Siebzehntes Kapitel.

[233] Stern fährt fort. Saïdjah und Adinda.


Saïdjahs Vater hatte einen Büffel, mit dem er sein Feld bearbeitete. Als ihm dieser Büffel durch das Distriktshaupt von Parang-Kudjang abgenommen wurde, war er sehr betrübt und sprach viele Tage lang kein Wort. Denn die Zeit des Pflügens war nahe, und es war zu fürchten, wenn man die Sawah nicht zeitig bearbeitete, würde auch die Zeit des Säens vorübergehen, und endlich würde keine[233] Padi zu schneiden sein, um in dem Lombong des Hauses geborgen zu werden.

Ich muß hierbei für Leser, die wohl Java, aber nicht Bantam kennen, bemerken, daß in dieser Residentschaft persönliches Grundeigentum besteht, was anderswo nicht der Fall ist.

Saïdjahs Vater war nun sehr bekümmert. Er fürchtete, daß seine Frau Reis nötig haben würde, und auch Saïdjah, der noch ein Kind war, und seine Brüderchen und Schwesterchen.

Auch würde das Distriktshaupt ihn beim Adsistent-Residenten verklagen, wenn er mit der Bezahlung seiner Landrenten im Rückstande bleiben würde, und darauf stand gesetzliche Strafe.

Da nahm Saïdjahs Vater einen Kris, der ein Pusaka von seinem Vater war. Der Kris war nicht sehr schön, aber es waren silberne Bänder um die Scheide und auch die Spitze der Scheide hatte ein Plättchen Silber. Er verkaufte diesen Dolch an einen Chinesen, der am Hauptorte wohnte, und kam mit vierundzwanzig Gulden nach Hause, für welches Geld er einen anderen Büffel kaufte.

Saïdjah, der damals etwa sieben Jahre alt war, hatte bald mit diesem neuen Büffel Freundschaft geschlossen. Ich sage nicht ohne Absicht: Freundschaft; denn es ist rührend zu sehen, wie der javanische Karbo dem kleinen Jungen, der ihn hütet und versorgt, anhängt. Von dieser Anhänglichkeit werde ich bald ein Beispiel geben, das nicht erdichtet ist. Das große, starke Tier beugt den schweren Kopf rechts oder links oder nach unten, nach dem Fingerdruck des Kindes, das er kennt, das er versteht, mit dem er aufgewachsen ist.

Solche Freundschaft hatte denn auch der kleine Saïdjah bald dem neuen Gast eingeflößt, und Saïdjah ermutigende Kinderstimme schien dem kraftvollen Nacken des starken Tieres noch mehr Kraft zu geben, wenn es den schweren Lehmgrund pflügte und seinen Weg in tiefen, scharfen Furchen zeichnete. Der Büffel kehrte willig um, wenn er am Ende des Feldes angelangt war, und ließ keine Daumbreite Erdbodens aus, wenn er die neue Furche zurückpflügte, die stets dicht neben der alten lag, als wäre die Sawah ein von einem Riesen geharkter Garten.

Daneben lagen die Sawahs von Adindas Vater, dem[234] Vater des Kindes, das Saïdjah einstmals heiraten sollte. Und wenn Adindas Brüderchen an der dazwischenliegenden Grenze ankamen, gerade wenn auch Saïdjah mit seinem Pfluge da war, dann riefen sie einander fröhlich zu, und rühmten um die Wette die Kraft und die Bravheit ihrer Büffel. Aber ich glaube, Saïdjahs war der beste, vielleicht weil dieser ihm besser zuzureden wußte als die anderen, und Büffel sind für gute Worte sehr empfänglich.

Saïdjah war neun Jahre alt geworden und Adinda bereits sechs, als dieser Büffel Saïdjahs Vater durch das Distriktshaupt von Parang-Kudjang abgenommen wurde.

Saïdjahs, der sehr arm war, verkaufte nun einem Chinesen zwei silberne Klambuhaken – Pusaka von den Eltern seiner Frau – für achtzehn Gulden, und für das Geld kaufte er einen neuen Büffel.

Aber Saïdjah war sehr betrübt. Denn er wußte von Adindas Brüderchen, daß der vorige Büffel nach dem Hauptorte getrieben worden war, und er hatte seinen Vater gefragt, ob dieser das Tier da nicht gesehen habe, als er dort war, um die Klambuhaken zu verkaufen. Auf diese Frage hatte Saïdjahs Vater nicht antworten wollen. Darum fürchtete er, daß sein Büffel geschlachtet war, wie die übrigen Büffel, die das Distriktshaupt der Bevölkerung abnahm.

Und Saïdjah weinte viel, wenn er an diesen armen Büffel dachte, mit dem er zwei Jahre so zusammen gelebt hatte, und er konnte lange Zeit nichts essen, denn seine Kehle war zu eng, wenn er schluckte.

Man bedenke, daß Saïdjah ein Kind war.

Der neue Büffel lernte Saïdjah kennen und nahm in dessen Zuneigung sehr bald den Platz seines Vorgängers ein – viel zu schnell eigentlich; denn, ach! die Wachs-Eindrücke unseres Herzens werden so leicht glattgestrichen, um für spätere Schrift Platz zu machen ...

Der neue Büffel war nun nicht so stark wie der vorige, und das alte Joch zu groß für seinen Nacken, aber das arme Tier war willig wie sein Vorgänger, der geschlachtet war, und wenn Saïdjah auch an der Grenze zu Adindas Brüderchen nicht mehr die Kraft seines Büffels rühmen konnte, so behauptete er wenigstens, daß kein anderer den seinen an gutem Willen übertraf. Und wenn die Furche nicht so schnurgerade lief wie früher, und wenn Erdklumpen undurchschnitten[235] liegen geblieben waren, so half er gern mit seinem Patjol nach, so viel er konnte. Außerdem hatte kein Büffel einen User-useran wie der seine. Der Penghulu selbst hatte gesagt, daß Ontong war in den Linien der Haarwirbel auf den Schulterblättern.

Einmal rief Saïdjah im Felde vergebens seinem Büffel zu, schnell zu machen. Das Tier stand wie angenagelt. Saïdjah, ärgerlich über so große und noch dazu so ungewöhnliche Widerspenstigkeit, konnte sich nicht enthalten, ein Schimpfwort auszustoßen. Er sagte: A.S. Jeder, der in Indien gewesen ist, wird mich verstehen, und wer mich nicht versteht, gewinnt nur, wenn ich ihm die Erklärung eines groben Ausdrucks erspare.

Saïdjah dachte sich auch nichts Böses dabei. Er sagte das bloß, weil er es oft von anderen gehört hatte, wenn sie mit ihren Büffeln unzufrieden waren. Aber er hätte es nicht zu sagen brauchen, denn es half nichts, sein Büffel that keinen Schritt vorwärts. Er schüttelte den Kopf, als wollte er das Joch abwerfen, man sah den Atem aus seinen Nasenlöchern; er blies, zitterte, es war Angst in seinem blauen Auge, und die Oberlippe war hochgezogen, sodaß das Zahnfleisch bloß lag ...

»Flieh, flieh,« riefen Adindas Brüderchen, »Saïdjah, fliehe, da ist ein Tiger!«

Und alle nahmen ihren Büffeln die Joche ab und schwangen sich auf die breiten Rücken, und stürmten davon durch Sawahs, über Galangans, durch Sumpf und Gestrüpp und Buschwerk und Allang-allang, an Feldern und Wegen vorbei; und als sie keuchend und schwitzend in dem Dorfe Badur einritten, war Saïdjah nicht unter ihnen.

Denn als dieser seinem Büffel, wie die anderen, das Joch abgenommen hatte, um wie sie zu flüchten, hatte ein unerwarteter Sprung ihm das Gleichgewicht genommen und ihn zur Erde geworfen. Der Tiger war sehr nahe ...

Saïdjahs Büffel schoß in seinem Laufe einige Sprünge an dem Fleck vorbei, wo sein kleiner Herr den Tod erwartete. Aber nicht mit Willen war das Tier weiter gestürmt als Saïdjah, denn kaum hatte er die Kraft überwunden, die auf alle Stoffe nachwirkt, wenn auch die Ursache[236] aufgehört hat – da kehrte es auch schon zurück, stellte auf seine dicken Füße seinen dicken Leib wie ein Dach über das Kind, und kehrte seine gehörnte Stirn dem Tiger zu. Dieser sprang ... aber er sprang zum letztenmal. Der Büffel fing ihn auf seinen Hörnern auf und verlor nur etwas Fleisch, das der Tiger ihm vom Halse riß. Der Tiger lag mit aufgerissenem Bauche da, und Saïdjah war gerettet. Es war wirklich Ontong gewesen in den User-Useran dieses Büffels!

Als dieser Büffel Saïdjahs Vater abgenommen und geschlachtet wurde ...

Ich habe gesagt, Leser, daß meine Erzählung eintönig ist.

Als dieser Büffel geschlachtet war, zählte Saïdjah schon zwölf Jahre, und Adinda webte schon Sarongs und batikte sie mit zierlicher Kapalas. Sie hatte schon Gedanken in den Lauf ihres Farbschiffchens zu legen, und sie zeichnete Traurigkeit auf ihr Gewebe, denn sie hatte Saïdjah traurig gesehen.

Und auch Saïdjahs Vater war traurig; seine Mutter aber am meisten. Sie hatte ja die Wunde am Halse des treuen Tieres gepflegt, das ihr Kind unversehrt heim gebracht hatte, als sie auf die Nachricht von Adindas Brüderchen schon geglaubt[237] hatte, der Tiger habe es weggeschleppt. Sie hatte die Wunde so oft betrachtet, mit dem Gedanken, wie tief die Klaue, die so tief in das dicke Fell des Büffels eindrang, in den weichen Leib des Kindes geschlagen hätte; und jedesmal, wenn sie frische Kräuter auf die Wunde legte, streichelte sie den Büffel und sprach ihm freundliche Worte zu, daß das gute treue Tier doch wohl wissen mußte, wie dankbar eine Mutter ist. Sie hoffte später, daß der Büffel sie verstanden habe, denn dann hätte er wohl auch ihr Weinen verstanden, als er weggeführt wurde, um geschlachtet zu werden, und er hätte dann gewußt, daß es nicht Saïdjahs Mutter war, die ihn schlachten ließ.

Einige Zeit später floh Saïdjahs Vater aus dem Lande; denn er hatte große Furcht vor der Strafe, wenn er seine Landrente nicht bezahlte, und er hatte keine Pusaka mehr, um einen neuen Büffel zu kaufen. Seine Vorfahren hatten stets in Parang-Kudjang ge wohnt und ihm deshalb wenig hinterlassen. Auch die Eltern seiner Frau wohnten immer in demselben Distrikt. Nach dem Verlust des letzten Büffels hielt er sich wohl noch einige Jahre, indem er mit gemieteten Pflugtieren arbeitete; aber das ist eine sehr undankbare Arbeit und noch dazu kummervoll für jemand, der eigene Büffel gehabt hat. Saïdjahs Mutter starb vor Gram, und damals war es, daß sein Vater in einem verzweifelten Augenblick aus Bantam fortmachte, um im Buitenzorgschen Arbeit zu suchen. Aber er wurde mit Stockschlägen gestraft, weil er das Lebaksche ohne Paß verlassen hatte, und von der Polizei nach Badur zurückgebracht. Hier wurde er eingesperrt, weil man ihn für irrsinnig hielt, was ich wohl glauben will, und weil man fürchtete, daß er in einem Augenblick von Mataglap Amok machen könnte oder sonst eine Unsinnigkeit begehen würde. Er war jedoch nicht lange gefangen, denn er starb bald darauf.

Was aus den Brüderchen und Schwesterchen Saïdjahs geworden ist, weiß ich nicht. Das Häuschen, das sie zu Badur bewohnten, stand einige Zeit leer und fiel dann bald zusammen. Es war ja nur von Bambus gebaut und mit[238] Atap gedeckt. Ein wenig Schutt und Schmutz deckte den Fleck, wo viel gelitten worden war. Es giebt viel solche Flecken in Lebak.

Saïdjah war schon fünfzehn Jahre, als sein Vater nach Buitenzorg flüchtete. Er hatte ihn dahin nicht begleitet, er hatte größere Pläne. Man hatte ihm gesagt, daß in Batavia viele Herren wären, die in Bendis führen, und daß es für ihn leicht sein würde, eine Stelle als Bendijunge zu finden, wozu man gern jemand nimmt, der noch jung und noch nicht ausgewachsen ist, um nicht durch zu große Schwere hinten auf dem zweiräderigen Wagen das Gleichgewicht zu stören. In solchem Dienst, hatte man ihm gesagt, wäre viel zu verdienen; vielleicht würde er auf die Art in drei Jahren genug Geld sparen können, um zwei Büffel zu kaufen. Diese Aussicht lockte ihn. Mit selbstbewußtem Schritt, wie einer, der Großes im Sinne hat, trat er nach der Abreise seines Vaters bei Adinda ein, und teilte ihr seinen Plan mit.

»Denke dir,« sagte er, »wenn ich wiederkomme, werden wir alt genug sein, um zu heiraten, und wir werden zwei Büffel haben.«

»Sehr gut, Saïdjah. Ich will gern mit dir Hochzeit machen, wenn du wiederkommst. Ich will spinnen und Sarongs und Slendangs weben und batikken, und die ganze Zeit sehr fleißig sein.«

»O, ich glaube dir, Adinda, aber ... wenn du denn schon verheiratet bist?«

»Saïdjah, du weißt wohl, ich werde niemand heiraten. Mein Vater hat mich deinem Vater versprochen.«

»Und du selber?«

»Ich werde dich heiraten, sei gewiß.«

»Wenn ich wiederkomme, werde ich in der Ferne rufen.«

»Wer wird es hören, wenn wir im Dorfe Reis stampfen?«

»Ja, ... aber, Adinda ... o ja, so ist es besser ... erwarte mich bei dem Djatibusch, unter dem Ketapan, wo du mir die Melatti gegeben hast.«

»Aber, Saïdjah, wie kann ich wissen, wann ich hingehen muß, um bei dem Ketapan zu warten?«[239]

Saïdjah dachte nach und sagte:

»Zähle die Monde. Ich werde dreimal zwölf Monde ausbleiben ... Dieser Mond rechnet nicht mit. Sieh, Adinda, mache bei jedem neuen Mond eine Kerbe in deinen Reisblock. Wenn du dreimal zwölf Kerben geschnitten hast, komme ich den Tag, der dann folgt, unter dem Ketapan an ... willst du da sein?«

»Ja, Saïdjah, ich werde unter dem Ketapan sein bei dem Djatibusch, wenn du zurückkommst.«

Da riß Saïdjah einen Fetzen von seinem blauen Kopftuch, das schon sehr zerrissen war, und gab Adinda das Stückchen Leinwand, als ein Pfand, und dann verließ er Badur.

Er lief viele Tage. Er ging an Rangkas-Betung vorbei, das damals noch nicht der Hauptort von Lebak war, und Warong-Gunung, wo damals der Adsistent-Resident wohnte, und am folgenden Tage sah er Pandeglang, das daliegt wie in einem Garten. Wieder einen Tag später kam er in Serang an und stand erstaunt über die Pracht eines so großen Ortes mit vielen Häusern, von Stein gebaut und gedeckt mit roten Ziegeln. Saïdjah hatte so etwas nie gesehen. Er blieb einen Tag da, weil er müde war, aber des Nachts in der Kühle ging er weiter und kam nach Tangerang, noch ehe die Sonne so hoch stand, daß der Schatten auf seine Lippen fiel, obwohl er den großen Tudung trug, den sein Vater für ihn gelassen hatte.

Zu Tangerang badete er in dem Fluß nahe bei der Überfahrt, und er ruhte aus in dem Hause eines Bekannten seines Vaters, der ihm zeigte, wie man Strohhüte flicht, genau wie die, die aus Manila kommen. Er blieb einen Tag da, um das zu lernen, denn er meinte, damit vielleicht etwas verdienen zu können, wenn er in Batavia kein Glück hätte. Am folgenden Tage gegen Abend, da es kühl wurde, dankte er seinem Gastgeber sehr und ging weiter. Sobald es ganz dunkel war, daß niemand es sah, holte er das Blatt hervor, in dem er die Melatti aufbewahrte, die ihm Adinda[240] gegeben hatte unter dem Ketapanbaum; denn er war traurig geworden, daß er sie so lange Zeit nicht sehen sollte. Den ersten Tag, und auch den zweiten hatte er weniger stark gefühlt, wie allein er war. Seine Gedanken hingen sich alle an die große Idee, Geld zu verdienen, um zwei Büffel zu kaufen; sein Vater hatte immer bloß einen gehabt. Und seine Gedanken waren zu sehr auf das Wiedersehen mit Adinda gerichtet, um der Trauer über die Trennung Raum zu geben. Er hatte den Abschied in hochgespannter Hoffnung genommen und ihn in seinen Gedanken fest verknüpft mit dem Wiedersehen unter dem Ketapan. Eine so große Rolle spielte die Aussicht auf das Wiedersehen in seinem Herzen, daß er beim Verlassen Badurs, als er an diesem Baum vorbeiging, eine gewisse Freude fühlte, als wären sie schon vorbei, die sechsunddreißig Monate, die ihn von jenem Augenblick trennten. Es kam ihm so vor, als hätte er bloß umzukehren, als ob er schon von der Reise zurückkäme, und er würde dann Adinda erblicken, wie sie seiner wartete unter diesem Baum.

Je mehr er sich jedoch von Badur entfernte, desto mehr achtete er auf die Länge eines einzigen Tages, und desto mehr begann er die sechsunddreißig Monate, die vor ihm lagen, lang zu finden. Es war etwas in seiner Seele, was ihn weniger schnell ausschreiten ließ, – er fühlte Trauer in seinen Knien, und war es auch keine Mutlosigkeit, die ihn befiel, so war es doch Wehmut, und die ist nicht weit ab von Mutlosigkeit. Er dachte schon daran umzukehren, aber was sollte Adinda denken von so wenig Mut?

Also lief er weiter, ging es auch weniger schnell als am ersten Tage. Er hatte die Melatti in der Hand, und er drückte sie oftmals an die Brust. Er war seit drei Tagen viel älter geworden, und er wunderte sich, wie er früher so ruhig gelebt hatte, da doch Adinda ihm so nahe war und er sie sehen konnte, so oft er wollte. Denn jetzt würde er nicht ruhig sein, wenn er erwarten könnte, daß sie bald vor ihm stehen sollte. Und darüber wunderte er sich auch, daß er nach dem Abschied nicht noch einmal umgekehrt war, um sie noch einmal zu sehen. Und selbst das fiel ihm ein, wie sie sich kurz vorher wegen der Schnur gestritten hatten, die sie spann für den Lalayang ihrer Brüderchen, und die gerissen war, weil in[241] dem Gespinst ein Fehler war; dadurch war eine Wette gegen die Kinder von Tjipurut verloren gegangen. »Wie konnte ich bloß,« dachte er, »deswegen Adinda böse werden? Wenn nun wirklich ein Fehler in ihrem Gespinst war und wenn dadurch die Wette zwischen Badur und Tjipurut verloren ging, und nicht durch die Glasscherbe, die der kleine Djamin aus seinem Versteck hinter dem Pagger warf, hätte ich selbst dann so hart gegen sie sein sollen und sie mit ungehörigen Namen nennen dürfen? Was soll werden, wenn ich in Batavia sterbe, ohne sie um Vergebung gebeten zu haben für so große Grobheit? Wird es nicht sein, als ob ich ein schlechter Mensch wäre, der mit Schimpfworten um sich wirft gegen ein Mädchen? Und wenn man hört, daß ich in einem fremden Lande gestorben bin, wird nicht jeder zu Badur sagen: es ist ganz gut, daß Saïdjah gestorben ist; denn er hat gegen Adinda einen großen Mund gehabt.«

So nahmen seine Gedanken einen Gang, der sich sehr von der vorigen großen Erwartung unterschied, und unwillkürlich äußerten sie sich erst in halben Worten, in sich hinein gesprochen, bald aber in einem Selbstgespräch, und zuletzt in dem wehmütigen Sang, dessen Übersetzung ich hier folgen lasse. Meine Absicht war erst, etwas Maß und Reim in die Übersetzung zu bringen, aber ich fand es doch besser, wie Havelaar auch, das »Schnürleibchen« beiseite zu lassen.


Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.

Ich sah die große See an der Seeküste,

als ich da war mit meinem Vater,

Salz zu machen –

Wenn ich sterbe auf der See

und sie werfen meine Leiche in das tiefe Wasser,

werden Haie kommen –

Sie werden um meine Leiche schwimmen und fragen:

Wer soll von uns die Leiche verschlingen,

die da sinkt im Wasser? –

Ich werde es nicht hören.


Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.

Ich sah das Haus Pa-ansu's brennen,

er selbst setzte es in Brand,

er war von Sinnen –[242]

Wenn ich sterbe in einem Brande,

werden glühende Scheite fallen

auf meine Leiche –

Und draußen wird ein großes Rufen sein

von Menschen, die Wasser werfen,

das Feuer zu töten –

Ich werde es nicht hören.


Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.

Ich sah den kleinen Si-unah fallen von der Kokospalme,

er pflückte eine Nuß des Baumes

für seine Mutter –

Wenn ich von einer Kokospalme falle,

lieg' ich tot an ihrem Fuß, im Gesträuch,

wie Si-unah, –

Meine Mutter wird nicht weinen, sie ist tot;

andere werden mit harter Stimme rufen:

sieh, da liegt Saïdjah! –

Ich werde es nicht hören.


Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.

Ich sah die Leiche Pa-lisus,

er starb von hohem Alter,

sein Haar war weiß –

Wenn ich vom Alter sterbe, mit weißem Haar,

werden die Klageweiber stehen

um meine Leiche –

Sie werden klagen wie die Klageweiber

an Pa-lisus Leiche, auch die Enkel

werden weinen, sehr laut: –

Ich werde es nicht hören.


Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.

Ich sah viele, die zu Badur starben;

sie legten sie in weiße Kleider

und senkten sie in den Grund –

Wenn ich zu Badur sterbe, und sie begraben mich

draußen vorm Dorfe, oftwärts am Hügel,

wo das Gras hoch ist –

Dann wird Adinda kommen, und ihres Kleides Saum

wird leise, leise streifen

Das Gras entlang ... –

Ich werde es hören.
[243]

Saïdjah kam zu Batavia an. Er bat einen Herrn, ihn in Dienst zu nehmen, was dieser Herr gern that, weil er Saïdjah nicht verstand. Man hat zu Batavia gern Diener, die noch kein Malayisch sprechen und daher noch nicht so verdorben sind wie die anderen, die länger mit Europäern in Berührung kamen. Saïdjah lernte schnell malayisch, aber er paßte auch brav auf, denn er dachte immer an die zwei Büffel, die er kaufen wollte, und an Adinda. Er wurde groß und stark, weil er alle Tage aß, was es zu Badur nicht gab. Er war beliebt im Stall, und hätte er die Tochter des Kutschers zur Ehe verlangt, er wäre gewiß nicht abgewiesen worden. Sein Herr sogar hatte ihn so gern, daß er bald zum Hausbediensteten erhoben wurde. Man erhöhte seinen Lohn und gab ihm noch fortwährend Geschenke, weil man mit seinem Dienst so zufrieden war. Mewrouw hatte den Roman von Sue gelesen, der so viel Aufsehen machte: sie dachte stets an den Prinzen Djalma, wenn sie Saïdjah sah, und auch die jungen Damen verstanden besser als früher, wie der javanische Maler Radhen Saleh so viel Anklang in Paris gefunden hatte.

Man fand aber Saïdjah undankbar, als er, nach beinahe drei Jahren Dienst, um seine Entlassung und um ein Zeugnis bat, daß er sich immer gut betragen habe. Indes man konnte es ihm nicht verweigern, und Saïdjah ging mit frohem Herzen auf die Reise.

Er ging an Pising vorbei, wo lange vorher Havelaar gewohnt hatte. Aber das wußte Saïdjah nicht; ... und hätte er es auch gewußt, er hatte etwas anderes im Herzen, was ihn beschäftigte ... Er zählte die Schätze, die er heimbrachte. In einer Bambusrolle hatte er seinen Paß und sein Dienstzeugnis. In einem Schächtelchen, das an einem ledernen Riemen hing, schien fortwährend etwas Schweres gegen seine Schulter zu schlagen, aber er fühlte es gern ... ich glaub's wohl – darin waren dreißig spanische Dollars, genug, um drei Büffel zu kaufen! Was würde Adinda sagen! Und das war noch nicht alles. Auf seinem Rücken sah man die silberbeschlagene Scheide zu dem Kris, den er im Gürtel trug. Der Griff war gewiß aus feingeschnittenem Kamuning, denn er hatte ihn sorgfältig in eine seidene Hülle gewickelt. Und er hatte noch mehr Schätze! Im Saum des Kahin um seine Lenden, da bewahrte er einen Gürtel von[244] silbernen Gliedern, mit goldenem Ikat-pending. Es ist wahr, der Gürtel war kurz, aber sie war ja so schlank – Adinda!

Und an einem Schnürchen am Halse, unter seinem Badju, trug er ein seidenes Beutelchen, darin steckten ein paar vertrocknete Melatti-Blumen.

War es ein Wunder, daß er sich zu Tangerang nicht länger aufhielt, als er mußte, um den Freund seines Vaters zu besuchen, der so schöne Strohhüte flocht? War es ein Wunder, daß er den Mädchen, die ihn »wohin? woher?« fragten, wie es der Gruß in der Gegend ist, wenig sagte? War es ein Wunder, daß er Serang nicht mehr so schön fand, er, der Batavia gesehen hatte? Daß er sich nicht mehr, wie vor drei Jahren, im Pagger verkroch, als er den Residenten fahren sah, er, der den viel größeren Herrn gesehen hatte, der zu Buitenzorg wohnt und der Großvater ist des Susuhunan von Solo? War es ein Wunder, daß er wenig auf die Reden derer hörte, die ein Stück Weges mit ihm gingen und Neues aus Bantan-Kidul erzählten: wie der Kaffeebau ganz aufgegeben sei, nach so viel unbelohnter Mühe – wie das Distriktshaupt von Parang-Kudjang wegen Straßenraubs zu vierzehn Tagen Arrest im Hause seines Schwiegervaters verurteilt worden war – wie der Sitz der Verwaltung nach Rangkas-Betung verlegt worden war – und daß ein neuer Adsistent-Resident da wäre, weil der vorige ein paar Monaten gestorben war – wie dieser neue Beamte in der ersten Sebah-Versammlung gesprochen hatte, und wie seit einiger Zeit keiner mehr wegen Klagen bestraft worden war – wie man im Volke hoffte, daß all das gestohlene Gut wiedergegeben oder bezahlt werden würde?

Nein, er hatte schönere Bilder vor dem Auge seiner Seele. Er suchte den Ketapanbaum in den Wolken, als er noch zu fern war, um ihn bei Badur zu suchen. Er griff in die Luft, die ihn umgab, als wollte er die Gestalt umfassen, die ihn unter diesem Baum erwarten sollte. Er malte sich Adindas Antlitz, ihr Haupt, ihre Schulter: er sah den schweren Kondeh, so glänzend schwarz, gefangen im eigenen Strick, herabhängend auf ihren Hals: er sah ihr großes Auge blitzen im dunklen Wetterschein, er sah die Nasenflügel, die[245] sie als Kind so stolz hochzog, wenn er sie – war es möglich? – ärgerte, den Mundwinkel, in dem sie ein Lächeln bewahrte; er sah ihre Brust, die nun wohl schwellen würde unter der Kabai; er sah, wie der Sarong, den sie selbst webte, ihre Hüften eng umschloß, und dem Schenkel folgend in gebogener Linie, vom Knie in herrlicher Falte auf den kleinen Fuß niederfiel.

Nein, er hörte wenig von dem, was man ihm erzählte. Er hörte ganz andere Laute. Er hörte, wie Adinda sagen würde: »Sei willkommen, Saïdjah! Ich habe an dich gedacht beim Spinnen und beim Weben, beim Stampfen des Reis in dem Block, der dreimal zwölf Kerbe trägt von meiner Hand. Hier bin ich unter dem Ketapan, den ersten Tag des neuen Monats. Sei willkommen, Saïdjah! Ich will deine Frau sein.«

Das war die Musik, die in seinen Ohren klang, und die ihn hinderte, auf all das Neue zu hören, das man ihm auf seinem Wege berichtete.

Endlich sah er den Ketapan. Oder lieber er sah einen großen dunklen Fleck, der viele Sterne verdeckte vor seinem Auge. Das mußte der Djatibusch sein bei dem Baum, wo er Adinda wiedersehen sollte, am folgenden Morgen, nach Sonnenaufgang. Er suchte im Dunkel und betastete viele Stämme. Bald fand er eine ihm bekannte Unebenheit an der Südseite eines Baumes, und er legte den Finger in einen Spalt, den Si-Panteh mit seinem Parang geschlagen hatte, um den Pontianak zu beschwören, der an dem Zahnweh seiner Mutter schuld hatte, kurz vor der Geburt von Pantehs Brüderchen. Das war der Ketapan, den er suchte.

Ja, das war der Fleck, wo er zum erstenmal Adinda anders angesehen hatte als seine übrigen Kameraden, weil sie sich da zum erstenmal geweigert hatte, an einem Spiele teilzunehmen, das sie doch noch kurz zuvor mit allen Kindern, Knaben und Mädchen, mitgespielt hatte. Dort hatte sie ihm die Melatti gegeben.

Er setzte sich nieder am Fuße des Baumes und sah empor zu den Sternen, und als er einen fallen sah, nahm er es als einen Gruß zu seiner Heimkehr nach Badur. Und er dachte daran, ob Adinda jetzt wohl schliefe, und ob sie wohl die Monate gut in den Reisblock eingeschnitten hatte. Es würde[246] ihn schmerzen, wenn sie einen ausgelassen hätte, als ob es nicht genug wäre ... sechsunddreißig! Und ob sie schöne Sarongs und Slendangs gebatikkt hätte? Und auch das fragte er sich, wer wohl nun in seines Vaters Hause wohnte? Und seine Jugend stieg vor ihm auf und seine Mutter, und wie der Büffel ihn vor dem Tiger gerettet hatte, und er dachte, was wohl aus Adinda geworden wäre, wenn der Büffel nicht so treu gewesen wäre.

Er achtete sorgsam auf das Sinken der Sterne im Osten, und bei jedem Sterne, der am Horizont erlosch, rechnete er aus, wie viel jetzt die Sonne wieder näher wäre an ihrem Aufgang, und wie viel näher er selbst am Wiedersehen mit Adinda.

Denn gewiß würde sie kommen mit dem ersten Strahl, ja in der Dämmerung schon würde sie da sein ... ach! warum war sie nicht schon am vorigen Tage gekommen?

Es betrübte ihn, daß sie dem schönen Augenblick nicht vorausgeeilt war, der nun drei Jahre mit unbeschreiblichem Glanze seine Seele erleuchtet hatte. Und er war unbillig in seiner selbstsüchtigen Liebe; es schien ihm, als ob Adinda hätte da sein müssen, auf ihn wartend, der sich nun beklagte – vor der Zeit schon – daß er auf sie warten mußte.

Und er klagte zu unrecht, denn noch war die Sonne nicht aufgegangen ... noch hatte des Tages Auge keinen Blick geworfen auf die Ebene. Wohl verblichen die Sterne da oben, und sie schämten sich, daß so bald ein Ende kam ihrer Herrschaft, wohl flogen seltsame Farben über die Gipfel der Berge, die um so dunkler schienen, je schärfer sie sich vom lichteren Hintergrund abhoben, wohl flog hie und da etwas durch die Wolken, etwas Glühendes – Pfeile von Gold und Feuer, die hin und her geschossen wurden, am Horizont entlang; – aber sie verschwanden wieder und schienen hinter dem unbegreiflichen Vorhang niederzufallen, der den Tag von den Augen Saïdjahs fern hielt.

Und jetzt wurde es lichter und lichter um ihn her ... – er sah schon die Landschaft, und schon konnte er den Umriß des Klappahaines unterscheiden, in dem Badur verborgen liegt – dort schlief Adinda.

Nein, sie schlief nicht mehr. Wie hätte sie schlafen können?[247] Wußte sie nicht, daß Saïdjah ihrer warten würde? Sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen; gewiß hatte die Dorfwache an ihre Thür geklopft, um zu fragen, warum die Pelitah in ihrem Häuschen noch brannte, und mit anmutigem Lachen hatte sie gesagt, daß ein Gelübde sie wach hielt, den Slendang fertig zu weben, an dem sie arbeitete, und der am ersten Tage des neuen Monats fertig sein müßte.

Oder sie hatte die Nacht im Dunkeln zugebracht, auf dem Reisblock sitzend, und mit eifrigem Finger zählend, ob es auch wirklich sechsunddreißig tiefe Linien waren, hintereinander eingekerbt. Und sie hatte sich mit dem Schreck ergötzt, wenn sie sich etwa verzählte oder einer fehlte, um noch einmal und noch einmal und immer wieder die herrliche Gewißheit zu genießen, daß wirklich dreimal zwölf Monate vergangen waren, seit Saïdjah Abschied nahm.

Auch sie würde wohl jetzt, nun es sich so aufhellte, ihre Augen anstrengen, mit erfolgloser Mühe, die Blicke über den Horizont zu senden, um der Sonne zu begegnen, der trägen Sonne, die zauderte ... zauderte ...

Da kam ein Strich bläulichen Rotes, der sich an den Wolken festheftete, und die Ränder wurden hell und glühend, und es begann zu blitzen, und wieder schossen Feuerpfeile durch die Luft, aber sie fielen diesmal nicht nieder. Sie hefteten sich fest an den dunklen Grund, und teilten ihre Glut mit in größeren und größeren Kreisen, und begegneten einander, kreuzend, schwankend, zitternd, irrend, und vereinigten sich zu Feuerbüscheln und wetterleuchteten in goldenem Glanze auf dem azurnen Grunde – es war Rot und Blau und Silber und Purpur und Gelb und Gold in allem – o Gott! das war die Morgenröte, das war das Wiedersehen mit Adinda!

Saïdjah hatte nicht beten gelernt, und es wäre auch schade gewesen, es ihn zu lehren; denn heiligeres Gebet und feurigerer Dank, als in seinem stummen Entzücken lag, war nicht in menschliche Sprache zu fassen.

Er wollte nicht nach Badur gehen. Das Wiedersehen mit Adinda selbst kam ihm nicht so schön vor wie die Gewißheit, daß er sie bald wiedersehen werde. Er setzte sich an den Fuß des Ketapan und ließ seine Augen über den Landstrich gleiten. Die Natur lachte ihm zu und schien ihn willkommen zu heißen, wie eine Mutter ihr heimgekehrtes Kind, und gerade, wie diese ihre Freude schildert durch Erinnerung an den vorübergegangenen[248] Schmerz, durch das Zeigen der Andenken, die sie während der Abwesenheit bewahrte, so ließ auch Saïdjah seine Gedanken schweifen und betrachtete die Stellen, die Zeugen seines kurzen Lebens gewesen waren. Aber wie auch seine Blicke und seine Gedanken in die Runde irrten, immer wieder fiel sein Blick zurück auf den Pfad, der von Badur nach dem Ketapan führt. Alles, was seine Sinne wahrnahmen, hieß Adinda ... Er sah den Abgrund links, wo die Erde so gelb ist, wo einmal ein junger Büffel in die Tiefe sank; dort hatten die Dörfler sich versammelt, um das Tier zu retten – denn es ist keine Kleinigkeit, einen jungen Büffel zu verlieren! – sie hatten sich heruntergelassen an starken Rottan-Seilen, und Adindas Vater war der Mutigste gewesen, – o, wie sie in die Hände klatschte, Adinda!

Und da drüben an der anderen Seite, wo das Kokoswäldchen über den Hütten des Dorfes weht, da war Si-unah vom Baum gefallen und gestorben. Wie weinte seine Mutter! »Weil Si-unah noch so klein war,« jammerte sie ... als ob sie weniger betrübt gewesen wäre, wenn Si-unah größer gewesen wäre. Aber klein war er, das ist wahr, er war ja kleiner und schwächer als Adinda ...

Niemand war auf dem Wege, der von Badur nach dem Baume führte. Sie wird später kommen, es ist noch sehr früh.

Saïdjah sah einen Badjing, der mit hurtiger Lustigkeit an dem Stamme eines Klappabaumes hin und her sprang. Das reizende Tierchen – der Ärger freilich des Eigentümers des Baumes, aber doch reizend in Gestalt und Bewegung – sprang unermüdlich auf und nieder. Saïdjah betrachtete es und zwang sich, dabei zu bleiben, weil das seinen Gedanken Ruhe gab von der schweren Arbeit, die sie seit Sonnenaufgang verrichteten – die Ruhe nach dem ermüdenden Warten. Bald äußerten sich seine Gefühle in Worten, und er sang, was in seiner Seele umging. Ich möchte euch das Lied lieber im Malayischen vorlesen, dem Italienisch des Ostens.


Sieh, wie der Badjing seine Nahrung sucht

Am Klappabaum. Auf und ab und links und rechts

Springt und fällt er, kreist er, springt er wieder,

Er hat nicht Flügel und ist flink wie ein Vogel.
[249]

Viel Glück, mein Badjing, ich wünsche dir Heil!

Du wirst die Nahrung finden, die du suchst;

Ich aber sitze allein am Djatibusch

Und warte auf die Nahrung meines Herzens.


Schon lang ist meines Badjing Bäuchlein voll,

Lang schon ist er in seinem Nestchen wieder,

Aber meine Seele ist noch immer

Und mein Herz bitter betrübt ... Adinda!


Noch niemand war auf dem Pfade zu sehen, der von Badur führt nach dem Ketapan ...

Saïdjahs Auge fiel auf einen Schmetterling, der lustig umherschwirrte, denn es begann warm zu werden ...


Sieh, wie der Schmetterling da flattert,

Wie eine bunte Blume glitzern seine Flügel,

Sein Herz sehnt sich nach der Kenari-Blüte,

Er sucht seine duftende Geliebte.


Viel Glück, mein Falter, ich wünsche dir Heil!

Du wirst finden, was du suchest;

Ich aber sitz' allein am Djatibusch

Und warte auf das, was mein Herz liebt.


Lange schon hat der Falter geküßt

Die Kenari-Blüte, die er liebt,

Aber meine Seele ist noch immer

Und mein Herz bitter betrübt ... Adinda!


Und noch war niemand auf dem Pfade, der von Badur führte nach dem Ketapan.

Die Sonne stieg. Es war Hitze in der Luft.


Sieh, wie die Sonne strahlet in der Höhe,

Hoch über dem Waringi-Hügel,

Ihr ist zu heiß, sie möchte niedersteigen,

Im Meer zu schlafen, wie in des Gatten Armen.


Viel Glück, o Sonne, ich wünsche dir Heil!

Du wirst finden, was du suchest,

Aber ich sitz' allein am Djatibusch

Und warte auf Ruhe für mein Herz.
[250]

Lange schon wird die Sonne versunken sein

Und ruhen im Meere, wenn alles finster;

Und noch immer wird meine Seele

Und mein Herz betrübt sein ... Adinda!


Und niemand kam des Weges, der von Badur nach dem Ketapan führte.


Wenn nicht länger Falter werden flattern,

Wenn die Sterne nicht mehr werden blinken,

Wenn die Melatti nicht mehr duften wird,

Wenn nicht betrübte Herzen sein mehr werden,

Noch wilde Tiere in dem Walde,

Wenn die Sonne rückwärts laufen wird

Und der Mond wird Ost und West vergessen,

Wenn dann noch nicht Adinda kommen ist,

Dann wird ein Engel mit hellen Flügeln

Herniedersteigen und suchen, was zurückblieb:

Dann wird mein Leichnam liegen am Ketapan.

Meine Seele ist bitter betrübt ... Adinda!


Und niemand kam des Weges, der von Badur führte nach dem Ketapan.


Dann wird der Engel meinen Leichnam sehen,

Er wird den Brüdern mit dem Finger weisen:

Seht, da ist einsam ein Mensch gestorben,

Sein starrer Mund küßt die Melatti-Blume;

Kommt, laßt uns ihn in unsern Himmel tragen!

Der auf Adinda wartet', bis er tot war,

Der soll nicht hier verlassen liegen bleiben,

Des Herz die Kraft hatte, so zu lieben!


Dann wird mein starrer Mund sich nochmals öffnen,

Adinda rufen, die mein Herz lieb hat,

Noch einmal will ich die Melatti küssen,

Die sie mir gab ... Adinda! ... Adinda!


Und niemand war auf dem Wege, der von Badur führte nach dem Ketapan.

O! sie war gewiß in Schlaf gesunken gegen die Morgenstunde, ermüdet von dem Wachen die ganze Nacht, von dem Wachen vieler Nächte; sie hatte nicht geschlafen seit Wochen – so war es![251]

Sollte er aufstehen und nach Badur gehen? Nein, das wäre gewesen, als zweifle er an ihrem Kommen.

Wenn er den Mann riefe, der da seinen Büffel aufs Feld trieb? Der Mann war zu weit, und Saïdjah wollte auch nicht von Adinda sprechen, nicht nach Adinda fragen ... er wollte sie wiedersehen, sie allein, sie zuerst. O gewiß, gewiß, sie wird bald kommen.

Er wird warten, warten ...

Wenn sie aber krank ist? ... oder tot!

Wie ein angeschossener Hirsch flog Saïdjah den Pfad hin, der von dem Ketapan nach dem Dorfe führt, wo Adinda wohnte. Er sah nichts und hörte nichts, und er hätte doch etwas hören können, denn es standen Menschen auf dem Wege beim Eingang ins Dorf, die riefen: »Saïdjah, Saïdjah!«

Aber ... war es seine Eile, seine Hast, die ihn hinderte, Adindas Haus zu finden? Er war schon hindurchgestürmt bis zum Ende des Weges, wo das Dorf aufhört, und wie wahnsinnig kehrte er um und schlug sich vor den Kopf, weil er an ihrem Hause hatte vorbeirennen können, ohne es zu sehen. Und wieder stand er vorn am Eingang und – mein Gott, war es ein Traum? – wieder hatte er Adindas Haus nicht gefunden. Noch einmal stürzte er zurück, und noch einmal blieb er stehen, griff mit beiden Händen sein Haupt, um den Wahnsinn wegzupressen, der es umfing, und rief: »Trunken, trunken, ich bin trunken!«

Und die Frauen von Badur kamen aus ihren Häusern und sahen mit Mitleid den armen Saïdjah dastehen, denn sie erkannten ihn wieder und verstanden, daß er Adindas Haus suchte, und wußten, daß es kein Haus Adindas gab im Dorfe Badur.

Denn als das Distriktshaupt von Parang-Kudjang die Büffel von Adindas Vater weggenommen hatte ...

Ich habe dir schon gesagt, Leser, daß die Geschichte eintönig ist ...

Da war Adindas Mutter vor Gram gestorben, und ihr jüngstes Schwesterchen war gestorben, weil es keine Mutter hatte, die es säugte. Und Adindas Vater, der fürchtete sich vor der Strafe, wenn er seine Landrente nicht bezahlte ...

Ich weiß es wohl, ich weiß es wohl, daß meine Geschichte eintönig ist ...

Er war aus dem Lande geflohen. Er hatte Adinda mitgenommen mit ihren Brüdern. Er hatte aber gehört, wie[252] Saïdjahs Vater zu Buitenzorg mit Stockschlägen bestraft worden war, weil er Badur verlassen hatte ohne Paß. Und darum war Adindas Vater nicht nach Buitenzog gegangen, auch nicht nach Krawang oder nach dem Preanger oder nach Batavia.

Er war nach Tjilang-Kahan gegangen, dem Distrikt von Lebak, der an die See grenzt. Da hatte er sich in den Wäldern versteckt und auf die Ankunft von Pa-etno und Pa-lontah und Si-uniah und Pa-ansiu gewartet und Abdul-Isma und auf noch einige, denen das Distriktshaupt von Parang-Kudjang ihre Büffel geraubt hatte, und die sich alle vor der Strafe fürchteten, wenn sie ihre Landrenten nicht bezahlen könnten.

Da hatten sie sich bei Nacht einer Fischer-Praauw bemächtigt und waren in See gestochen. Sie hatte westwärts gesteuert und hielten das Land rechts von sich bis Java-Pünt, von da hatten sie nach Norden gewendet, bis sie Pana-itam vor sich sahen, das die europäischen Schiffer Prinzen-Eiland nennen. Sie hatten das Eiland an der Ostseite umsegelt und hatten dann auf die Kaiserbai zugehalten, wobei sie sich nach dem hohen Pik in den Lampongs richteten.

So ging wenigstens der Weg, den man sich in Lebak ins Ohr flüsterte, wenn über Büffelraub und unbezahlte Landrenten gesprochen wurde.

Aber Saïdjah verstand nicht gut, was man ihm sagte, er begriff nicht einmal recht den Bericht vom Tode seines Vaters. Es war ein Getöse in seinen Ohren, als hätte man mit einem Gong in seinem Haupt geschlagen: er fühlte, wie das Blut in Stößen durch die Adern seiner Schläfen floß, die zu platzen drohten unter dem Drucke solcher Stöße. Er sprach nicht und starrte nur mit wirrem Blick um sich, ohne zu sehen, was um und bei ihm war, und schließlich brach er in ein gräßliche Lachen aus.

Eine alte Frau nahm ihn mit sich in ihr Häuschen und verpflegte den armen Narren.

Bald lachte er nicht mehr so gräßlich, aber er sprach auch nichts. Nur nachts wurden die Hausgenossen durch seine Stimme aufgeschreckt, wenn er tonlos sang: »Ich weiß nicht, wo ich sterben werde,« und einige Bewohner Badurs legten[253] Geld zusammen, um den Boyajas des Tjudjung ein Opfer zu bringen für Saïdjahs Genesung, den man für irrsinnig hielt. Aber irrsinnig war er nicht.

Eines Nachts, als der Mond heller schien, erhob er sich von der Baleh-Baleh und verließ sacht das Haus und suchte die Stelle, da Adinda gewohnt hatte. Das war nicht leicht, denn es waren so viele Häuser eingestürzt, aber er schien den Platz zu erkennen an der Weite des Winkels, den manche Richtlinien bildeten, wie der Seemann sich nach Feuertürmen und hervorragenden Bergeshöhen richtet.

Ja, da mußte es sein ... dort hatte Adinda gewohnt!

Strauchelnd über halbverfaulten Bambus und Stücke des herabgefallenen Daches, bahnte er sich einen Weg nach dem Heiligtum, das er suchte. Und wahrlich, da stand noch ein Stückchen von der Wand, an der Adindas Baleh-baleh gestanden hatte, und der kleine Bambusnagel stak noch drin, an den sie ihr Kleid hängte, wenn sie sich zur Ruhe legte ...

Aber die Baleh-baleh war eingestürzt wie das Haus und beinahe zu Staub vergangen. Er nahm eine Handvoll davon und drückte es an seine geöffneten Lippen und atmete sehr tief ...

Am nächsten Tage fragte er die alte Frau, die ihn gepflegt hatte, wo der Reisblock wäre, der auf dem Grundstück von Adindas Haus stand. Die Frau freute sich, daß sie ihn wieder sprechen hörte, und lief im Dorfe umher, um den Block zu suchen. Als sie den neuen Besitzer Saïdjah anzeigen konnte, folgte dieser ihr schweigend, und er zählte an dem Reisblock zweiunddreißig Einschnitte ... Da gab er der alten Frau so viele spanische Dollars, als nötig waren, um einen Büffel zu kaufen, und verließ Badur. Zu Tjilang-Kahan kaufte er eine Fischer-Praauw und kam damit nach einigen Tagen Segelns an die Lampongs, wo die Aufständischen kämpften mit der niederländischen Macht. Er schloß sich einer Bande von Bantamern an, nicht so sehr, um zu kämpfen, als um Adinda zu suchen, denn er war sanft von Gemüt und mehr der Trauer zugänglich als der Bitterkeit.

Eines Tages, als die Aufständischen wieder einmal geschlagen waren, irrte er in einem Dorfe umher, das eben erst durch das niederländische Heer erobert worden war und[254] daher in Brand stand. Saïdjah wußte, daß der Haufen, den man da vernichtet hatte, größtenteils aus Bantamern bestanden hatte. Er irrte wie ein Spuk durch die Häuser, die noch nicht ganz verbrannt waren, und fand die Leiche von Adindas Vater, mit einem Bajonettisch in der Brust. Neben ihm erblickte Saïdjah die drei ermordeten Brüder Adindas, Jünglinge, Kinder noch, und ein wenig weiter lag die Leiche Adindas, nackt, scheußlich mißhandelt ...

Ein schmales Stückchen blaue Leinwand war in die Brustwunde eingedrungen, die ein Ende gemacht zu haben schien langer Gegenwehr ...

Da stürzte sich Saïdjah einigen Soldaten entgegen, die mit gefälltem Gewehr die letzten noch lebenden Aufständischen in das Feuer der brennenden Häuser trieben; er umfaßte die breiten Säbel-Bajonette, drückte sie mit Gewalt vorwärts und drängte noch mit einer letzten Anstrengung die Soldaten zurück, als die Säbelgriffe schon gegen seine Brust stießen.

Und wenig Zeit darauf war wieder groß Gejubel zu Batavia, über den neuen Sieg, der wieder zu den Lorbeeren des niederländisch-indischen Heeres so viele neue Lorbeeren hinzugefügt hatte. Und der Landvogt schrieb, daß die Ruhe in den Lampongs wiederhergestellt war, und der König von Niederland, erleuchtet durch seine Staatsdiener, belohnte wieder so viel Heldenmut mit vielen Ritterkreuzen.

Und wahrscheinlich stiegen da Dankgebete gen Himmel, aus den Herzen der Frauen, in der Sonntagskirche oder Betstunde, als man hörte, daß der »Herr der Heerscharen« wieder unter dem Banner Niederlands mitgestritten hatte ...

Aber Gott, an den sich so viel Weh drängt, sah das Opfer dieses Tages nicht an ...

Ich habe den Schluß von Saïdjahs Geschichte kürzer gefaßt, als ich es hätte thun können, wenn ich eine Lust daran gehabt hätte, Gräßliches zu schildern. Der Leser wird gemerkt haben, wie ich bei der Beschreibung des Wartens unter dem Ketapan verweilte, als schreckte ich zurück vor der traurigen Entwicklung, und wie ich mit Abscheu darüber hinweggeglitten bin.

Das war aber meine Absicht nicht, als ich über Saïdjah zu sprechen begann. Ich fürchtete, stärkere Farben nötig zu haben, um bei der Schilderung so gräßlicher Zustände das[255] Rechte zu treffen. Als ich aber weiter kam, fühlte ich, daß es eine Beleidigung des Lesers sein würde, zu glauben, daß ich mehr Blut in meine Schilderung bringen müßte –

Ich hätte es thun können, denn ich habe Schriftstücke vor mir liegen ... aber nein ...

Lieber ein Geständnis.

Ja! ein Geständnis: ich weiß nicht, ob Saïdjah Adinda lieb hatte, nicht, ob er nach Batavia ging, nicht, ob er in den Lampongs gestorben ist unter niederländischen Bajonetten. Ich weiß nicht, ob sein Vater starb infolge der Stockschläge, die er erhielt, weil er Badur ohne Paß verlassen hatte. Ich weiß nicht, ob Adinda die Monate zählte an Kerben an ihrem Reisblock.

Das alles weiß ich nicht.

Aber ich weiß mehr als das alles. Ich weiß, und ich kann es beweisen, daß es viele Saïdjahs gegeben hat und viele Adindas, und daß, was in der einzelnen Geschichte Erdichtung ist, Wahrheit wird im allgemeinen.

Ich sagte schon, daß ich den Namen von Leuten angeben kann, die, ebenso wie die Eltern von Saïdjah und Adinda durch Unterdrückung aus dem Lande getrieben worden sind. Es ist nicht meine Absicht, in diesem Buche Mitteilungen zu geben, wie sie vor einen Gerichtshof gehören würden, der seinen Spruch fällen sollte über die Art und Weise, wie die niederländische Macht in Indien ausgeübt wird. Solche Mitteilungen würden nur für den Beweiskraft haben, der die Geduld hätte, sie zu lesen, und das kann man nicht von einem Publikum erwarten, das in seiner Lektüre Zerstreuung sucht. Deshalb habe ich, an Stelle dürrer Namen von Personen und Ortschaften, mit dem Datum dabei, und an Stelle einer Abschrift der Liste von Diebstählen und Erpressungen, die vor mir liegt, versucht, eine Skizze zu geben von Dingen, die sich im Herzen der armen Leute abspielen können, die man dessen beraubt, was zu ihren Lebensunterhalt dient. Und ich habe das sogar mehr vermuten lassen, da ich fürchtete, mich zu sehr zu irren, wenn ich Umrisse von Empfindungen zeichnete, die ich aus Erfahrung nicht kenne.

Aber zur Hauptsache!

O, daß ich gerufen würde, zu beweisen, was ich schrieb! O, daß man sagte: Du hast deinen Saïdjah bloß erdichtet, er sang jenes Lied niemals, es wohnte keine Adinda in Badur! O, daß das gesagt würde, aber gesagt mit dem Willen, recht zu thun, sobald ich bewiesen hätte, daß ich kein Verleumder bin![256]

Ist eine Lüge, das Gleichnis von dem barmherzigen Samariter, weil vielleicht niemals ein ausgeplünderter Reisender in ein samaritisches Haus aufgenommen worden ist? Ist es eine Lüge, das Gleichnis von dem Säemann, der da ausging zu säen seinen Samen, weil man weiß, daß kein Landbauer seine Saat auf einen Fels werfen wird? Oder um zu einer größeren Ähnlichkeit mit meinem Buche herunterzugehen, kann man die Wahrheit leugnen, die die Hauptsache von »Onkel Toms Hütte« ausmacht, obwohl es niemals eine Evangeline gegeben hat? Wird man zu der Verfasserin dieser unsterblichen Anklageschrift – unsterblich nicht durch Kunst oder Talent, sondern durch Ziel und Wirkung – wird man zu ihr sagen: »Du hast gelogen, die Sklaven werden nicht mißhandelt, es ist Unwahrheit in deinem Buche, es ist ein Roman!« Mußte sie nicht, statt eine Aufzählung von dürren Thatsachen zu geben, eine Geschichte darbieten, welche die Thatsachen einkleidete, um diese in die Herzen hineinzuführen? Würde man ihr Buch gelesen haben, wenn sie ihm die Form eines Aktenstücks gegeben hätte? Ist es ihre, ist es meine Schuld, daß die Wahrheit, um Eingang zu finden, so oft das Kleid der Lüge borgen muß?

Und wenn einige behaupten wollen, ich hätte Saïdjah zu sehr idealisiert, so muß ich fragen, wie sie das wissen können! Denn es geben sich nur sehr wenige Europäer die Mühe, sich zur Beobachtung der Gefühle jener Kaffe- und Zuckermaschinen herabzulassen, die man »Inländer« nennt.

Indessen wäre diese Ausstellung auch wirklich begründet, – wer das als Beweis gegen das hauptsächliche Ziel meines Buches anführt, schenkt mir einen großen Triumph.

Denn dieser Einwurf lautet mit anderen Worten nicht anders als so: »Das Böse, das du bekämpfst, besteht nicht, oder nicht in so hohem Maße, weil der Inländer nicht so ist wie dein Saïdjah; es ist bei der Mißhandlung der Javanen kein so großes Unrecht, als es wäre, wenn du deinen Saïdjah richtig gezeichnet hättest. Der Sundanese singt solche Lieder nicht, er liebt nicht so, er fühlt nicht so, also ...«

O nein, Herr Kolonialminister! O nein, Herr General-Gouverneur im Ruhestande! nicht das habt ihr zu beweisen. Ihr habt zu beweisen, daß die Bevölkerung nicht mißhandelt wird, ganz gleichgültig, ob da sentimentale Saïdjahs unter der Bevölkerung sind oder nicht! Oder wollt ihr den Mut haben, zu behaupten, man dürfe Büffel von Leuten stehlen,[257] die nicht lieben, die keine traurigen Liederchen singen, die nicht sentimental sind?

Sollte ich auf litterarischem Gebiet angegriffen werden, würde ich die Richtigkeit der Zeichnung Saïdjahs verteidigen. Aber auf politischem Boden gebe ich sofort alle Einwendungen die Richtigkeit zu, um zu verhindern, daß die große Frage auf ein falsches Gebiet hinübergespielt werde.

Es ist mir ganz gleichgültig, ob man mich für einen ungeschickten Schriftsteller hält oder nicht – aber man soll zugeben, daß die Mißhandlung des Inländers »weitgehend« ist, so lautete ja das Wort auf dem Notizblatte von Havelaars Vorgänger, das dieser dem Kontroleur Verbrügge zeigt: – das Blatt liegt vor mir!

Aber ich habe andere Beweise, und das ist ein Glück. Denn auch der Vorgänger Havelaars konnte sich geirrt haben.

O Himmel, wenn er sich geirrt hätte, so ist er für diesen Irrtum sehr hart gestraft worden.

Quelle:
Multatuli (Eduard Douwes Dekker): Max Havelaar. Halle a. d. S[aale] [o. J.], S. 233-258.
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