XIII. Brief.

Fräulein Amalia an ihren Bruder.

[81] Schönthal den 27 Junius.


Ich habe unserm Schwager beinahe einen Gewissenspunkt daraus gemacht, daß er uns alle verleitet hat, unserm Vetter eine Sache vorzuschwatzen, die ihn noch vielen Verdrüßlichkeiten aussetzen kann. Er ist gleichwohl unsrer Mutter Bruder, wir sollten[81] es nicht gethan haben. Mein Schwager hat keine Lust von seinem Vorhaben abzustehen, und glaubt das Recht zu haben, ihm etwas aufzubürden; weil unser Oncle seit vielen Jahren ihm von seinen Heldenthaten Unwahrheiten gesagt hätte. Wenn er in seiner Oekonomie dadurch Schaden litte, will der Baron solchen wieder gut machen. Den Gewissenspunkt bei Seite gesetzt, so ist nicht zu leugnen, daß der Oncle und der Magister uns so viel lächerliche Auftritte, in dem Nachspiele des Grandisons liefern, daß wir uns keinen bessern Zeitvertreib wünschen könnten. Wenn ich diese beiden Leute auf der einen Seite ansehe, so sind sie wirklich gebessert: betrachtet man sie aber von der andern, so scheinet es, daß ihr Bisgen Verstand ganz und gar ausgedunstet ist.


Mein Vetter hatte sonst etwas im Fluchen gethan, man konnte ihn stark darinne nennen. Seine neuerfundenen Schwüre und Flüche, die oft Niemand dafür ansahe, wenn es nicht der Nachdruck seiner Stimme und die Gelegenheiten,[82] bei welchen er sie vorbrachte, zu erkennen gegeben hätte, sind alle auf einen Tag abgeschaffet worden. Der Magister, ein gewaltiger Feind aller unnützen Worte, war nicht damit zufrieden, er bewies aus einem lateinischen Kochbuche, wie ich glaube, daß man die Natur nicht auf einmal zwingen müßte. Der Oncle blieb demohngeachtet bey feinem Vorsatze und bat Herr Lamperten, ihn freundlich zu erinnern, wenn ihm ein Wort entführe, das einem Fluche oder Schwure ähnlich sähe. Er versprach, für diese Bemühung dankbar zu seyn, und dieses versprach er mit einem ihm eigenem Witze. Herr Lampert, sagte er, wenn er so ein garstiges Thier, als ein Fluch oder Schwur ist, bei mir ansichtig wird; so sei er so gut und hasche er mir, es vor dem Munde weg. Er kann es in seiner Schreibtafel, oder in seinem Gedächtnißkasten verwahrlich aufbehalten; wenn wir allein sind, so soll er mir die Ungeheuer nach einander ausliefern, und für jedes einen Dreier baar Geld empfangen. Einige mal, besonders letzthin, da der Hauptmann von Hagebusch in Kargfeld[83] war, und seine Weidesprüche schwadronenweise anrücken ließ, kam der Oncle in die Hitze, und donnerte so gewaltig mit Flüchen und neuen Schwüren, daß der gute Lampert nicht geschwinde genug im Schreiben nachkommen konnte, und ihm manchen Dreier schenken mußte. Den Magister nennt er seinen väterlichen Freund, obgleich unser Oncle um ein Mandel Jahre älter ist. Jetzt muß ich abbrechen. Der Wagen ist angespannt; wir fahren hinüber zu unserm Vetter. Heute Abend wird ein Feuerwerk abgebrannt. Die Ursache davon solltest du wohl nicht errathen. Es geschiehet dem Grandison und seiner Henriette zu Ehre. Es ist heute unsers Wissens weder ihr Namenstag noch ihr Geburtstag; es ist aber gutes Wetter, und es kann doch durch ein solches Festin die Ehrfurcht, welche man hier für den Namen Grandison und Henriette hat, am besten zu Tage geleget werden.


Den 28ten. Gestern, da wir vor dem Edelhofe unsers Vetters Abends um 6 Uhr eintrafen, wurden wir von ihm im Galakleide[84] empfangen und in den Speisesaal geführet, wo wir den Herrn v.W. seine Gemahlin und Fräulein Julgen fanden. Der Pastor Wendelin, dessen Tochter Jungfer Hanngen, in die der Magister aufs äußerste verliebt ist, der junge Wendelin, ein Student, Junker Gangolph, der Förster und die Personen vom Hause waren alle da. Ueber Tische wurde beinahe von nichts als von dem Feuerwerke gesprochen, das der Magister nach morgenländischem Geschmack entworfen haben wollte. Die neidische Frau v.W. schnitt auf ihre fromme Stieftochter bei Tische immer sauere Gesichter. Sie hätte in der That mehr Ursache, stolz auf diese gefällige artig gehorsame Tochter, als neidisch und gebietherisch gegen sie zu seyn.


Bei der zwoten Tracht holte der Magister Grandisons Geschichte, unterdessen da die Bedienten abtrugen, las er einige Blätter; die Stelle handelte von dem Heiratsvergleiche des Grandisons und der Clementine. Mein Oncle brachte die Gesundheit seines Helden[85] aus. Jedermann holte sie nach, bis auf dem Pastor Wendelin.

Ich werde mich nie bereden lassen, die Gesundheit eines Mannes zu trinken, der im Stande ist, seine Kinder, sein eigenes Fleisch und Blut dem Moloch auf opfern zu wollen.

Dem Magister starb der Bissen im Munde. Seine Augen wurden so groß wie Brenngläser. Wie so, mein Herr Pastor, wie so?

Wie so? Was ist das für eine Frage von Ihnen, mein Herr Magister! Haben Sie uns nicht eben jetzo vorgelesen, daß der Engelländer, von dem die Geschichte handelt, sich kein Bedenken machte, wegen einer Weibesperson, die er liebte, seine mit ihr zuerzielenden Töchter katholisch erziehen zu lassen? War das christlich, war das vernünftig, ich will nicht sagen väterlich? Nein, ich kann die Gesundheit eines Ketzers, eines Syncretisten unmöglich nachholen.

Was? Sir Carl ein Ketzer? – Ein Syncretist? Wo denken Sie hin, mein Herr[86] Pastor? Sir Carl macht seiner Religion Ehre. Ich hätte Lust, ihn eine Säule der protestantischen Kirche zu nennen.

Wo nehmen Sie den Muth her, Herr Magister, einem solchen Ketzer, als dieser Engelländer ist, das Wort zureden? Ich will Ihnen nur kurz meine Meinung eröffnen, was ich von Leuten, die Ketzer vertheidigen, halte. Ponamus casum: Es wollte Jemand mein Hanngen hier haben, der einer andern Religion beigethan wäre, mit der Bedingung, daß die Söhne in der Religion des Vaters und die Töchter in der Religion der Mutter erzogen würden, und wenn es ein Graf wäre, so würde ich sie ihm versagen; ja, ich würde sie einem jeden rund abschlagen, von dem ich nur argwohnete, daß ihm der geringste ketzerische Gedanke im Kopfe stärke. Ja ja, das würde ich gewiß thun, bei meiner Ehre. (Er sahe den Magister an.)

Herr Lampert wurde feuerroth. Der Oncle mochte ihm winken, ihn treten und ihm zurufen wie er wollte, er möchte doch den Grandison[87] nicht im Stiche lassen, es half nichts. Er nahm ein Kelchglas und sagte einen seiner weisen Sprüche: Beim Schmausen darf man nicht streiten, so heist er auf deutsch. Er trank Hanngens Gesundheit. Der Streit wurde durch Aufhebung der Tafel geendiget.

Die ganze Gesellschaft begab sich in den Garten, das Feuerwerk zu sehen. Zween Adjuvanten hatten sich mit ihren Waldhörnern an den Eingang des Lusthauses gestellet. In Ermangelung der Paucken schlug Junker Gangolph die Trommel darzu. Der Student hatte die Ehre als ein Fremder die Canonen, welches ein paar alte Flinten mit deutschen Schlössern waren, los zu brennen. Die Bedienten vom Hause mußten laden, dann und wann eine Salve aus dem kleinen Gewehr geben, das waren die Pistolen unsers Oncles. Er war deswegen genöthiget, das Signal mit seiner Kugelbüchse zugeben.

Herr Lampert sagte, mit einer stolzen Mine: Mit ihrer Erlaubniß, allerseits höchstzuverehrende Anwesende, werde ich Ihnen mit[88] einem Lauffeuer von meiner Erfindung aufwarten.

Den Augenblick erschienen ein halb Dutzend derbe Bauerjungen, mit Hüten von Pappe, auf welchen ein langes Stück angefeuchtete Pulvermasse befestiget war, und liefen in einer Entfernung von uns durch einander, in die Runde und in die Quere.

Wir jungen Leute konnten es unmöglich unterlassen, in ein lautes Gelächter bei diesem Anblick auszubrechen. Mein Schwager beredete unsern Oncle, es wäre dieses ein Zeichen unsers außerordentlichen Vergnügens, daß wir über die Erfindung des sinnreichen Magisters empfänden. Er schien damit befriediget zu seyn.

Die zweite Scene bestund in einer Lampenerleuchtung. 48 Oellampen, die hochadlichen und die aus der Pfarre mitgerechnet, welche in dem Dorfe mit Mühe und Zwang waren zusammen geborget worden, erleuchteten die Allee. Am Ende derselben prangete die schwarze Tafel des Magisters.[89] Er verkündigte uns, daß der Name des edelsten Paares unter der Sonne im Feuer brennete. Wir verfügten uns mit vieler Sorgfalt durch die feurige Allee. Wir machten uns so schmeidig als es möglich war, um nicht eine raschgierige Lampe umzustoßen, die uns diese Beschimpfung gewiß durch einen gräßlichen Oelfleck würde vergolten haben. An der Tafel, woran noch einige hebräische Charakters kenntlich waren, fanden wir die Buchstaben


VIVANT


C.G. et H.B.


in saecula saeculorum.


von vergoldetem Pappier ausgeschnitten, angeklebet, und rund herum mit Lampen bespicket.

Nach einigen Freudenschüssen und einem lauten Vivatgeschrei verfügten sich alle Anwesende nach Hause. Ich fürchte mich in der Nacht zu fahren; ich schlief deswegen zu Kargfeld. Tante Kunigunden hatte das[90] Feuerwerk über alle maßen gefallen, vielleicht weil es so wenig kostete und doch einen so vornehmen Namen hatte. Unsern Oncle habe ich nie so munter gesehen als damals. Der Magister hat sich durch seine kluge (thörigte hätte er sagen sollen) Erfindung einen rechten Stein bei mir heute ins Bret geworfen. Herr Lampert, er ist, mein Seele! ein verschlagener Kopf, ohne daß er deswegen braucht die Treppe hinunter zu fallen.


Früh gegen 5 Uhr jagte mich ein unvermutheter Lerm aus dem Bette; ich dachte nicht anders, es wäre Feuer im Hause. Ein Hause Bauerweiber schmissen sich im Edelhofe um ihre Lampen; sie waren verwechselt worden; ungeachtet der kluge Lampert jede mit den Namen der Eigenthümer bezeichnet hatte. Um zehn Uhr Vormittage ließ mich mein Schwager in seinem Wagen abholen, um mit ihm und meiner Schwester nach Wilmershausen zu fahren. Der Herr von W. hat uns gestern zu sich eingeladen. Unsern Oncle finden wir nicht da, er hat sich wegen Kopfschmerzen,[91] die ihn sein gestriger Rausch zugezogen hat, entschuldigen lassen. Es ist Zeit in den Wagen zu steigen, meine Schwester hat schon eine halbe Stunde auf mich gewartet. Erfreue bald durch deine Briefe


Deine

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 81-92.
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