XIX. Brief.

Fräulein Amalia an ihren Bruder.

[123] Kargfeld den 4. Sept.


Dein letzter Brief hat meinen Oncle nunmehro ganz und gar gebildet. Sein Rock ist mit Golde besetzt; er geht beständig im Degen, und zwingt sich zu einem süßen Lächeln; bisweilen aber sieht er den[123] Magister mit so einer fürchterlichen Mine an, als wenn er ihn fressen wollte.

Neulich hat er einen Kerl, welcher mit Zimmtwasser und Bezoartinctur durchs Dorf gieng, seinen ganzen Kasten abgekauft. Das ist meine Apotheke, spricht er, woraus ich die Bauern kuriren will, wenn etwa die Viehseuche unter sie kömmt.

Die erste Kur ist indessen nicht wohl abgelaufen; und wenn man nicht noch einen ordentlichen Arzt zu Rathe gezogen hätte; so wär der Elende gestorben. Wir dürfen uns aber nicht unterstehen, nur den geringsten Zweifel in seine Geschicklichkeit zu setzen. Mir wollte er vorgestern mit Gewalt Bergöl eingeben: da ich aber ernstlich aussah, und fortreisen wollte; so ließ er ab, seine Kunst an mir zu versuchen. Das lustigste war ein Ball, den er uns am Mittewochen gab. Die benachtbarten Edelleute wurden durch den Jeremias eingeladen. Einen hieß er Oncle Selby, den andern seinen Beauchamp, seine Schwester Tante Loren, Fräulein Fiekgen[124] seine Aemilia, mich aber, seine Charlotte. Unsere Gäste glaubten anfangs, er wär rasend geworden.

Da ich ihnen aber das Geheimnis entdeckte, so wurde sein Vorhaben bewundert, und er in seiner Thorheit gestärkt. Der Schulmeister sollte mit aller Gewalt Alexanders Gastmahl aufführen: da er nun dieses Singstück nicht einmal den Namen nach kannte: so hieß ihn mein Oncle einen Bärenhäuter, und jagte ihn zur Thür hinaus. Er sieng indessen mit fürchterlicher Stimme an: Reitzend, sanft in Lydischen Thönen etc.

Der Magister trägt das Seinige zu diesen Thorheiten redlich bei. Er will die Person Grandisons in Italien spielen. Des Pfarrers Tochter ist seine Clementine. Er sprach noch heute von ihr mit einer affenmäßigen Entzückung. Kurz darauf wiederhohlte er die Zeilen aus den Milton:


Nie gestand sie die Liebe etc.


Wir hielten darauf folgen des Gespräch.

Amalia. Wissen Sie denn, Herr Magister, daß Hannchen eben die Neigung zu Sie[125] hat, welche Clementine zu Sir Carln hatte? Sie müssen nicht alle Blicke eines Mädchens zu ihrem Vortheile auslegen.

Der Magister. Die Eigenliebe, oder philautia, blendet mich nicht, gnädiges Fräulein; allein, ich denke, daß ich wegen verschiedener persönlichen Eigenschaften ein Mädchen rühren kann.

Amalia. Es ist wahr, sie besitzen Vorzüge, unter welchen derjenige, daß sie Magister sind, der vornehmste ist. Einige Mädchens aber haben einen wunderlichen Geschmack, und eine angenehme Bildung gilt bei ihnen mehr, als alle Gelehrsamkeit, und die dadurch erworbenen Kränze.

Der Magister. Sie bringen mich eben auf den rechten Punkt. Gefällt Ihnen meine Bildung nicht? habe ich nicht eine Habichtsnase wie Cyrus, und eine Warze daran wie Cicero? Mir deucht, dieser Schmuck könnte ein Mädchen bezaubern; zumal wenn sie von der geheimen Bedeutung großer und ansehnlicher Nasen etwas gelesen hat, und ausserdem[126] weiß, welche große Männer Cyrus und Cicero gewesen sind.

Amalia. Sie werden doch jene Leute nicht deswegen hochachten, weil der eine, eine gebogene Nase, und der andere eine Warze daran hatte. Vielleicht ist die Nase bei dem einen, und die Warze bei dem andern, ein Fehler gewesen.

Der Magister. Gut, gnädiges Fräulein, ich sehe dergleichen Nase nicht als ein Essentiale an: aber mir deucht, ich hätte noch mehr Aehnliches mit dem Cyro, vornämlich aber mit dem Cicerone.

Amalia. Wollen Sie eine Vergleichung anstellen; so werden Sie mir eine besondere Gefälligkeit erzeigen.

Der Magister. Cicero war ein Redner; ich auch: ja, ich erhalte hier eben den Beifall, wenn ich den geistlichen Schifsschnabel betrete, welchen Tullius mit seinen Reden zu Rom erhielt. Jener war ein Patriot, und eifriger Vertheidiger der römischen Freiheit;[127] ich bin beides hier auf diesem adlichen Hofe. Wem hat man die Verschönerung dieses Rittersitzes anders zu verdanken, als mir? Habe ich nicht die Wahrheit, daß es einen Grandison gebe, zuerst bekannt gemacht? habe ich ihn nicht zuerst nachgeahmt?

Amalia. Ich fühle die Stärke Ihrer Beweise. Sie so den Recht haben; Hannchen soll Sie lieben, und ich will sie selbst zur Gegenliebe überreden.

Der Magister. Wo eine Conviction ist, da ist die Persuasion unnöthig. Hannchen ist von meinem Werthe überzeugt; sie liebt mich, und würde wie Clementine närrisch werden, wenn ich unempfindlich wär.

Amalia. Da die Sache schon so weit gekommen ist; so wär mein Rath, sie ließen das arme Kind nicht so lange seufzen. Denn sollte das schöne Hannchen in einen Enthusiasmum fallen; so hätten Sie es ewig zu verantworten. Es thun sich hier keine Schwierigkeiten hervor – der General willigt[128] ein – Sie sind auch nicht katholisch, daß die Religion also eine Hindernis seyn könnte. Gehn Sie also immer zum alten Vater, und halten um die Tochter an.

Der Magister. Das will ich thun; aber aufrichtig zu reden, so muß ich erstlich meinen schwarzen Rock wenden, und nach der Mode machen lassen: damit die äußerliche Seite der innerlichen die Waage hält. Alsdenn werde ich alle Hindernisse überwinden, meine Liebe gestehen, und Hannchen glücklich machen. Es kann unterdessen nicht schaden, wenn sich einige Schwierigkeiten hervor thun: ja es ist allen Liebhabern angenehm, wenn sie in der Liebe rechte hohe Gebürge übersteigen müssen.

Amalia. Sie reden etwas poetisch, Herr Magister; wünschen Sie Sich aber lieber keine Berge; Sie sind kein Jüngling mehr, und ein einziger Hügel sollte Ihnen schon Arbeit genug machen. Kommt Hannchen ein junger Stutzer in Weg; so fällt der Magister Lampert in die Brüche.

[129] Der Magister. Ach, was Stutzer! Hannchen ist die Tochter eines Geistlichen; ihr ist geistlich Fleisch gewachsen; ergo muß sie wieder an einen Geistlichen verheirathet werden.

Amalia. Das war ein vortreflicher Schluß! Wenn Sie ehedem so geschlossen haben; so sitzen die Leute, welche Sie zum Magister gemacht haben, leibhaftig in der Hölle. Ist denn das Fleisch einer Pfarrstochter an ders beschaffen, als das Fleisch einer Prinzessin? Gesetzt aber, Sie meinten ihre Gemüthsbeschaffenheit; so finde ich eben nichts stilles und heiliges an Ihrem Hannchen, wobei mir das geistliche Fleisch einfallen sollte, Sie ist so munter und lebhaft, wie eine Soldatentochter. Ein junger Fähndrich würde ihr besser anstehen, als ein alter Magister.

Der Magister. Sie machen mir beinahe Angst. Da sich aber die Liebe bei ihr angefangen hat, so kann ich auch auf ihre Beständigkeit schließen.

Amalia. Woher wissen Sie aber, daß Hannchen in Sie verliebt ist? Und wie wollen[130] Sie von der Beständigkeit einer solchen Leidenschaft urtheilen, da wir oft von derselben wider unsern Willen hingerissen werden.

Der Magister. Von dem ersten Punkte überzeugen mich ihre reitzenden Blicke. Einer ist matt, der andere sanfte, der dritte feurig. Die folgenden sind zum theil schmachtend, zum theil aber bemerken sie ein süßes Bewustseyn. Der zweite Punkt aber, patet per se.

Amalia. Was heist das, patet per se?

Der Magister. Das will so viel sagen: wenn ein Mädchen einmal liebt; so kann sie nicht leicht wieder aufhören.

Amalia. Sie haben Recht; sie liebt immer; aber nicht einen und eben denselben Gegenstand: und dieses, glaube ich, wird der wahre Sinn der angeführten Worte seyn.

Der Magister. Machen Sie mich nicht weiter unruhig. Ich will meinen Herrn Principal um seinen Vorspruch bei Hannchen bitten. Sein Ansehen und ich zusammen genommen,[131] wird einen Eindruck sowohl bei dem Vater, als bei der Tochter machen.

Amalia. Es ist wahr, mein Oncle vermag viel bei dem Pfarr; aber Hannchen darf nicht überredet, vielweniger gezwungen werden. Es ist ein angenehmes und munteres Kind, und wir haben einander von Jugend auf geliebt. Suchen Sie ihr zu gefallen, vielleicht geht die Sache nach ihrem Wunsche.

Der Magister. Sie haben Recht. Clementine soll von meiner persönlichen Vortreflichkeit bezaubert und erobert werden. Ich will eine Ode auf sie machen; ich will sie unter ihrem Fenster absingen. Giebt sie meiner Liebe Gehör; so stehe ich hier still; wo nicht; so suche ich andere Kunstgriffe hervor. Ich will sechs Monate blaß wie der Tod aussehen; ich will mich in eine Höhle verstecken, den Bart und die Nägel wachsen lassen; ich will Gras fressen, wie Nebucadnezar: endlich wird sie doch weich, und überwunden werden![132]

Weil mein Oncle seine Charlotte rufte, so mußten wir unsere Unterredung endigen. Morgen werde ich von hier ab nach Schönthal, und über morgen nach Wilmershaußen zu meiner Juliane gehen. Dieses gute Kind erkundiget sich oft nach dir, und freut sich über alle gute Nachrichten, welche ich aus Engelland erhalte. Sie hat sich zu ihrem Vortheile verändert, und besitzt alle Vorzüge unsers Geschlechts. Schreibe' mir bald und liebe mich ferner.

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 123-133.
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