6. Auftritt.

[77] Schnake. Vorige.


SCHNAKE vor der Thür zu Franz. Lassen Sie nur, Franz – Herr Commerzienrath nehmen es nicht übel, wenn ich eintrete – es giebt so viel Wichtiges. – Guten Abend, meine Herren!

BOLZAU. Was giebt es denn, Schnake?

SCHNAKE. Der Festausschuß ist versammelt hier nebenan im goldnen Lamm, Sie werden dringend gebeten, hinüber zu kommen.

BOLZAU. So eilig?

SCHNAKE. Ach ja, Herr Commerzienrath – es zeigen sich allerhand trübe Wolken am Horizont unseres Festhimmels.

BRIMBORIUS. Aha – die Concordia –

HARTWIG. Die Polihymnia –

SCHNAKE. Ich habe mir schon die Beine abgelaufen, ein neues Musikchor aufzutreiben – da die Ladenbacher absagten – aber umsonst. Bei dem schönen Wetter ist überall Concert – wenn Sie das Tageblatt in die Hand nehmen – lesen Sie eine ganze Seite lang – Garten-Concert – Garten-Concert – Garten-Concert – Garten-Concert –

HARTWIG ärgerlich. Garten-Concert – schwätzt der Mensch wieder –[77]

SCHNAKE. Mit einem Musikchor wäre das Fest zu ärmlich – bei Tafel müssen doch zwei sein – die abwechselnd spielen können. Dann ist auch die Harfe krank geworden.

BOLZAU. Das ist freilich schlimm.

SCHNAKE. Sehr schlimm – in dem großen Chor der süd-australischen Auswanderer von unserem Musikdirector Paukenhagen ist die Harfe sehr wichtig, wie er sagt – und in der ganzen Stadt giebt es weiter keinen Menschen, der die Harfe spielt –

HARTWIG. Dann muß das Stück fortbleiben.

SCHUAKE. Dann schießt sich der Musikdirector Paukenhagen todt – oder erhängt sich – oder springt in's Wasser – Sie kennen das ja, Herr Commerzienrath – hat ein Musiker einmal eine Composition von sich auf's Papier gebracht, läßt er es um keinen Preis weg – nicht eine Note darf fehlen –

BOLZAU. Ich kann aber doch nicht Harfe spielen, das ist doch zu viel verlangt, wenn's noch die Pauke wäre!

SCHNAKE. Aber Rath schaffen, Herr Commerzienrath, Sie glauben nicht wie das zugeht, die Herren von der Concordia –

HARTWIG. Was ist mit der Concordia –

SCHNAKE. Ah – Herr Hartwig, Sie sollten schnell hinüberkommen, Sie reden ja so ausgezeichnet und so laut –

HARTWIG. Fängst Du schon wieder an, ich habe mit Dir noch ein Hühnchen zu pflücken –

SCHNAKE. Erlauben Sie Herr –

HARTWIG. Nein, ich erlaube Dir nichts, Du mußt wissen, daß es sich durchaus nicht schickt, eine solche Fluth von Worten hervorzubringen, daß andere Leute gar nicht zu Worte kommen können.

SCHNAKE. Aber –

HARTWIG. Am allerwenigsten schickt es sich für Dich in Deiner Stellung.[78]

SCHNAKE. Drüben in der Sitzung –

HARTWIG. Da wird Jeder zu Wort gelassen und kann reden.

SCHNAKE der immer zu Wort zu kommen sucht. Nein, nein –

HARTWIG. Wie kannst Du mir widersprechen, da ich das besser wissen muß. In solchen Sitzungen führt einer den Vorsitz und Alle sprechen, je nachdem er Ihnen das Wort ertheilt.

SCHNAKE. Nein, sie sprechen Alle durcheinander! Sie wollen Ihr Tenor-Solo nicht!

HARTWIG. Unerhörte Beleidigung, wenn ich Ihnen die Ehre anthun will, das Stiftungsfest durch meinen Tenor zu verschönern.

SCHNAKE. Aber –

HARTWIG. Im Chor singen kann jeder Narr, verzeihen Sie, meine Herren, daß ich mich eines so heftigen Ausdrucks bediene, wenn man aber sein gutes Recht vertheidigen muß, kann man das nicht, ohne etwas in Wallung zu gerathen.

SCHNAKE. Aber Herr Hartwig –

HARTWIG. Im Chor singen kann jeder Narr, wenn aber Jemand von der Natur mit einer besonders schönen Stimme begabt ist, die ihn zum Künstler stempelt, so sollen sie einen solchen Mann besonders schätzen und ihm alle Ehre anthun – sagen Sie das den Herren –

SCHNAKE. Sie werden –

HARTWIG. Keine Einwendung, wenn der Ausschuß die begabtesten und beliebtesten Mitglieder mit solcher Rücksichtslosigkeit behandelt, wird er im Allgemeinen Unzufriedenheit hören.

SCHNAKE. Die Polihymnia –

HARTWIG. Kümmert mich nicht, ich gehöre zur Concordia, verstehst Du mich, Schnake?

SCHNAKE. Aber die Euterpe –

HARTWIG. Ist auch nur ein Theil des Sängerbundes, muß sich der Mehrheit fügen, und die Mehrheit habe ich für mich, denn sie liebt[79] das Schöne. Also gehe, Schnake, sage ihnen, ich würde auf jeden Fall mein Tenor-Solo singen, ich nehme keine Einwendungen an, kein Wort mehr, das ist mein Bescheid, Du brauchst gar nichts zu erwidern, geh' nur, und richte meinen Auftrag aus Er hat Schnake gegen die Thür gedrängt. geh' – geh' – geh' –

SCHNAKE in komischer Verzweiflung. Mich gehorsamst zu empfehlen.

HARTWIG triumphirend. So fertigt man einen Schwätzer ab, meine Herren.


Bolzau und Brimborius, die mit Manieren und Geberden ihre Verwunderung über das Geschwätz ausgedrückt haben, sind beim Schluß nach der Thür rechts zu getreten.


BRIMBORIUS. I Gott bewahre.

BOLZAU mit einem Blick auf Hartwig. Das wird hier lebensgefährlich, retten wir uns. Mit Brimborius rechts ab.

HARTWIG. Und bei diesem ausgesprochenen Talent wollen diese Herren nicht, daß ich die Festrede halte, ist es nicht eigentlich unerklärlich?


Quelle:
Gustav von Moser: Lustspiele. Band 1, Berlin 1873, S. 77-80.
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