XI. Brief.

Der Herr v.N. an den Herr v.S.

[58] N. hall, den 10. Julius.


Lieber Vetter,


Ich habe Ihren letzten Brief richtig empfangen. Ihre Nachrichten haben mich entzückt, so, daß ich wieder jung wie ein Adler werde. Wenn meine Schwester mich nicht mit thränenden Augen gebeten hätte; so wäre ich, statt dieser Anwort, in Person nach Grandisonhall gekommen. Ich war schon reisefertig. Jeremias sollte mich[58] nebst dem Magister begleiten, und ich wollte meine Tour über Hamburg nehmen. Aber, wie gesagt, meine Schwester, der alte Wurm, Lampert, der Pfarr und die ganze Gemeine bekamen von meinem Anschlage Wind: sie vereinigten sich miteinander, und baten mich auf den Knien, keine solche gefährliche Reise in meinen alten Tagen zu unternehmen. Was sollte ich machen? Ich konnte nicht widerstehen; und solchergestalt werde ich nun wohl hier bleiben.

Sir Carl hat mir durch die ausgebrachte Gesundheit viel Ehre erwiesen. Ich habe sie schon zehenmal nachgeholt. Einem solchen Ball möchte ich einmal beiwohnen, wenn die verdammten Englischen Tänze thäten: denn ich tanze weiter nichts, als die Menuet und deutsch. Sie hätten Sir Carln meine Ungeschicklichkeit in der Music nicht entdecken sollen; er wird mich nunmehro verachten. Ich will aber auch her Roth ein Ende machen. Wissen Sie wohl, daß ich die alte Orgel aus der Daasdorfischen Kirche gekauft habe? Ich habe sie für dreißig Gulden erstanden,[59] und in die Kinderstube, oder besser, in mein Musiczimmer setzen lassen. Der alte Schulmeister machte mir zwar anfangs allerlei Hasensprünge, und wollte bei unserm Concert nicht spielen; so, daß ich ihn einmal bald zum Dinge hinaus gepeitscht hätte: er besonn sich aber noch zu seinem Glücke, und orgelte. Die Claves kann ich bereits miteinander. Schicken Sie mir nur Alexanders Gastmahl von Händeln; dieses Stück will ich zuerst lernen.

Ich hätte bei der Jagd vom 6ten Junius seyn mögen! das muß ein verdammter Hund seyn, wenn er Schweine von sechs Centnern halten kann. Wenn Fresco eine Bätze ist: so lassen Sie sich einen jungen Hund geben, wenn er heckt, und bringen ihn mit herüber: damit ich die Race auch bekomme. Was hat aber Doktor Bartlett auf der Jagd zu thun? Er wird ein andermal wegbleiben, denke ich; es wär indessen Mordschade um den alten Kerl gewesen: zumal, da er sich sowohl in Sir Carls Humor schicken, und die Mägde und Knechte fromm machen kann.[60] In diesem Punkte kann ich Lamperten noch nicht recht brauchen: denn er demonstrirt den Mägden ihre Pflicht so undeutlich, und zuweilen gar lateinisch, daß sie kein Wort davon verstehen. Wenn ich aber mit der Peitsche hinter sie komme: so überzeuge ich sie besser, als wenn der Magister zehen Predigten hielt. Im Vertrauen, ich studire, nunmehro auf eine Reise nach Italien, um Clementinen abzuholen, wenn sie anders noch ledig ist, und den verwünschten Belvedere nicht hat nehmen müssen. Unser Barbier soll mit mir gehen und den Jeronimo recht auscuriren: denn Lowther scheint mir nicht so tackt feste zu seyn, als unser Niclas. Clementine wird nachhero meiner Liebe aus Dankbarkeit Gehör geben, daß ich ihrem lendenlahmen Bruder geholfen habe. Die Religion soll mir nicht lange im Wege stehen, ich würde wohl ein Türke, wenn ich Clementinen zur Frau bekommen könnte. Erkundigen Sie Sich doch unter der Hand, wie die Sachen in Italien siehen? ich lese zwar den Courier und den Staatsboten; ich finde aber niemals ein[61] Wort von der Hochzeit der Clementine darinne; folglich muthmase ich, daß sie noch ledig ist. Ich erwarte eine Antwort von Ihnen mit Verlangen, und bitte meine Empfehlung an Sir Carln und seine Henriette zu machen von


Ihrem

getreuen Oncle.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 58-62.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.