9.

[137] Die bisherigen Bemerkungen über die Kunst der deutschen Prosa suchten vornehmlich ihre zeitgemäße Stellung zu bezeichnen, in der sie von Seiten der Sprache, der Literatur und der Gesinnung eine eigenthümliche Bildungsstufe gegenwärtig darstellt. Diese Eigenthümlichkeit, hauptsächlich in der Durchbrechung der Schranke zwischen Poesie und Prosa nachgewiesen, tritt immer entschiedener heraus, und gestaltet jetzt mit vorwaltender Neigung eine Literatur der Prosa, in welcher der schaffende poetische Geist der Nation am mächtigsten wird, in der die Ideenbewegung der Zeit vorzugsweise ihre Sache führt, der andern literarischen Formen sich entschlagend. Die moderne Prosa beginnt mehr Neuheit in den Melodien und Combinationen ihrer Sätze, mehr Schönheitsreiz in ihren Wendungen[138] und Gliederungen, zu entfalten, als die abgeklungenen metrischen Formen der Poesie noch auf ihrem Tonregister haben. Dagegen ließe sich fragen, ob nicht für diese aller poetischen Freiheit sich bemächtigende Diction der Prosa Gränzen gefunden werden können und müssen? Ferner liegt die Frage nahe: ob das Piquante, Künstliche, Pointirte, Geistvolle, Poetische der heutigen Prosa nicht etwa eine Entartung derselben, ein Verfall unseres Geschmacks, sei, statt für eine Erneuerung und Ausbildung gelten zu können?

Eine genügende Antwort auf beide Fragen, die zugleich Kunst und Werth der modernen Prosa im gerechten Lichte erscheinen lassen muß, sind wir zu geben im Begriff, indem wir im folgenden Abschnitt zu der Entwickelungsgeschichte der deutschen Prosa übergehen, um in historischer Folge die nebeneinanderschreitenden Verhältnisse von Sprache, Literatur und Darstellung vorüberzuführen.

Jede Epoche bringt ihre Uebelstände mit sich, jeder Fortschritt hat seine Rückseite, wonach man ihn immer, vom umgewandten Standpunkt aus, für ein Verderben bezeichnen könnte. Die Einfachheit,[139] mit der Garve, Engel, Knebel schrieben, ist allerdings aus unserer heutigen Prosa gewichen, und wer will, mag den verlorenen Unschuldszustand unserer Schreibart daran beklagen. Jene Einfachheit gemahnt uns heutzutage fast wie Schulaufsätze aus unserer Jugend, wir haben bei verwickelteren Beziehungen des Lebens nicht mehr den harmlosen Sinn dafür. Zwar sind wir unverdorben genug, um das Schöne und sogar Große eines Stils zu empfinden, der bloß Das, was man gerade zu sagen hat, einfach walten läßt, ohne alles Faschingscostüm der Darstellung, aber Das, was wir heut zu sagen haben, ist eben ein Anderes, ein aus vielfarbigeren Richtungen, Gegensätzen und Meinungszerwürfnissen Zusammengesetztes, das nur in complizirteren Lauten, mit größerem Aufwand von Mitteln, mit künstlicheren Schattirungen, sich ausführen läßt. Wir sind auf einen Stil gewiesen, der unserm innersten Gemüth entspricht, die Anforderungen unserer Bildung und Richtung, das Dichten und Trachten unserer Persönlichkeit durch seine Ausdrucksformen befriedigt, und ein so hervorgebrachter Stil ist immer für jede Zeit der richtigste[140] und ächteste, weil der nothwendigste. Der Diction kann nur dann der Vorwurf zu großer poetischer Freiheiten oder zu geistreicher Prätensionen gemacht werden, wenn dieselben einzeln und unvermittelt an ihr dastehen, und wie ein anmaßlicher Flitterprunk für sich selbst mehr bedeuten wollen, als die innere Schwere des Inhalts. In dieser Weise scheinen allerdings jetzt viele Autoren zu entstehen, die bloß Schriftsteller einer geistreichen Diction sind, und die, ohne wirklich eigene Gedanken zu haben, doch mit einem Anstrich des Gedankenvollen schreiben, der an den überlieferten und erwerblichen Reichthümern der deutschen Diction haftet. Dies Geistreiche besteht vornehmlich in den Beiwörtern, die überhaupt schon deshalb eine prägnantere und pointirtere Stellung in der neueren Prosa einzunehmen suchen, weil die Macht der Hauptwörter, durch ihre verloren gegangene Bildlichkeit, unwirksamer geworden und gewissermaßen einer Verstärkung durch die Adjectiva zu bedürfen scheint. Daß die deutsche Diction einmal auf solche Stufe gelangen würde, war schon seit Klopstock vorauszusehen, gegen dessen keckere poetische Behandlung[141] der Sprachformen damals Bürger in seinen akademischen Vorträgen über den Stil heftig eiferte, indem er am meisten auf populaire Faßlichkeit und Volksthümlichkeit der Schreibart drang. Doch steckte der Prosa auch Klopstock enge Gränzen und wollte derselben noch keine poetischen Zugeständnisse machen. In seinen grammatischen Gesprächen tadelte er selbst die poetische Voranstellung des Genitivs vor dem regierenden Worte in der Prosa sehr stark, und gewiß für viele Fälle mit Unrecht, obwohl jetzt diese Wendung, wie aller derartiger Figurenzierrath, in unserer mehr mit der Meinung beschäftigten Prosa wenig oder fast gar nicht gebraucht zu werden pflegt.

Der Inhalt, als einziger Meister, Schöpfer und Alleinherrscher des Stils, vermag auch der Diction allein Gränzen zu setzen, sie zu erweitern oder zu beschränken. Was der Inhalt gebietet, weil es für ihn nöthig ist, muß die Diction leisten, werde auch eine Tonart oder ein Stil daraus, welcher es wolle, und die deutsche Sprache hegt so viel Hülle und Fülle von Production, Witz und Gesinnung schon in ihrem Sprachhaushalt, daß sie[142] unter allen die biegsamste sein möchte für den Stil des Inhalts. Die moderne Literatur der Prosa bewegt vor allen Dingen den Inhalt, und des Inhalts bedarf der prosaische Stil immer, um schön und vollendet zu sein, während in Versen bei weitem leichter auch ein inhaltsloser Gegenstand Interesse und Reiz erhält, worüber auch Goethe einmal, in einem Gespräch mit Eckermann (Thl. I. S. 80.) eine Bemerkung macht, während Tieck in seinen dramaturgischen Blättern den jungen dramatischen Dichtern anrieth, ihre aufgeblasenen Jamben in Prosa zu zerlösen, um sich dadurch von deren Inhaltslosigkeit zu überzeugen. Der Stil des Inhalts wird auch der Schönheit des Einfachen nicht entbehren, wo ein heiterer und beruhigter Himmel der Gedanken über ihm liegt. Von einer Zeit aber, in der Alles auf Instrumenten, bis zum Zerspringen gestimmt, seinen Lebenston abspielt, wo unsere Sitten, unsere Speculation, unsere Existenzfragen mit lauter noch unverarbeiteten Elementen geschwängert und überfüllt sind, da verlange man nicht ländliche Schalmeienklänge und Hirtenpfeifen mit Hintergrund friedlich stiller[143] Abendlandschaften, wie in den einfachen rein contemplativen Literaturepochen. Gäbe es Normen des Stils für alle Zeiten, so gäbe es keinen Tacitus, keinen Jean Paul, keinen Goethe, keinen Hippel, keine Rahel, keinen Sterne, keinen Swift, keinen Victor Hugo, keine Dudevant. Der Stil läßt sich ebenso wenig reguliren, wie die Weltgeschichte; er ist der schreibende Griffel der Klio, der immer neue Striche macht bei neuen Thaten und Bewegungen der Menschen. –

Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 137-144.
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