – wer von Euch Beiden wird denn matt?

LUDMILLA. Ich glaube, ich!

STEINKIRCH. Nein ich!

BOLZAU die Gießkanne aufhebend. Was das für eine Wirthschaft mit der Gießkanne ist.

LUDMILLA bei Seite. Die ganzen Figuren haben sich verschoben.

STEINKIRCH. Ich werde sie schnell ordnen.

LUDMILLA. Wenn das der Oheim sähe – wir müssen wieder von vorn anfangen.

STEINKIRCH. Oh, so oft Sie wollen – es ist die schönste Parthie, die ich je gespielt habe – aber was wollen Sie thun?

LUDMILLA steht auf und geht zu Bolzau, recht naiv. Der arme Onkel, – wie unbequem ihm die Gießkanne ist – er kann zu keinem Schlaf kommen. Nimmt behutsam die Kanne aus seiner Hand und setzt sie leise auf den Boden. So.

STEINKIRCH. Oh, mir will die Brust zerspringen.

LUDMILLA setzt sich wieder. So – ich fange wieder an – so –[65]

STEINKIRCH erregt. Mir tanzen die Figuren vor den Augen – ich kann unmöglich spielen!

LUDMILLA. Mein Gott, was fehlt Ihnen?

STEINKIRCH. Nichts – Alles – ein Wort von Ihnen fehlt mir, Ludmilla. Das Glück meines Lebens hängt davon ab. Wozu soll ich lange Worte machen – Sie müssen es wissen – müssen es fühlen, daß ich Sie liebe – dürfte ich je hoffen, daß mir einst Ihre Hand gehört? Ist etwas herumgerückt – hält seine Hand hin.

LUDMILLA legt ihre Hand in die seine – verschämt. Mein Gott, was wird die Tante sagen?

STEINKIRCH in großer Erregung. Ludmilla! Er springt auf und wirft dabei den Schachtisch um.

BOLZAU erschreckt auffahrend. Was ist denn das!? Sucht nach der Gießkanne – sieht die Beiden an – schlägt die Hände zusammen.

LUDMILLA hat sich von Steinkirch losgemacht und eilt dem Ausgange zu.

STEINKIRCH steht niedergeschlagen da.

BOLZAU. Na – das ist eine schöne Geschichte.


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Gustav von Moser: Lustspiele. Band 1, Berlin 1873, S. 63-66.
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