III. Brief.

Fräulein Amalia an ihren Bruder.

[17] Schönthal, den 27. April.


Der Magister Lampert weiß sich sehr viel mit dem Briefe, den er aus Amsterdam von dir erhalten hat. Gestern, da wir eben abgespeiset hatten, kam Jemand in vollem Galopp in den Schloßhof gesprengt. Wir fuhren alle an die Fenster, es war der Magister. Er kam die Treppe herauf. Der Baron, der immer seinen Spas mit ihm hat, fragte, ob der alte Pastor Wendelin gestorben wäre, daß er so aufgeräumet aussähe? Er verbeugte sich und schüttelte mit dem Kopfe. Reden konnte er noch nicht; seine Lunge war zu sehr an ausgedehnet. Er sipste und schnappte eine gute Weile nach Luft, bis die Bedienten abgeräumet hatten. Wir waren begierig, die Ursache seines außerordentlichen Bezeigen zu erfahren. Er merkte es, und zog einen Brief aus der Tasche. Er bath um Erlaubnis,[18] uns ein gnädiges Handschreiben von dem jungen Herrn Baron v.S. vorzulesen, nachdem er sich diese in einer wohlfließenden halbstündigen Rede erbethen hatte. Wir hörten aufmerksam zu. Er las mit einer Art, die mir gefiel. Das Wasser trat ihm für Freuden in die Augen; er lächelte und wischte sie mit einer Hand um die andere, wenn er an Stellen kam, die er für spashaft hielt, oder die ihm angenehme Gedanken erweckten: manchmal aber mummelte er in den Bart, und las so geschwinde, daß Niemand wußte, was er haben wollte. Wie, sagte ich, wie war das? Noch einmal diese Stelle. Er winkte und geboth uns mit der Hand zu schweigen, und las fort. Da er fertig war, und nach seiner Gewohnheit die Augen zudrückte, um sich auf kritische Anmerkungen zu besinnen, nahm ich ihm den Brief aus der Hand. Es sind Stellen darinne befindlich, über die ich Sie nicht darf reflectiren lassen, sagte er. Erlauben Sie, gnädiges Fräulein – – Er wollte mir den Brief wiedernehmen.[19]

Erlauben Sie, daß ich ihn nicht weggebe, bis ich ihn gelesen und darüber reflectiret habe.

Nein, nein, der junge Herr schreibt aufgeweckrund spashaft. Sie dürften an manchen Orten eine Satire finden, wo keine ist; Sie sind lose.

Sie werden ihren Brief, sagte ich, nicht eher wieder bekommen, bis ich ihn ganz gelesen und meine Anmerkungen darüber gemacht habe.

Ich las ihn laut. Da ich ihn wieder zurück gab, sagte ich, der ganze Brief ist eine Satire auf Sie.

Was? Eine Satire? Nichts weniger! Ich kenne den Charakter ihres Herrn Bruders besser.

Mein Schwager winkte mir und zog mich bei Seite. Lassen Sie den guten Mann doch bei seiner Einbildung, wir werden unser Vergnügen dabei finden. Geben Sie ihm in allem, was er saget, Beifall; der Spas wird vollkommen[20] seyn, wenn wir dem Plane folgen, den wir neulich entworfen hatten.

Ich gieng wieder hinein in den Saal. Er fing gewaltig an, über den Brief zu disputiren. Zum Scheine hielt ich ihm in etwas Widerpart; endlich räumte ich ihm alles ein, was er verlangte. Da er weg war, wurde erst die Glocke über ihn gegossen. Schreiben Sie an unserm Bruder, sagte mein Schwager, er sollte den Magister und unsern Oncle nicht in der Einbildung, die sie von dem Grandison hätten, stören. Er sollte die Bitte des Magisters, wie er zu thun geneigt schiene, erfüllen, und entweder uns, oder ihm selbst, von dem Zustand der Personen, die in dem Grandison eine Rolle haben, Nachricht geben, wir würden uns ihm alle für dieses Vergnügen verbunden erkennen. Wir lachten, daß der Baron den Scherz so weit treiben wollte. Ich glaube aber, wir haben manche Lust zu erwarten, wenn du die Bitte unsers Schwagers statt finden lässest.

Den 28ten. Heute Nachmittage legten wir einen Besuch bey unserm Oncle ab. Mein[21] Schwager that es mehr, mit dem Magister seinen Scherz zu treiben, als aus Begierde unsern Oncle zu sehen; den er gleichwohl sehr liebt, so lange er von seinen Feldzügen schweigt.

Mein Oncle las uns den Brief, den er gestern von dir erhalten hat. Wir wünschen unserm geliebtesten Bruder, zu der bevorstehenden Reise nach Engelland, Glück und eine dauerhafte Gesundheit. Herr Lampert sagte: wenn du einmal des Steinkohlendampfes in Londen gewohnt wärest, und in den ersten vier Wochen keinen Ansatz zur Schwindsucht bekämest, so würdest du nicht nur in Engelland beständig gesund bleiben; sondern auch in Deutschland einmal ein alter Mann werden. Er wollte heute an dich schreiben, und den Brief in den meinigen entschließen; er besonn sich aber anders, und ersuchte mich, ihn zu deiner Gewogenheit zu empfehlen, und dich für böser Gesellschaft zu warnen. Um seinetwillen, sagte er, soll der junge Herr keinen Menschen seiner Freundschaft würdigen, den nicht von dem Grandison groß denkt, oder ein Anverwandter von ihm ist. Ich biß mich[22] in die Zunge um das Lachen zu verbergen, und versprach, seinen Auftrag bey dir auszurichten. Gleichwohl konnte ich es nicht unterlassen, einige Spöttereien über unsers Herrn Vetters und seines Orakels des Magisters Grille zu sagen, ob es mir gleich von meinem Schwager sehr nachdrücklich verbothen war. Unser Oncle wurde deswegen so sehr gegen mich aufgebracht, daß wir Mühe hatten, ihn zu besänftigen.

Ich setze mein Leben zum Pfande, fing Herr Lampert unerwartet an, und schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Gläser schütterten, ich setze mein Leben zum Pfande, daß es einen Grandison und eine Henriette Byron giebt. Leugnen sie diese Wahrheit nicht länger, gnädiges Fräulein, wenn Ihnen etwas an der Gewogenheit ihres Herrn Oncles gelegen ist. Unser Oncle warf einen zornigen Blick auf mich, und seine Stirn bekam mehr Falten als ein aufgezogener Vorhang. Mein Schwager bath beide, so lange sich zu beruhigen, bis zuverläßige Nachrichten aus Londen wegen dieser Sache einliefen. Er versprach[23] dem Magister eine Hirschhaut, wenn wir erführen, daß die Geschichte des Grandisons wirkliche Begebenheiten enthielte; er sollte hingegen dem Baron ein paar Wachtelbauer verfertigen, wenn sie als eine Erdichtung befunden würde; Sie gaben einander die Hände darauf. Meine Schwester und ich versprachen ihm jede ein paar genehete Manschetten, wenn er Recht behielte; wenn wir aber den Sieg davon trügen, so verlangte meine Schwester eine Schnappweife, und mir sollte er ein Sonnenschirmgen drehen. Er ging alles ein was wir verlangten, und war seiner Sache so gewiß, daß er sich davon nicht hätte abbringen lassen, wenn man Pferde an ihn gespannet hätte. Jezt war ich im Begriffe zu schließen; aber ein Streich von dem wunderlichen Menschen, der mir eben einfällt, und wenn ich ihn nicht erzählte, mich wie ein Mühlstein auf dem Herzen drücken würde, hält mich noch davon zurück. Er hat sich vorgesetzt, in allen Dingen dem D. Bartlett nachzuahmen, und hofft ihm endlich so ähnlich zu werden, als ein Er dem andern. Neulich[24] hat er den ersten Schritt in dieser wichtigen Unternehmung gewaget, er ist merkwürdig. Der Magister hat das große Werk von einer Perucke, worinnen er sonsten an hohen Festtagen zu stolziren pflegte, plötzlich abgeleget, und trägt sein eignes Haar. Nur Schade, daß es pechschwarz ist! Wenn ich ihm doch riethe, er sollte es schwefeln, oder an der Sonne bleichen, damit des D. Bartletts seinem ähnlicher würde, wer wüßte, was er thäte. Nun muß ich im Ernste schließen, Fräulein Julgen ist unten. Das gute Kind wird mir ihr Herz einmal ausschütten wollen. Ihre Stiefmutter plagt sie recht gottlos. Was kann denn das liebe Mädgen davor, daß sie besser gebildet ist als ihre schielende Stiefschwester. Ich werde gerufen. Unsere Anverwandten empfehlen sich dir und erwarten öftere Nachrichten. Ich bin so lange ich lebe


Deine

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 17-25.
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